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Wie zur Zeit des Perikles in Athen und in den Tagen des niedergehenden republikanischen Senates in Rom (siehe oben S. 65 bis 101) so sind auch in der Gegenwart die Ziele der praktischen Politik nicht darauf gerichtet, das volkswirtschaftliche Uebel von Grund aus zu heilen. Unsere Vertreter der Wissenschaft behaupten sogar: das sei ganz unmöglich! So begnügen sich denn Praxis und Wissenschaft, an den Krankheitssymptomen Linderungsmittel zu versuchen. Die schönen historischen Beispiele einer „vollständigen Heilung mit Prophylaxis“ will man offenbar garnicht kennen. Zur Zeit der volkswirtschaftlichen Krisen werden Lohnarbeiter in grösserer Zahl beschäftigungslos. Die wirkliche Beseitigung dieses Uebels hat offenbar die Beseitigung der eigentlichen Ursache, nämlich das Aufhören der periodischen Krisen zur Voraussetzung. Damit verschwindet dann die periodische „Arbeitslosigkeit“ von selbst. Aber die offizielle Nationalökonomie wagt es nicht, den Kapitalismus in der Gesellschaft mit seinem ewigen Wechsel von Ueberspekulation und Krisis, von Hausse und Baisse anzutasten. Also lässt man die eigentliche Krankheitsursache bestehen und beschränkt sich darauf, das Symptom der „Arbeitslosigkeit“ zu lindern durch eine „Arbeitslosenversicherung.“ Der herrschende Kapitalismus vernichtet immer mehr die mittleren und kleinen selbständigen Existenzen. Aber aus dieser krankhaften Erscheinung folgert man nicht die Frage: wie ist also der Kapitalismus zu beseitigen? Das allgemeine Spezialisieren unserer Zeit erblickt in diesen Veränderungen wieder eine ganz selbständige sogenannte „Mittelstandsfrage“, welche durch Innungen, Handwerkskammern, Aenderung des Submissionswesens, der Konkursordnung, der Kreditorganisation, durch Bestimmungen gegen den unlauteren Wettbewerb, durch Spezialgesetze gegen Warenhäuser, Konsumvereine u.s.w. zu lösen versucht wird. Die Uebervorteilung der Lohnarbeiter durch die Unternehmer soll eine Reihe von Arbeiterschutzgesetzen verhindern helfen. Dazu hat man den industriellen Arbeitern das Koalitionsrecht mit dem Recht auf Streiks gegeben, um bessere Löhne erkämpfen zu können. Aber was ist mit diesen Linderungsmitteln bei fortdauernder Herrschaft des Kapitalismus erreicht? Eine wachsende Ausbreitung des Klassenkampfes der Arbeiterbataillone, eine organisierte Vergewaltigung von „Arbeitswilligen“, eine schrittweise Erweiterung der Streiks zu Bürgerkriegen und eine Gewerkschaftspolitik, welche den Tagesinteressen der Arbeiter nachläuft und deshalb die dauernden Interessen ihrer Genossen vielfach zu schädigen droht. Auf die landwirtschaftlichen Arbeiterkreise hat sich das Streikrecht in der milderen Form des Kontraktbruches übertragen. Um die vielfältigen Formen des Wuchers ausserhalb des Lohnwuchers, durch welche der Ertrag der deutschen Arbeit jährlich um viele Milliarden gekürzt wird, kümmert sich in diesem Zusammenhange unsere Vorliebe für Spezialfragen nicht. Der herrschende praktisch–politische Zug unserer Zeit liebt für jeden Schmerz am Volkskörper sein Spezialmittelchen anzuwenden: Gegen die fortschreitende Entvölkerung des platten Landes sollen Wohlfahrtseinrichtungen, erleichterte Sesshaftmachung der Arbeiter und andere armenrechtliche Bestimmungen helfen. Der Neigung der Volksmassen zu übermässigem Genuss begegnen anti-alkoholische Vereinigungen und Sparkassen aller Art. Die Ausbreitung der Spekulationssucht wird durch Lotteriegesetze, durch einschränkende Bestimmungen über Beteiligung am Börsenspiel, an Spiel und Wette u.s.w. gehemmt. Der rasch zunehmenden Verschuldung der Städte, welche mit ihrer rapiden Bevölkerungszunahme bei anhaltender Abwanderung vom Lande in direktem Zusammenhange steht, suchen periodische Ministerialerlasse an die Stadtverwaltungen zur tunlichsten Sparsamkeit zu begegnen. Die fortdauernde Besetzung frei werdender deutscher Ländereien bemüht sich im Osten eine Ansiedlungskommission mit einem Millionenfonds und einem besonderen Enteignungsrecht gegen Ausländer aufzuhalten. Der zunehmenden Zuchtlosigkeit der heranwachsenden Jugend will man durch zwangsweise Fürsorgeerziehung bereits verwahrloster Kinder, durch Spezialgerichtshöfe für jugendliche Verbrecher, durch Arbeiterkolonien auf dem Lande begegnen u. dgl. m. Der rechte Blick für den organischen Zusammenhang der volkswirtschaftlichen Dinge scheint verloren zu sein. Wenn die Warenpreise sehr niedrig sind, klagen die Produzenten und fordern Hilfe vom Staate, die Konsumenten sind mit den billigen Preisen sehr zufrieden. Wenn die Warenpreise sehr hoch sind, klagen die Konsumenten und verlangen staatliche Intervention, während jetzt die Produzenten zufrieden sind. Dass der aussergewöhnliche Tiefstand der Preise nur die eine Seite der kapitalistischen Preisschwankungen darstellt, welcher notwendigerweise eine entsprechende Entwicklung nach oben folgen muss, wird ebensowenig beachtet wie die weiteren Schlussfolgerungen: dass das herrschende kapitalistische System für allen Wucher verantwortlich bleibt und die Interessen der Produzenten wie Konsumenten sich nur auf der stetigen mittleren Preislinie ehrlich vereinen lassen. Die heutige Organisation der Banken und Börsen hat auch aus dem Zinsfuss ein Spekulationsobjekt gemacht. Die Zinshöhe senkt sich nicht mehr mit der zunehmenden Wohlhabenheit der Bevölkerung, sondern wird durch den alles beherrschenden Konjunkturenwechsel bedingt. Je mehr zurzeit der Hochkonjunktur neue Börsenwerte auf den Markt geworfen werden, je mehr Gründungen und Spekulationen der verschiedensten Art eingeleitet sind, deren Fortführung den Kredit in ganz besonderem Maasse beansprucht, desto höher steigt der Zinsfuss. Der schliessliche Zusammenbruch des ganzen Kartenhauses der Ueberspekulation lässt den Zinsfuss noch höher gehen, während das dann sich einfindende Misstrauen die Spekulation wesentlich einschränkt und damit den Zinsfuss verbilligt. Die Zinshöhe beherrscht auch den Kurs der Staatsrenten. Teures Geld bedingt niedrige, billiges Geld hohe Kurse. Als jüngst bei teurem Geldstande die Staatsrenten sehr billig notierten, hat man alles Mögliche, wie: den Aufschwung der Industrie, die Heiraten der reichen Amerikanerinnen, die Prosperität der Landwirtschaft, den Mangel an Kapital, nur nicht die heutige Bank- und Börsenorganisation mit dem kapitalistischen Wechsel der Konjunkturen verantwortlich gemacht. Die Abhilfe aber sucht man irrtümlicherweise in der tunlichsten Vermehrung jener Geldbeträge, welche den Börsen und Banken zur Verfügung gestellt werden. Also: die ungezügelte spekulative Bereicherungssucht der Menschen hat bedenkliche Folgeerscheinungen in der Bewegung des Zinsfusses und der Rentenkurse gezeitigt. Daraus wird in unseren Tagen nicht gefolgert, dass die Spekulationssucht der Menschen gezügelt werden müsse! Man entscheidet sich vielmehr für den aussichtslosen Versuch, dem Bereicherungshunger der Spekulanten vielleicht doch noch genügend Geldmittel zur Verfügung stellen zu können. Die Vernichtung der mittleren und kleinen selbständigen Existenzen und die fast unglaublich rasche Zunahme des allgemeinen Luxus erschwert in den bürgerlichen Kreisen immer mehr die Hausstandsgründung. Deshalb verspätet sich für Viele das Heiraten. Die Zahl der Unverheirateten nimmt entsprechend zu. Daneben reibt die wesentlich verschärfte und vergiftete Konkurrenz die Männer rascher auf. All diese Gründe lassen eine wachsende Zahl von Frauen und Mädchen zur ehrlichen Bestreitung ihres Unterhalts nach einer passenden Arbeitsgelegenheit suchen. Eine mehr oberflächliche Betrachtung bleibt an der weit grösseren Zahl der Frauen und Mädchen in der Gesamtbevölkerung haften. Aber hervorragende Statistiker, wie J.E. Wappäus u.A. haben längst nachgewiesen, dass in den Altersklassen gegen das 17. und 18. Lebensjahr innerhalb grösserer Gebiete das Gleichgewicht zwischen „Männlein“ und „Weiblein“ hergestellt zu sein pflegt und ungefähr bis zum 30. Lebensjahre anhält. Trotzdem glaubt unsere Zeit die „Frauenfrage“ lösen zu können durch Vermehrung der Frauenberufe, durch bessere Mädchenschulen, durch Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium, durch Beteiligung der Frauen am politischen Leben usw. Man scheint mithin der Meinung sich zuzuneigen, dass jene krankhaften Erscheinungen, welche eine stetig wachsende Zahl von Mädchen und Frauen dem Mutterberufe entfremdet, dadurch gelindert werden, dass man die Lebensexistenz der Frau ausserhalb des Mutterberufs tunlichst erleichtert. Logisch ist das eine Weiterentwickelung in der Richtung der Krankheit, die bald zu neuen Komplikationen und zu noch ernsteren Krisen führen muss. Der Spekulationsgeist, welcher heute unsere Volkswirtschaft beherrscht, und auf allen Gebieten bestrebt ist, volkswirtschaftlichen Arbeitsertrag von dem Konto „Arbeitserfolg“ ohne Gegenleistung auf das Konto „Kapitalgewinn“ zu übertragen, beherrscht heute auch den Grundmarkt. Frühere Kalkulationen haben ergeben, dass wir diesen objektiven Raub am volkswirtschaftlichen Arbeitserfolg, welcher sich unter dem Titel „Grundrente“ versteckt, auf über 2 Milliarden Mark pro Jahr veranschlagen dürfen. Nun ist eine Bewegung entstanden, die seltsamerweise nur diese spezielle Art von Wucher zu beseitigen verspricht, die lange Reihe der anderen Wucherformen aber unbehelligt lässt. Und wie glaubt man diesen Grundstückswucher aufheben zu können? Indem man 3 bis 5% vom falschen Wertzuwachs als Steuer zugunsten der Gemeinde- oder der Staatskasse einzieht. Im verrotteten Kalifenstaate zu Bagdad hatte die Polizei mit den zunftmässig organisierten Räubern und Spitzbuben auf eine gewisse prozentuale Teilnahme an dem Raubgewinn sich geeinigt. Die Geschichte betrachtet diese Vereinbarung als ein Zeichen schamloser Korruption. Heute soll eine ganz analoge Gesetzgebung einen wesentlichen sozialen Fortschritt bedeuten. Während aber die Kalifenpolizei sich mit den Zahlungen immer nur an die Räuberzunft gehalten hat, halten sich diese neuen Sozialpolitiker an den jeweiligen Grundeigentümer. Ob dieser Grundeigentümer beim Kauf selbst ausgewuchert wurde oder nicht? ob er es versteht, die neue Steuer auf die Pächter oder Mieter abzuwälzen oder nicht? bleibt unberücksichtigt. Diese Spezialsteuergesetzgebung verspricht den Bodenwucher zu beseitigen, lässt aber in Wirklichkeit alles beim Alten. Nur der Wucherer — oder auch der Bewucherte werden mit 3 bis 5% des Wucherbetrages als Steuer belastet. All diese Irrungen sind so leicht ersichtlich, dass es in diesem Zusammenhange notwendig erscheint, nach einer Erklärung dafür zu suchen: wie solche offenkundige Irrtümer zur fast allgemeinen Anerkennung gelangen konnten? Da liegt es nun nahe, auf den Entwickelungszustand der Nationalökonomie als Wissenschaft hin zu weisen, wie das im Band I, S. 15 bis 42 und S. 148 bis 160 bereits geschehen ist. Auch die Gesetzgebung hat, im scharfen Gegensatze zu einer organischen Auffassung, die streng getrennte Organisation der Berufe in Handelskammern, Landwirtschaftskammern, Handwerkskammern, Arbeitskammern usw. bevorzugt. Sie hat damit scheinbar den sozialistischen Theorien von den Klassengegensätzen Recht gegeben. Und je härter in der kapitalistischen Gesellschaft die Interessen aufeinander stossen, desto deutlicher scheint das praktische Leben diese Auffassung zu bestätigen. Vielleicht hat in Preussen zu dieser einseitigen Richtung auch der bekannte „Ressort – Partikularismus“ der Geheimräte beigetragen. Endlich ist hier gewiss der so ungemein einschmeichelnde Charakter der kapitalistischen Weltanschauung in Betracht zu ziehen. Wer möchte nicht möglichst bald möglichst reich werden? Von den Spitzen der Gesellschaft bis hinab in die Reihen der Lohnarbeiter findet sich die Neigung zu diesem Lebensgrundsatze ausgeprägt. Warum sollten die Mittel zu diesem Zwecke nicht gleich allgemein beliebt sein? So ist denn für die prinzipielle Geneigtheit zur Fragestellung: wie kann der Kapitalismus aus der Gesellschaft beseitigt werden? recht wenig Raum geblieben. Die weitaus wichtigste Erklärung scheint trotzdem auf anderem Gebiete zu liegen, nämlich in dem Wesen des Kapitalismus als einer Entwickelungsnotwendigkeit. Die Zeit der reinen oder doch ganz überwiegenden Naturalwirtschaft bleibt einer gesunden fortschreitenden Entwicklung so lange verschlossen, bis sie die Ausbildung und Erweiterung der Geldwirtschaft in ihr Programm aufgenommen hat. Deshalb ist den Zeiten der Naturalwirtschaft ein so hervorstechender Geldhunger eigen, der zu verheerenden volkswirtschaftlichen Krisen führen musste, wo dem einbrechenden Kapitalismus in der Form des Handels- und Leihkapitals nicht rechtzeitig wirksame Hemmungen entgegengetreten sind. In der naturalwirtschaftlich – lehensstaatlichen Periode der germanischen Völker hat die römische Kirche diese doppelte Aufgabe: die Ausbreitung der Geldwirtschaft zu fördern und gleichzeitig jedes einseitige Ueberwuchern der Geldinteressen tunlichst zu verhüten, trefflich zu lösen verstanden. Als die Kirche dann selbst einer extremen politischen Richtung zuneigte und die Idee einer päpstlichen Universalmonarchie verfochten hat, kam es zu jenen bekannten Konflikten zwischen den Staaten und der Kirche, welche die Geschichte unter dem Namen „Reformation“ zusammenzufassen pflegt. Der seitdem sich auslösende moderne Staatsbegriff hat bereits eine ansehnliche Stufe der Geldwirtschaft zur Voraussetzung. Auf dieser Basis baut der fürstliche Absolutismus weiter. Die Macht des absoluten Herrn gründete sich vor allem auf eine wohlgefüllte Staatskasse. Seine eigensten Interessen führten deshalb zu einer tunlichsten Begünstigung von Handel und Gewerbe, zur Vermehrung des Geldvorrates und der Geldwirtschaft im Lande. Wo dann diese volkswirtschaftliche Oberleitung allzu einseitig dem Luxus und den Launen des allerhöchsten Herrn diente, kam es zur politischen Revolution und darnach zum Verfassungsstaat. Von jetzt ab konnte sich die Geldwirtschaft in Handel und Industrie, in Banken und Börsen am freiesten entfalten und nie vorher erreichte Erfolge erzielen. Wie sollte nach solchen Erfahrungen der Geldwirtschaft und dem wirtschaftlichen Egoismus etwas volkswirtschaftlich Krankhaftes anhaften können? Offenbar beginnt die krankhafte volkswirtschaftliche Entwicklung dort, wo die Harmonie der Gegensätze gestört zu werden droht. Die Entwicklung der Städte neben dem platten Lande ist zu einem gedeihlichen volkswirtschaftlichen Leben unerlässlich. Wo aber diese Städte zu bedenklichen Hypertrophien ausarten und das Land dauernd entvölkern, dort haben wir es mit einer krankhaften Erscheinung zu tun. Die Ausbreitung des Handels und der Industrie neben der Landwirtschaft kann dem volkswirtschaftlichen Ganzen nur förderlich sein. Wenn aber der nationale Handel sich die Welt erobern will und deshalb die Heimat in unabsehbare Konflikte hineintreibt, weil eine gewisse Gruppe von Personen nicht reich genug werden kann, und wenn die heimische Industrie den Schwerpunkt ihrer Produktion nicht im heimischen Konsum, sondern im Export, selbst auf Kosten der heimischen Landwirtschaft sucht, dann sind das allerdings durchaus krankhafte Entwicklungstendenzen, die noch jedes Volk ausnahmslos ins Verderben geführt haben. Dem Handel muss Raum gegeben sein, den Verkehr mit Waren und Werten mit einem Minimum von Zeit und Kostenaufwand den wechselnden Bedürfnissen anzupassen. Wo aber der Handel aus einem dienenden Gliede zum Herrn der Volkswirtschaft sich aufgeschwungen hat, wo schon die Hälfte des Volksvermögens und mehr in Börsenwerte verwandelt ist, wo die dem nationalen und internationalen Ausgleich dienenden Einrichtungen des Handels von den geldwirtschaftlichen Konzentrationsbestrebungen völlig oder fast völlig beherrscht werden, dort wird es notwendig, durch neue bessere volkswirtschaftliche Organisationen die privatwirtschaftlichen Monopole zu brechen. Die Reichen neben den Wenigerbemittelten, die Herren neben den Hilfsarbeitern, der grössere Luxus neben den bescheidenen Bedürfnissen sind für jeden kulturellen Fortschritt unentbehrlich. Sobald aber die Zahl der Reichen immer kleiner, die Zahl der Vermögenslosen immer grösser wird, sobald die Herrschaftsbedürfnisse der Herren immer maasslosere Dimensionen annehmen, sodass auf dem naturgemäss immer beschränkten nationalen Wirtschaftsgebiete die Zahl der selbständigen Existenzen rasch zurückgeht, und die Volksmassen ihr Leben lang zu einem unselbständigen Abhängigkeitsverhältnis verurteilt bleiben, sobald der Luxus der Reichsten keinerlei Maass halten mehr kennt, und die Verschuldung des Volkes etwa doppelt so rasch anwächst als die Vermögenszunahme, dann ist die Vernunft der früheren Zeit allerdings Unsinn geworden. Also: die fortschreitende Entwickelung eines Volkes kann — wie es scheint — bis zu einer gewissen Höhe die kapitalistischen Erwerbsarten nicht entbehren. Das moderne Volk muss — wie es scheint — die Schule des Kapitalismus einmal durchmachen, um zu lernen, in welchem Maasse die produktiven Kräfte gut ausgenutzt werden können, um sich daran zu gewöhnen, alle verfügbaren Mittel bei einer vertrauenswürdigen Stelle niederzulegen um sie hier mit Hilfe des Kredits der Allgemeinheit zugänglich zu machen, und um die grossartigen Organisationsformen alle kennen zu lernen, die wir den modernen kapitalistischen Grossbetrieben allein verdanken. Wenn aber mit Hilfe des Kapitalismus eine gewisse Entwickelungshöhe der materiellen Kultur erreicht ist, und die Nachteile des kapitalistischen Einflusses beginnen, die Summe seiner volkswirtschaftlichen Vorteile ganz unverhältnismässig zu überragen, dann muss das kapitalistische System als etwas durchaus krankhaftes bezeichnet werden, dessen reinliche Beseitigung im Interesse einer besseren Fortentwickelung des Ganzen tunlichst zu beschleunigen ist. Weil jedoch dieser kritische Zeitpunkt erst in unseren Tagen erreicht wurde, bleibt auch die herrschende politische Praxis, welche jede prinzipiell klare Beseitigung der ökonomischen Misstände vermieden hat, historisch durchaus verständlich. Auch für die volkswirtschaftliche Therapie gilt der alte Satz des Mediziners: natura sanat, medicus curat. Die Sozialpolitik und die soziale Gesetzgebung können den krank gewordenen Volkskörper nicht heilen, wenn ihn die soziale Lebenskraft nicht heilt. Politik und Gesetzgebung können nur die vorhandenen Hindernisse wegräumen, welche der naturgemässen Heilung im Wege stehen und sie können und müssen für die Zukunft Vorbeugungsmassregeln treffen, welche die Wiederkehr der gleichen Hemmungen und der gleichen Erkrankung hindern! Diese soziale Lebenskraft aber heisst menschliche Arbeit. Das wird schon bei dem Einzelnen erkennbar.
„Die Handlung, die Wirksamkeit allein bieten dem Menschen einen würdigen Zweck des Lebens“ (Helmholtz).
„Nur wer arbeitet, wird sehr alt. Eine erspriessliche Tätigkeit macht allein das Leben lebenswert“ (Preyer). „Im allgemeinen haben die Menschen ein Bedürfnis nach Arbeit; Arbeitsscheu ist der Krankheit gleich zu achten oder wenigstens ein Vorläufer davon“ (Sperling). Gesundheit und Wohlergehen nicht nur des Einzelnen, sondern auch des ganzen Volkskörpers verdanken wir der Arbeit. Was heisst „arbeiten“? Die mehr oberflächliche Betrachtungsweise sieht in der Arbeit nur die Tätigkeit des Einzelnen. So geht die Freihandelslehre von dem privatwirtschaftlichen Erwerbe aus. So lässt die sozialistische Theorie die Arbeiter mit den schwieligen Fäusten die Waren produzieren. Wenn dann das Produkt ihrer Arbeit nicht auch ihr Arbeitslohn ist, so sind die geltenden Gesetze und Herrschaftsverhältnisse daran Schuld. Jeder mehr eindringlichen Betrachtung erscheint die Arbeit und ihr Erfolg als ein ungemein komplizierter Prozess, der in erster Linie nicht von der Tätigkeit des Einzelnen, sondern von der Tätigkeit der sozialen Arbeitsgemeinschaft getragen wird. Ein Arbeiter steht in einer Fabrik an einer Drehbank, um einen Stahlwellenblock auf das rechte Maass genau abzudrehen. Ist das schliesslich fertige Produkt wirklich nur das Produkt seiner Arbeit? Die Drehbank, mit deren Hilfe allein er diese Leistung fertigen kann, ist ein Instrument, dessen Entstehung schliesslich die Arbeitsgemeinschaft der ganzen Menschheit durch Jahrtausende zur Voraussetzung hat. Das Gleiche gilt für die Anfertigung des rohen Stahlblocks, der aus anderen Werkstätten geliefert wurde. Die fertige Welle wandert wieder in andere Arbeitsräume, wo sie in den Mechanismus einer Maschine eingefügt wird. Im technischen Büro wurden die Maasse genau ermittelt, nach denen der Arbeiter seine Drehbank einstellte. Und diese Tätigkeit selbst hat der Arbeiter erst von Dritten erlernen müssen. Wie klein und bescheiden ist mithin die Arbeit des Einzelnen im Vergleiche zu den Leistungen der sozialen Arbeitsgemeinschaft. Der Landwirt, welcher im Schweisse seines Angesichts seine Scholle bebaut, benützt Geräte und wendet eine Kultur- und Erntemethode an, an welcher nicht minder die Jahrtausende menschlicher Geschichte beteiligt sind. Und die eventuellen Verbesserungen, welche er in der Pflege des Bodens, oder im Anbau bestimmter Ackerpflanzen entdeckt, werden von seinen Berufsgenossen aufgenommen und weiter geübt, während die Früchte seiner Arbeit anderen Menschen das tägliche Brot liefern. Der Forstwirt, welcher in seinen Wäldern eine 60, 80 oder 120 jährige Umtriebszeit eingeführt findet, erntet dort, wo seine Vorfahren gesät und wo er sät, können seine Nachfolger erst ernten. Emanuel Geibel hat diesen Vorgang mit den Worten besungen:
Aber mit der Arbeitsgemeinschaft der Ahnenreihe ist auch die forstliche Arbeit der Idee noch nicht erschöpft. Der Bau der Eisenbahnen und der Verkehrswege aller Art, der Holzbedarf des Marktes, die Ausbreitung der Organisation des Handels, ja sogar der Wechsel der Konjunktur bestimmen die Holzpreise wie die Bringungskosten und entscheiden dadurch wieder über die Dauer der Umtriebszeiten. Im Kampfe gegen Forstschädlinge aller Art helfen die Fortschritte der Naturwissenschaften und selbst der technischen Wissenschaften mit. Kurz: In jeder Arbeit begegnet uns die Gemeinschaft des Volkes und schliesslich der Menschheit als ganz überwiegend herrschender Faktor. Die Verursachung des Einzelnen ist dabei in Wahrheit so unbedeutend, dass selbst ein Fürst Bismarck von sich sagen konnte: „Als ich jung war, glaubte ich, man könne nichts wissen. Als Mann lernte ich, dass man auch nichts machen könne. Als ich kam, waren die Dinge so reif geworden, dass beim ersten Schlag der Gerte das Tor sich öffnete.“ Diese Gemeinschaft im Arbeitsprozess ist nicht nur eine solche der Materie, sondern auch eine solche des Geistes. Arbeit in diesem objektiven Sinne ist deshalb der fortschreitende gewaltige Vereinigungsprozess von Materie und Geist, bei welchem der Arbeiter das anwesende, lebende Bindeglied ist zwischen den von einer Jahrtausende alten Arbeitsgemeinschaft vorbereiteten Stoffen und Kräften. Im Anschluss an solche Ideen hat Thomas Carlyle den Ausspruch getan: „Es ist ein hoher, feierlicher, fast schauerlicher Gedanke für jeden einzelnen Menschen, dass sein irdischer Einfluss, der einen Anfang gehabt hat, niemals, und wäre er der Allergeringste unter uns, durch alle Jahrtausende hindurch eine Ende nehmen wird. Was von ihm geschehen ist, ist geschehen, hat sich schon mit dem grenzenlosen, ewig lebenden, ewig tätigen Universum verschmolzen und wirkt hier zum Guten oder zum Schlimmen, öffentlich oder heimlich durch alle Zeiten hindurch.“ Arbeiten im subjektiven Sinne heisst, an die volkswirtschaftliche Gemeinschaft in irgend welcher Weise sich dienend anschliessen, sei es als Hilfsarbeiter, sei es als selbständiger Unternehmer, sei es als Lehrer, der die Jugend bildet, sei es als Priester, welcher die ethischen Kräfte des Volkes stärkt, sei es als Soldat, Richter oder Verwaltungsbeamter zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Selbst der König ist ein Arbeiter in diesem volkswirtschaftlichen Sinne. Die Devise des heutigen Königs von England lautet mit Recht: „Ich dien“! Wer diesen gewaltigen Einfluss der sozialen Arbeitsgemeinschaft bei der Arbeitsleistung eines jeden Einzelnen erkennt, kann mindestens in der volkswirtschaftlichen Gesellschaft keine Fremden, sondern nur Freunde sehen. Die grosse gegenseitige Abhängigkeit ist für jede andere Auffassung eine viel zu weitgehende. Um trotz dieser, im Grunde gemeinschaftlichen Struktur des Volkslebens die Lust und Liebe zur Arbeit in jedem Einzelnen tunlichst zu wecken und im Interesse eines energievolleren Fortschrittes auch wach zu halten, war eine proportionale Ausbreitung der Geldwirtschaft ganz unentbehrlich. Erst die ausgebildete Geldwirtschaft gestattet eine ungemein reichhaltige Differenzierung selbständiger Berufe. Erst damit wird es möglich, den verschiedensten Arbeitsneigungen der Menschen Raum zu geben. Die grössere Freudigkeit und innere Befriedigung bei der Arbeit aber erhöht die Arbeitsenergie und eröffnet dem Fortschritt immer neue Wege. Nur so wird das sozial ungemein wichtige Gefühl der Selbständigkeit und Selbstverantwortlichkeit der Menschen innerhalb der Gemeinschaft erzogen, erhalten und erweitert. Dieses Bild ändert sich sehr wesentlich, sobald der gesunde Egoismus der Menschen in einer grösseren Zahl von Fällen in unersättliche Raffbegierde ausartet. Für solche Leute gilt immer der Grundsatz: „Möglichst billig einkaufen und möglichst teuer verkaufen.“ Solche Unternehmer schämen sich nie, so viel zu nehmen, als sie kriegen können. Der böse Spekulationsgeist, welcher nur darauf ausgeht, durch Vorverträge möglichst viel Arbeitsertrag Anderer ohne Gegenleistung in private Kapitalgewinne zu verwandeln, bemächtigt sich nach und nach der Bevölkerung. Die Kreditgewährung, welche sich mehr und mehr in den Händen der grossen Privatbanken monopolartig konzentriert, fördert gerne diese Art von Erwerb bis zur haltlosen Ueberspannung. Denn die darauffolgende Krisis bietet den Reichsten die beste Gelegenheit, die kleineren, schwächeren „Mitläufer“ in der Spekulation der Reihe nach abzuschlachten. Das Vermögen kommt in immer weniger Hände. Die Zahl der Wenigerbemittelten nimmt rasch zu. Für sie gibt es nur abhängige Stellen, in denen sie sich abquälen müssen und gequält werden. Von Arbeitslust und Arbeitsfreudigkeit ist nicht viel mehr zu spüren. Die Arbeit wird eine „Last“, die mit einem ausgeprägten „Unlustgefühl“ verbunden ist. Hass und Neid verbreiten sich im Volke. Viel Zeit wird nur damit verbracht, den lieben Nachbarn zu ruinieren, dem Geschäftsfreunde Kunden abspenstig zu machen, den Amtsbruder von seinem Platze zu verdrängen. In erbittertem, vergiftetem Konkurrenzkampfe ruinieren sich die Menschen gegenseitig Vermögen und Gesundheit. Die Zahl der mit den bestehenden Verhältnissen Unzufriedenen wächst rasch mit all den oben angeführten sozialen Krankheitserscheinungen. Die Friedensstörungen werden tägliche Ereignisse, bis die Flamme des Bürgerkrieges auflodert und die blutige Expropriation der Expropriateure beginnt. Diese therapeutische Betrachtung in Anlehnung an den Grundbegriff „Arbeit“ im objektiven und subjektiven Sinne deckt sich vollkommen mit den Resultaten der vorausgeschickten Diagnose (oben S. 240 — 317). Wir waren dort nachzuweisen in der Lage, dass alle pathologischen Symptome im Völkerleben der Gegenwart sich einheitlich auf den herrschenden „Kapitalismus in der Gesellschaft“ zurückführen und mithin nicht als hunderte von verschiedenen Einzelkrankheiten, sondern nur als Symptome der einen Krankheit „Kapitalismus“ zu betrachten und zu behandeln sind. In diesem Zusammenhange wurde (S. 302) unter „Kapital“ eine Gütermenge erkannt, welche der Gewinnsucht dient. „Kapitalisten“ waren als Wucherer im weitesten Sinne des Wortes zu definieren. Und mit dem Worte „Wucher“ bezeichneten wir „jede vertragsmässige Aneignung eines offenkundigen Mehrwertes.“ Die wesentlichen Schlussfolgerungen der sozialen Therapie werden deshalb lauten müssen: Wenn alle krankhaften Erscheinungen im Völkerleben der Gegenwart sich gleichartig auf den „Kapitalismus in der Gesellschaft“ zurück führen und wenn das Wesen dieses Kapitalismus in der vertragsmässigen Aneignung von offenkundigem Mehrwert liegt, dann kann die wirkliche Heilung unserer volkswirtschaftlichen Missstände nur durch eine reinliche Beseitigung dieser vertragsmässigen Mehrwertaneignung erreicht werden. Mord, Raub, Diebstahl, Erpressung, Betrug, Unterschlagung und Untreue sind für jedermann erkennbare offensichtliche Verbrechen gegen die Gemeinschaft. Aber das Verbrechen des Wuchers, der in so einschmeichelnden Formen den „vertragsmässigen Erwerb“ zu pflegen versteht, ist unserer ganz überwiegend formalen Rechtsordnung — die im Wesentlichen aus der internationalen kapitalistischen Rechtsschule hervorgegangen ist — in der Hauptsache entgangen. Deshalb muss die wirkliche soziale Reform in eine materielle Prüfung des Inhaltes aller Verträge eintreten. Die allein zuverlässige Richtschnur bietet hierbei der Wert und zwar der volkswirtschaftliche Wert, der Wert der sozialen Arbeitsgemeinschaft. Tauschwert, Gebrauchswert, Affektionswert und ähnliche Begriffe gehören der individualistischen Ideenwelt an. Der wahre Wert der sozialen Arbeitsgemeinschaft ist der „Aequivalenzwert“. Unter Freunden, unter Brüdern, aus denen allein sich die Volkswirtschaft zusammensetzen soll und darf, ist nur jener Vertrag gerecht und billig, in welchem Leistung und Gegenleistung gegenseitig entsprechen, sachlich buchmässig gleich sind. Nur dann bleibt das Konto „Arbeitserfolg“ unberaubt. Nur dann herrscht Friede, der heute so tausendfach gebrochen wird. Auch diese Auffassung ist nicht neu, Sie ist so alt wie die Weltgeschichte. In der mosaischen Gesetzgebung finden sich folgende Bestimmungen über den Wert der Grundstücke: Der landwirtschaftliche Grundbesitz ist ein durch die 50jährige Jobelperiode bestimmt begrenzter Rentenfonds. Sein Wert und damit auch sein Verkaufspreis bestimmt sich nach dem Werte, der bis zum nächsten Jobeljahr dem Boden abzugewinnenden Jahreserträge plus Ersatz der vom letzten Besitzer ausgeführten Meliorationen. Dieser Grundwertbegriff steht also auf eigenen sachlichen Füssen. Jede gesetzliche zulässige Handänderung hat sich im Preise nach diesem Grundwert zu richten. Uebervorteilungen sind ausgeschlossen. Aristoteles hat gelehrt, dass Zuviel und Zuwenig unter die Kategorien des Lasters falle. Der Ungerechte verletze das Gesetz der Gleichheit. Das Gerechte sei ein Gleiches, ein Proportionales, ein Verhältnismässiges. Mehr erhalten als man vorher besessen, heisse gewinnen; weniger haben, als man vorher besass, heisse Schaden leiden. Jeder solle das Seine erhalten. Das Gerechte sei deshalb ein Mittleres zwischen Gewinn und Verlust. Mit diesen Gedanken ist der grosse Stagirite zum Vater der Aequivalenztheorie geworden. Marcus Antistius Labeo hat in seiner Lehre von der Spezifikation das Eigentum am Arbeitsertrage dem selbständigen Arbeiter auch für den Fall zugewiesen, dass er einen fremden Stoff mit verarbeitet hat. Die römischen Kaiser Diocletian und Maximian haben dem Verkäufer von Grundstücken ein gesetzliches Rücktrittsrecht gewährt, sobald er weniger als die Hälfte des Verkehrswertes empfangen hatte. Die Praxis hat dann dieses Rücktrittsrecht wegen Verletzung um die Hälfte auf alle gegenseitigen Verträge ausgedehnt. Auch der Prophet Muhammed hat sich in seinen Rechtsbestimmungen energisch gegen den Wucher gewendet. Jeder Geldgewinn aus dem Moment der Zeit war verboten. Bei „Kostgeschäften“ war jeder Gewinn zwischen Kaufs- und Verkaufspreis zugunsten der Geldgeber als Wucher untersagt. Ebenso waren Preistreibereien streng verboten. Gründergewinne blieben ausgeschlossen. Wer in eine Kommanditgesellschaft oder in Gesellschaften und Genossenschaften mit beschränkter und unbeschränkter Haftpflicht unbare Einlagen machte, konnte das nur nach dem genau nachgewiesenen Selbstkostenpreise tun. Der grosse Kirchenvater Aurelius Augustinus erzählt eine kleine Geschichte von einem Schauspieler. Dieser versprach während einer Theatervorstellung seinen Zuhörern, ihnen bei der nächsten Vorstellung sagen zu wollen, was ihrer aller Wunsch und Wille sei. Als nun, von Neugier getrieben, am festgesetzten Tage eine grössere Zuhörerzahl als sonst erschienen war und die Menge aufmerksam und gespannt lauschte, sagte der Mime: „Ihr wollt alle billig kaufen und teuer verkaufen“. Man fühlte allgemein, dass der Mime das Richtige getroffen und obwohl er ihnen eine Alltagsweisheit gesagt hatte, war die Sache doch so unerwartet gekommen, dass alle ihm Beifall spendeten. Augustinus fährt fort: „An sich selbst oder an anderen hatte jener Mime die Tendenz: möglichst billig zu kaufen und möglichst teuer zu verkaufen, beobachtet und glaubte nun, dieselbe allen Menschen zuschreiben zu dürfen. In Wahrheit aber ist eine derartige Handlungsweise lasterhaft.“ Um ein gerechtes, wirklich christliches Beispiel anzuführen, erzählt Augustinus dann weiter, dass einem seiner Bekannten einmal ein Buch zum Kauf angeboten wurde, und als er bemerkte, dass der Verkäufer aus Unkenntnis des Wertes nur eine Kleinigkeit verlangte, bezahlte er unaufgefordert einen bedeutend höheren aber „gerechten Preis“. In den Kapitularien Karls des Grossen wird alles das als „Wucher“ und „Uebermass“ als „turpe lucrum“ (Schmutzgewinn) verboten, was mehr empfangen wird, als gegeben war. Wer 1 Scheffel Getreide gab, um dafür später 1 1⁄2 Scheffel Getreide zu empfangen, war nach diesen Gesetzen ein Wucherer. Diese Gesetzgebung Karls des Grossen verweist in ihren Motiven bereits auf eine Dekretale des Papstes Leos des Grossen (457—474) sowie auf Pönitentialien- und Kanonsammlungen. Unter den Kirchenvätern wird namentlich auf Hieronymus und Kassiodor Bezug genommen. Eine Reihe von Kirchenkonzilien und Synoden schliessen sich in der Folgezeit dieser Lehre vom Wucher und von dem Aequivalenzwerte ausdrücklich an. Die grosse Wuchergesetzgebung des Papstes Alexander III. (1159—1181) baut sich auf den gleichen Grundsätzen auf. Thomas von Aquin (1225—1274) hat dann diese Lehrsätze im Anschluss an Aristoteles systematisiert. Und noch heute wird diese Forderung der Aequivalenz in der neuen katholischen Literatur durch Carl von Vogelsang, Carl Scheimpflug, Victor Brants, Albert M. Weiss, Franz Schaub, de Girard, Carl Lessel, F. X. Hoermann, V. Cathrein, H. Pesch, Franz Walter, Eugen Jaeger u.a. vertreten. Selbst Carl Marx anerkennt den Austausch von Aequivalenten nach Massgabe des gesellschaftlichen Kostenwertes als das Normale. Aus der Gesetzgebung der Gegenwart, wie aus der ökonomischen Praxis sind folgende hierher gehörende Einzelfälle zu erwähnen. Das deutsche Bankgesetz vom 14. März 1875 bestimmt in seinem § 41, Abs. 2, dass das Reich sich das Recht vorbehält, die Grundstücke der Reichsbank gegen Erstattung des Buchwertes zu erwerben. Bei der deutsch–ostafrikanischen Bank, welche am 6. Januar 1905 ins Leben gerufen wurde, hat der Reichskanzler sich das Recht vorbehalten, zuerst am 31. Dezember 1934, alsdann von 10 zu 10 Jahren, die deutsch-ostafrikanische Bank aufzuheben und die Grundstücke derselben gegen Erstattung des Buchwertes zu erwerben oder die sämtlichen Anteile der Gesellschaft zum Nennwerte für den deutsch-ostafrikanischen Landesfiskus zu übernehmen. Bei den konzessionierten Privatbahnen dürfen in der Regel auf das Baukonto keine fiktiven Posten, sondern nur reelle Kosten, welche sich fruchtbar und nützlich erwiesen haben, verbucht werden. Bei den privaten, industriellen Unternehmungen, welche Familieneigentum geblieben, ist es Sitte, das Objekt nach dem Buchwerte mit Abschreibungen, welche der Höhe der Abnutzung und des Risikos entsprechen, dem das Unternehmen ausgesetzt ist, zu vererben. Der Buchwert nach den reellen Kosten, welche sich fruchtbar und nützlich erwiesen haben, mit Abschreibungen, welche der tatsächlichen Abnutzung oder dem bestehenden Risiko entsprechen, deckt sich aber genau mit dem Aequivalenzwertbegriff. Hierher gehört schliesslich auch aus den politischen Bestrebungen der Gegenwart der Antrag Kanitz in der Formulierung des Bundes der Landwirte, welcher Getreidepreise in solcher Höhe fordert, dass die heimischen mittleren Produktionskosten, die etwa dem 40jährigen Durchschnittspreise entsprechen, gedeckt werden. Ein altes lateinisches Sprichwort sagt: „Omne perfectum simplex“ — Alles Fertige ist einfach. So war es auch immer in der Nationalökonomie. Der fertige Merkantilismus konnte alle seine Vorschläge auf die einfache Formel reduzieren: möglichst viel Geld im Lande ansammeln! Seit Adam Smith haben die Freihändler ihre ganze Politik in den Satz zusammengefasst: lasst den gesunden Egoismus gewähren! Für den ganz unfertigen Zustand unserer heutigen politischen Wissenschaft ist nichts so charakteristisch, wie die unübersehbare Fülle von Einzelforderungen mit einer Material- und Paragraphenmasse, die kein Mensch gleichmässig beherrschen kann. Unsere systematische Untersuchung hat hier in ihren Resultaten wieder auf die uralte Aequivalenztheorie zurückgeführt. Wir können deshalb unser ganzes politisches Programm dahin zusammenfassen, dass wir sagen: Beseitigt die Wucherfreiheit, die sich hinter dem Satze versteckt: „Möglichst billig einkaufen und möglichst teuer verkaufen“, durch Wiedereinführung des gesellschaftlichen Kostenwertes, auch Aequivalenzwert genannt. Die Einfachheit neben dem imposanten Alter dieses Programms ist ebenso sehr ein Zeichen für das „Fertige“, wie unsere moderne nationalökonomische Handbücherliteratur den Stempel des „Unfertigen“ an sich trägt. All unsere praktischen Einzelforderungen müssen sich als logische Konsequenzen dieser grundlegenden Auffassung darstellen. a) Für alle Verträge, bei welchen Leistung und Gegenleistung nicht entsprechen (nicht verhältnismässig gleich sind), ist die Klage auf Herausgabe des Mehrwertes zulässig.Das neue Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch kennt in seinen 2385 Paragraphen die Aequivalenztheorie nicht mehr. Sogar die alte römische Einrede wegen Uebervorteilung um die Hälfte hat man fallen lassen. Statt dessen begnügte man sich in den §§ 138, 817 und 826 mit dem Begriff, „gegen die guten Sitten verstossen“. Der Richter hat über die „guten Sitten“ im Geschäftsleben keine eigene Meinung. Er hört deshalb den gerichtlichen Sachverständigen, der mitten in der wucherischen Geschäftspraxis lebt und dessen Auffassung über „gute Sitten“ mit den in Wahrheit „schlechten Sitten“ identisch ist. Deshalb herrscht bei uns weitgehendste Wucherfreiheit. Bei Börsen- und Wechselgeschäften gilt der Schein mit seinem Wortlaut. Aber auch bei allen anderen ordentlichen Geschäften pflegt das Gericht in eine Prüfung des materiellen Inhalts der Verträge nicht einzutreten. So hat z.B nach Zeitungsnachrichten vom 9. November 1907 die „Darmstädter Bank“ im April 1904 einem Kaufmann in Stuttgart ein Darlehen von 590'000 Mark gegen 6% Zinsen und 1 1⁄2% Provision gewährt. Ausserdem musste dieser Kaufmann der Bank das Optionsrecht auf 2 Millionen Mark Aktien eines in seinem Besitz befindlichen und als Aktiengesellschaft zu gründenden Elektrizitätswerkes einräumen, zu einem Kurse, der sich um nicht weniger als 350'000 Mark unter dem Buchwerte halten sollte. Im Frühjahr 1905 wollte der Kaufmann von dem Geschäft zurücktreten, womit die Bank nur unter der Bedingung einverstanden war, dass er das Darlehen nebst Zinsen und Provision zurückzahlte und ausserdem der Bank eine Abstandssumme von 350'000 Mark gewährte, auch sollte ihr das Optionsrecht auf 1 Million Aktien verbleiben. Der Kaufmann zahlte die verlangte Summe, forderte aber später die 350'000 Mark im Prozesswege zurück, weil angeblich seine Notlage ausgebeutet worden sei. Die Bank bestreitet dies mit Entschiedenheit und erklärt, dass von einer wirklichen Notlage nicht die Rede gewesen sei. Die Sachverständigen werden bezeugen müssen, dass solche Geschäfte heut ziemlich allgemein üblich sind. Peter Rosegger erzählt im Februarheft (1907) seines „Heimgarten“, dass ein Bauer in Steiermark ein stattliches fettes Ochsenpaar hatte. Ein Händler kam und schloss mit dem Bauern das Kaufgeschäft nur mit Nennung der Gesamtsumme „500“. Die steierischen Bauern meinen in diesem Falle ausnahmslos „Gulden“. Der Händler aber berief sich auf die gesetzlich eingeführte „Kronenwähnung“. Das Gericht hat im Sinne der Auffassung des Händlers entschieden. Nach unserer Auffassung soll niemand wesentlich zu teuer verkaufen, es soll aber auch keinem zugemutet werden, wesentlich unter den Produktionskosten seine Erzeugnisse abzugeben. Die mittleren Preise, welche sich mit den gesellschaftlichen Selbstkosten decken, sollen gelten. Erst dann ruht der Geschäftsverkehr auf einer gerechten Grundlage. Wie wird nun diese Aequivalenz von Leistungen und Gegenleistungen gefunden? Bei Geldleistungen bietet der landesübliche Zinsfuss einen Maassstab, bei Waren und Immobilien im Verkehr „unter Brüdern“ der Kostenpreis. Nun sind aber die Selbstkosten sehr verschieden. Die Umwandelungskosten für 1 Tonne normales Brotgetreide in Mehl und Kleie schwanken bei den verschiedenen Mühlen in Deutschland: von 5 bis 18 Mk. Auch die landwirtschaftlichen Produktionskosten für eine Tonne Weizen oder Roggen, die Baukosten für einen Prunkstall oder einen einfachen Stall stellen sich pro Stück Grossvieh recht verschieden hoch. Das Gleiche gilt für den Kostenunterschied der Wohngebäude usw. Hier bieten offenbar die mittleren oder gesellschaftlichen Herstellungskosten die allgemeine Richtschnur, wobei für besondere Qualitäten besondere Gruppen zu unterscheiden sind. Zu jeder ordentlichen Kostenrechnung gehören ferner Abschreibungen nach Massgabe der erfahrungsgemässen Abnutzung und des bekannten Risikos. Der Wert ist eben kein individualistischer Begriff. Unter Wert verstehen wir vielmehr den geld- und gütermässigen Ausdruck für die Beziehungen eines Objektes zur volkswirtschaftlichen Gemeinschaft. Für alle Gegenstände des allgemeinen Bedarfs ist an diesen Grundsätzen festzuhalten. Gegenstände von einer gewissen Seltenheit, welche nur dem Luxusbedarf begegnen, mögen auch ferner der individualistischen Preisbildung vorbehalten bleiben. b) Zur allgemeinen Ermittelung des gesellschaftlichen Kostenwertes muss auch allgemein der Buchführungszwang mit Deklarationspflicht an die zuständige Stelle eingeführt werden.Nach den geltenden Gesetzen sind nur Kaufleute und Erwerbsgesellschaften zu einer ordentlichen Buchführung verpflichtet. Der Deklarationszwang gilt bereits für Steuerzwecke und für die Eintragungen ins Handelsregister. Aber die allgemeinere Ermittelung des Kostenwertes hat auch den allgemeinen Buchführungszwang zur unerlässlichen Voraussetzung. „Unter Brüdern und Freunden“ haben wirtschaftliche Heimlichkeitskrämereien keine Berechtigung mehr. Nur der „feindliche Bruder“ hütet „Geheimnisse“. Beide sollen nicht mehr geduldet werden. Professor Howard in Leipzig hat den allgemeinen Buchführungszwang für die Landwirte schon seit 1882 gefordert und vertreten. Auch die einfache Buchführung hat für das Volk eine grosse erzieherische Bedeutung. Ziffermässige Eintragungen der Einnahmen und Ausgaben führen den Menschen zu einer planmässigen Ordnung seiner Lebensweise und damit zu einer wesentlich höheren Stufe der Kultur und Zivilisation. Aber auch für das ganze politische Leben ist der allgemeine Buchführungszwang von weitgehendster Bedeutung. Unsere amtliche Statistik arbeitet noch viel zu viel mit Schätzungen. Und zwischen den oft höchst ungenauen und lückenhaften statistischen Angaben tobt der politische Tageskampf der Meinungen hin und her. Wirklich zuverlässige Resultate haben zur Voraussetzung, dass die ersten Anschreibungen unmittelbar neben den Einzelerscheinungen einsetzen. Werden solche Anschreibungen allgemein gemacht, dann kann unsere heute noch recht unvollkommene und lückenhafte amtliche Statistik sich zu einer systematisch geordneten volkswirtschaftlichen Buchführung fortbilden, welche für alle wichtigeren politischen Fragen eine einfache, klare, ziffermässige Antwort bereit hat. Es sind Zölle erhöht oder ermässigt worden. Die Wirkungen dieser Maassnahmen auf die Lohnarbeiter, die Landwirte, die industriellen Unternehmer waren diese und diese. Die Bewegung der Schulden des Volkes im letzten Jahre war, nach Verwendungszwecken geordnet, so und so. Die Zahl der selbständigen wirtschaftlichen Existenzen hat im letzten Jahre um so und so viel zu- oder abgenommen. Aus dem Konto „Arbeitserfolg“ sind im verflossenen Jahre a Milliarden Mark auf das Konto „Kapitalgewinn“ übertragen worden usw. So wie in vergangenen Zeiten durch einen Spruch in Rom die Streitigkeiten erledigt wurden, so würden künftig durch die Veröffentlichungen des zentralstatistischen Amtes alle politischen Parteireibereien ihre Erledigung finden. Endlich werden erst vom Standpunkt dieser volkswirtschaftlichen Buchführung aus eine Reihe von alten Buchführungsstreitigkeiten über Abschreibung, Bewertung, Konteneinteilung usw. zutreffend entschieden werden können. c) Die allgemeine Organisation der Märkte auf der Basis des gesellschaftlichen Kostenwertes hat die Syndikatsbildung auf der ganzen Linie zur Voraussetzung.Als die liberale Epoche das Volk aus den alten Gebundenheiten befreite, musste der Egoismus „die Leitung des Unternehmungsgeistes der Nation“ übernehmen. Niemand wusste eine bessere mehr zweckdienliche Organisation der Volkswirtschaft anzugeben. Das Volk sollte zu einem vernünftigen Gebrauch grösserer Freiheiten erzogen werden. Die geldwirtschaftlichen Gesichtspunkte, die man auch als „kaufmännischen Geist“ bezeichnet, sollten sich allgemein durchsetzen. Das Volk sollte reicher werden bei gleichzeitiger Eingliederung in den erwachenden weltwirtschaftlichen Verkehr. Die industrielle Produktion mit der Handels- und Verkehrsorganisation hatten früher ungeahnte gewaltige Probleme zu meistern. Zu alledem war der Kapitalismus sicher am besten geeignet. Die Nachteile, welche damit in Kauf genommen wurden, sind wohl auch bis in die letzte Zeit von den Vorteilen aufgewogen worden. Diese Bilanz zwischen Vorteilen und Nachteilen hat sich neuerdings sehr zu Ungunsten des letzteren Kontos verschoben. Der Unterschied zwischen den Reichen und den Armen wird ein zu auffallender. Der masslose Luxus der Reichen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Einkommen anfangen sollen, wirkt vergiftend und zersetzend auf alle Volkskreise ein. Die Wirtschaftsorganisation der Reichsten nimmt mehr und mehr den Charakter von privaten Monopolen an, die in der Ausraubung anderer keine gerechten Grenzen mehr kennen und die Selbständigkeit der Bevölkerung sichtlich mindern. Die Formen der freien Konkurrenz werden immer raffinierter, immer rücksichtsloser, immer „amerikanischer“. Der freie Wettbewerb nimmt die unwirtschaftlichsten Formen an und führt bald zu einer Verschleuderung der Waren weit unter dem Kostenwerte, bald zu einer bedenklichen Preissteigerung weit über diese Grenze hinaus. Die Isoliertheorie der Einzelnen hat die Masse des Proletariats geboren und gestattet den Stärkeren, den Rücksichtsloseren, den „Männern ohne Scham und Gewissen“, die Schwächeren fort und fort „abzuschlachten“. Die Bildung der Tagespreise liegt in der Hand von wenigen Spekulanten. Kurz, die planlose, führerlose Wirtschaft von 60 Millionen Menschen kann nur als ein heilloses Durcheinander bezeichnet werden, das national wie international zu unhaltbaren Verhältnissen führen musste. Nun ist es das Zeichen der organischen Notwendigkeit der kapitalistischen Entwicklungsepoche, dass sie Organisationsformen gezeitigt hat, welche der neuen Zeit die rechten Entwicklungswege weisen. Eine dieser grundlegenden Vereinigungsformen ist das Syndikat. Das Syndikat beseitigt die planlose freie Konkurrenz durch eine plannlässige Ordnung für alle angeschlossenen Einzelwirtschaften. Das Syndikat trennt den Kaufmann und Spekulanten wieder vom Produzenten und Techniker und gestattet dem Warenerzeuger ein ruhigeres Leben, während gleichzeitig die Organisation des Verkaufs alle masslose Kreditgewährung, alle unsinnigen Ueberangebote ausschaltet und alle ungesunde Spekulation verschwinden lässt, zu Gunsten einer möglichst stetigen mittleren Preispolitik. Diese, den modernen Zeitverhältnissen auf den Leib geschnittenen Organisationsgrundsätze deuten die rechten Wege zur Lösung des alten Problems der Gewerbeordnung an. Die Innung der Zukunft heisst „Syndikat“. Der Syndikatsgedanke sollte deshalb auf der ganzen Linie des Erwerbslebens zur Anerkennung und Durchführung kommen. Den Produzenten sind die Entstehungskosten ihrer Erzeugnisse bekannt. Sie können deshalb am leichtesten den gesellschaftlichen Kostenwert einführen, indem sie den Verkaufspreis ihrer Erzeugnisse nach diesem Masstabe normieren. Geschieht dies erst allgemein, dann bewegt sich der Güterverkehr nach den Grundsätzen des Aequivalenzwertes und der Gerechtigkeit. Die Zeit der vertragsmässigen Aneigung von Mehrwert ist dann vorbei. Für eine „Reform der Warenbörse“ unter irgend welchem Titel bleibt hier kein Raum. Die Börsen sind ihrer ganzen Einrichtung nach Institute, welche auf dem durchaus wucherischen Grundsatze: „möglichst billig einkaufen und möglichst teuer verkaufen“ aufgebaut sind. Daran ist für jede wahrhafte Sozialreform nichts zu bessern. Unsere Warenbörsen müssen durch wesentlich vollkommenere Einrichtungen auf der ganzen Linie ersetzt werden. Und diese vollkommeneren Einrichtungen heissen „Verkaufsbüros der Syndikate.“ d) Zum rechten Ausbau der Syndikate auf der ganzen Linie des Erwerbslebens ist ein Syndikatsgesetz ebenso notwendig, wie für die verschiedenen Formen der Genossenschaften Genossenschaftsgesetze nötig waren.Die allgemeine Gewerbefreiheit hat sich heute aus einer Wohltat in eine Plage gewandelt. Auf jeder Seite der modernen Gesetzgebung, die im wesentlichen eine Verlegenheitsgesetzgebung ist, begegnet uns das moderne Problem einer „Organisation der Gesellschaft“. Die herrschende individualistische Organisation des Volkes neigt sichtlich dem Anarchismus zu. Schon Fürst Bismarck wollte deshalb gelegentlich der sozialen Arbeitergesetze das Volk in Berufsständen zusammenfassen. Seine diesbezüglichen Vorschläge wurden abgelehnt. Die Zeit für berufsständige Organisationen gehört der halb naturalwirtschaftlichen, halb geldwirtschaftlichen Epoche an. Bei hoch entwickelter Geldwirtschaft vereinigen Viele die verschiedensten Berufsstände in ihrer Person. Der naturgemässe Verband ist jetzt der Zweckverband der Personen, der für verschiedene Zwecke ein verschiedener ist. Der Zweck der Syndikate lautet: planmässige Zusammenfassung der gleichartigen Einzelwirtschaften und Bestimmung der Verkaufspreise nach Massgabe des gesellschaftlichen Kostenwertes. Das Syndikat erscheint deshalb als die geeignetste Grundform einer modernen Organisation der Gesellschaft. Die heutigen Syndikate sind noch wesentlich vom Individualismus durchsetzt. In Zeiten der Not haben sich die Einzelwirtschaften zu einem planmässigen Zusammenschluss verstanden. Sobald bessere Zeiten kommen, lockert sich auch schon der Zusammenhalt. Und wenn die wenigen Jahre der Bindung erst vorbei sind, strebt wieder ein jeder nach seinen eigenen Wegen. Deshalb glückt die Erneuerung der Syndikate so häufig nicht mehr. Selbst dort, wo sie glückt, zeigt sich nur zu oft der habgierige Egoismus in den hässlichsten Formen. Die Verhandlungen über den Kontingentierungsvertrag werden zum Signal für die Grossen, die Schwachen rasch zu verschlingen. Oder die „Anderen“ sollen die Kosten der Syndikatsorganisation tragen. Als „Aussenstehender“ bleibt es rentabler, die Vorteile einer besseren Marktorganisation ohne Gegenleistung zu geniessen u.s.w. Eine Zeit, in welcher die höchsten Gerichte sich immer noch bemühen, die Syndikatsverträge als „vereinbar mit der geltenden Gewerbefreiheit“ zu bezeichnen, mag solche ethische Konflikte als „dazu gehörig“ betrachten. Sobald man aber erkannt hat, dass die Unzulänglichkeit unserer heutigen „Gewerbeordnung“ durch noch so viele Novellen nicht mehr verdeckt werden kann, und dass es sich also darum handelt, eine organische neuzeitliche Gewerbeordnung im Ganzen zu schaffen, für welche das Syndikat zur grundlegenden Organisation wird, sobald wird auch die neue bessere Gewerbeordnung ein Syndikatsgesetz werden, dem folgende Bestimmungen nicht fehlen dürfen: e) Um die Gründung von Syndikaten auf der ganzen Linie des Erwerbslebens vorzubereiten, die bestehenden Syndikate fortlaufend zu kontrollieren und die harmonische Fortentwickelung aller Berufsstände zu überwachen, wird in Parallele zum Reichsgericht ein Reichsvolkswirtschaftsrat geschaffen. Unsere Zeit ist darüber nicht mehr im Zweifel, dass der einseitige wirtschaftliche Individualismus sich überlebt hat. Aber die Folgerungen, welche man daraus ableitet, enden zumeist auf „Verstaatlichung“. Man glaubte sogar schon, das Entwickelungsgesetz einer stetigen Ausdehnung der Staatsgewalt daraus ableiten zu können. Auf umfassenderen historischen Studien ruht diese Anschauung nicht. Namentlich die Geschichte von Athen und Rom mahnt wahrlich dringend genug vor einer Ueberlastung des Staates. Und sind nicht die gleichen warnenden Anzeichen in der Gegenwart schon deutlich genug sichtbar? Insbesondere Albert Schaeffle, der gewiss kein unnötig ängstlicher Mann war, hat mit aller Entschiedenheit bei der rasch wachsenden Zahl von Funktionen im öffentlichen Leben „eine Trennung des Staates und der Volkswirtschaft“ gefordert. Wir möchten hier statt des Ausdrucks Volkswirtschaft die Bezeichnung „volkswirtschaftliche Gesellschaft“ wählen. Doch: was ist die Gesellschaft neben dem Staate? gibt es überhaupt eine solche? Selbst Gebildete bestreiten die Möglichkeit dieser Trennung, so sehr hat man sich heute an die falsche Vorstellung von der „Allmacht des Staates“ gewöhnt. Der Irrtum ist leicht aufzuklären. Syndikate, Genossenschaften aller Art, Aktiengesellschaften, Gesellschaften m.b.H. usw. sind Organisationsformen der volkswirtschaftlichen Gesellschaft neben dem Staate. Wir sehen sogar die Macht dieser einzelnen Gesellschaften so anwachsen, dass sie den Staat zu beherrschen drohen, den Staat zu ihrer Dienstleistung einspannen. In all diesen Fällen führt der maasslose Egoismus diese gesellschaftlichen Gebilde. Das ist ein ganz widernatürlicher Zustand. Die Tätigkeit dieser Gesellschaften baut sich erst recht auf der Tatsache der grossen gewaltigen sozialen Arbeitsgemeinschaft auf. Ihre Werte sollten erst recht nur nach dem Maasstabe der gesellschaftlichen Kostenwerte gemessen werden und als äquivalente Werte im Güterverkehr sich bewegen. Für diese Gesellschaften aller Art gilt in erhöhtem Maasse, dass die ganze Volkswirtschaft eine Wirtschaft „unter Brüdern und Freunden“ ist und darum auch sein soll! Die bloss formalen Prüfungen der Registerrichter können nicht genügen. Die Einheit der volkswirtschaftlichen Gesellschaft braucht für die vielen tausenden von lokalen gesellschaftlichen Bildungen eine zusammenfassende Zentrale, welche die soziale Harmonie und Gerechtigkeit ihrer Handlungen und Unterlassungen fortdauernd kontrolliert und die Interessen des echten Fortschrittes tunlichst zu fördern sucht. Diese Zentrale soll den Titel: „Reichsvolkswirtschaftsrat“ führen. Er hat dafür zu sorgen, dass die vielen Millionen von Einzelwirtschaften — welche alle nach den mehr oder weniger zufälligen Anregungen, die bei ihnen sich einfinden, handeln, und die deshalb bei einem furchtbaren Durcheinander die grössten Summen unnütz verbrauchen und immer wieder in verhängnisvolle Krisen hineintreiben — endlich nach einem vernunftgemässen volkswirtschaftlichen Plane arbeiten. Zu diesem Zwecke wird die Zentrale die Einzelnen in Gruppen organisch zusammenfassen müssen. Dazu dienen die Syndikatsformen mit den Formen der Genossenschaft usw. Bei all diesen Neugründungen ist die Zweckmässigkeit im Einzelnen wie im Rahmen des Ganzen zu prüfen, der Gründungsvorgang nach Maassgabe des Aequivalenzwertes zu überwachen. Bei den vorhandenen gesellschaftlichen Bildungen ist in gleicher Weise Einrichtung und Geschäftsführung zu kontrollieren und jede im Interesse des Ganzen nötige Abänderung durchzusetzen. In einem Kataster der selbständigen Unternehmer ist die tunlichste Vermehrung unabhängiger mittlerer und kleiner Existenzen nachzuweisen. Der Reichsvolkswirtschaftsrat vereinigt in sich alle Registerämter, alle Revisionsstellen und alle richterlichen Kompetenzen auf diesen Gebieten. Grosse Aufgaben können nur gelöst werden, wenn Initiative, Kontrolle und Kompetenz einander entsprechen. Aber auch die Qualifikation der Mitglieder dieser Zentrale und ihre Stellung muss eine hervorragende sein. Schon der rühmlichst bekannte österreichische Gesetzesverfasser und ehemalige Präsident des höchsten Gerichtshofes in Oesterreich Dr. Emil Steinbach, hat in seinem ausgezeichneten Vortrage über den „Staat und die modernen Privatmonopole“ (1903) darauf hingewiesen, dass der so notwendigen Kontrollstelle für die Syndikate die Garantien eines hohen Gerichtshofes übertragen werden müssten. Die Spitzen der staatlichen Behörden seien für eine Uebernahme dieser Aufgaben ganz ungeeignet. Selbst in grossen volkreichen Staaten dürfte es nicht leicht werden, die nötige Zahl von Personen aufzufinden, welche bei ausreichendem Wissen genügende Erfahrung und Objektivität in sich vereinen. Daneben spielt ihre ökonomische Unabhängigkeit eine bedeutsame Rolle. Als Leiter und Organisatoren des Unternehmergeistes der Nation sind offenbar nur wirtschaftlich hervorragend erfahrene Personen geeignet. Bürokratische Schablonen und Charaktere sind hier ganz unverwendbar. Um die rechten Mitglieder des Reichsvolkswirtschaftsrates zu ernennen, ist den obersten Spitzen der Behörden eine zu dünne Schicht der Bevölkerung persönlich bekannt. Noch weniger kann die Wahl durch die Massen ein besseres Resultat versprechen. Und am allerwenigsten darf der formale Nachweis durch Schulenbesuch und Examen hierbei eine Rolle spielen. Die Besitzer der glänzendsten Schulzeugnisse erweisen sich häufig in der Praxis als wenig brauchbare Menschen. Und eine lange Reihe der hervorragendsten Leiter moderner Grossbetriebe in allen Ländern hat nur die einfache Volksschule besucht, alle weiteren Kenntnisse aber ohne Mitwirkung von Lehrern sich angeeignet. Die Schule bleibt als Bildungsmittel für die Volksmasse ganz unentbehrlich. Selten begabte Menschen bewahren ihre Eigenart besser bei Selbststudium. Nur die in der grossen Praxis bewährte Begabung und Befähigung kann für ein so wichtiges und so schweres Amt wie das eines Reichsvolkswirtschaftsrates als Ausweis genügen. Wer diesen Ausweis erbringen kann, soll berechtigt sein, beim Reichskanzler für den Reichsvolkswirtschaftsrat sich zu melden. Aus diesen Meldungen haben dann die Ernennungen durch den Landesfürsten zu erfolgen. Solche erfahrene Männer aus der grossen geschäftlichen Praxis sollen den Hauptstock, etwa 3⁄5 aller Mitglieder bilden. Dazu kämen 1⁄5 hervorragende Juristen, welche auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Gesellschaftsbildungen eine reiche Praxis hinter sich haben. Und endlich 1⁄5 Träger neuer Ideen. Die entwicklungsgeschichtlich vielleicht bedeutsamste Funktion, welche der wirtschaftliche Individualismus übernommen und in vortrefflicher Weise erfüllt hat, ist die Freiheit, neue Ideen aufzufinden und geltend zu machen. Speziell auf technischem Gebiete hat die Patentgesetzgebung diese Entfaltung schlummernder Kräfte in zielbewusster Weise gefördert. Wenn jetzt die Zeit einer sozialen Organisation der Volkswirtschaft einsetzen muss, um bestehende schwere wirtschaftliche Schäden zu beseitigen, so wäre es ein ungeheurer Fehler, die Gasse für neue Ideen nicht offen zu halten bezw. nicht noch zu erweitern. Denn je kräftiger die neuen Organisationen gestaltet werden, desto grösser ist die Gefahr einer Stagnation in der Entwicklung, einer Ueberwucherung der „persönlichen Beziehungen“ mit all ihren unheilvollen Begleiterscheinungen. Die Grossunternehmungen sind schon heute bestrebt, alle neuen Erfindungen ihrer Angestellten durch Verträge sich anzueignen, weil ihr Material und ihre Einrichtungen bei diesen Erfindungen benützt worden wären. Damit geht die Erfindungsfreudigkeit der Erfinder zurück. Nach Analogie der römischen Spezifikation sollten nur solche Verträge gültig sein, welche dem Erfinder die Erfindung lassen und aus seinen späteren Einnahmen die Rückerstattung der aus dem Bestand der Gesellschaft verwendeten Materialien fordern. Es handelt sich aber nicht nur um neue technische, sondern auch um neue volkswirtschaftliche Ideen. Wenn höhere Staatsbeamte wiederholt auffordern: wer etwas besseres vorzuschlagen wisse, möge sich melden! so kann das kaum genügen, um die neuen Ideen hervorzuzaubern. Heute werden neue volkswirtschaftliche Ideen totgeschwiegen, oder ohne Quellenangabe abgeschrieben und verwendet. Die Geschichte zeigt noch trübere Beispiele. Die Wenigen, die was davon erkannt, hat man von je gekreuzigt und verbrannt. Der Staat sollte in seinem eigenen wohlverstandenen Interesse dafür sorgen, dass die Träger neuer volkswirtschaftlicher Ideen zur weiteren Verbesserung unserer sozialen Verhältnisse nicht mehr mit den Ihrigen verhungern müssen. Man gewähre endlich nationalökonomischen Erfindungen den gleichen Schutz wie den Erfindungen auf technischem Gebiete und die Erfahrung wird bald zeigen, dass unsere Volkswirtschaft daraus den gleichen gewaltigen Vorteil zieht, wie ihn unsere deutsche Industrie nach Werner von Siemens aus dem besseren Schutz der technischen Erfindungen gezogen hat. Man errichte bei dem Reichspatentamt eine Abteilung für neue volkswirtschaftliche Ideen. Wer einen neuen volkswirtschaftlichen Vorschlag zur Verbesserung unserer volkswirtschaftlichen Verhältnisse macht und mit einer klaren entwicklungsgeschichtlichen Begründung beim Reichspatentamt einreicht, erhält darauf ein gebührenfreies Patent. Idee und Begründung werden dann mit dem Namen des Verfassers amtlich veröffentlicht. Sobald diese Idee dann in der Praxis verwirklicht wird, erhält der Patentinhaber oder seine Erben ein entsprechendes Honorar aus der Reichskasse. Aus der Reihe der Erfinder neuer technischer und neuer ökonomischer Ideen werden im allgemeinen nach Maassgabe der Bedeutung der erworbenen Patente zu gleichen Teilen etwa je 1⁄10, zusammen also 1⁄5 der Mitglieder des Reichsvolkswirtschaftsrates ernannt. Sie bilden in dieser Körperschaft gewissermaassen den Sauerteig. Sie haben vor allem dahin zu wirken, dass auf technischem wie ökonomischem Gebiete die Losung des Fortschrittes in Geltung bleibt. Im Interesse ihrer ökonomischen Unabhängigkeit, wie im Interesse einer besseren Auswahl von Bewerbern müssen den Mitgliedern des Reichsvolkswirtschaftsrates preussische Ministergehälter bezahlt werden. Die reinliche Ausscheidung der Mitglieder dieser Zentrale aus ihren früheren geschäftlichen Beziehungen ist eine selbstverständliche Bedingung für ihre Ernennung. Schliesslich darf nicht unerwähnt bleiben, dass den Mitgliedern dieses Reichsvolkswirtschaftsrates ein erhöhter strafrechtlicher Schutz gewährt werden muss. Diese Körperschaft hat in ganz besonderem Maasse den Kampf gegen den Egoismus und die Habsucht zu führen. Nach der heute beliebten Praxis rächt sich dafür „die Bestie in Menschengestalt“ durch Beleidigungen und Verleumdungen aller Art, wobei die geltenden Gesetze ganz unzureichenden Schutz bieten. f) Zur sozialen Erziehung des Volkes ist eine so weitgehende Dezentralisation der staatlichen Organe erforderlich, dass der letzte disponierende Beamte jeden Einzelnen seines Bezirkes als Person zu kennen, zu beobachten und zu behandeln in der Lage ist.Die beiden Sätze: „Möglichst billig einkaufen, möglichst teuer verkaufen!“ und „der Güterverkehr nach dem Aequivalenzwerte!“ bedeuten zwei ganz verschiedene sittliche Welten mit ganz verschiedenen Organisationen der Gesellschaft und des Staates. Die möglichst weitgehende Wucherfreiheit nach der Seite des Einkaufs, wie nach der Seite des Verkaufs, wünscht möglichst wenig durch irgend welche Organisationen behindert zu werden, um den „Geschäften“ ungestört nachgehen zu können. Höchstens kapitalistische Syndikate sind zulässig, welche das Verdienen noch mehr erleichtern. Im Volke gibt es nur freie, das heisst unorganisierte Einzelindividuen, die tun und lassen können, was ihnen beliebt. Sobald der Bursche, das Mädchen aus der Schule entlassen sind, sind sie auch selbständig. Die Familie ist, namentlich in dem Gedränge der Städte, aber auch auf dem Lande schon, in der Auflösung begriffen. In der Masse kann ein jeder als unbekannt untertauchen und verschwinden. Unter solchen Voraussetzungen wird es dem einseitigen Egoismus am leichtesten, sich in jeder Weise auszuleben. Eine oberflächliche seichte Aufklärung hat den Einfluss der Religion wesentlich gemindert. Die alten guten Sitten werden über Bord geworfen. Ueberall begegnen uns die Raubtiere in Menschengestalt. Unter dem Titel der freien Konkurrenz macht sich die gewissenloseste Raffbegierde breit, der kein Mittel zu schlecht ist, andere zu schädigen, um für sich zu gewinnen. Die Gemeinschaft des Volkes löst sich in verschiedene Klassen auf, die gegenseitig bis aufs Messer sich bekämpfen. Das öffentliche Leben wird vergiftet und verdirbt den Charakter. Werner Sombart warnte öffentlich alle edlen Menschen vor einer Teilnahme an der Politik. Die allgemeinen Wahlen, wie die Lohnkämpfe spielen sich unter den Formen kleiner Bürgerkriege ab. Presse und Literatur, Theater und Kunst laufen dem Geldgewinn nach und umschmeicheln mit Sensationen aller Art die niederen Leidenschaften des entartenden Volkes. Die Zahl der selbständigen wirtschaftlich unabhängigen Existenzen schwindet dahin. Die Verwaltung der grossen Vermögensmassen ruht in den Händen von wenigen Personen. Der Luxus wird immer raffinierter, die Gründung eines Familienstandes immer schwieriger, das Heer der Dirnen immer grösser. Die Erziehung des Volkes wendet sich mehr und mehr von der Arbeit und der Sparsamkeit ab, der Genussucht, Spekulationssucht und Schuldenmacherei zu. Der Staat aber greift in diese böse Entwickelung nur soweit ein, als er gerade muss. Der Mammon wird von ihm noch am meisten geschützt. Ein Tischler aus Halle, der einem Zweipfennigstück das Aussehen eines Zehnpfennigstückes gegeben hatte, wurde zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. „Die gesunden Knochen sind“, wie schon Fürst Bismarck gesagt, „viel niedriger veranschlagt“. Im deutschen Strafgesetzbuch wird zwar der Versuch der Sachbeschädigung bestraft, nicht aber der der Freiheitsberaubung, der Verführung, des Ehebruchs oder der Verleumdung. Die Strafverschärfung des Rückfalles ist bei Vermögensdelikten wie Diebstahl, Betrug, Hehlerei, Raub, weit besser gesichert als bei jenen gemeinen Handlungen, welche gegen Ehre, Leben und Freiheit der Personen gerichtet sind. Nach dem gleichen Maassstabe wird die Beihülfe vom Gesetz behandelt. Obendrein hat sich eine geradezu perverse Rücksichtnahme auf die Angeklagten ausgebreitet. Chronische Alkoholisten pflegt man selbst nach schweren Vergehen freizusprechen. Die sensationslüsterne Presse macht die gemeinsten Verbrecher zu Berühmtheiten des Tages und unserer Zeit. Den privaten Ankläger hat man fast schutzlos gelassen. Bei alledem nehmen die Prozesse und Klagen unter der Bevölkerung bedenklich zu. Der Polizeigewalt gelingt es kaum, ihren Kampf gegen die Verbrecher immer siegreich zu führen. Die Richter klagen über zu starke Ueberbürdung. Und ein wachsendes Heer von Menschen lebt von dem Streit und Kampf ihrer Nachbarn unter sich. Das ist der friedlose Zustand unserer heutigen Gesellschaft mit Wucherfreiheit. Die prinzipielle Forderung einer Ordnung des Güterverkehrs nach dem Aequivalenzwerte kennt keine Individuen, die nirgends eingegliedert sind. Ueberall finden sich Organisationen der verschiedensten Art, welche den Einzelnen in die gute Bahn einer sozialen Entwickelung zum besseren Menschen zu geleiten bestrebt sind. Heute kommt das Kind in die Schule. Dann ist es nur zu oft sich selbst überlassen. Der Junge wird eventuell noch zum Militärdienste geholt. Dann ist auch er frei und den schlechten Einwirkungen überlassen. Das muss anders werden. Nachdem die Familie nur zu häufig für erzieherische Aufgaben versagt, muss die Organisation des Staates mit den Organisationen der Gesellschaft dem Einzelnen nahe bleiben von der Wiege bis zur Bahre. Erst nach einem solchen Ausbau der gesellschaftlichen und staatlichen Beziehungen gibt es keine Volksmassen mehr, in denen man als unerkannt verschwindet. In jeder Lage des Lebens steht dann dem strebsamen Armen die rechte Hülfe zur Seite, damit künftig nicht mehr Goethes Harfenspieler seinen bitteren Vorwurf erhebe:
Diese positive Ordnung des menschlichen Lebens kann die ungeheure Bedeutung der Religion nicht entbehren, denn sie weiss mit Leibniz, dass alle einseitige Aufklärung nur dem Aberglauben in die Hände arbeitet und dass mit dem Aufhören der Gottesfurcht die Entfesselung aller Leidenschaften beginnt. Die alten guten Sitten finden sich wieder ein. Statt der freien planlosen Konkurrenz herrscht die planvolle geordnete Wirtschaft. In einer Volkswirtschaft unter Brüdern und Freunden gibt es keine Klassenkämpfe mehr. Das öffentliche Leben wird wieder von Idealen beherrscht, die die besseren edleren Charaktere zur Mitarbeit heranziehen. Presse und Literatur, Theater und Kunst haben sich bedingungslos dem höheren Grundsatze einer besseren sozialen Erziehung des Volkes unterzuordnen. Die Zahl der selbständigen, wirtschaftlich unabhängigen Existenzen wird wieder wachsen, der Luxus maassvoller werden, die Gründung eines Familienstandes erleichtert sein, bei allgemeiner Erziehung des Volkes zur Arbeit und zur Sparsamkeit. Der Staat, der vor allem den allgemeinen Frieden unter seiner Bevölkerung zu erstreben hat, muss Verbrechen und Vergehen gegen die Person strenger und nicht milder bestrafen als solche gegen das Eigentum. Das weitaus Wichtigste aller Rechtspflege ist das Vorbeugen und sofortige Schlichten des Streites, wie es der Oberlandesgerichtsrat E. Burlage in seiner Broschüre über die „Friedensvereine“ (1907) so trefflich nachgewiesen hat. Nur, dass die friedliche Schlichtung von Streitfällen weit leichter gelingen wird, wenn der ordentliche Richter den Vorsitz im Friedensverein führt. Wer aber den sozialen Frieden wiederholt gebrochen hat, soll als „friedloser Mensch“ nach irgend einer Insel unseres kolonialen Besitzes verbannt werden. Nur so lässt sich eine wirksame Entlastung der höheren Instanzen und ein wesentlicher Fortschritt in unserem ganzen Rechtsleben sicher erwarten. Die gleichen Konsequenzen in der Richtung der Dezentralisation ergeben sich aus unserer bisherigen sozialen Gesetzgebung. Eine gewaltige Arbeitslast sozialpolitischer Maassnahmen ist den bestehenden Lokalbehörden aufgebürdet worden, aber diese können sie auf die Dauer in wünschenswerter Weise nicht bewältigen. Die unteren Organe müssten befähigt sein, die Anträge gewissenhaft zu prüfen, die Einziehung der Beiträge, die Auszahlung von Renten und die Ueberwachung des Heilverfahrens ordnungsmässig und pünktlich zu erledigen. Weitere, hier vorausgeschickte Reformvorschläge zeigen die gleichen Konsequenzen. Die so notwendige Ueberwachung und Kontrolle der Syndikate auf der ganzen Linie des Erwerbslebens, und die Weiterbildung der amtlichen Statistik als volkswirtschaftliche Buchführung auf Grund von Einzelanschreibungen an Ort und Stelle, haben gleich sehr eine Dezentralisation der Staatsbehörden in solchem Maasse zur Voraussetzung, dass der letzte Beamte auf dem Lande für vielleicht 1000, in der Stadt für 500 Personen bestimmt ist. Hierzu wären nur Beamte in schon reiferem Alter mit einer ausgeprägt praktischen Bildung geeignet. Nach Analogie der Organisation in der Bombay-Präsidentschaft sollten das Richteramt, das Amt der Steuerbehörde, die Katasterbehörde mit dem Strassen- und Flussbauamt wie die politische Verwaltung in diesem „Friedensrichter“ gleichmässig auslaufen. Mit dem lokalen Geistlichen, Bürgermeister oder Genossenschaftsvorsteher und Syndikatsvertreter zusammen, würde er ein Schöffengericht bilden können, dessen Zuständigkeit sich nach dem Wohnort des Geschädigten bestimmt und dessen Urteilsfindung in weitem Maasse Billigkeitsgründen zugänglich bleibt. Jedermann kann sich bei dem Friedensrichter Rat und Auskunft holen. Durch seine engen Beziehungen zu den gesellschaftlichen Organen der verschiedensten Art stehen eine Menge Hilfswege zur Verfügung. Von dieser Stelle aus wird der Entwickelungsgang und die Führung eines jeden Einzelnen von Kindheit auf beobachtet und aufgezeichnet, um nach seinem Inhalte einem jeden Interessenten zugänglich zu werden. Wenn die ganze Volkswirtschaft eine Wirtschaft unter Brüdern und Freunden ist, dann muss einem jeden auch die Möglichkeit geboten sein, sich über seinen Nachbarn ebenso genau zu unterrichten, wie er über seinen Bruder informiert ist. Die Privatdetektive und Auskunfteien aller Art können heute diesem schon bestehendem Informationsbedürfnis nur in höchst unvollkommener Weise dienen, was nur den unehrlichen Leuten sichtlich zum Vorteile gereicht. g) Die Regelung des Güterverkehrs nach dem Kostenwerte (Aequivalenzwerte) wie die Sicherung einer harmonischen Entwicklung aller Glieder des Volkskörpers hat die Beseitigung des Privatkredites mit der Privatversicherung und die Vereinigung aller Geldinstitute zu einem nationalen Syndikat der deutschen Banken zur unerlässlichen Voraussetzung.Im vereinigten preussischen Landtage (1847) hat bekanntlich David Hansemann, der Gründer der Diskonto-Gesellschaft, den Ausspruch getan: „In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf!“ Der ehemalige Grossbankdirektor und jetzige Professor Riesser zitiert in seinem ausgezeichneten Werke über Konzentrationsbestrebungen der Deutschen Grossbanken Max Wirth mit dem Satze: „Die Menschen wollen ebenso rasch als möglich reich werden. Das ist nichts neues, es ist überall und in allen Ländern ebenso gewesen.“ Der Geist der Geld- und Bankgeschäfte wird von einem mit Klugheit gepaarten robusten Gewissen getragen. Die Frankfurter Zeitung vom 18. Februar 1908 hat eine Art Lebenslauf des berühmt gewordenen nordamerikanischen Bankiers Charles W. Morse gebracht. Als ihn sein Vater als Buchhalter anstellte, suchte er sofort einen Stellvertreter, der nur ein Drittel seines Gehalts bekam, während er seinen geschäftlichen Interessen nachging. Als weiteres Beispiel seiner Geschäftspraxis folgendes: Von der National-Bank of North-Amerika liess er sich nach den ersten Tagen seiner Präsidentschaft, entgegen den gesetzlichen Bestimmungen, 500'000 Dollar leihen. Mit diesem Gelde gründete er den New Yorker Eis-Trust. Dann liess er fünf der berühmtesten Finanzgrössen an der New Yorker Börse je 100'000 Dollars am Kurse dieser Aktien gewinnen, ohne dass diese Herren einen Pfennig zu riskieren hatten. Das geschah, um sich „Freunde“ zu erwerben. Dann überliess er eben diesen neuen Freunden weitere „Eisaktien“ für über fünf Millionen Dollars gegen bar. Bald darauf waren diese Aktien fast wertlos geworden. Die „neuen Freunde“ haben also das Mehrfache ihres anfänglichen Gewinnes wieder verloren. Die von der National-Bank of North-America gesetzwidrig entliehene halbe Million Dollars aber sind nicht zurückgezahlt worden. Vom Börsenstandpunkte aus wird das als die „Grosstat eines Finanzgenies“ bewundert. Dieser Mann beherrschte im Oktober 1907 in Nordamerika 12 Banken, 3 Versicherungsgesellschaften, 17 Küstenschiffahrtsunternehmen und eine Reihe von Telegraphen-, Grundbesitz- und anderen Gesellschaften mit einem nominellen Gesamtvermögen von über 500 Millionen Mark. Wenn wir heute im Interesse einer besseren, sittlich höher stehenden sozialen Fortentwicklung diese gewissenlose Raffbegierde des Egoismus bändigen und zurückweisen müssen, dann genügt es offenbar nicht, nur die Verhältnisse zwischen Lohnarbeiter und Unternehmer zu reformieren. Es bedarf einer durchgreifenden Reform auf der ganzen Linie des Erwerbslebens und damit in Sonderheit auch auf der des Geld- und Kreditverkehrs. Die führenden Männer der Bankwelt selbst können sich über eine solche Notwendigkeit am wenigsten im Unklaren sein. Riesser erzählt in seinem wiederholt genannten Werke sehr hübsch: Es hätten sich um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts an verschiedenen Punkten in Europa in den Händen von Privatbankiers, insbesondere des Hauses Rothschild, enorme Kapitalien angesammelt. Sie beherrschten durch das Massenverhältnis ihres Kapitals alle Geschäfte. Sie (die Rothschilds) stellten ihre Bedingungen, wie die Besitzer eines Monopols. Nirgends war abzusehen, welche Schranken dieser Tendenz gesetzt wären. Dieses Monopol liess sich nur brechen, wenn man dem grossen Kapital ein noch grösseres entgegenzusetzen hatte, und dieses grössere war nur durch Assoziation vieler kleiner Kapitale herbeizuschaffen. So wurde in Frankreich der Crédit mobilier, in Deutschland der Schaaffhausensche Bankverein, die Diskontogesellschaft, die Darmstädter Bank, die Mitteldeutsche Kreditbank und die Berliner Handelsgesellschaft damals ins Leben gerufen. In unseren Tagen haben sich die Grossbanken mit den grossen Privatbankiers in Deutschland zu fünf grossen Bankgruppen zusammengeschlossen. Durch diese Vereinigung der Kreditgeber ist auch die Syndikatsbildung in der Industrie mächtig gefördert worden. Die Stellung der Beamten in diesen Konzerns musste sich schon deshalb gegen früher wesentlich verschlechtern, weil einmal entlassene Beamte jetzt nur noch schwer eine andere Stellung finden. Was aber die Leiter der Grossbanken betrifft, so klagt Riesser selbst darüber, dass es immer schwerer werde, geeignete Persönlichkeiten zu finden. Der selbständige Mittelstand, aus dessen Kreisen die tüchtigsten Kräfte hervorgegangen sind, verschwindet in der Bankwelt mehr und mehr und der „Neue Mittelstand“ mit seinem halb sklavischen Beamtenverhältnis bringt keine Männer mit eigener grosszügiger Initiative hervor. Inzwischen nähert sich, auch nach Riesser, die Konzentration der Banken einem tatsächlichen Monopol. Schon sind die Börsen mit ihrer Kursbildung ganz in der Gewalt der Banken, die „in sich“ wieder zu Börsen geworden sind. Wie um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts die Rothschilds ihre Bedingungen monopolartig stellten, so trifft das jetzt wieder für die moderne Vereinigung der Grossbanken zu. Für alle Grossunternehmungen erscheint die Abhängigkeit von der nur ganz kleinen Zahl von Kreditgebern unhaltbar. „Ein Staat im Staate wird und kann niemals geduldet werden!“ (Riesser). Dies um so weniger, als die Geldmacht unserer Grossbanken so sehr auf der Sammlung fremder Gelder (Depositengelder, Kontokorrentbeträge, Versicherungsgelder usw.) beruht, dass längst schon der Ausspruch wahr geworden ist: „Les affaires, c’est l’argent des autres!“ — auf deutsch: „Bankgeschäfte sind im wesentlichen Dispositionen über Gelder, welche anderen Leuten gehören!“ Also wird wohl die Zeit reif dazu sein, die gesamte Organisation unseres Kredit- und Geldverkehrs einschliesslich des Versicherungsverkehrs in neue Bahnen überzuleiten. Im Sinne dieser allgemeinen Schlussfolgerung macht Riesser selbst schon klare Andeutungen. Auf Seite 173 (2. Auflage) ermahnt er die Grossbanken zum „Maasshalten“. „Denn öffentliche, nicht etwa nur private Interessen“ seien hier im Spiele. „Nicht ohne Bedeutung ist es, dass man schon von den Angestellten der Banken als von Bankbeamten spricht, denn sie sind angestellt im Dienste von Unternehmungen, die nach ihren Aufgaben und nach ihrer Entwickelung nicht einen rein privatwirtschaftlichen Charakter haben, und die immer mehr aus der Sphäre der rein privatrechtlichen Regelung herauswachsen.“ Auf Seite 130 zeigt dann Riesser an einer Reihe von Beispielen, dass die politischen Vorpostengefechte der Staaten, denen eventuell die grösseren Schlachten der Volksheere folgen, heute auf finanziellem Gebiete von den Grossbanken geschlagen werden! Solch vitale Vorgänge, die unter Umständen über Sein und Nichtsein des Staates entscheiden, können unmöglich noch länger in der Hand des Privatkredits und der Privatbanken ruhen, die können unmöglich für immer in der Hand des allmächtigen Bankdirektors liegen und seinem selbst beliebten „Maasshalten“ überlassen bleiben. Im scharfen Gegensatze zu der entschlossenen Konzentrationsbewegung der grossen Kreditbanken für Handel, Industrie und öffentliche Körperschaften zeigen die landwirtschaftlichen Kreditinstitute ein recht weitgehendes Isolierungsstreben. Die deutsche Landwirtschaftsgesellschaft hat sich das Verdienst erworben, durch das Direktorium der Preussenkasse die Kreditanstalten, welche zur Befriedigung des ländlichen Meliorations- und Baukredites vorhanden sind, neuerdings (1907) zusammenstellen zu lassen. Dieses Verzeichnis zählt für Meliorationskredit 110, für Baukredit 129 von einander unabhängige Anstalten. Und immer noch lebt das Bestreben weiter, mit Hilfe des Staates oder der Provinzen neue Spezialkassen zu errichten. Dazu kommen in Deutschland für 1907: 15,602 Kreditgenossenschaften, 2,821 Sparkassen mit 6033 Filialen, 23,127 Krankenkassen, 452 private und halböffentliche Versicherungsanstalten aller Art mit ihrer weit grösseren Anzahl von Kassen, die Kassen des Staates und der Kommunen usw. In mittleren Städten, deren Verhältnisse sich leichter überschauen lassen, konnten wir in verschiedenen Fällen mit Einrechnung der Privatbankiers auf je 800 Einwohner schon eine Kasse zählen, für welche es in den seltensten Fällen eine Geldausgleichsstelle gab. Jede Kasse hielt ihre entsprechend grossen, baren Geldbestände in der Hand ihres Kassierers. Diese längst veraltete Kassenorganisation ist auch einer der Gründe für die bedauerliche Tatsache, dass ein so unverhältnismässig grosser Teil des vorhandenen Bargeldes im Verkehr zurückgehalten wird. Hier ist eine moderne, zeitgemässe Weiterbildung der Organisationsformen bitter nötig. Dazu kommen die ungeheuren Missbräuche, welche mit dem Privatkredit aller Art getrieben werden. Zunächst die allgemeine Neigung zur masslosen Verschuldung. Der Grosskaufmann A. van Gülpen-Emmerich, berichtet aus seiner Erfahrung, dass ein Hausknecht, der sich etwa 1000 Mark ersparte und ein Ladengeschäft beginnt, wenn er fleissig und solide ist, bei richtiger Verteilung auf verschiedene Lieferanten, mit einem Kredit von 20 bis 30'000 Mark arbeiten kann. Ein tüchtiger Ladenbesitzer mit einem Hause im Werte von 10 bis 20'000 Mark verfügt heute schon über einen Kredit von 100 bis 200'000 Mark. Für einen gewandten Hunderttausendmarkmann geht auf den grossen Handelsplätzen der Kredit schon in die Millionen und die geschäftliche Auskunft für solche Leute lautet in der Regel: „Gut für jeden Betrag!“ Auch bei den Konsumkäufen hat die Inanspruchnahme des Kredits eine recht ungesunde Ausdehnung erlangt. Aus der nordamerikanischen Eisenbahngesetzgebung haben wir oben den Satz kennen gelernt, dass eine Verschuldung um etwa das 37 fache des eigenen Vermögens als normal zu betrachten ist. In den beiden aus jüngster Zeit bekannt gewordenen Fällen einer Beteiligung junger Bankbeamten in Berlin und Nürnberg an Börsenspekulationen wurden mit einem eigenen Vermögen von 6 bis 10'000 Mark bei einem Jahreseinkommen von 2600 bis 4000 Mark Spekulationsgeschäfte bis zur nominellen Höhe von 5 Millionen Mark ausgeführt und schliesslich Geldverluste von 235'000 bis über 600'000 Mark erreicht. Beim Grundbesitz der verschiedensten Art ist die Entwicklungstendenz ersichtlich, die Grundstücke bis zum vollen „Beleihungswerte“ zu belasten, und diesen „Beleihungswert“ immer höher anzusetzen. Bedarf unter solchen Umständen die rasche Zunahme der allgemeinen Verschuldung des Volkes bei steigendem Zinsfuss noch einer besonderen Erklärung? Die schlecht geordnete Kreditwirtschaft des Mittelstandes trägt neben den gewaltigen Geldmitteln, welche den konkurrierenden Grossunternehmungen zur Verfügung gestellt wurden, einen wesentlichen Teil der Verantwortung für die fortschreitende Vernichtung des alten selbständigen Mittelstandes. Ohne die Leichtigkeit, mit welcher heute allgemein Kredit für Spekulationszwecke zu erhalten ist, könnten die Grundrenten-, Gründer- und Kursgewinne aller Art gar nicht liquid werden. Das Abhängigkeitsverhältnis, in welches die Schulden die Einzelunternehmer gebracht haben, war in der grossen Mehrzahl der Fälle Träger der Syndikatsbewegung. Die maasslose nationale wie internationale Kreditgewährung ist vor allem Schuld daran, dass die Warenpreise fortwährend bedenklichen Schwankungen unterworfen sind und bald ein rascher wirtschaftlicher Aufschwung das Volk noch mehr zur Teilnahme an der allgemeinen Spekulation und Genussucht verführt, bald in den Zeiten der nachfolgenden Krisis die mittleren Vermögen scharenweise abgeschlachtet und durch die einsetzende Arbeitslosigkeit die Zahl der Unzufriedenen und Verbitterten vermehrt werden. Der Privatkredit ist die Seele des herrschenden Kapitalismus. Wer diese Krankheit ehrlich beseitigen will, kann den Privatkredit unmöglich beibehalten. Mit dem Worte „Kredit“ wird dasjenige Vertragsverhältnis bezeichnet, das am häufigsten und leichtesten zur Einleitung wucherischer Beziehungen benutzt wird. Eine Kontrolle im Einzelnen ist hier unmöglich. Die Prophylaxis ist auch hier der wichtigste Teil der Politik. Durch diesen Wucher wird der Zinsfuss und der gesamte Geldmarkt in sehr bedenklicher Weise beeinflusst. Also muss eine Kreditform ausgeschlossen werden, welche dem Wucher zuneigt. Das ist der Privatkredit. Und jener Kreditform, welche dem Wucher prinzipiell abgeneigt ist, muss allein der staatliche Rechtsschutz zur Verfügung stehen: das ist der körperschaftliche Kredit. Was die Gegenwart benötigt, das ist eine gesellschaftliche Organisation des Geldverkehrs, des Kredits und der Verwaltung der Geldwerte des Volkes. Schon heute haben wir in den Sparkassen, in den Kreditgenossenschaften der Raiffeisenschen Art, in der preussischen Zentralgenossenschaftskasse, in den öffentlichen Meliorationskassen Geldinstitute, welche in erster Linie nicht Gewinnzwecke, sondern gemeinnützige Zwecke erstreben. Es ist unvereinbar mit dem Begriff der sozialen Arbeitsgemeinschaft, unverträglich mit der Auffassung einer Wirtschaft unter Brüdern oder Freunden, dass Unternehmungen mit gewaltigen fremden Geldmitteln gefördert werden, welche in bewusster Weise darauf abzielen, die Mitmenschen rücksichtslos auszuplündern, nur um an diesem Raubgewinn einen möglichst hohen Anteil an Zinsen oder Dividenden oder Tantiémen zu erhalten. Wenn der Wucher im Sinne einer vertragsmässigen Aneignung von offenkundigem Mehrwert gesetzlich bei hohen Strafen verboten werden soll, dann kann es unmöglich gestattet sein, solche wucherische Unternehmungen im In- und Auslande nur der Gewinnteilnahme halber mit Kredit reichlich zu unterstützen. Es kann nicht genügen, nur die juristische Sicherheit einer Kreditgewährung zu prüfen. Schon die Raiffeisenschen Kreditvereine, ebenso wie die Kulturrentenanstalten haben an die Stelle der bloss juristischen Sicherstellung die Kontrolle der rationellen Verwendung des geliehenen Geldes gesetzt, und die Preussische Zentralgenossenschaftskasse hat durch die Verpflichtung ihrer Schuldner, ausschliesslich mit ihr Kreditgeschäfte zu machen, wenigstens eine Kontrolle der Kreditbeanspruchung vorgesehen. Der Kreditgeber eines Wucherers macht sich zum Mitschuldigen an diesem Verbrechen. Aufgabe des künftigen Kreditrechtes bleibt es deshalb, die Begünstigung des Wuchers jeder Art durch den Kredit zu verhüten. Als Albert Schaeffle an die Lösung des Problems herantrat, den Missbrauch des Hypothekenkredits zur spekulativen Grundpreissteigerung zu beseitigen und die Wohltat dieser Kreditform nur für volkswirtschaftlich günstige Zwecke zu sichern, blieb ihm nichts anderes übrig, als für die „Inkorporation des Hypothekarkredits“ einzutreten und damit die Individualhypothek faktisch aufzuheben. Wir gehen hier von der Ueberzeugung aus, dass es selbst für die Landwirte nicht genügt, nur den Grundstückswucher zu beseitigen. Ein wirklich gedeihliches Aufblühen der Volkswirtschaft hat die Beseitigung des Wuchers auf der ganzen Linie des Erwerbslebens zur Voraussetzung. Die so notwendige soziale Erziehung besserer Menschen mit grösserer Opferfreudigkeit muss das wirtschaftliche Emporkommen des sittlich höher stehenden Wirtschafters fördern, statt — wie heute fast überwiegend — den gewalttätigeren, skrupelloseren Erwerber in erster Linie reich zu machen. Zu diesem Zwecke muss aller Kredit, dem die staatlichen Rechtsmittel zugebilligt werden, auf seine volkswirtschaftlich rationelle Verwendungsart kontrolliert sein. Das kann nur bei dem Kredit der Genossenschaften, Landschaften, Sparkassen und dergl. gesichert erscheinen. Also ist dem Kredit, den Private gewährt haben, der Rechtsschutz künftig zu verweigern. Gleichzeitig ist Sorge zu tragen, dass stets genügend Geldmittel vorhanden sind, um den volkswirtschaftlich berechtigten Kredit zu billigen Bedingungen befriedigen zu können. Dazu gehört vor allem eine genügend grosse Geldmenge in der rechten metallischen Zusammensetzung. Als Schreiber dieses seine Studienreisen in Indien machte und seine Diener, die etwa 20 Pfennige pro Tag als Lohn erhielten, zum ersten Male auszahlte, gab er ihnen diesen Betrag in Silber. Da antworteten die Indier: „Nein, gnädiger Herr, das ist Dein Geld, gib Du uns unser Geld!“ Sie wollten in Kupfermünzen ausgezahlt sein. Ihre täglichen Lebensbedürfnisse waren so gering im Werte, dass sie nur mit Kupfergeld beglichen werden konnten. Ihre ganze Art der Geldaufbewahrung war nur für Kupfer zugeschnitten. Als dann die Reise durch Australien folgte, lernte ich dort einen Arbeiterstand kennen, der pro Tag bis 20 Mark verdiente. Wenn diese Arbeiter am Sonntage ihren Vergnügungen nachgingen, hatten sie mehrere Goldstückchen in der Tasche. Im Kriegsfalle stellt Deutschland ein Viermillionenheer auf, dessen Soldaten 44 und 56 Pfennig Löhnung pro Tag erhalten, das sind 4,40 und 5,60 Mark pro Dekade. Solche Beträge lassen sich nur in Silber zahlen. Bei der Masse des Volkes kommt im täglichen Verkehr in Deutschland noch das Silber als Hauptmünze in Verwendung. Deshalb kann die „reine“ Goldwährung den Zahlungsbedürfnissen des deutschen Volkes unmöglich entsprechen. Es muss daneben eine erhöhte Summe von Silbergeld verwendet werden. Aber auch mit der veralteten Vielheit von Kassenführungen ist zu brechen. Der Kassenverkehr sollte durch ganz Deutschland eine einheitliche planmässige Organisation erfahren in der Weise, dass sich die staatlichen wie privaten Gelder und Zahlungen sammeln und die entbehrlichen Ueberschüsse nach zentralen Kassen abgeführt werden. So wird die unbenutzt liegende Geldmenge auf das notwendige Minimum beschränkt und dem Verkehrs- und Kreditbedürfnis aller Art zu mässigen Bedingungen gedient werden können. Zu den grossen Aufgaben des Reichsvolkswirtschaftsrates würde es gehören, den Plan für diese zweckmässigste Organisation des deutschen Kassenverkehrs auszuarbeiten. Zu diesem Zwecke wären alle Geldinstitute und Kassen zusammenzufassen. Wo ein praktisches Bedürfnis für neue Kassen besteht, sind solche einzurichten. Wo zu viel Kassen eingerichtet sind, wäre ihre Zahl entsprechend zu beschränken. Einer Wirtschaft unter Brüdern können überflüssige Einrichtungen nicht entsprechen. Diese Kassenorganisation wäre die geeignete Stelle, um die Verwaltung des mobilen Volksvermögens zu übernehmen. Hier werden die Depositen angenommen und verzinst, hier werden Wertpapiere zum Kostenwerte gekauft und verkauft, hier können Geldstiftungen jeder Art unter einfachen Formen errichtet werden, hier finden Zahlungsaufträge jeder Art ihre Erledigung, hier sichert sich das Volk gegen jene Millionenverluste, die durch Nichteinlösung gekündigter Wertpapiere und Nichtabhebung entfallener Lostreffer ihm, zu Gunsten unserer heutigen Banken, erwachsen, hier erfolgen Einzahlungen und Auszahlungen auf Grund der Versicherungsverträge aller Art u.s.w. An diese Kassenorganisation lehnen sich die Kredit- und Versicherungsorganisationen der verschiedensten Art an, weil für sie jede eigene Kassenführung jetzt entbehrlich wird. Alle Kredit- und Versicherungsbedingungen müssen einer genauen Durchsicht unterzogen werden, ob wirklich allerwärts Uebervorteilungen jeder Art nach dem Grundsatze des Kostenwertes vermieden sind. Die Konkurrenz der verschiedenen Anstalten unter sich wird beendet. Es folgt eine billige gegenseitige Abgrenzung des Arbeitsgebietes. Wo sich hierbei Bedürfnisse zeigen, denen noch keine Organisation dient, sind solche ins Leben zu rufen. Bei einer Statistik als volkswirtschaftliche Buchführung, bei allgemeiner Einführung des Aequivalenzwertes und bei einer weitgehenden Dezentralisation des staatlichen Beamtenkörpers bietet die Durchführung all dieser Forderungen unter Anleitung und Kontrolle des Reichsvolkswirtschaftsrates keine besonderen Schwierigkeiten. Auch in dieser neuzeitlichen wucherfreien Ordnung des Geld- und Kreditverkehrs bleibt für unsere bisherigen Effektenbörsen, die nur dem Grundsatze huldigen: „Möglichst billig einkaufen und möglichst teuer verkaufen!“ kein Raum.
h) Von den landwirtschaftlichen
Verhältnissen insbesondere.
Das ganze agrarische Programm im engeren Sinne lässt sich in die einfache Formel bringen: Volkswirtschaftliche Regelung des Verkehrs mit den landwirtschaftlichen Grundstücken, wie des Verkehrs mit den landwirtschaftlichen Produkten nach dem gesellschaftlichen Kostenwerte. Wenn ein Getreideverkaufssyndikat der deutschen Landwirte gebildet ist, das in organischer Verbindung steht mit einem Ein- und Verkaufssyndikat der deutschen Müller, das wieder Anschluss gefunden hat an eine Mehleinkaufsorganisation der deutschen Bäcker, dann ist es möglich, die gleichen mittleren Preise, welche den gesellschaftlichen Produktionskosten entsprechen, das ganze Jahr hindurch ohne Schwankungen festzuhalten. Der Bund der Landwirte hat 1894 die 40jährigen Durchschnittspreise für Getreide gefordert und damit das Preisproblem in der besten Weise formuliert. Auch die heutige Preisbildung unter der Herrschaft des spekulativen Kapitals kann nicht umhin, in längeren Zeiträumen die Produktionskosten zu respektieren. Aber es entspricht dem Wesen der Spekulation, um diesen Schwerpunkt mit möglichst grossen Schwankungen zu oscillieren und dabei der Reihe nach bald die Produzenten, bald die Konsumenten schwer zu schädigen. Es ist doch wohl weit mehr im Interesse aller Beteiligten — mit einziger Ausnahme der Spekulanten — gelegen, die Preisbewegung, ohne Schwankungen, auf der mittleren Linie zu halten. Die absolute Höhe dieses Normalpreises wird in den verschiedenen Gegenden Deutschlands eine verschiedene sein, wie das schon durch die heutigen mittleren Preise zum Ausdruck kommt. Der Westen und Süden hat höhere natürliche Getreidepreise als der Osten u.s.w. Die geschichtliche Entwicklung und die tatsächlich höheren bezw. niedrigeren Produktionskosten bieten dafür genügende Erklärung. Aus ganz den gleichen Gründen können die Preise in der Aufeinanderfolge der Jahre nicht immer die gleichen sein. Mit fortschreitender Kultur müssen sie langsam zwar aber stetig mitsteigen, wie das bei normaler Entwicklung bisher der Fall war. Unsere Kurve für 500 Jahre Weizenpreise in Strassburg im ersten Bande dieses Werkes bringt das genügend klar zur Anschauung. Das vertikale Getreide- und Mehlsyndikat wird Jahr für Jahr die gleichen normalen Preise in diesem Sinne ohne jede Schwankung für den Konsumenten durchhalten können. Denn einer solchen Organisation ist es leicht, die erforderlichen Reserven in Waren und barem Gelde anzusammeln, welche für den eventuellen Zukauf vom Auslande die Schwankungen der Weltmarktspreise nach auf- und abwärts zu Gunsten der mittleren Linie ausgleichen. Ebenso kann eine solche Syndikatsorganisation, bei gleichzeitig allgemeiner Einführung des Kosten- oder Aequivalenzwertes, auch die Spannung zwischen Getreide- und Brotpreisen bestimmen und hierdurch eine Spezialart von Brotverteuerung endlich aufheben, die mit den Terminkäufen und Verkäufen der Müller und Bäcker in ursächlichem Zusammenhange steht. Nach Einführung dieser Syndikatsorganisation werden die Getreidezölle als Schutzmittel gegen zu niedrige ausländische Getreidepreise überflüssig. Denn dann gibt es ausserhalb des Syndikats keine Käufer mehr für ausländische Getreideofferten, weil ausserhalb des Syndikates keine Getreide- und Mehlkontingente existieren können. Was so für das Brot gilt, das behält auch Geltung für das Fleisch. Hier bewirken die Preisschwankungen der Spekulation in ganz der gleichen Weise ein starkes Schwanken der Produktionsziffern. Ein Herabgehen der Schweinefleischpreise z.B. kann die jungen Ferkel fast unverkäuflich machen. Das wirkt dann erfahrungsgemäss auf die Schweinehaltung in der Weise zurück, dass wir heute etwa alle zwei Jahre Teuerungspreise für Schweine haben. Sobald hier durch ein Syndikat der Produzenten mit den Schlächtern unter Anschluss der soliden Händler die Preise an die gesellschaftlichen Gestehungskosten auf mittlerer Linie angepasst werden, sind natürlich auch die Ferkelpreise derart zu regeln, dass die Fleischproduktion dem Bedarf des Konsums entspricht. Wesentliche Schwankungen im Konsum sind künftig deshalb nicht mehr zu erwarten, weil durch die anderen, organisch sich anschliessenden Massnahmen der unheilvolle Wechsel zwischen Ueberspekulation und Krisis endlich verschwindet. Auch hier werden vom Syndikate alle unberechtigten und deshalb wucherhaften Spannungen zwischen den Vieh- und Fleischpreisen im Detailhandel fernzuhalten sein. Das Gleiche gilt für alle wichtigen landwirtschaftlichen Produkte. Ein tadelloses Funktionieren solch gewaltiger Syndikatsorganisationen hat wieder zur Voraussetzung, dass überall ein einsichtsvoller staatlicher Beamter an Ort und Stelle das Material der Statistik hinsichtlich seiner Zuverlässigkeit kontrolliert, die Bevölkerungsmasse zur pünktlichen Einhaltung der von der Zentrale aufgegebenen Ablieferungstermine erzieht, Streitigkeiten sofort schlichtet und den Geist des brüderlichen Zusammenwirkens zu erhalten versteht. Wie auf diese Weise der Kostenwert die Preise der landwirtschaftlichen Produkte bestimmt, so muss auch der Kostenwert den Preis der landwirtschaftlichen Besitzungen bestimmen. Der allgemeine Buchführungszwang mit ordentlichen Abschreibungen, welche der tatsächlichen Abnützung entsprechen, wird die rechte Ermittelung dieser Wertgrösse auch allgemein ermöglichen. Damit findet die sogenannte Erbrechtfrage ihre einheitliche und allgemeine Erledigung. Es wird überflüssig sein, durch Höferecht, Anerbenrecht und Fideikommissrecht dem Uebernehmenden einen besonderen „Vorzug“ einzuräumen, nachdem jede spekulative Preisbildung für landwirtschaftliche Grundstücke endlich ausgeschlossen bleibt. Die landwirtschaftliche Schuldentlastungsfrage kann allgemein kaum eine wirksamere Förderung erfahren als durch Syndikatspreise für alle landwirtschaftlichen Produkte, welche die Kosten decken, durch eine Organisation des Geld- und Kreditverkehrs, welche jede Zinsfusssteigerung durch übermässige Spekulation ausschliesst und durch Uebergabspreise für Grund und Boden, welche den sachlichen Herstellungskosten entsprechen. Wie steht es mit der Regelung des freihändigen Verkehrs auf dieser Basis? Das Prinzip des Kostenwertes gestattet keine spekulative Preisbildung. Wo aber freie Konkurrenz der Käufer zugelassen wird, wird auch die spekulative Preissteigerung zugelassen. Heute besteht die Gefahr eines Aufkaufs des bäuerlichen Grundbesitzes durch reich gewordene Kapitalisten als Luxusbesitz. Der Bauer und sein landwirtschaftlicher Besitz sollen kein Spielzeug für die Riesen des Reichtums sein! Aber auch die heute sich breit machende Güterschlächterei, ob sie nun von Privaten oder von Banken betrieben wird, ist ein Krebsschaden für unsere landwirtschaftlichen Verhältnisse. Die echt agrarische Gesetzgebung aller Völker und Zeiten hat die Veräusserung des landwirtschaftlichen Grundbesitzes ausdrücklich aufgehoben. Der gleiche Rechtsgrundsatz ist auch heute wieder geboten. Wer seinen Besitz veräussern will, übergibt ihn der nationalen Kassenorganisation, welche bar, ohne Abzug und Provision, den nachweisbaren Sachwert bezahlt. Die fortlaufenden Aufzeichnungen des lokalen Friedensrichters, unter Mitwirkung des geltenden Buchführungs- und Deklarationszwanges, welche auch zur Evidenthaltung des Steuerkatasters dienen, machen den Kostenwert der betreffenden Besitzung jederzeit ersichtlich. Der Eigentumsnachfolger erwirbt das Grundstück zu dem gleichen Kostenpreise, ohne Aufschlag irgend welcher Art. Der Zuschlag wird dem neuen Bewerber von dem lokalen Friedensrichter im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden der lokalen Kreditorganisation und unter Kontrolle des Reichsvolkswirtschaftsrates erteilt. Für den Grundstücksverkehr gelten hierbei die grösseren Gesichtspunkte der gesamtheitlichen Interessen. Wo ausländische Bewerber mit inländischen Kaufliebhabern in Konkurrenz treten, wird der Inländer natürlich bevorzugt. Bewerber, welche dem deutschen Volke und dem deutschen Staate nicht freundlich gesinnt sind, bleiben stets von deutschen Grunderwerbungen ausgeschlossen. Wo mehrere deutsche Bewerber in Konkurrenz treten, entscheiden die Grundsätze der besseren sozialen Grundbesitzverteilung, der geringeren Besitzschulden und die soziale Qualifikation des Bewerbers. Zwischen mehreren Kauflustigen mit gleicher Qualifikation entscheidet das Loos. Die Gelegenheit dieser Handänderung durch Vermittelung der sozialen Gemeinschaft soll auch dazu dienen, eine bessere Arrondierung der Besitzungen herbeizuführen. Der Gefahr einer Umgehung dieser Bestimmungen durch Schenkung und Testierfreiheit muss durch entsprechende Einschränkungen für den Grundbesitzverkehr begegnet werden. Im Interesse der Allgemeinheit liegt bekanntlich eine gesunde Mischung von Gross-, Mittel- und Kleingrundbesitz. Der grössere Besitz geht in der rationellen Kulturtechnik voraus und liefert die edleren Saaten, die besseren Zuchtprodukte. Der mittlere und Kleinbesitz liefert die besten landwirtschaftlichen Arbeiter, ohne welche der Grossbetrieb nicht bestehen kann. Der Wald ist nur in den Händen des grösseren Besitzes gesichert usw. Diese Grundbesitzverteilungspolitik sollte einheitlich gehandhabt werden und deshalb dem Reichsvolkswirtschaftsrat unterstellt werden. Die rechte Ausführung und Anpassung im Einzelfalle garantiert die dezentralisierte Staatsbehörde mit den lokalen Organisationen des Kredits und der Syndikate. Wo heute der Grossgrundbesitz überwiegt, sollten — nach den trefflichen Vorschlägen des Geheimrat Kapp und Freiherrn von Wangenheim-Klein-Spiegel — durch Abtrennung von Gutsteilen aneinandergrenzender Grossgüter solche Zwischenflächen gewonnen werden, welche sich als Ansiedlung für eine selbständige, leistungsfähige Dorfgemeinde eignen. Wenn so der soziale Grundmarkt einheitlich durch Deutschland Angebot und Nachfrage ausgleicht, kann es unmöglich an Land und Landwirten zur Bildung von neuen Dorfgemeinden fehlen.
i) Von den
Verhältnissen der Lohnarbeiter insbesondere.
Auch hier ist vor allem der tiefgehende prinzipielle Unterschied zwischen der Auffassung unter dem herrschenden kapitalistischen System und den Konsequenzen gesunder, normaler volkswirtschaftlicher Verhältnisse festzuhalten. Der Kapitalismus handelt seit Jahrtausenden nach dem Grundsatze: Teile und herrsche! Trenne und beute aus! So hat man den Begriff des Arbeiters auf den des Lohnarbeiters zurückgekürzt, dem vorgeblich der Unternehmer und das Kapital gegenüberstehen. Der Arbeitslohn bestimmt sich im Wesentlichen nach Angebot und Nachfrage. Schon Adam Smith und nach ihm Karl Marx haben den Mittelstand, welcher Arbeit und Kapital in seiner Person vereinigt, aufgegeben und damit die Brücke zur naturgemässen Lohnbildung hinter sich abgebrochen. Der Arbeiter ist „nur Arbeiter“ sein Leben lang, welcher mit Massen von Arbeitsgenossen zusammenarbeitet und zusammenlebt. So wird der Arbeiter zum Proletarier, zum vierten, letzten Stande. Fleissig und strebsam zu sein, lohnt sich für ihn nicht. Sein Streben hat kein erreichbares, höheres Ziel. Sein Fleiss bewirkt nur, dass die Gewinne der Kapitalisten noch grösser werden. Sein Einkommen ist ein Spielball der kapitalistischen Konjunkturen. Die Not ist die Peitsche, die ihn täglich zur Arbeit treibt. Die Arbeit selbst weckt in ihm ein dauerndes Unlustgefühl. Wenn seine Arbeitskraft ausgepresst ist, wird er vom Kapital auf die Strasse gestossen. Da bleibt zur Besserung der Lebensstellung und Lebenshaltung nur der Klassenkampf übrig, zunächst in der Form der gewerkschaftlichen Organisation zur Führung der Kämpfe um höheren Lohn durch den Kontraktbruch, durch Streiks, Boykott, Bekämpfung der Arbeitswilligen, Abwehr der Zuwanderung, Schädigung der Nichtorganisierten usw. Dazu die Kämpfe um kürzere Arbeitszeit, angenehmere Arbeitsbedingungen, um wachsenden politischen Einfluss als Arbeiterstand usw. Während der grössere Fleiss mit der längeren Arbeitszeit und der Genügsamkeit die Arbeiterinteressen eher schädigt als fördert, begünstigt die geringere Arbeitsleistung, die kürzere Arbeitszeit, die ausgeprägte Unzufriedenheit bei einer möglichsten Steigerung des Genusslebens die Position des Arbeiters. Um im Klassenkampf das Klassenbewusstsein des Arbeiters zu heben, wird ihm eingeredet, dass der Lohnarbeiter allein alle Güter erzeugt habe, dass deshalb der Arbeiter berechtigt sei, noch weit grössere Leistungen zu seinen Gunsten von der Gesamtheit zu fordern. Wenn dabei das Gefühl der Selbstverantwortlickeit dem Einzelnen verloren gehen muss, so wird darauf keine Rücksicht genommen. Wo diese neue Ideenwelt auf dem Lande Eingang findet, verbindet sich diese Proletarierphilosophie mit den goldenen Träumen der Kapitalisten. Neben dem Wanderredner der Proletarier erscheint der Agent einer durch Börsengründungen neuerstandenen Industrie, um viele Tausende von Arbeitern zu werben. Goldene Berge werden versprochen. Vereinzelte Glücksbeispiele locken! Die modernen Verkehrseinrichtungen machen eine Wohnsitzänderung so leicht. Kein zuverlässiger unparteiischer Berater erhebt seine warnende Stimme. Die moderne volkswirtschaftliche Organisation wurde auf dem Lande vernachlässigt. So setzt denn mit jeder neuen aufsteigenden Konjunktur auch die unheilvolle Bevölkerungsflucht vom Lande nach der Stadt und nach der Industrie von neuem wieder ein. Die Erziehung des Volkes zur Spekulation und zur Genussucht bleibt die Parole. Wie lauten im Gegensatze hierzu die Grundzüge einer organischen Auffassung der Arbeiterfrage? Die naturwissenschaftlich-politische Auffassung beginnt mit einer Betrachtung des Ganzen in den Wechselbeziehungen seiner verschiedenen Glieder, und erkennt heute sofort, dass die naturgemässe Verteilung des volkswirtschaftlichen Produktionserfolges krankhaften Störungen unterliegt, welche auf den herrschenden Kapitalismus zurückzuführen sind. Dieser Kapitalismus eignet sich heute in Deutschland jährlich rund 9 Milliarden „Mehrwert“ an, welche dem volkswirtschaftlichen Arbeitsertrage entzogen werden. Die nächstliegende Aufgabe einer rationellen Behandlung der sozialen Arbeiterfrage besteht mithin darin: diese heute entwickelungsgeschichtlich nicht mehr gerechtfertigte Beraubung des volkswirtschaftlichen Arbeitsertrages durch den Kapitalismus aufzuheben und deren Wiederkehr zu verhindern. Eine solche Maassnahme muss sofort zur Folge haben, dass die deutschen Arbeiter der verschiedensten Art jährlich um 9 Milliarden Mark mehr einnehmen. Wir haben im Vorhergehenden nachgewiesen, dass diese grosse Reform durch allgemeine Einführung des Aequivalenz- oder Kostenwertes mit den daraus sich ergebenden Konsequenzen erreicht wird. Arbeiter im subjektiven Sinne ist nach den ebenfalls schon vorausgeschickten Ausführungen ein Jeder, der sich dienend an die Gesamtheit anschliesst. Dabei sind wieder selbständige Arbeiter und Hilfsarbeiter zu unterscheiden. Nur bei dem selbständigen Arbeiter, welcher im Wesentlichen Eigentümer seiner Produktionsmittel ist, kann die Frage nach dem gerechten Arbeitslohn leicht klar und ziffermässig beantwortet werden. Er ist gleich dem Werte seines fertigen Produkts — unter der wichtigen Voraussetzung, dass die Preisfestsetzung dieses Produktes nicht dem spekulativen Privatkapital überlassen wird und dem Kostenwerte entspricht. Hier ist im Vorhergehenden deshalb für die Produkte der Landwirtschaft wie der Gewerbe und der Industrie eine Syndikatsorganisation, ohne Börsen, auf der ganzen Linie gefordert worden. Auch für das Gebiet der Submissionen muss der Kostenwert zur Geltung kommen. Bei den vorgesehenen vielfachen Organisationen kann es nie an Sachverständigen fehlen, welche den Kostenwert zu schätzen wissen. Hierher gehören weiter alle jene fürsorglichen Massregeln, welche auch bei Handänderungen der Produktionsmittel den Kostenwert zur Geltung bringen. In diesem Zusammenhange ist es aber auch wichtig, die Konsequenzen dieser Ideen eines naturgemässen Arbeitsrechtes auf künstlerischem und geistigem Gebiete weiter zu denken. Hier fehlt heute selbst amtlichen und halbamtlichen Stellen das Bewusstsein, dass sie einen ganz gewöhnlichen Diebstahl begehen, wenn sie sich die von Anderen mit viel Mühe und Kosten gewonnenen Ideen kurzerhand, sogar ohne Quellenangabe, aneignen. Solch schreiende Lücken des geltenden Rechtes müssen ausgefüllt werden, um das Raubrecht der Stärkeren und Reicheren zu beseitigen. Das Recht des Arbeiters auf sein Produkt muss als vornehmster Eigentumsanspruch ausnahmslos gelten. In diesem Zusammenhange ist schon darauf hingewiesen worden, dass es sich um eine Erweiterung der patentrechtlichen Bestimmungen und um Bereitstellung öffentlicher Mittel zur angemessenen Ablösung neuer Ideen von allgemeinerem Interesse handelt. Nur auf diesem Wege der vollen und nicht bloss formalen Anerkennung des Urheberrechtes kann das heute so vielfach schwer beleidigte Gerechtigkeitsempfinden des Volkes wieder allgemeiner versöhnt werden. Nicht so einfach ist die Frage nach dem naturgemässen Lohn des Hülfsarbeiters zu beantworten. Im allgemeinen wird man sagen können, dass diese Lohnhöhe ebenso wie die Höhe der durchschnittlichen Getreidepreise ein Ausdruck für die Höhe der materiellen Kultur eines Volkes sind. Nach oben wird der Lohn der Hülfsarbeiter begrenzt durch den Arbeitsertrag der selbständigen Arbeit. Denn es kann niemand seiner Arbeitshülfe mehr zahlen, als er selbst verdient. Dass aber innerhalb dieser Grenze die berechtigte Höhe erreicht werde, bleibt wesentlich von der Leichtigkeit des Aufsteigens der Hülfsarbeiter in selbständige Positionen und von der Tüchtigkeit der sozialen Erziehung der heranwachsenden Arbeiter zur Arbeitsamkeit und Sparsamkeit abhängig. Unter naturgemässen Verhältnissen ist deshalb der Lohn der Hülfsarbeiter aufs Engste mit dem Arbeitserfolg des selbständigen Mittelstandes verknüpft. Diese Erkenntnis musste sich in Ländern mit junger Kultur am leichtesten bemerkbar machen. Wakefield, der bekannte Kolonisator von Australien, hat die verhältnismässig hohen Arbeitslöhne in Australien auf die billigen Landpreise und auf die Leichtigkeit, mit der Grundbesitz erworben werden konnte, zurückgeführt. Der Nordamerikaner Henry George setzte in seinem Lohngesetz die Lohnhöhe der Arbeiter mit dem Verdienst der Farmer an der Grenze der Produktion in direkte Beziehung. Zu einer sehr ähnlichen Formulierung des Arbeitslohngesetzes kam schon Joh. Heinrich von Thünen zu Anfang des letzten Jahrhunderts. Rodbertus spricht von einem „verhältnismässig mit steigenden Arbeitslohne.“ In der neueren Geschichte der australischen Lohnarbeiterverhältnisse spielt die Gesetzgebung für die australischen Goldfelder eine hervorragende Rolle. Als hier die Goldaluvien entdeckt wurden, bestimmte ein Spezialgesetz, dass jedermann gegen Zahlung einer kleinen Einschreibegebühr das Recht der Ausbeutung eines bestimmten Loses von einer mässigen Länge und Breite erwerben konnte. Aber niemand konnte mehr als ein Los besitzen. Der Erfolg dieser klugen Gesetzgebung war, dass der Arbeitsertrag auf diesen Goldfeldern als Lohnregulator durch die ganze australische Volkswirtschaft wirkte. Wäre damals die Gesetzgebung in Australien von kapitalistischen Anschauungen beherrscht gewesen, so hätte man die Ausbeutung der Goldfelder einem Konsortium von Grossbanken übertragen. Dieses hätte möglichst billige Arbeitskräfte herangezogen, um möglichst grosse Gewinne für sich zu erübrigen. Der tiefgehende soziale Unterschied dieser beiden Auffassungen ist einleuchtend. Eine organische Betrachtung des Lohnproblems der Hülfsarbeiter muss deshalb mit der wichtigen Vorfrage beginnen: Ist die Funktion des Arbeitsertrags der selbständigen Arbeiter als volkswirtschaftlicher Lohnregulator gut gesichert? Bei der überragenden Abhängigkeit des ökonomischen Erfolges eines jeden Einzelunternehmers von der Mitwirkung der gesamtheitlichen Verhältnisse kann unsere Volkswirtschaft mit einer reich gedeckten Tafel verglichen werden, die gross genug ist, um das ganze Volk zu sättigen. Nur zwei Bedingungen müssen dabei eingehalten werden: Wenn jemand an dieser grossen Tafel sich gut gesättigt hat, dann muss er aufstehen, um einem anderen, der noch hungrig ist, Platz zu machen. Und jeder neue Gast sollte ein entsprechendes gesellschaftliches Kleid tragen und eine entsprechende soziale Erziehung sich angeeignet haben, um auch zu der Tafelgesellschaft zu passen. Nach beiden Richtungen wird heute viel gesündigt. Eine wachsende Zahl von Menschen hat an der volkswirtschaftlichen Tafel sich längst gut satt gegessen und denkt doch nicht daran, aufzustehen, um Andere an den Tafelfreuden teilnehmen zu lassen. Hinter den Sesseln dieser Platzhalter sammeln sich immer mehr Leute, deren Unzufriedenheit mit der Zeit natürlich wächst. Solch’ böse Gäste sind unsere Grosskapitalisten, unsere Besitzer von Monopolen der verschiedensten Art, unsere Grossunternehmer, die ihre Betriebe immer mehr erweitern und immer neue Unternehmungen aufsaugen u.s.w. Die ungehörig gekleideten neuen Gäste mit schlechten Manieren sind jene Arbeitermassen, die das Gift der modernen Arbeiterverhetzung in sich aufgenommen haben. Gespart wird nichts. Der ganze Lohn muss verjubelt werden. Wenn sie nichts mehr haben, hat nach ihrer Auffassung die Gesamtheit für sie zu sorgen. Die Arbeit selbst ist für sie eine Last, eine Quälerei. Aufsässig, unbotmässig, unzuverlässig, streitsüchtig ist ihr Benehmen und maasslos sind ihre Forderungen. Diesen beiden Hauptrichtungen der herrschenden Missstände auf dem Gebiete der Lohnbildung sind unsere bisherigen Reformvorschläge bereits begegnet. Gegen die Aufsaugung der selbständigen Arbeitsgelegenheiten durch die Kapitalisten wendet sich der Kataster der selbständigen Unternehmungen, welches als Regel und ohne ein offensichtliches soziales Bedürfnis das Aufsaugen und Verschmelzen selbständiger Arbeitsgelegenheiten nicht gestattet. Aufgabe der besonderen Bestimmungen des Syndikatsgesetzes ist es, die Grossbetriebe auf der ganzen Linie des Erwerbslebens als Regel nur mit ihrer bisherigen Produktion zu kontingentieren und den Zuwachs am volkswirtschaftlichen Bedarf für den zweckmässigeren Ausbau der mittleren und kleinen Betriebe, wie für die Gründung von neuen mittleren und kleinen Betrieben zu reservieren. Die einheitliche Organisation der inneren Kolonisation und des Grundstückmarktes schafft neue lebensfähige Bauerngemeinden und verhütet die Aufsaugung des Grundbesitzes für Luxuszwecke der Reichen. Eine moderne Umbildung der Heimarbeiterverhältnisse kann auch auf diesem Gebiete neue Gelegenheiten zur Verselbständigung schaffen. Mit diesen organischen Grundsätzen einer besseren Regulierung des Arbeitslohnes bleibt der heute so beliebte Ruf nach „Verstaatlichung“ allerdings unvereinbar. Vielfach muss sogar die Forderung nach „Entstaatlichung“ erhoben werden. Der Geheime Kommerzienrat Kirdorf hat einmal gesagt: „Sucht die Arbeitsgelegenheit möglichst zu vermehren, dann ist die soziale Frage gelöst“. Wir möchten diese Formulierung dahin abändern, dass wir sagen: „Sucht die selbständige Arbeitsgelegenheit tunlichst zu erweitern, und die Lohnfrage wird zur Hälfte gelöst sein“. Die andere Hälfte betrifft nämlich die bessere soziale Erziehung der Volksmassen und die Beseitigung des Proletariats. Zur Lösung dieser grossen Aufgaben wurde bereits eine Reform in der Organisation der staatlichen Behörden in der Weise vorgeschlagen, dass jedermann von seinem zuständigen „Friedensrichter“ persönlich gekannt und beobachtet wird. Hier findet jedermann Auskunft über die geltenden Gesetze, wie über die bestehenden Einrichtungen aller Art. Durch dieses Organ wird die Entwickelung eines jeden Einzelnen von der Wiege bis zur Bahre verfolgt und aufgezeichnet. Es gibt also dann keine Volksmassen mehr, die nur als Nummern in Betracht kommen. Interessenverletzungen irgend welcher Art werden rasch abgestellt, unter sorgfältiger Berücksichtigung der begleitenden Umstände Strafen verhängt, aber auch die bessere menschenwürdige Lebensführung belohnt und durch beides erzieherisch auf das Volk eingewirkt. Wer bis zu seinem 40. Lebensjahre treu, fleissig und ehrlich gearbeitet und von seinem Lohneinkommen sich einen entsprechenden Betrag erspart hat, soll Gelegenheit zu einer für ihn geeigneten Verselbständigung erhalten und hierbei innerhalb billiger Grenzen Unterstützung finden. Wer aber bis zu seinem 40. Lebensjahre als Lohnarbeiter wiederholt zu ernsten Klagen Anlass gegeben, wer untreu, unehrlich in der Arbeit war und unmässig lebte, hat diesen seinen Anspruch auf Verselbständigung verloren. Dann sind die Jahre der Lohnarbeit für den tüchtigen Menschen nur ein Durchgangsstadium wie die Schuljahre. Das ist die weitaus beste Beschränkung der Arbeitszeit. Für einen jungen kräftigen Arbeiter ist der nur achtstündige Arbeitstag eine höhere Faulenzerei. Wo aber ungesunde Arbeitsgelegenheiten gegeben sind, dort kürze man die Arbeitsschicht auf halbe Tage, um den zweiten halben Tag in besserer Luft desto energischer auszunützen. Im Rahmen dieser organischen Auffassung ist auch die Stellung eines Lohnarbeiters die eines Quasi-Beamten. Börsenneugründungen von Grossindustrieen mit hunderten von Millionen, die in kurzer Zeit ein ganzes Arbeiterheer durch höhere Lohngebote zusammenrufen, um zur Zeit der nachfolgenden Krisis vielleicht die Hälfte wieder zu entlassen, kommen künftig nicht mehr vor. Alle Glieder des volkswirtschaftlichen Körpers entwickeln sich dann harmonisch in stetigen geordneten Verhältnissen weiter. Der Reichsvolkswirtschaftsrat und die gesellschaftliche Organisation des Kredits mit der allgemeinen Einführung des Kostenwertes wachen darüber. Also werden künftig auch die Arbeitsgelegenheiten stetige, geregelte Formen annehmen müssen. Der Arbeitslohn folgt der Entwickelung der allgemeinen Kulturverhältnisse. Eine umfassende Statistik mit weitgehendster Dezentralisation der Behörden sorgt für einen gerechten Ausgleich zwischen Arbeitserfolg und Arbeitslohn allerwärts — auch in die Reihen der staatlichen und Privatbeamten hinein. Streiks, Aussperrungen, Kontraktverletzungen und alle ähnlichen Begleiterscheinungen des kapitalistischen Lohnverhältnisses haben dann jede sachliche Berechtigung verloren und sind deshalb in jedem Falle als schwere Verletzungen des sozialen Friedens streng zu bestrafen. Wo Arbeitskräfte überflüssig werden, finden sie anderwärts Unterkunft und Verwendung. Wo neue grosse Aufgaben zu lösen sind, werden Arbeiter in genügender Zahl zugezogen. Unter der Oberleitung des Reichsvolkswirtschaftsrates wird sich das alles nach Art der Versetzung von Beamten abspielen. Auch die Verselbständigung der Lohnarbeiter im 40. Lebensjahre kann diese zentrale Ausgleichsstelle nicht entbehren. Ein Proletariat im kapitalistischen Sinne gibt es dann im deutschen Volke nicht mehr.
k) Von der Finanzwirtschaft
insbesondere.
Man versteht heute unter den Aufgaben der Steuerpolitik gemeinhin die Bedarfsdeckung des Staates, der Provinzen, der Gemeinde. Die Theorie hat die Finanzwirtschaft von der praktischen Politik scharf getrennt. Also obliegt es dem neuen Staatssekretär des Reichsschatzamtes, entsprechend mehr Steuern aus dem deutschen Volke herauszuholen. Auf die Dauer hat das seine wachsenden Schwierigkeiten. Aber der herrschende Begriff der Steuer kann keine anderen Anregungen bieten. Bei der Steuerzahlung steht die Einzelwirtschaft der Zwangswirtschaft gegenüber. Der Einzelne zahlt seine Steuern als Versicherung für Rechtsschutz, oder als Gegenleistung für das, was Staat, Provinz und Gemeinde ihrerseits für die Einzelwirtschaft getan haben. Immer bleibt der „Zwang“ das wesentliche Merkmal der Steuer. Der Staatsbedarf muss gedeckt werden. Denn der Einzelne ist dem Staate schlechthin Untertan. Das alles sind reichlich individualistische Ideen, gemischt mit Sätzen, welche dem staatlichen Absolutismus angehören. Beides sind überlebte Zeiten. Im Zusammenhange mit den gegenwärtig sich losringenden Zeitbegriffen haben wir oben, Seite 319 ff., den grundlegenden Begriff der sozialen Arbeitsgemeinschaft kennen gelernt. Die naturgemässen Folgerungen aus diesem Begriff bedeuten auch neue Theorien für die Finanzwirtschaft. Wenn es wahr ist, dass der Einzelne für sich allein nichts zu verdienen vermag, dass vielmehr alles, was er verdient und erreicht, der gewaltigen Arbeitsgemeinschaft des Volkes und schliesslich der ganzen Menschheit zu verdanken ist, dann ist auch der Einzelne keine selbständig wirtschaftende Persönlichkeit, sondern — wie die Philosophen sagen — nur ein „Abgesplittertes vom Ganzen“. In jeder sogenannten Privatwirtschaft ist die Gesamtheit als „stiller Teilhaber“ beteiligt. Der Einzelne vereinnahmt zunächst das Ganze des Ertrages, um dann erst den „Anteil der Gesamtheit“ als „Steuer“ abzuführen. Die Steuer ist so der „gütermässige Ausdruck für das Teilhaberverhältnis der Gesamtheit in der Einzelwirtschaft.“ Aus diesem Steuerbegriff ergeben sich ganz bestimmte praktische Konsequenzen schon für die Steuerveranlagung unter den heutigen Wirtschaftsverhältnissen. Wenn bei jedem Wirtschaftserfolge die Tätigkeit des Einzelnen und die Mitwirkung der Gesamtheit sich verbinden, und wenn die Steuer der gütermässige Ausdruck ist für dieses Teilhaberverhältnis der Gesamtheit in jeder Einzelwirtschaft, dann sollte gerechterweise die zu zahlende allgemeine Einkommensteuer in ihrer Höhe der Ausdruck sein für den Anteil, welchen die Tätigkeit des Einzelnen und die Verursachung der Gesamtheit an dem Gesamtwirtschaftserfolge genommen haben. Wo jahrelange mühsamste Arbeit und grosse Vermögensaufwendungen nötig gewesen sind, dort wird selbst bei einem schliesslich sehr grossen Einkommen die Steuerveranlagung auf die vorausgegangenen Mühen und Kosten, auch soweit sie nicht in Schulden zum Ausdruck kommen, in vollem Umfange Rücksicht zu nehmen haben. Wo aber die fetten Gewinne dem Einzelnen gewissermassen im Schlafe zufallen, dort entspricht eine Steuerforderung bis mindestens 50% des Reineinkommens den tatsächlichen Verhältnissen. Wo umgekehrt der Staat und die staatliche Politik, statt die Interessen der Einzelnen zu fördern, sie in bewusster Weise geschädigt haben und deshalb das Einkommen dieser Personen wesentlich zurückgegangen ist, dort sollte gerechterweise der Staat auf eine Steuererhebung verzichten und sich an die Brust schlagen mit dem Rufe: „Mea culpa!“ — mein Verschulden! Wenn heute nach geltendem Rechte die gleiche Besteuerung der gleich grossen Einkommen bei tiefgehendster Ungleichheit der Mitwirkung der Gesamtheit Anwendung findet, so muss das als eine schreiende Ungerechtigkeit bezeichnet werden. Jede billige Forderung der Teilhaberzahlung kann den Massstab der tatsächlichen Mitwirkung gar nicht entbehren. Dieses Verhältnis richtig zu beurteilen, mag in einzelnen Fällen seine Schwierigkeit haben. Aber man sollte doch nicht glauben, schwierige Rechtsentscheidungen durch schreiende Ungerechtigkeiten umgehen zu können. Das richtige Gefühl des Volkes hat inzwischen, ohne Mitwirkung der Finanzwissenschaft, Tantièmen- und Dividendensteuern gefordert. Dagegen mag sich einwenden lassen, dass die Tantième in vielen Fällen nur eine andere Form der Arbeitslohnzahlung ist, welche das Selbstinteresse des Arbeiters tunlichst wach erhalten will. Dividenden werden in ungünstigen Zeiten oft aus dem Vermögen oder aus aufgenommenen Schulden gedeckt. In wieder anderen Fällen sind die Dividenden nur ein Rest des Reingewinnes, der in der Hauptsache in starken Abschreibungen und Reserven aller Art versteckt wurde. Aber die Vertreter dieser Steuerforderung gehen von der ganz zutreffenden Anschauung aus: dass die Tantièmen und Dividenden in vielen Fällen für die Einzelnen als ein fast müheloses Einkommen bezeichnet werden müssen, das ganz überwiegend auf die Verursachung durch die soziale Gesamtheit sich zurückführt. Nach dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl des Volkes müssen solche Einkommen wesentlich höher besteuert werden, als Einnahmen, welche von ihrem Eigner mit vieler Mühe und Sorge erzielt wurden. Dieser Grundsatz ist unangreifbar. Bedenklich ist nur die Anlehnung dieser Steuervorschläge an juristische Zwischenbegriffe. Es ist notwendig, auch hier bis zur ökonomischen Quelle des Reineinkommens vorzudringen und unsere Einkommensteuergesetzgebung auf neuer Grundlage aufzubauen. Wenn es sich z.B darum handelt, die „Internationale Bohrgesellschaft in Erkelenz“ im Jahre 1907 zu besteuern, welche mit einem Vermögen von 1 Million Mk. einen Reingewinn von 18 Millionen Mk. erzielte, so wird nach Zubilligung ökonomisch berechtigter Abschreibungen usw. eine Steuerforderung von mindestens 8 Millionen Mark wohl berechtigt erscheinen. In Wirklichkeit zahlte diese Gesellschaft nur etwa 500'000 Mark an Staatssteuern. Wenn man über diese Wegnahme von etwa der Hälfte des Nettoeinkommens klagt, so möge man sich erinnern, dass der preussische Staat auch den Hochschulprofessoren mit grösserem Zulaufe die Hälfte aller Kollegiengelder über 3000 bezw. 4500 Mark pro Jahr weggenommen hat. Man ging dabei von der Annahme aus, dass die Professoren doch wesentlich die Einrichtungen des Staates bei ihren Vorlesungen benutzen. Für die „Internationale Bohrgesellschaft in Erkelenz“ gilt das in nicht minderem Masse. Wenn das Kohlensyndikat für 1907 bis 20 und 25% Dividende an seine Aktionäre verteilen konnte, so wird es niemals dem Gerechtigkeitsgefühl des Volkes entsprechen, dass diese Einkommen vielleicht mit 4% im Durchschnitt zur Staatssteuer herangezogen wurden. Hier müsste die Steuereinnahme um viele Millionen höher sein. Wenn umgekehrt die „Trebertrocknung“ noch in den letzten Jahren ihres Bestehens auf ihre fetten rechnerischen Ueberschüsse Steuern zahlte, so wäre es allgemein wohl besser gewesen, der Staat hätte rechtzeitig den ganzen Schwindel nicht geduldet. Die gleichen Grundsätze finden auch auf die Erbschaftssteuer entsprechende Anwendung. Durch eine solche Abänderung der Einkommensteuergesetze lassen sich in Deutschland die Staatseinnahmen um einige hundert Millionen erhöhen. Die eigentliche Aufgabe einer gross angelegten Steuerreform wird aber damit noch lange nicht gelöst. Nach dem zweiten Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reiches (1907) betragen die Roheinnahmen des Reiches und der deutschen Bundesstaaten nach den Voranschlägen von 1906: 7'176'590'000 Mk. Davon gehen allein für ordentliche und ausserordentliche Ausgaben auf die Erwerbseinkünfte von Reich und Bundesstaaten ab: 2'901'208'000 Mk., so dass netto nur rund 4 Milliarden Einnahmen verbleiben. Da die Schulden des Reiches und der deutschen Bundesstaaten von rund 3 Milliarden im Jahre 1874 auf rund 16 Milliarden im Jahre 1906 angewachsen sind, besteht hier ein offensichtliches Missverhältnis zwischen den Staatseinnahmen und dem Staatsbedarf. Eine Bevölkerung von 60 Millionen Menschen auf so hoher materieller Kultur wie das heutige Deutschland muss in der Lage sein, ihren Staatsbedarf reichlich zu decken und ihre Schulden abzutragen. Ist dies eine Reihe von Jahren hindurch nicht möglich, so zeigt das auf tiefgehende organische Störungen im Volkskörper. Nach dem Vorausgeschickten kann die Beantwortung dieser Vermutung kaum zweifelhaft sein. Die deutsche Volkswirtschaft leidet unter dem parasitären Schlinggewächs „Kapitalismus“, das jährlich den ehrlichen Arbeitserfolg der Bevölkerung um rund 9 Milliarden Mark kürzt. Das beeinträchtigt in offensichtlicher Weise auch die Steuerkraft des deutschen Volkes. Will also der Reichsschatzsekretär wirklich in durchgreifender Weise die Reichsfinanzen sanieren, so erweitern sich seine Aufgaben zu Aufgaben der gesamten deutschen Ministerien und schliesslich des ganzen deutschen Volkes. Die bisherige isolierte Behandlung der Finanzwissenschaft wird ganz unhaltbar. Auch für die Finanzpolitik lautet die grundlegende Frage: wie beseitigen wir den herrschenden Kapitalismus aus der Gesellschaft? Die Steuerkraft des Volkes ruht in der Steuerkraft der Massen. Von den Steuerleistungen einer kleinen Zahl sehr reicher Leute konnte noch keine Staatsgemeinschaft gedeihen. Also hebe man die Zahlungsfähigkeit der Volksmassen durch Beseitigung des die Volkskräfte zerstörenden Kapitalismus und durch eine bessere soziale Erziehung der Menschen. An einer reichlichen Deckung des öffentlichen Bedarfs kann es dann nicht mehr fehlen. Diese Mehreinnahmen mögen zunächst zur Abtragung der öffentlichen Schulden Verwendung finden. Im weiteren aber sollte man mit einer Reihe längst nicht mehr zeitgemässer Steuern endlich aufräumen, wie die auf ganz irrigen Theorien aufgebauten Grundsteuern, die Salzsteuer, die Gebühren für Grundeigentumsübertragungen und Hypothekeneinschreibungen, Zuckersteuer, Besteuerung der Staatsbeamtengehälter usw. Schliesslich noch zwei Bemerkungen. In der Finanzwissenschaft im kapitalistischen Zeitalter bezeichnet das Kapitel „Steuerüberwälzung“ einen alten, nie zu lösenden Uebelstand. So oft man die Kapitalisten durch irgend eine Steuer zu fassen suchte, wussten sie auch schon wieder Mittel und Wege, die neue Steuer auf andere Schultern zu überwälzen. Siehe Warenhaussteuer, Börsensteuer, Grundrentensteuer usw. Erst die allgemeine Einführung des Aequivalenzwertes wird die Verhältnisse so ordnen, dass der Kapitalismus endlich verschwindet, und der gesetzlich gewollte Steuerträger durch keinerlei Manipulationen sich dieser Last entziehen kann. Weiter wird die neue Politik sich darüber im Klaren sein müssen, dass der Uebergang aus der heutigen Zeit in die neue Zeit Kosten verursacht. Als der ökonomische Liberalismus die Führung in der Politik übernahm, wurden die Kosten des Ueberganges aus der feudalen in die liberale Periode zumeist auf die Schultern des Adels, vielfach aber auch auf die Schultern der Bauern überwälzt. Im ersteren Falle war die Politik der Ausdruck revolutionärer Strömungen, in letzterem Falle konnte man sich auf die künftig nicht mehr geltende kapitalistische Theorie von der Grundsteuer als Reallast berufen. Heute noch haben deshalb deutsche Bauern Reallasten zu tragen, welche auf ihren Besitzungen haften geblieben sind. Für die neue Zeit, welche den Kostenwert oder Aequivalenzwert zur allgemeinen Einführung bringt, kann es nicht zweifelhaft sein, dass solche Uebergangskosten zu den allgemeinen Unkosten der Gesamtheit gehören. Diese Auffassung wird weiter gestützt durch den Grundsatz, dass im Rechtsstaate wohl erworbene Rechte stets anerkannt werden müssen. In dem heute geltenden Rechtssystem sind Spekulationen der verschiedensten Art ausdrücklich gebilligt und deshalb im guten Glauben ausgeführt worden. Spekulationspreise der Wertpapiere, welche als bezahlte Kostenwerte nachgewiesen werden können, müssen in der Uebergangszeit gelten. Grundstücksspekulationen, welche mit entsprechendem Zinsverlust auf Grund des geltenden Rechtes ausgeführt oder eingeleitet wurden, sollten nach einer billigen Schätzung anerkannt werden. Einmal gewordene Betriebseinrichtungen sind zu respektieren, wenn sie auch von jetzt ab sich den gesamtheitlichen Interessen unterordnen und einfügen müssen usw. Soweit dann im Interesse eines gerechten Arbeitsertrages von diesen Preisen nach Massgabe des sachlichen Buchwertes mehr oder minder wesentliche „Abschreibungen“ gemacht werden, sind dieselben in irgend welcher Form auf das Konto der Gesamtheit zu übernehmen und aus den erhöhten Steuererträgen der Zukunft in geeignet erscheinender Weise abzutragen. Wenn der ehemalige Reichskanzler, Graf Caprivi, den Landwirten, welche ihre Grundstücke zu teuer gekauft oder übernommen hatten, zurief: sie sollten doch „abschreiben“!, so war das ein kapitalistischer Gedanke, der an dem ewigen Auf und Nieder von Ueberspekulation und Krisis festhalten wollte. Wenn es heute notwendig geworden ist, diese Krisen mit den vorausgehenden Ueberspekulationen zu beseitigen im Sinne einer prinzipiellen gesetzlichen Einführung des Kostenwertes, dann muss die deshalb logisch notwendige Abschreibung an den Grundpreisen als Uebergangsmassnahme dem jeweiligen Grundbesitzer vergütet werden, soweit sie zur Ablösung der Grundschulden Verwendung findet.
l) Von der internationalen
Politik insbesondere.
Die internationale kapitalistische Politik der Staaten war zu allen Zeiten von der Habgier der Menschen getragen. Nachdem im Inlande die Raffbegierde der Spekulanten den Arbeitsertrag des Volkes vertragsmässig unterbunden hat, und gleichzeitig die Ueberproduktion in gewerblich industriellen Produkten den Absatz im Auslande sucht, verlegt die Politik den Schwerpunkt der weiteren Entwicklung auf den Welthandel. Die landwirtschaftlichen Interessen werden diesem Bestreben geopfert. Die Brotversorgung des Inlandes wird mehr und mehr vom Auslande abhängig. Die Ausfuhr industrieller Produkte bringt als Rückfracht vom Auslande Getreide und Fleisch mit weiteren Rohprodukten für die Industrie. Die Vorpostengefechte im Kampfe um die Weltherrschaft beginnen. Die Gelddarlehen der heimischen Banken leisten hierbei wichtige Dienste. Die Klassengegensätze zwischen den kapitalistischen Mehrwertsräubern und den geschädigten Volksmassen verschärfen sich. Bei den wachsenden politischen Schwierigkeiten in der Heimat dienen kriegerische Konflikte mit dem Auslande als Ableiter. Die Ausgaben für Heer und Marine wachsen, bis schliesslich die Entscheidungsschlachten um die Weltherrschaft mit den Konkurrenten geschlagen werden, welche für die unterliegenden Staaten noch immer von der grossen sozialen Revolution begleitet wurden. Die oben vorausgeschickten vergleichenden entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen haben dieses Bild auf jeder Seite bestätigt. Den Gegensatz zur internationalen grosskapitalistischen Politik bezeichnet die internationale agrarische Politik. Das Wort „Agrarier“ bedeutet einen Politiker, welcher nicht von der Habgier, sondern von dem Grundsatze: „Jedem das Seine!“ ausgeht und die politische Entwicklung in dem heimischen Acker verankert sehen will. Diese Politik ist vor allem auf Beseitigung der kapitalistischen Missstände in der Heimat gerichtet. Nach ihrer Auffassung gibt es für Klassengegensätze im Volke keinen Raum. Wo sie bestehen, muss es gelingen, sie wieder zu beseitigen. Sie ist keineswegs Gegnerin des internationalen Verkehrs. Aber der Schwerpunkt aller Politik sollte in der Heimat ruhen. Die Erzeugung der wichtigsten Produkte des täglichen Volksbedarfs muss im eigenen Lande mit Beihülfe der kolonialen Besitzungen tunlichst gesichert sein. Auch für die Industrie liegt das weitaus wichtigste Absatzgebiet im eigenen Lande. Der schweizerische Bauernsekretär Dr. Ernst Laur hat eine Zusammenstellung veröffentlicht, wonach der Geldlohn auf dem Lande in der Schweiz binnen 46 Jahren um das Fünffache gestiegen ist, trotzdem in der Schweiz das Kapitalistenrecht noch uneingeschränkt besteht. Wir schätzen den Einfluss einer Beseitigung des Kapitalismus auf den Arbeitsertrag des deutschen Volkes auf jährlich 9 Milliarden oder 150 Mark pro Kopf und Jahr. Rechnen wir hinzu den Einfluss der endlichen Befreiung der Arbeit aus den kapitalistischen Fesseln auf die Erhöhung der allgemeinen Arbeitsfreudigkeit und den Einfluss der besseren sozialen Erziehung des Volkes auf seine Sparsamkeit, Mässigkeit und wirtschaftliche Tüchtigkeit, so bedeutet das eine gewaltige Steigerung des jährlichen deutschen Arbeitsertrages. Der Gesamtnettoeigenhandel Deutschlands in Fabrikaten erreichte 1906 nur rund 2 1⁄2 Milliarden Mark. Wie zutreffend hat deshalb Dr. Georg von Siemens diese Situation bezeichnet, wenn er — nach einer Mitteilung des Kolonialdirektors Dernburg im „Berliner Tageblatt“ vom Juni 1907 — sagte: „Die deutsche Industrie wird für sich selbst ein viel Grösseres leisten, wenn sie es fertig bringt, an jedes deutsche Bauernfenster eine Gardine und in jede deutsche Bauernstube einen Teppich zu bringen, als wenn sie durch Poussieren des Ausfuhrgeschäftes die deutsche Industrie dauernd von der Kaufkraft und dem Wohlwollen des Auslandes abhängig macht!“ Dazu kommen die unschätzbaren Vorteile einer brüderlichen Ordnung der heimischen Volkswirtschaft. Auf der Familie, der Gemeinde, der Provinz und dem Staate ruhen die Segnungen des Friedens. Jede Versuchung, die Schwierigkeiten der inneren Politik durch Kriege mit dem Auslande abzulenken, bleibt ausgeschlossen. Wohl aber würde jeder Angriff von aussen ein geschlossen einiges Volk finden und schon deshalb wahrscheinlich unterbleiben. Für den, zum harmonischen Volksleben nötigen auswärtigen Handel gilt jetzt nicht mehr der kategorische Imperativ: „Mehr Absatz um jeden Preis!“ Es genügen die einfachen gerechten Grundsätze einer Politik der offenen Türe! Für Deutschland bleibt bald keine andere Politik zur Wahl übrig. Denn der unheilvolle Kapitalismus zehrt die Lebenskraft des Volkes auf. Schon stehen wir nicht weit vor dem Verlust des jährlichen Bevölkerungszuwachses. Und aus Mangel an einheimischen Arbeitskräften beherbergt Deutschland bereits ein landfremdes Proletariat von rund einer Million. Wie könnte die Anerkennung dieser Grundsätze einer agrarischen internationalen Politik in der Welt tunlichst beschleunigt werden? Zunächst müsste in irgend einem Lande ein konsequent durchgeführtes Beispiel zum Guten gegeben werden. Erklärungen im Sinne der friedlichen Politik der „offenen Türe“ genügen wenig, so lange im Lande selbst die schärfsten revolutionären Klassengegensätze bestehen, so lange das spekulative Privatkapital weiter fast alles beherrscht, im Auslande nach eigenem Ermessen die politischen Vorpostengefechte einleitet und in seiner Raffbegierde zu immer neuen Reibungen in der auswärtigen Politik führen muss. Man betrachtet notwendigerweise die ehrlichsten Friedensversicherungen mit Misstrauen, so lange die eigentliche Triebfeder zu den weitaus meisten Kriegen, die Habgier im Volke uneingeschränkt weiter wirken kann. Man beseitige diesen gefährlichen Kapitalismus in der Gesellschaft, man richte die Heimatpolitik im Sinne einer Wirtschaftspolitik unter Brüdern ein durch Anerkennung des Aequivalenzwertes auch in den Kolonien und selbst für Geschäfte im Auslande, welche nationalen Schutz beanspruchen; und kein denkender Mensch kann zweifeln, dass ein solches Land die Periode der Eroberungskriege tatsächlich abgeschlossen hat. Damit ist auch nicht im Entferntesten einem voreiligen Abrüstungsplane das Wort geredet. So lange noch mächtige Grossstaaten durchaus von kapitalistischen Anschauungen beherrscht werden, wäre jede Abrüstung auch der friedlichsten Staaten dem Selbstmorde gleichzuachten. Die Abrüstungsfrage kann eine Frage der praktischen Politik erst werden, wenn der Kapitalismus international der friedlichen Heimatpolitik hat weichen müssen. Ausgangspunkt der internationalen Friedenspolitik muss also eine echte friedliche Heimatpolitik sein. Die ungleich bessere fortschrittliche Entwickelung dieses Volkes wird der wirksamste Apostel dieser Ideen sein. Das Institut der Austauschprofessoren wird die Ausbreitung dieser Umwandlungen fördern. Die grossen internationalen Agrarkongresse unter Mélines Führung erleichtern einer grösseren Zahl von Landwirten und Politikern den mündlichen Austausch über diese Fragen. Und eine besondere Aufgabe fällt hier der Welt-Agrar-Kammer in Rom zu. Zunächst mag sie damit beginnen, Berichte über bestehende organisatorische Einrichtungen innerhalb der verschiedenen Länder zu sammeln, die staatliche Statistik der landwirtschaftlichen Produkte für Anbau, Saatenstand, Ernte, Bewegung und Vorräte über die ganze Erde möglichst gleichförmig zu gestalten, sodass dem Welthandel eine bessere Weltstatistik sich praktisch anschliesst. Auch die Statistik der internationalen Arbeiterbewegung hat man bekanntlich in das Programm aufgenommen. Dann aber sollte die Weltagrarkammer beginnen — wie das von Vertretern des Bundes der Landwirte schon auf dem internationalen Agrarkongress in Budapest (1896) gefordert wurde — mit den grossen Irrtümern der kapitalistischen Preispolitik aufzuräumen durch den Nachweis, dass alle einseitigen Export- und Importtarifverbilligungen, alle Exportprämiengewährungen, alle Schuttabladungen der Syndikate (Dumpingsystem) im Auslande, alle übermässigen Schuldaufnahmen junger Kulturländer nur sehr vorübergehende Vorteile gewähren, um dann auch dem eigenen Lande schweren Schaden zu bringen. Auch innerhalb der Weltwirtschaft kann nur die brüderliche Auffassung nach dem Grundsatze des Aequivalenzwertes allen Beteiligten zum Besten gereichen. Die Welt-Agrar-Kammer verfügt über die erforderlichen internationalen amtlichen Beziehungen, um aus allen Ländern zu diesen Fragen das beste Material zu sammeln und zutreffend zu verarbeiten. Der günstige Erfolg dieser Aufklärungsarbeit kann nicht ausbleiben. Die Welt-Agrar-Kammer würde auf diesem Wege das weltwirtschaftliche Ergänzungsinstitut der nationalen Transport-Tarifkommissionen werden und könnte so erfolgreich den alten Gedanken der gleichen Einheitssätze für Fern- und Lokalverkehr und der Beseitigung aller Exportbegünstigungen zur Durchführung bringen helfen. Neue Beziehungen zu den übrig gebliebenen Bestandteilen des ehemaligen Weltschiffahrtstrustes könnten die weltwirtschaftliche Transportfrage nach dem Kostenwerte auch auf dem Wasserwege lösen helfen. Die weiteren Fortschritte einer besseren Ordnung des internationalen Verkehrs werden naturgemäss Schritt halten mit dem friedlichen Ausbau der Heimatpolitik der Nationen. Eine wesentliche Verbesserung des internationalen Zahlungsverkehrs im Sinne des von Schraut’schen Vorschlages z.B. kann erst auf der Basis einer nationalen Reform der heutigen Kreditwirtschaft sicher aufgebaut werden. Erst mit all diesen Massnahmen fallen die Voraussetzungen, auf welchen die verschiedenen Kampfesmittel der Völker, wie Tarifermässigungen, Exportbegünstigungen, Kreditgewährungen, Schutzzölle, Gewehre und Kanonen, Festungen und Kriegsschiffe aufgebaut sind. Es war ein langer, mühsamer Weg, reich an Enttäuschungen, Anfeindungen und Verleumdungen aller Art, aber auch reich an hochherzigen Unterstützungen und Förderungen, wie an produktiver Schaffensfreude, der mich zu diesem Schlusse geführt hat. Eine besondere theoretische Volkswirtschaftslehre, welche notwendigerweise eine „Philosophie des Begriffes Volkswirtschaftslehre“ sein müsste, bringe ich nicht. Denn die Nationalökonomie ist heute immer noch eine „praktische Wissenschaft“, die in erster Linie praktisch politischen Zwecken dienen muss. Immer noch sind weite Gebiete dieses Faches empirisch nicht erwiesen. Hier muss deshalb heute die Formulierung vieler Thesen zur Formulierung von Hypothesen werden. Ich erinnere nur an die Lehre vom Zins, an die Lehre von der Lohnbildung, an die Proletarier- und Bevölkerungsfrage u.s.w. Was sich heute theoretische Nationalökonomie nennt, wird denn auch auf ungefähr allen Punkten von Anderen lebhaft bestritten. Das kann nicht anders sein. Für eine brauchbare Philosophie wird diese praktische Wissenschaft erst reif, wenn sie auf dem Wege des Wechsels zwischen empirisch-analytischer Untersuchung und synthetischer Zusammenfassung schliesslich eine „exakte“ Wissenschaft geworden ist (Vergl. Band I, Einleitung S. 3—14). Ebensowenig konnten hier alle Details bis zur fertigen juristischen Formulierung ausgearbeitet werden. Ein „System der politischen Oekonomie“ muss notwendigerweise ein Globus der politischen Fragen sein. Bei der heutigen fast unübersehbaren Fülle von Monographien tut die Zusammenfassung zu einem organischen Ganzen am meisten not. Bei der heute herrschenden Vorliebe, überall Spezialfragen zu wittern und sie als solche zu behandeln, ist der vereinigende Beweis am dringendsten erforderlich, dass es auf wirtschaftlichem Gebiete gar keine eigentlichen Spezialfragen gibt. Es gibt nur ein spezielles Material. Aber jede Schlussfolgerung daraus darf schon nicht vergessen, dass ein Mensch kein Mensch ist! Es gibt keine volkswirtschaftlichen Fragen, die nur die Arbeiter, nur die Landwirte, nur die Industrie, nur den Handel oder die Bankwelt angehen. An jeder volkswirtschaftlichen Frage sind alle Menschen interessiert vom letzten Bettler bis zur Majestät. Ein solcher Beweis kann mit Aussicht auf Erfolg nur geführt werden, wenn die Beweisführung sich in solcher Kürze hält, dass der Durchschnittsleser am Ende ungefähr noch weiss, was er am Anfang gelesen hat. Deshalb namentlich sind aus den ursprünglich geplanten zehn Bänden nur drei Bände geworden. Der logische Aufbau dieses Systems bietet ausserdem den Vorteil, die Antwort auf eventuell nicht behandelte Fragen leicht aus dem Zusammenhange erschliessen zu können. Wohl aber mag in diesem Schlussworte der Nachweis am Platze sein, wie die hier vertretenen systematischen Anschauungen nach und nach geworden sind: Im Herbst 1882 schickte ich meine nationalökonomische Erstlingsarbeit dem ehemaligen österreichischen Minister Albert Schaeffle mit der Bitte, sie zu beurteilen. Auf Schaeffles Anregung folgten dann zwei weitere Abhandlungen nach, die alle in der „Tübinger Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ (1883) erschienen sind. Schaeffle nennt diese Erstlingsarbeiten auf Seite 11, Note 2, seiner „Inkorporation des Hypothekarkredites“ (1883) „grossgedacht und weitblickend.“ In diesen Abhandlungen war bereits „der Buchwert oder Sachverhalt als wahrer Wert“ vertreten, ferner die Theorien: dass die Lohnfrage in erster Linie als Wert des Arbeitsprodukts des selbständigen Mittelstandes zu behandeln sei — dass dieser Arbeitslohn dann als volkswirtschaftlicher Lohnregulator für die Hilfsarbeiter funktionieren müsse und zwar durch Organisation des Aufsteigens der besseren Lohnarbeiter in eine selbständige Position — dass es an der Zeit wäre, den Individualkredit der Landwirte im Interesse einer rationellen Beseitigung des Wuchers durch eine gesellschaftliche Organisation des Kredits zu ersetzen — und dass die moderne Ordnung des Marktes mit landwirtschaftlichen Grundstücken einheitlich durch ganz Deutschland erfolgen müsse. Ich hatte damit zumeist Gedanken Ausdruck gegeben, welche Schaeffle in seiner Studierstube etwa gleichzeitig formuliert hatte. Seine „Inkorporation des Hypothekarkredits“ (1883 erschienen) schlug die Aufhebung der Individualhypothek vor und enthält folgende charakteristische Sätze: „Der Staat könnte entweder durch die Aufsichtsbehörden oder durch die Landes- und Reichskorporationsausschüsse selbst fortlaufende öffentliche Nachweisungen der Pacht- und Eigentumsbewegungen des ganzen Reiches besorgen lassen, womit der wahre Landmarkt geschaffen wäre“ (S. 35). — „Nicht der Ertrag von Arbeit und Kapital am Rande des isolierten Staates (von Thünen), noch der Ertrag des Rodungslandes am Rande der Zivilisation in Kolonialländern ist als die naturgemässe Vergeltung produktiver Arbeit und produktiver Kapitalnutzung anzusehen, sondern der wirkliche Ertrag dieser beiden auf jedem einzelnen Gute ist die naturgemässe Vergeltung der produktiven Arbeit und Kapitalnutzung gerade auf diesem Gute“ (S. 71) usw. Es war mir sofort klar, dass diese neuen nationalökonomischen Lehrsätze erst dann ihre eigentliche Bedeutung enthüllen könnten, wenn sie systematisch zu Ende gedacht würden. Deshalb habe ich schon 1885 an Schäffle die erste Disposition zu meinem „System“ einschicken können, die ich im wesentlichen bis heute beibehalten habe. Zunächst aber handelte es sich darum, durch eine lange Reihe von Monographien, zumeist auf der Basis einer Augenscheinnahme an Ort und Stelle, die vielen Vorstudien zu diesem Systeme auszuführen. 1885 erschien mein zweites Buch „Ueber das natürliche Wertverhältnis des landwirtschaftlichen Grundbesitzes“. Meine praktischen Vorschläge habe ich in dem Bericht an die 26. Wanderversammlung bayerischer Landwirte über „Die Lösung der landwirtschaftlichen Kreditfrage im System der agrarischen Reform“ (1886) an die Bedürfnisse der Praxis besser anzupassen versucht. Inzwischen war ich immer noch der Meinung, dass der Rückgang der Getreidepreise etwas Vorübergehendes sei, wie der Wandel guter und schlechter Jahre. Je mehr gleichzeitig die praktische Agrarpolitik sich auf das Thema „Getreideschutzzölle“ beschränkte, desto energischer war ich bemüht, im Einklang mit meiner praktischen Erfahrung als Landwirt die zu hohen Grundpreise mit den zu hohen Grundschulden als die eigentliche Ursache der landwirtschaftlichen Notlage zu erweisen. So namentlich in einer Reihe von Spezialabhandlungen, welche 1882 bis 1886 in der Zeitschrift des landwirtschaftlichen Vereins für Bayern erschienen sind. Im Jahre 1887 konnte ich zum ersten Male in einer von der landwirtschaftlichen Hochschule in München preisgekrönten Abhandlung die Ueberwälzung der Zölle auf das Ausland nachweisen. Diese, der herrschenden wissenschaftlichen Theorie entgegenstehende, Tatsache liess die Preisbildung der landwirtschaftlichen Produkte als ein selbständiges Problem neben der Preisbildung und Verschuldung der landwirtschaftlichen Grundstücke erscheinen. Die Bearbeitung des Themas: „Handel und Verkehr mit landwirtschaftlichen Produkten in den letzten hundert Jahren in Bayern“ in einer offiziellen Denkschrift eröffnete mir den historischen Werdegang. Um auch die Gegenwart überschauen zu können, plante ich eine Studienreise durch die wichtigsten Getreideproduktionsländer der Erde. Schaeffles Gutachten an den Reichskanzler Fürst Bismarck, sagte: dass ich für diese Aufgabe der „bestvorbereitete deutsche Nationalökonom“ sei. Nicht weniger günstig lautete das Gutachten des Professor von Helferich in München für den Bayerischen Landwirtschaftsrat. Besondere Bedeutung schien Fürst Bismarck dem Umstande beizulegen, dass ich als Agrarier „nicht viel“ von den Schutzzöllen gehalten habe. Gut! Ich sollte bessere praktische Vorschläge als die Zölle von meinen Reisen zurückbringen. Auf einer mehrjährigen Tour (1888, 1889 bis 1890 im Frühjahr) habe ich dann eine gewaltige Summe von Eindrücken und Materialien gesammelt, aber es war unmöglich, daraus sofort ein neues positives Programm zu extrahieren. Die nächsten Schlussfolgerungen waren negativer Art. Als Fürst Bismarck aus dem Reichskanzleramte ausgeschieden war, gab ich im Juni 1890 ein sehr entschiedenes Gutachten an das Auswärtige Amt ab dahingehend, dass die geplante Getreidezollermässigung in hohem Masse bedenklich sei, weil weitere Preisrückschläge für Getreide sehr wahrscheinlich bevorstehen. In einer anderen Untersuchung (1891) erbrachte ich den Nachweis, dass statt eines Rückganges eine wesentliche Zunahme der internationalen Goldproduktion sicher zu erwarten sei. In weiteren Abhandlungen musste ich der damals allgemeiner behaupteten Ueberproduktion in landwirtschaftlichen Produkten entgegentreten usw. Als ich dann im Herbst 1894 als „wissenschaftlicher Berater“ in die Getreidehandelskommission des Bundes der Landwirte berufen wurde, vertrat ich folgende Thesen:
Es ist bekannt, dass im Sommer 1896 das gesetzliche Verbot des Börsenterminspiels in Getreide im Deutschen Reichstage mit 200 gegen 33 Stimmen beschlossen wurde. Inzwischen war von mir — mit Zustimmung des Vorstandes des Bundes der Landwirte — dem preussischen Finanzminister, Dr. von Miquel, ein Memorandum über die mögliche Verbilligung des landwirtschaftlichen Personalkredits am 1. Februar 1895 überreicht worden, worauf bereits am 1. Oktober 1895 die „Preussenkasse“ ihre segensreiche Tätigkeit begann. (Siehe: Ein Dokument zur Entstehungsgeschichte der Preussenkasse in Klapper’s Agrarzeitung vom 31. Juli 1904). Im Sommer 1895 erhielt ich vom Bundesvorstande den Auftrag und die Vollmacht, mit den landwirtschaftlichen Organisationen in Oesterreich und Ungarn, dann mit anderen Ländern, über den Inhalt meiner vorstehenden sechs Thesen zu verhandeln. Das Resultat war die besondere Vorbereitung des „Internationalen Méline’schen Agrarkongresses vom September 1896 in Budapest“, auf welchem die aufgestellten Thesen begeisterte Zustimmung erfahren haben. Die gleichzeitig angestrebte Gründung eines „Internationalen landwirtschaftlichen Organes“, das speziell der Preisbildung der landwirtschaftlichen Produkte gewidmet sein sollte, gelang noch nicht. Berlin war als Sammelpunkt der internationalen landwirtschaftlichen Vereinigung noch zu wenig beliebt. „Die Wirtschaftspolitik des Vaterunser“ (1895) brachte mich auf Wege, welche zu meiner Ueberraschung mich erkennen liessen, dass mein Buch– oder Sachwert des landwirtschaftlichen Grundbesitzes mit der uralten Lehre von der Aequivalenztheorie identisch ist. Das Leiter-Corner-Jahr 1897/98 mit seinen wesentlich höheren Getreidepreisen, hat endlich international mit der falschen Getreideüberproduktionstheorie aufgeräumt. Meine Berufung nach Freiburg in der Schweiz bot Gelegenheit, von diesem neutralen Boden aus eine internationale Vereinigung der Agrarier zu versuchen. Die Regierung des Kanton Freiburg (Schweiz) und insbesondere Staatsrat Python, haben mir dabei die weitgehendste Unterstützung zugewendet. Ich konnte eine Getreidepreiswarte mit fünf Assistenten in Freiburg (Schweiz) einrichten, „Monatliche Nachrichten zur besseren Regulierung der Getreidepreise“ (1906) in deutscher, französischer und englischer Sprache erscheinen lassen und von Russland bis nach Nordamerika und Indien verteilen. Im Juni 1900 kam, unter wesentlicher Teilnahme des Vorsitzenden des Bundes der Landwirte Dr. Roesicke, in Paris die Gründung der „Internationalen landwirtschaftlichen Vereinigung für Stand und Bildung der Getreidepreise“ unter dem Präsidium des Prinzen Georg zu Schönaich–Carolath, zustande. Aus der deutschen Ausgabe der „Monatlichen Nachrichten“ wurde vom 8. Oktober 1901 ab die in Berlin erschienene Wochenschrift „Getreidemarkt“, deren Bürokosten im Betrage von etwa 40'000 Mark pro Jahr hauptsächlich vom Bund der Landwirte bestritten wurden. Ohne diese Hilfsmittel und die dadurch erst mögliche, jahrelange tägliche Beobachtung der wichtigsten Weltmärkte der Erde wäre das Zuendeführen dieses „Systems“ nicht möglich geworden. Aus dem hier gesammelten Beobachtungsmaterial habe ich im Auftrage der „Internationalen landwirtschaftlichen Vereinigung“ 1904 die „Lehre von der Preisbildung für Getreide“ verfasst, die inzwischen auch in ungarischer, französischer, italienischer und russischer Uebersetzung erschienen ist. Im Herbst 1904 kam der Nordamerikaner David Lubin auf seiner Reise nach Italien durch Paris, wo ihm durch Herrn Dr. H. Hailer von meinen internationalen landwirtschaftlichen Bestrebungen erzählt wurde. Die bereits ausgearbeiteten Vorschläge einer Welt-Getreidestatistik gesellten sich so zu seinem Plane einer internationalen Anregung zur besseren Organisation der Landwirtschaft. Am 24. Januar 1895 richtete der König von Italien seine bekannte „Initiative über Anregung des David Lubin“ an den italienischen Ministerpräsidenten, um die Gründung der Welt-Agrar-Kammer in Rom in die Wege zu leiten. Die offizielle italienische Denkschrift, welche von der Leitung des, zur Gründung eines staatlichen Institutes einberufenen Kongresses in Rom (28. Mai 1905) veröffentlicht wurde, hat diese meine wesentliche Mitarbeit in vollem Umfange ausdrücklich anerkannt. Inzwischen hatte eine bedeutsame persönliche Konferenz mit Minister Buchenberger in Karlsruhe im Jahre 1901 stattgefunden. Mit diesem hervorragenden Staatsmanne stand ich seit 1883 in lebhaftem Briefwechsel und Schriftenaustausch. Buchenberger hat von mir in der Sitzung des Deutschen Reichstages vom 28. Oktober 1902 wörtlich erklärt: „Ein Nationalökonom, den Sie (zur rechten Seite des Hauses gewendet) zu den Ihrigen zählen, der seit Jahren für Ihre Interessen tätig ist, so viel ich weiss, auch im Interesse des Bundes der Landwirte tätig war, der das Studium der Getreideproduktion so zu sagen zu seinem Lebensberufe gemacht hat — hat vor längerer Zeit eine Schrift veröffentlicht, in der er auseinanderzusetzen sich bemühte, wie gefährlich der Optimismus der landwirtschaftlichen Bevölkerung sei, zu meinen, dass die agrarischen Leiden der Gegenwart gewissermassen aus dem einen Punkte des landwirtschaftlichen Zollschutzes sich heilen liessen“! — In meinen, von Freiburg in der Schweiz aus herausgegebenen internationalen „Monatlichen Nachrichten zur Regulierung der Getreidepreise“ habe ich im Jahre 1900 auf die „drohende kleinasiatische Konkurrenz“ für den Getreidemarkt hingewiesen und betont, dass dieselbe die Weizenpreise in Mitteleuropa auf 59 Mark pro 1000 Kilo herabdrücken könnte, wenn diese Entwicklung nach Analogie der „argentinischen Konkurrenz“ geleitet würde und dass dieser furchtbaren Gefahr gegenüber entweder durch entsprechend hohe Getreidezölle oder besser durch eine Aenderung in dem Entwicklungsverlaufe der kleinasiatischen Konkurrenz begegnet werden müsse. Die zuständigen Stellen haben den letzteren Weg gewählt, wie ich hier in Parenthese bemerken will. Mit diesem Minister Buchenberger hatte ich im Sommer 1901 eine längere persönliche Aussprache über mein politisches System. Der Minister machte mich darauf aufmerksam, dass ein durchgreifendes Agrarprogramm für sich allein nicht bestehen könne, ebenso wie es für Fachleute ausgeschlossen sei, die eine Hälfte des menschlichen Körpers einer gründlichen Kur zu unterziehen, ohne die andere Hälfte zu berücksichtigen. Schon die Schuldentlastung der landwirtschaftlichen Grundbesitzer sei bedenklich, so lange jederzeit eine neue Preiskrisis der landwirtschaftlichen Produkte eintreten könne, der unsere Zölle nicht gewachsen wären, oder der Zinsfuss bedeutenden Schwankungen unterliege, oder die börsenmässige Neugründung grosser Industrieen plötzlich wesentlich erhöhte Ansprüche an den heimischen Arbeitermarkt stellte. Ich gab zu, dass es deshalb notwendig sei, mein Agrarprogramm als „Reformprogramm für das ganze Volk“ zu Ende zu denken und zwar in Verbindung mit der Entwicklungsgeschichte aller bedeutsameren Kulturvölker. Buchenberger war daraufhin der Meinung, dass damit der Plan meines Systems zu gross würde, um durch die Arbeitsleistung eines Menschenlebens beendet zu werden. Nun ist es dennoch gelungen, zu Ende zu kommen, nachdem das Jahr 1906 noch dem Studium der Mühlensyndikate gewidmet worden ist. Aber diejenigen beiden deutschen Nationalökonomen, Schäffle und Buchenberger, welche auf den Werdegang dieses „Systems“ den weitgehendsten persönlichen Einfluss ausgeübt haben, deckt leider schon die kühle Erde. Und nun noch ein Wort an die praktischen Politiker, denen ich in erster Linie diesen letzten Band unterbreite. Seit Ende der 70er Jahre ist unsere Gesetzgebung eine Verlegenheitsgesetzgebung. Mit immer neuen Novellen und immer zahlreicheren Spezialgesetzen versuchen die fortwährend wechselnden Majoritäten in den Parlamenten den immer dringenderen Reformbedürfnissen gerecht zu werden, ohne Rechenschaft darüber, wo diese Massen von Spezialgesetzen enden werden. Unsere heutige Politik gleicht darin sehr den Restaurationsarbeiten am Glockenturm der Markuskirche in Venedig. Jahrhunderte hindurch hat sich hier die zuständige Bauverwaltung damit begnügt, alle neu entstandenen Risse und Abbröcklungen mit Mörtel zuzustreichen, ohne an eine gründliche Untersuchung der Fundamente heranzutreten, bis eines Tages der ganze Turm umgestürzt ist. Das Leben der Staaten und Völker erträgt erfahrungsgemäss keine Jahrhunderte lange Vernachlässigung der Fundamente, wenn die Wände erst einmal anfangen, rissig und brüchig zu werden. Athen hat im Jahre 477 v. Chr. den attischen Seebund gegründet und damit den Gipfel seiner Macht erreicht. Nur 73 Jahre später, nämlich im Jahre 404 v. Chr., musste es auf Gnade und Ungnade sich seinen Feinden ergeben. Rom hat im Jahre 168 v. Chr. die Eroberung der Mittelmeerländer vollendet. Nur 35 Jahre später (133 v. Chr.) beginnen schon die gracchischen Unruhen und 80 Jahre später (88 v. Chr.) die grossen Bürgerkriege. Portugal hat 1498 den Seeweg nach Ostindien gefunden und damit seine stolze Machtentfaltung als „Königin dreier Erdteile“ eingeleitet. Und schon 22 Jahre später wurden jene ungeheueren Korruptionen in seiner Kolonialverwaltung festgestellt, welche den Zusammenbruch dieser Weltherrschaft nicht nur begleitet, sondern direkt verursacht haben. Also wenige Jahrzehnte können im Volksleben nie wieder gut zu machenden Schaden anrichten. Seit etwa drei Jahrzehnten tastet unsere Zeit nach neuen wirtschaftspolitischen Prinzipien. Es dürfte deshalb gewiss nicht verfrüht sein, diese neuen zeitgemässen Grundsätze mit Bewusstsein in die gesetzgeberische Praxis einzuführen. Man hat die praktische Politik die „Kunst des heute Möglichen“ genannt und damit ihre täglichen Aufgaben richtig umgrenzt. Sache der Politik als Wissenschaft ist es, Bau und Leben der kommenden Staats- und Gesellschaftsordnung systematisch zu ergründen und darzustellen. Von diesem Wollen wurde der Werdegang dieses Buches geleitet. Es bietet den praktischen Politikern vor allem neue, gut fundierte prinzipielle Gesichtspunkte, welche als Richtschnur der politischen Tagesarbeit sofort dienen können. Dieser Band bietet ferner den Nachweis des organischen Zusammenhanges der verschiedensten Einzelfragen. Die immer eilige Praxis lässt diesen Zusammenhang leicht ausser Acht und vernachlässigt damit das Wesentliche des Begriffes „volkswirtschaftliches Leben“. Auch dieser Nachweis ist hier niedergelegt worden. Wenn aber endlich die Zeit der volkswirtschaftlichen Spezialfragen und des volkswirtschaftlichen Spezialistentumes überwunden sein wird und die praktisch-politische Tagesarbeit dann im Rahmen eines, von der Mehrheit gebilligten Zukunftsplanes sich abspielt, dann hoffe ich, dass in den deutschen Parlamenten sich möglichst Viele der Worte eines Schiller erinnern: „Das ist kein Mann, der, wo das Grössere zu gewinnen ist, am Kleinen sich genügen lässt!“ Berlin, im Februar 1908. |
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