Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte ...

The Way to Grow Poor ...
Quelle: Published by Currier and Ives, 1875

Dieser Text wurde einem Prospekt des
Kairos Verlages, Berlin,
entnommen.
(Undatiert, wahrscheinlich um 1910.)

Was ist ein Agrarier
im wissenschaftlichen Sinne ?

Freihändler behaupten vielfach: ein Agrarier sei ein Schutzzöllner. Es mag sein, daß diese Freihändler wünschten, dem wäre so. Dann würde ihr Kampf gegen die Agrarier wesentlich leichter sein. Aber schon ein kurzes Nachdenken lässt erkennen, daß doch das alte System des Freihandels noch um vieles mehr bedeutet, als nur den zollfreien Handel über die Staatsgrenzen. Der Freihandel fordert freies Handeln für jeden nach Maßgabe seiner Privatinteressen auf allen Gebieten. Der Freihändler im wissenschaftlichen Sinne ist deshalb prinzipieller Individualist. Das freie Individuum gestaltet sich nach dieser Auffassung alles nach seinem Belieben, sogar auch seinen Gottesbegriff. Und von dieser unterschiedslosen freien egoistischen Betätigung erwartet der freihändlerische Glaube die beste Harmonie aller Interessen. Wenn aber der Freihandel eine solch systematische Weltanschauung vertritt, dann müssen doch auch die prinzipiellen Gegner des Freihandels, die „Agrarier“ mehr vertreten, als nur die Forderung eines Zolles an den Staatsgrenzen.

Diese Vermutung findet durch folgende Tatsachen ihre Bestätigung: Vom Fürsten von Bismarck, dem ersten Kanzler des Deutschen Reiches, ist uns der Ausspruch erhalten: „Ich weiß, daß die vorgeschlagene Zollerhöhung die Frage der Erhaltung des Bauernstandes nicht lösen wird, aber ich habe bis jetzt noch niemand gefunden, der mir ein besseres Mittel hätte vorschlagen können!“ (Ruhland: System der politischen Oekonomie, Bd. I, S. 35.) Hier bezeichnet Fürst Bismarck ganz deutlich die Zölle als unzureichenden Inhalt der agrarischen Bewegung.

Als der Geheimrat und Universitätsprofessor Dr. Riesser seine Eröffnungsrede bei Gründung des neuen Hansabundes im Zirkus Schumann hielt, da hatte er das Bedürfnis, Hansabund und agrarische Bewegung nach ihrem tieferen prinzipiellen Inhalte zu formulieren. Und das tat Riesser unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Ruhlands „System“ etwa mit den Worten: „Zurück von der ganzen Richtung des modernen Liberalismus zu dem nationalen geschlossenen Agrar- und Polizeistaat!“ Der Hansabund aber, dessen Lebensinteresse die freie Bewegung und der freie Verkehr, dessen Lebensbedingungen der mit allen Staaten der Welt in freiem Wettbewerb stehende Rechts- und Verfassungsstaat ist, kennt nur die Parole: „Vorwärts auf diesem Wege!“ In diesen Worten liegt offenbar mehr, als nur die Unterscheidung „Schutzzölle — oder keine!“ Die Unterscheidung lautet vielmehr nach Riesser: hier immer weiter im freien liberalen Verfassungs- und Rechtsstaat — und dort zurück zu dem national gebundenen und geschlossenen Agrar- und Polizeistaat! — Aber Riesser hat sich bei dieser Formulierung geirrt. Den „geschlossenen Agrarstaat“ will niemand. Und der alte „Polizeistaat“ war eine Organisation des Volkes im Interesse des absoluten Fürsten. Die agrarische Bewegung aber will — wissenschaftlich gesprochen — eine neuzeitliche Organisation des ganzen Volkes auf der Basis einer besseren idealeren Gerechtigkeit!

Diese ganz andere Formulierung dessen, was ein Agrarier im wissenschaftlichen Sinne ist, bietet sich an Hand der Schriften von Professor Dr. Gustav Ruhland, die unser Verlag von fünf verschiedenen Verlagsbuchhandlungen — H. Laupp’sche Buchhandlung in Tübingen, Paul Parey in Berlin, Ernst Hofmann & Co. Berlin, Wilhelm Issleib in Berlin und Puttkammer & Mühlbrecht in Berlin — zusammen erworben, um diese Veröffentlichungen allen Interessenten leichter zugänglich zu machen.

Ruhland gehört zu jenen vereinzelten Nationalökonomen, die ihre Schriften in der Hauptsache nicht aus Büchern Anderer, sondern aus Selbsterlebtem schöpfen. Für den Entwicklungsgang seiner Ideen lassen sich deshalb drei Perioden unterscheiden:

  1. bis zum Besuch der Universität (1886),
  2. die Verarbeitung der Studien seiner Weltreise (1893/95) und
  3. seit seinem Eintritt in den Bund der Landwirte als „wissenschaftlicher Berater“ (von 1895 ab) und damit in eine Tätigkeit, welche die Vorteile der innigsten Berührung mit der praktischen Politik der Gegenwart gewährleistete.

In der ersten Periode verarbeitet der Bauernsohn Ruhland seine Erfahrungen bei den Versuchen, sich als Landwirt selbständig zu machen. Seine Erstlingsschrift:

1. „Agrarpolitische Versuche vom Standpunkt der Sozialpolitik“ (1882/83 erschienen 168 S.) zeigen ihn sofort als prinzipiellen Gegner des Freihandels. Er schließt sich der organischen Auffassung der Volkswirtschaft an, wie sie schon Plato und Aristoteles und nach ihnen alle großen Denker der folgenden Jahrtausende bis auf Trendelenburg und Albert Schäffle vertreten haben. Unus homo nullus homo! Deshalb erklärt es Ruhland von Anfang an als irrig, den einzelnen Landwirt aus seinem sozialen Milieu heraus zu reißen und in seiner Isoliertheit politisch zu betrachten. Innerhalb dieses sozialen Milieu aber zwingt nach Ruhland der herrschende freihändlerische Geist unserer Gesetze den einzelnen Landwirt in bäuerlichen Gegenden zur Ueberzahlung seiner Grundstücke und zur Ueberschuldung derselben. Nicht der einzelne Landwirt, sondern der freihändlerische Geist der geltenden Gesetze ist deshalb für die zu hohen Grundpreise und die zu hohen Grundschulden verantwortlich zu machen. Und die rechte Abhilfe kann nur darin bestehen, daß dieser soziale Irrtum der Freihandelslehre beseitigt wird durch eine öffentlich rechtliche Organisation des Marktes der landwirtschaftlichen Grundstücke wie durch eine öffentlich rechtliche Organisation des landwirtschaftlichen Kredits. Nur so könnte die beste Bewegung der Grundbesitzverteilung gesichert und ein schuldenfreier Bauernstand in absehbarer Zukunft erreicht werden. Das alles ruhte auf seinem neuen Wertbegriff: dem Buch- oder Sachwert „unter Brüdern“. Und damit war der konstruktive Ausgangspunkt für ein neues System der politischen Oekonomie schon gefunden, das sofort in der Lehre von dem Arbeitseinkommen der selbständigen Landwirte als „volkswirtschaftlicher Lohnregulator“ seinen markanten Ausdruck fand. So das Erstlingsbuch von Ruhland, das ohne jede Universitätsbildung hinter dem Pflug und der Sense entstanden war.

Kein Geringerer als Minister Albert Schäffle veranlaßte die Veröffentlichung dieser Erstlingsarbeit und nannte sie in seiner bald darauf erschienenen „Inkorporation des Hypothekarkredits“ (1883) (S. 11, Anm. 2) „grossgedachte und weitblickende Abhandlungen“. Schäffle selbst akzeptierte in dieser seiner „Inkorporation“ die Forderungen einer öffentlich rechtlichen Organisation des Grundmarktes (S. 35) wie der Grundverschuldung. Schäffle akzeptierte ferner den Gedanken, daß der naturgemäße Arbeitslohn nur bei dem Vollarbeiter, der zugleich Eigentümer seiner Produktionsmittel ist, erkannt werden könne (S. 71).

Ruhland schrieb jetzt vor seinem Besuch der Universität noch:

2. „Das natürliche Wertverhältnis des landwirtschaftlichen Grundbesitzes in seiner agrarischen und sozialen Bedeutung“ (1885, 156 Seiten) eine mehr philosophische Begründung seiner Wertlehre, die Minister Buchenberger als „die beste Schrift dieser Art in unserer Literatur“ bezeichnete und
als Bericht einer Kommission, der auch Schäffle und Buchenberger angehörten:

3. „Die Lösung der landwirtschaftlichen Kreditfrage im System der agrarischen Reform“ 1886. — Dieser dritten Schrift widmete Schäffle in der Beilage der „Münchner Allgemeinen Zeitung“ zwei Leitartikel, von welchem der einleitende Absatz (28. Mai 1886) wie folgt lautet:

„Eine Kommission hat die landw. Kreditfrage vorzubereiten gehabt. Dieser Arbeit verdankt man eine Schrift von Ruhland, die wie keine zweite geeignet ist, über den ganzen Umfang der schwebenden Agrarfragen und Agraragitationen Jedermann eine Fülle von Aufklärung und vollständige Orientierung zu geben. Durchaus gemeinverständlich, dabei knapp, gleichwohl schön geschrieben und leicht zu lesen, schneidig in der Sache, maßvoll und niemals verletzend in der Form, ohne Furcht vor Vorurteilen, die hüben und drüben walten, ohne Wohldienerei gegen die landläufigen Parteischlagworte und gegen die volkstümlichen Glücksverheißungen, verdient die Schrift die allgemeinste Beachtung, besonders die Beachtung der praktischen Politiker, der Staatsmänner und Gesetzgeber und die volle Beachtung der Tagespresse. Nirgends ist für die neuesten Agrarfragen auf so engem Raume so viel Material so unparteiisch wie scharfsinnig dargestellt und beurteilt, so gründlich und so unpersönlich den einseitigen Standpunkten und egoistischen Klassenbestrebungen heimgeleuchtet, wie in der vorliegenden nur 160 Seiten fassenden Broschüre.“

Während der Universitätsjahre Ruhlands war zu der nordamerikanischen und russischen Konkurrenz rasch diejenige der unteren Donauländer, sowie die ostindische und australische Konkurrenz noch hinzugekommen. Die Preise der landwirtschaftlichen Produkte sind damit immer tiefer gefallen. Das agrarische Problem war nicht mehr nur ein Problem der öffentlich-rechtlichen Ordnung des Grundstückverkehrs und des landwirtschaftlichen Kredits, es war auch ein Problem der Preisbildung der landwirtschaftlichen Produkte geworden. Um diese neue Seite der Agrarfrage kennen zu lernen, war vor allem genaue Kenntnis dieser auswärtigen Konkurrenzländer erforderlich. Deshalb waren Ruhlands Universitätsjahre hauptsächlich der Vorbereitung dieser Weltstudienreise gewidmet, wozu der Reichskanzler Fürst Bismarck ihm ein Reichsstipendium gewährte. Die erste Verarbeitung dieser Studien findet sich niedergelegt, in

4. Ruhlands Habilitationsrede an der Universität Zürich über „die Grundprinzipien aktueller Agrarpolitik“ vom 4. August 1893 (20 Seiten). In dieser Rede heißt es vor allem: „Die agrarpolitischen Ideen des Freihandels und der internationalen Arbeitsteilung gehören vielleicht zu den gefährlichsten Irrtümern, die der menschliche Geist je geboren (S. 8). Es gibt keine Ueberproduktion in Getreide und es gibt noch weniger auf der ganzen Welt ein Agrarland, das die Absicht hätte, dauernd seine Ueberschüsse an landwirtschaftlichen Produkten an die mitteleuropäischen Industriestaaten gegen industrielle Produkte auszutauschen. Es ist deshalb ein geradezu verhängnisvoller Irrtum, politisch den Weg des industriellen Reichtums zu betreten mit dem Glauben, die Interessen der getreidebauenden Landwirte missachten zu können (S. 9). Jedes höher entwickelte Kulturland muß seine Brotversorgung im eigenen Lande unter allen Umständen zu erhalten suchen. Dazu bedarf es einer neuzeitlichen Ordnung des Getreideverkehrs und einer Beseitigung des Freihandels im Grundstücksverkehr wie im Grundkreditwesen. Einstweilen aber ist, bis zu diesen Reformen der Getreideschutzzoll noch unbedingt beizubehalten (S. 12).

Die gleichen Ideen wurden noch umfassender ausgeführt in seinem

5. „Leitfaden zur Einführung in das Studium der Agrarpolitik“ (61 Seiten), 1894, der gleichzeitig auch eine motivierte Ablehnung der Theorien des Sozialismus enthält.

Im Sommer 1894 lernte Ruhland durch einen Zufall die nationalökonomischen Theorien der ersten Theologen des Mittelalters kennen und fand darin zu seiner Freude eine Bestätigung seines Wertbegriffes (Sach- oder Buchwert) und seiner organischen Auffassung der Volkswirtschaft. Beides schien den modernen Theologen verloren gegangen zu sein. Um darauf die Theologen aufmerksam zu machen, schrieb Ruhland die kleine Schrift (87 Seiten):

6. „Die Wirtschaftspolitik des Vaterunser“, welche nach einer Kritik im „Deutschen Reichsanzeiger“ eine Verschmelzung des echt christlichen Geistes mit dem nationalökonomischen Denken bedeutet. Der Mangel solcher Aeußerungen in unserer Literatur ist erst noch auf dem jüngsten Evangelisch-Sozialen Kongress zu Heilbronn bitter beklagt worden.

Im Oktober 1894 trat Ruhland zu dem Bund der Landwirte in engere Beziehungen als „wissenschaftlicher Berater“. In seiner Habilitationsrede vom 4. August 1893 hatte er der Ueberzeugung Ausdruck verliehen, daß die auswärtige Getreidekonkurrenz eine nur vorübergehende Erscheinung sei. In seinem Leitfaden hieß es: „Die Getreideernte der Erde ist auf dem besten Wege, unter den Getreidebedarf der Völker herabzusinken.“ Und gerade jetzt, in den Jahren 1894 und 1895 war der Getreidepreis durch die neueste argentinische Konkurrenz auf einen so unerhörten Tiefpunkt herabgedrückt worden, daß selbst Landwirte, welche einen ganz schuldenfreien Grundbesitz ihr Eigen nannten, bei einem Andauern dieser Preislage zu verarmen drohten. Was war die Ursache? Eine internationale Ueberproduktion in Getreide war auch jetzt nicht nachweisbar. Das wurde auf dem ersten internationalen Agrarkongress in Budapest (September 1896) von allen Seiten bestätigt. Zur Erforschung dieser ungemein wichtigen Frage wollte Ruhland eine internationale Aufklärungsvereinigung der Landwirte aller Länder zustande bringen. Von Berlin aus versagte dieser Versuch. Besser ging es von Freiburg in der Schweiz aus. So kam die Getreidepreiswarte zu Freiburg in der Schweiz (1898) zustande, welche im Sommer 1900 zu einer internationalen landwirtschaftlichen Vereinigung in Paris führte, eine Fachzeitschrift zur Information über den Getreidemarkt in deutscher, französischer und englischer Sprache erscheinen ließ, auf Grund von Korrespondenten in den wichtigsten Weltteilen und unter Mithilfe von tüchtigen Hilfsarbeitern im Zentralbureau. Die sehr erheblichen Kosten dieser Getreidepreiswarte mit ihren täglichen Beobachtungen der wichtigsten Getreidemärkte wurden zunächst namentlich vom Bund der Landwirte, ferner vom Kanton Freiburg (Schweiz), von der Organisation der französischen Landwirte usw. aufgebracht. Als später nur noch die deutsche Zeitschrift übrig geblieben war und die Uebersiedlung dieser Preiswarte nach Berlin erfolgte, wurde dieses Institut lediglich vom Bund der Landwirte, bezw. aus Bundeskreisen unterhalten. Und die Antwort auf die gestellte Frage lautete:

„Die argentinische Konkurrenz ist in besonderem Maße das Resultat der Oberleitung des Unternehmergeistes der Nationen durch die Großbanken, wobei alle Beteiligte schwere Verluste zu tragen hatten und nur die Banken reiche Gewinne einheimsten. Auf diese Tätigkeit der internationalen Gründerbanken führt sich die ganze Erscheinung der internationalen landwirtschaftlichen Konkurrenz seit 1856/7 zurück.“

Das wurde zunächst an der Hand von Spezialforschungen der Getreidepreiswarte in deren Fachorgan erwiesen, die zum Teil zusammengefaßt wurden in der Schrift:

7. „Die internationale landwirtschaftlichen Konkurrenz ein kapitalistisches Problem“ 1901 (58 Seiten). Die wirkliche Beseitigung dieses schweren Mißstandes gelingt nur mit der Beseitigung des Freihandels im Gold-, Geld- und Kreditverkehr durch öffentlich-rechtliche Organisationen. Die zweite Ruhland’sche Schrift dieser Art, welche speziell darauf berechnet war, die öffentlich-rechtliche Organisation des Getreideverkehrs vorzubereiten, ist

8. „Die Lehre von der Preisbildung für Getreide“ (179 Seiten) 1904, ein Buch, das inzwischen in italienischer, französischer, ungarischer und russischer Uebersetzung erschienen ist, und zwar ist die russische Uebersetzung von Alexander Wolkoff, Geschäftsführer des allrussischen Getreidemüllerverbandes und der Petersburger Getreidebörse. In Deutschland wurde auch dieses Buch von der nicht agrarischen Presse systematisch totgeschwiegen oder verhöhnt.

9. Endlich ist in den Jahren 1902 bis 1908 das dreibändige „System der politischen Oekonomie“ von Ruhland erschienen, von dem Minister Buchenberger nach dem Erscheinen des 1. Bandes gesagt hatte: es werde nie fertig werden, weil es zu gross angelegt sei.

Faßt man nach den Resultaten dieser mehr als 26jährigen Forscherarbeit Ruhlands die Antwort auf die Frage: was ist ein Agrarier im wissenschaftlichen Sinne? zusammen, so lauten diese wie folgt:

„Der herrschende freihändlerische Geist unserer Gesetzgebung führt deutlich sichtbar zur plutokratischen Entwicklung auch in Deutschland. Nordamerika wirft in dieser Richtung seine Schatten voraus. Der selbständige Mittelstand in Stadt und Land droht mehr und mehr vernichtet zu werden. Damit wird unser liberaler Rechtsstaat zu einer inneren Unwahrheit. Wenn wir also nicht Schrittmacher der Sozialdemokratie werden wollen, muss endlich an die Stelle des herrschenden „Individualismus“ die „organische“ Auffassung jedes Einzelnen wie der ganzen Volkswirtschaft treten. Wir arbeiten alle mit anvertrauten Gütern und mit den produktiven Kräften der sozialen Arbeitsgemeinschaft. Deshalb ist jede Art des wirtschaftlichen Erwerbs ein quasi–Amt, das die egoistischen Privatinteressen den dauernden Interessen der Gesamtheit unbedingt unterordnen und eingliedern muss! Unseren grösseren politischen Freiheiten für jeden Staatsbürger kann nur eine konsequente echte Mittelstandspolitik in Stadt und Land entsprechen, welche zu den Rechten des Einzelnen das Prinzip der ökonomischen Selbstverantwortlichkeit in möglichst zahlreichen Fällen gesellt. Ein wachsendes Proletariat auf der einen und wenige Plutokraten auf der anderen Seite, wie sie die heutige Entwicklungstendenz zeitigt, hat noch immer zum Verderben der Völker geführt.

Mit der grösseren Zahl der selbständigen Mittelstandsleute aber verknüpft sich notwendiger Weise die Forderung einer neuzeitlichen Organisation der ganzen Volkswirtschaft nach Zentralisation wie Dezentralisation, um die höchst möglichen Leistungen zu erzielen und Krisen in aller Zukunft zu verhüten. Die Art von volkswirtschaftlicher Organisation, die wir heute besitzen, ist eine kapitalistisch-plutokratische, die uns nach immer 7 bis 9 Jahren eine grosse allgemeine Krisis in der Volkswirtschaft bescheert, die Kapitalisten unmässig bereichert und den Fortschritt auf die Dauer hemmt. Wir brauchen deshalb eine Beseitigung dieser kapitalistischen Organisation unserer Volkswirtschaft durch eine wesentlich idealere Organisation, die von einer wahrhaft sozialen Auffassung in Rechten und Pflichten getragen wird und nach möglichster harmonischer Entfaltung aller Glieder des Volkes strebt.“

Wer diese politische Auffassung für Gegenwart und Zukunft vertreten will, ist ein Agrarier im wissenschaftlichen Sinne.

Die agrarische Parole heisst deshalb nicht „Rückwärts zum Polizeistaat“, sondern „Vorwärts zu einer ganz modernen sozialen Gesetzgebung für das ganze Volk“ statt, wie bisher nur für die Arbeiterklasse, was nach organischer Auffassung ein Unding ist!

Wer — Freund oder Feind — über diese wissenschaftliche Auffassung der Agrarbewegung besser orientiert sein will, als es heute die grosse Mehrzahl der Tageszeitungen mit den anerkannten nationalökonomischen Lehrbüchern ermöglichen, der lese die Schriften von Professor Ruhland.


Zurück zur Textübersicht

Valid HTML 4.01! Valid CSS!