Vorbemerkung und Literatur. Die
historische Literatur hat sich naturgemäß zu
allen Zeiten mit dem Problem der aufsteigenden und
niedergehenden Entwicklung der Völker
beschäftigt. Daß die historische Forschung in
diesen Fragen noch nicht zum Abschluß gekommen ist,
hat triftige Gründe. Einmal ist jedes Urteil eine
Sache des Vergleiches. Wer nur für wenige
Völker die Entwicklungsgeschichte übersieht,
wird auf dieses ungemein schwierige Problem kaum die
rechte Lösung finden. Ferner vermögen doch wohl
nur solche Historiker, welche eine Reihe von Jahren
hindurch in der politischen Praxis selbst beobachten
konnten, wie das Kleid der Geschichte gewoben wird, aus
den uns überlieferten Fetzen das Kleid der
historischen Vergangenheit zu rekonstruieren. Endlich hat
eine solche Arbeit zur Voraussetzung, daß die
Specialforschung einen ausreichenden Teil der Quellen
gesammelt, kritisch geprüft und übersichtlich
geordnet hat. Die Historiker der Gegenwart sind immer
noch mit der Sammlung und Verarbeitung der Quellen voll
beschäftigt. Es ist deshalb leicht zu verstehen,
daß das Entwicklungsgesetz der Völker noch
keine neuzeitliche Bearbeitung von dieser Seite gefunden
hat. Unsere großen nationalökonomischen
Lehrbücher behandeln heute immer noch die
Nationalökonomie zu ausschliesslich als „Lehre
von den wirtschaftlichen Erscheinungen“. So hat
sich diese wissenschaftliche Disciplin noch nicht zur
„Lehre vom gesunden und kranken
Volkskörper“ emporschwingen können. Um so
seltsamer klingt aus dem Munde eines Professors für
Nationalökonomie der Vorwurf, das Volk habe noch
nicht seine volle politische Reife gewonnen. So lange die
nationalökonomische Wissenschaft so wenig wie bis
heute unsere ent
wicklungsgeschichtliche Erkenntnis des
Völkerlebens gefördert hat, bleiben auch die
Vertreter dieser Wissenschaft in erster Linie für
die politische Unreife des Volkes verantwortlich. Nur
wenige begabtere Doctoranden und jüngere Gelehrte
haben den Mut gehabt, wenigstens die ökonomische
Entwicklungsgeschichte eines einzelnen Volkes in Angriff
zu nehmen. Zu diesen Arbeiten gehört z.B. Dr. Moritz Julius Bonn,
Spaniens Niedergang 1896. Die 199 Seiten fassende Schrift
ist am volkswirtschaftlichen Seminar der Universität
München nach 2 1⁄2 jährigem Bemühen fertig
geworden. Sie hat nach der Vorrede des Verfassers die
„unermüdliche Unterstützung der
Professoren Brentano und
Lotz“ gefunden, aber auch die
„reichen Bücherschätze des
Professor Karl Menger in Wien“
benutzt. Der Verfasser schickt trotzdem sein Buch mit
folgendem Klagelied in die Welt hinaus: „Die
vorliegende Arbeit wird sich in mancher Hinsicht kaum mit
dem üblichen Maße von Nachsicht, das man
Erstlingsarbeiten gern zugesteht, begnügen
können. Ich habe nichts Fertiges zu
bieten, sondern höchstens einen Versuch, der
Fragen aufwirft, sie aber nicht beantwortet.“
— Das ist doch wohl ein guter Beleg dafür,
daß solche Arbeiten nur bei einer mehr als
gewöhnlichen Energie des Denkens gedeihen.
Es muß eben deshalb immer wieder betont werden,
daß nur der streng logische
Zusammenbau des historischen Quellenmaterials uns
den Schleier lüften kann, mit welchem bis heute das
Warum? des Niederganges der Völker
verhüllt ist. Die chronologische
Darstellung bleibt eine Vorarbeit für
den logischen Aufbau des
Volkslebens. Um für die Theorie diese
historische Methode in ein bestimmtes Wort zu kleiden,
möchte ich sie als „Halmtheorie der
Geschichtsschreibung“ bezeichnen. Es muss
möglich sein, zu Anfang das Samenkorn nachzuweisen,
das in einen bestimmten Boden eingesenkt wurde, und zu
zeigen, wie sich aus diesem Samenkorn nach und nach
Blatt, Stengel, Blüte und Frucht
mit organischer Notwendigkeit entfaltete. Wie das aus dem
Boden aufwachsende Blatt Stengel, Blüte und Frucht
schon enthält, so sind auch im Völkerleben die
aufeinander folgenden Entwicklungsperioden in den
Anfängen schon im Keime gegeben und wachsen daraus
mit organischem Zwange hervor. Es ist deshalb für
jede logisch organische Entwicklungsdarstellung
unmöglich, in der heute üblichen Weise
Geschichtsabschnitte nach bestimmten Jahren gelten zu
lassen. Die Entwicklungs
abschnitte müssen als
logische Kategorien erfaßt und
verstanden werden. Aufgabe der Darstellung wird es sein,
zu zeigen, wie diese verschiedenen Perioden sich
gegenseitig als Ganzes bedingen und tragen.
In diesem Sinne scheiden wir die Entwicklungsgeschichte
des christlichen Abendlandes in 6 Hauptabschnitte:
Ausbildung des fränkischen Kaiserreiches,
Lehensstaat, Entstehung der Geldwirtschaft und des
Kapitalismus, der Kapitalismus in der Kirche, der
Kapitalismus auf dem Fürstenthrone und der
Kapitalismus in der Gesellschaft.
Die benutzte Literatur war für
diesen Abschnitt eine so gewaltige, daß an dieser
Stelle nur eine Auslese davon genannt werden kann. Wie
die früheren Darstellungen, so wurde auch diese
Ausarbeitung von verschiedenen Specialisten und
Vertretern verschiedener Richtungen einer
freundlichen Durchsicht und einer wohlwollenden Korrektur
unterzogen, wofür auch an dieser Stelle mein
aufrichtiger Dank zum Ausdruck gebracht werden
soll. Eine andere Art glücklicher Arbeitsteilung
wird sich für ein „System“
kaum auffinden lassen. Jene Fachmänner aber, welche
bei einer modernen Zusammenfassung der
Nationalökonomie sich stolz nur auf ihr eigenes Ich
verlassen, beneide ich nicht um die Gefühle, die sie
beschleichen müssen, wenn sie nach einigen Jahren
ihre Arbeit wieder mit ehrlichem kritischen Auge
durchsehen.
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* * *
§ 1. Durch das Zusammenwirken einer
ungewöhnlich großen Zahl von
Faktoren während eines nicht minder
ungewöhnlich langen Zeitraumes ist
jenes historische Gebilde entstanden, das die
Weltgeschichte als „christliches
Abendland“ bezeichnet.
Eine Vielheit von germanischen
Volksstämmen wanderte, ohne jede einheitliche
Führung, vom Norden und Osten nach dem Süden
und Westen Europas zu einer Zeit, in welcher
das römische Weltreich längst
alle Symptome des unabwendbaren Verfalles in
seinen volkswirtschaftlichen wie politischen
Verhältnissen zeigte. Dieses
Zusammenbrechen der Römerherrschaft ist dadurch
wieder hinausgeschoben worden, daß
seit 180 n. Chr. etwa, unter Marc Aurel auch
germanische Volksstämme in den
römischen Reichsverband aufgenommen
wurden und germanische Heere jene Siege errungen
haben, welche die Geschichte noch als
„römische Siege“ verzeichnet. Erst
nachdem der Vandale und römische
Reichsverweser Stilicho seit 400 n. Chr. die
Legionen von der Rheingrenze zur besseren
Verteidigung Italiens gegen den furchtbaren Westgoten
Alarich fortgezogen hatte, fluteten die
Scharen der Germanen ungehemmt herein über
Gallien und Spanien, besetzten
allmählich Britannien, um in diesen
reichen Ländergebieten ihre, auf der
Naturalwirtschaft ruhenden Staaten zu gründen.
In dem Volkskörper des absterbenden
Römerreiches hatte sich das mächtig
aufstrebende Christentum ausgebreitet, das
nach den vorbereitenden Maßnahmen Konstantins
des Großen endlich durch Kaiser
Theodosius gegen Ende des IV. Jahrhunderts als
Staatsreligion anerkannt und seitdem mit der
politischen Organisation des römischen Staates
auf’s Engste verknüpft
wurde. Das
Stadtgebiet, die Civitas wurde als
unterste Verwaltungseinheit des
römischen Reiches, Diözese des
Bischofs und damit grundlegende Verwaltungseinheit
für die Kirche. Ueber dem Stadtgebiet stand in der
Reichsverfassung die Provinz mit dem
Provinzialstatthalter. Die Bischofsdiözesen der
Reichsprovinz vereinigten sich dementsprechend unter der
Oberleitung des Metropoliten d. h. des
Bischofs der Provinzialhauptstädte
zu einer Kirchenprovinz. Mehrere Provinzen bildeten in
der Reichsverfassung seit dem IV. Jahrhundert eine
Reichsdiözese unter einem kaiserlichen
Statthalter (vicarius). Auch diese Reichsdiözese
tritt seit dem IV. Jahrhundert in der kirchlichen
Organisation als das Gebiet eines Patriarchen auf, dem
die Metropoliten der Provinzen einer Reichsdiözese
untergeben sind. Dem Gesamtreichsverband
entsprach endlich der Gesamtverband der
Kirche, als dessen legitimes Organ zunächst
das Reichskonzil, das sogenannte
„ökumenische Konzil“
erschien. Der Trennung des Römerreiches
in zwei Hälften folgte bald die
Kirchentrennung. Im
oströmischen Reiche mit seinem strengen
Absolutismus krönte den Bau der Kirche
ein weltliches Haupt. Im weströmischen
Reiche behielt die Kirche einen kirchlichen
Vorstand, dessen Stellung unter dem Zauber der
weltgeschichtlichen Ueberlieferungen der Stadt
Rom auf die Dauer nicht dem Oberhaupte in Byzanz
nachgeordnet bleiben konnte. Der Fall des
weströmischen Reiches unter den
Hammerschlägen der germanischen Völkerwanderung
bedeutete dann für die römische Kirche
Befreiung aus den Fesseln des byzantinischen
Absolutismus. Die Freiheit der Kirche
ermöglichte ihr die so außerordentlich
gestaltungsreiche Fortentwicklung. Der starre Zwang des
oströmischen Absolutismus ließ
auch die christliche Kirche im Orient im
Formalismus verknöchern. So hat das
absterbende Römerreich als großes
Vermächtnis an die Zukunft
seine Verfassungsformen auf die mit neuer
Kraft sich ausbreitende christliche Kirche
übertragen.
§ 2. Indeß hatte die römische
Kirche nicht nur die Verfassung des
Römerreiches mit den historischen Traditionen Roms
übernommen und den Kulturreichtum des Altertums
bewahrt, sie verfügte auch über
ein vollständig ausgearbeitetes
volkswirtschaftliches Programm, das nach den
Grundsätzen des Christentums aus jenen furchtbaren
ökonomischen Misständen abgeleitet
war, welche den Zusammenbruch der antiken
Welt begleiteten. Immer häufiger wurde das
Volk von Hungersnöten und Elend aller Art
heimgesucht. Wie Hyänen des Schlachtfeldes haben die
Wucherer mit Hilfe des durchaus kapitalistischen
römischen Rechtes diese Notlage ihrer Mitmenschen
ausgebeutet. Was aber auf solche Weise an
Reichtümern zusammen gerafft worden war, konnte bei
der herrschenden Ungewißheit der allgemeinen Lage
auf einen gesicherten Bestand nicht bauen. Also
überließen sich die Reichen dem so
raffinierten Genußleben einer alten Kultur, ohne
alle Rücksicht auf all das hungernde Elend, das
rings um sie herum um Hilfe klagte.
Solchen Zuständen gegenüber war die
christliche Kirche zu einem ganz bestimmten
Programm gezwungen. Systematischen Ausdruck hat
dasselbe durch jenen Kirchenvater gefunden, den wir auch
als einen der besten Kenner der antiken Welt bezeichnen
dürfen: den großen Bischof von Hippo Regius in
Nordafrika Aurelius Augustinus (353 bis 430
n. Chr.) In seinen 22 Büchern über die
Bürgergemeinde Gottes (De civitate Dei)
bezeichnete er den antiken Staat als das, was er in
Wirklichkeit war: als eine Räuberbande, die
seßhaft geworden ist. „Nachbarn mit
Krieg überziehen und Völker, welche keine
Veranlassung dazu gegeben haben, aus bloßer
Herr
schaft zu Grunde richten und
unterwerfen, wie ist dies anders denn als Räuberei
im Großen zu bezeichnen?“ Dieser
Räuberei des Staates im Großen
entspricht der Wucher und betrügerische
Erwerb der Bürger im Einzelnen.
Schamlos werden die Mitmenschen ausgebeutet von Jenen,
die den Begierden des Reichtums nachjagen. Das im Staate
geltende Recht unterstützt geradezu die
Geldgier, diese Burg der Sünde. Wer sich mit
diesem sündhaften Erwerb gesättigt hat, wird
vom Staate und der Gesellschaft als
„Reicher“ geachtet und
geschätzt, statt als das erkannt und behandelt zu
werden, was er ist: als ein Ungerechter oder als
der Erbe eines Ungerechten. Einem solchen
Räuberstaate gegenüber hat der
christliche Bürger nicht
die Pflicht des Gehorsams. Es ist vielmehr sicher,
daß eigentliches Heil nur von einer
Revolution dieser bestehenden
Gesellschaftsordnung kommen kann, weil nur auf
solche Weise der Tag und die Stunde näher
rücken, welche den Aufbau des Idealstaates der
Zukunft endlich möglich
machen.
Die Christen sollen sich vor allem der
körperlichen Arbeit widmen; denn
Müßiggang ist ein Feind der
Seele. Arbeit ist Pflicht für jedermann, auch
für den Klerus und die Mönche. Wer nicht
arbeiten will, soll auch nicht essen! Auf
diesem Grundsatze wird die Armenversorgung
aufgebaut. Was der Einzelne als Erbe eines
Ungerechten gewonnen hat, soll vor allem den
arbeitswilligen Armen gewidmet werden. Was
der Einzelne durch Arbeit über seinen
Bedarf hinaus verdient, soll abermals als
Almosen hingegeben werden. Denn alles
Ueberflüssige ist eigentlich schon
fremdes Gut. Dieses fremde Gut hält
zurück, wer nicht wohltätig ist. Almosen
spenden, statt den Ueberfluß
verprassen, ist eine ganz besondere
Pflicht der Christen. Denn die
Almosen sind das Lösegeld der
Sünden. Die Hand der Armen ist die
Schatzkammer Christi. Wer aber
wirtschaftlich sich betätigt, sehe zu,
daß er nicht auf unrechte Weise
fremdes Gut erwerbe und Wucher
treibe. Von dieser schweren Sünde kann sich
jener frei halten, der nicht mehr
zurückfordert, als er gegeben
hat. Wer Geld leiht und Zinsen
fordert, wer einen Scheffel Getreide
hingegeben hat und mehr zurückfordert,
treibt Wucher!
Wenn sich die Christen im Geiste dieser christlichen
Lehrsätze üben und darnach handeln, wird nach
dem bereits begonnenen Zusammenbruch der bestehenden
antiken Gesellschaftsordnung ein neues ideales
Staatswesen gegründet werden können, das
ganz von diesen Grundsätzen getragen ist. Diesem
Zukunftsstaate im Sinne der göttlichen
Rechtsordnung ist dann der Christ zu
absolutem Gehorsam verpflichtet. Die
Grenzen dieser Bürgergemeinde Gottes
werden sich nicht auf die Grenzen des
Okkupationsgebietes nur einer Nation
beschränken. Dieser Idealstaat wird
vielmehr nach und nach alle Völker der
Erde umspannen, wie auch das Christentum über
die ganze Erde sich verbreiten wird. Das
Endziel dieser Entwicklung aber wird
„Friede auf Erden“ sein. So etwa
lautet das festgefügte Staats- und
Wirtschaftsprogramm des heiligen Augustinus.
§ 3. Welchem germanischen Volksstamme
sollten all diese Schätze der römischen Kirche
zufallen?
Die Bevölkerung des
oströmischen Reiches war in der
größeren Hälfte des IV. Jahrhunderts
arianisch gewesen, d. h. sie glaubten nach
der Lehre des Arius nicht an die Wesensgleichheit von
Gottsohn und Gottvater. Gerade um jene Zeit hatten an den
Ufern der Donau die Goten und die ihnen
verwandten Stämme, die Vandalen,
Burgunder, Alanen, Sueven, das
Christentum von oströmischer Seite in der
Glaubensform der Arianer empfangen. Das
erste große ökumenische Konzil zu
Nicaea (325 n. Chr.) hatte die arianische
Auffassung verworfen und ihre Anhänger als Ketzer
verdammt. Die Arianer sind dann im
Laufe des IV. Jahrhunderts
innerhalb der Grenzen des
römischen Imperiums verschwunden. Die
germanischen Völker aber waren der einmal
angenommenen Lehre zunächst treu
geblieben. Die römische Kirche konnte sich
unmöglich mit einem Volke ketzerischen Glaubens
vereinen. Bei dem siegreichen Vorrücken dieser
Germanen war die Lage der Kirche in Rom um so weniger
erfreulich, je mehr sich gleichzeitig ihre Beziehungen
zum oströmischen Reiche trübten. Die
Franken unter Chlodwig waren der erste
germanische Volksstamm, welcher im Jahre 496 das
Christentum in römisch-katholischer Form angenommen
hat. Von da ab datiert jener eigenartige
Verschmelzungsprozeß der fränkischen
Herrschaft mit der römischen Kirche, welcher
im Jahre 800 mit der Vereinigung des christlichen
Abendlandes unter dem kaiserlichen Zepter
Karls des Großen seinen
vorläufigen Abschluß fand. Dieser ganze
Werdegang besitzt indeß für das
Völkerleben eine so hervorragende Bedeutung,
daß wir an dieser Stelle seinen inneren
Zusammenhang nicht übergehen können.
§ 4. Nicht die kulturell viel höher stehende
römische Kirche, sondern die machtvollen Franken,
nicht der Lehrer, sondern die
Schüler blieben der Herr in diesem
Verhältnis. Das erforderte auf Seiten des
Lehrers ein ungewöhnliches
Maß von Klugheit und Vorsicht. Die römische
Kirche ist schon in ihrem Bekehrungswerke in durchaus
schonender Weise vorgegangen. So schreibt Papst
Gregor der Große an einen Missionsbischof um
das Jahr 600: „Keinesfalls soll man die
Göttertempel zer
stören, sondern nur die
Götterbilder, die in dem Tempel sind, und an ihre
Stelle darin Altäre errichten. Sind die Tempel gut
gebaut, so muß man sie aus dem Kult der
Dämonen in eine Stätte der Verehrung des wahren
Gottes umwandeln, damit das Volk von Herzen seinen
falschen Glauben ablegt und in der Erkenntnis und
Anbetung des wahren Gottes desto williger zu den
gewohnten Stätten pilgere. Und weil das Volk gewohnt
ist, viele Stiere seinen Göttern zu opfern, so soll
man ihnen diese Feier nicht antasten. Sie mögen
immerhin am Tage der Kirchweihe um ihre früheren
Tempel, welche inzwischen in Kirchen umgeweiht sind,
Hütten aus Baumzweigen errichten,
und beim heiligen Mahle ihre Feier begehen, Gott zum Lobe
ihre Tiere schlachten und essen und dem Geber alles Guten
für ihre Sättigung Dank sagen. Nur wenn man
diesem Volke einige äußere Freuden
läßt, vermag man es leichter zu den inneren
Freuden hinüber zu leiten. “
Als von 722 ab der nachmalige Erzbischof
Bonifatius es schon wagen durfte, die zerstreuten
christlichen Kirchen unter den Germanen auf Grund
päpstlicher Einführungsschreiben an Karl
Martell nach den Verfassungsgrundsätzen der
römischen Kirche einheitlich zu
organisieren, blieb doch selbst dieser
Feuergeist bei seinem Wirken auf die
Unterstützung des Frankenfürsten
angewiesen. Bonifatius selbst schreibt
darüber: „Ohne Schutz des Frankenfürsten
kann ich weder das Volk für die Kirche leiten, noch
Priester und Kleriker, Mönche und Nonnen beschirmen,
ja nicht einmal die heidnischen Gebräuche des
Götzendienstes in Deutschland vermag ich ohne
Auftrag und Hilfe von ihm zu beseitigen.“
Aber auch die ganz ungebändigte
Urwüchsigkeit der Germanen erforderte
viel Zeit und Geduld, um sie
nach und nach erst für die Anforderungen der Kirche
ge
schickt zu machen. So berichtet z. B.
der Biograph des Papstes Gregors des
Großen (590—604), daß es nicht
möglich gewesen, bei den Germanen den
gregorianischen Kirchengesang einzuführen, weil ihre
rauhen, wie Donner brüllenden Stimmen keiner
Modulation fähig wären. Den an den Trunk
gewöhnten und ungebildeten Kehlen wollten jene
Biegungen, die eine zarte Melodie erfordert, nicht
gelingen, so zwar, daß ihre Abscheu erweckenden
Stimmen nur solche Töne hervorbrachten, die dem
Gepolter eines von einer Anhöhe herunterrollenden
Lastwagens ähnlich seien.
§ 5. Gewiß war es den Franken bei
Ausbreitung ihrer Herrschaft nach Südwesten
ungemein zustatten gekommen, daß sie mit
ihrer Heimat am Niederrhein geographisch in
unmittelbarer Verbindung geblieben sind und so im
Falle einer Bedrängnis auf dieser gesicherten
Operationsbasis immer neue Unterstützungen holen
konnten. Bedeutungsvoll für die fränkischen
Erfolge blieb auch der Umstand, daß die
verhältnismäßig kleinere Zahl der
fränkischen Eroberer mit Land versorgt
werden konnte, ohne eine Revolution in der
römisch – gallischen
Grundbesitzverteilung hervorzurufen.
Aber ein nicht minder großer
Teil der fränkischen Erfolge muß der
Mitwirkung der römischen Kirche
zugeschrieben werden. Zweifelsohne haben bei den
Siegen Chlodwigs über die
Alamannen, Burgunder und
Westgoten die Anhänger Roms im Lande
wesentliche Unterstützung geleistet, wie auch die
Zugehörigkeit zum gleichen Religionsverbande die
Verschmelzung der Franken mit den römisch
gallischen Elementen sehr erleichterte. Der
Sieg der Franken über die benachbarten
germanischen Völkerschaften war zugleich der
Sieg der römischen Kirche über die
Anhänger des arianischen Glaubensbekenntnisses. Der
römischen Kirche mußte deshalb daran gelegen
sein,
das Frankenreich stark
und mächtig zu erhalten. Als das
Königsgeschlecht der Merowinger rasch
degenerierte und im Jahre 751 Pippin
der Jüngere den letzten Merowinger in ein
Kloster schickte, um selbst die Frankenkrone zu tragen,
da war der römische Papst ausdrücklich damit
einverstanden. Als bald darauf Papst Stephan
II. persönlich bei Pippin gegen den
Langobardenkönig Aistulf Schutz suchte, benutzte
Pippin diese Gelegenheit, um sich und
seine beiden Söhne Karl und Karlmann
salben zu lassen. Die Herrschaft der Karolinger im
Frankenreiche war damit auch formell gesichert. Durch die
gleichzeitige Uebertragung der Würde eines
römischen Patricius und Beschützers von
Rom auf Pippin durch den Papst war auch schon die
Vorstufe zum römischen Kaiserthrone erreicht
worden.
§ 6. Die römische Kirche war indeß
nicht nur bemüht, den Germanen im Frankenreiche die
christlichen Lehren zu verkünden und die
fränkische Machtpolitik nach Kräften zu
fördern, die Tätigkeit der Kirche war nicht
minder auf die Erziehung der Germanen zur
Kulturarbeit gerichtet und zwar vor allem
durch das Beispiel der produktiven Arbeit
der Missionare selbst. Die irischen
Mönche der Kolumbaregel, die sich bald
mit der Benediktinerregel verschmolzen hat,
sollten tagsüber sich in körperlicher Arbeit so
müde machen, daß sie der Schlaf schon auf dem
Wege zum Lager befällt. Diese Männer, welche
den Weinkrug nur zum Schein mit den Lippen
berührten, in den einsamsten Gegenden der
Urwälder mit täglich siebenstündiger
Handarbeit fruchtreiche Gefilde schufen, als freie
Klostergenossenschaft in einfachen Hütten hausten,
in schmucklosen Kirchen den Gottesdienst pflegten und in
allen Fällen der körperlichen Not freudig Hilfe
leisteten, mußten auf das Gemüt der Germanen
einen tiefgehenden, bleibenden Einfluß
gewinnen.
In der Verwaltung großer
Grundherrschaften war die Kirche, welche auch hier
über die reichen Erfahrungen der Römer
verfügte, der Wirtschaftsweise aller Franken
natürlich weit überlegen. Selbst Karl der
Große hat die Anregung zu seiner
ausgezeichneten Wirtschaftsanordnung für die
Königshöfe (capitulare de villis) der
vortrefflichen Verwaltung der Kirchenbesitzungen
entlehnt. In welchem Maße deshalb
unsere Kultur in der Feld-, Garten- und
Hauswirtschaft mit Uebertragungen aus der
römischen Kultur arbeitet, bezeugt
unsere Sprache, welche die Wörter Linse, Wicke,
Kohl, Rettich, Kirsche, Pflaume, Pfirsich und Lilie,
Esel, Maultier, Pfau, Fasan, Kammer, Keller, Fenster,
Speicher, Ziegel, Schindel, Spiegel, Schüssel,
Pfanne, Korb, Kiste, Schrein und Kissen, Sohle,
Schürze und selbst Käse und Butter aus dem
Lateinischen entlehnt hat. Auf den zahlreichen
Klosterhöfen bestellte der Bauer das Land und
züchtete sein Vieh nach jenen Regeln, die ihm der
Klostermaier vorgeschrieben. Das geerntete Getreide wurde
in der Klostermühle vermahlen und in der
Klosterbäckerei verbacken. Aus den
Klostergärten verbreitete sich die Kunst des
Gemüsebaues, des Obst- und Weinbaues usw.
§ 7. Bei jedem Kloster wie bei jedem
Bistum waren Schulen errichtet.
So wurde die Sprache der kirchlichen Kreise,
nämlich das Lateinische, die Sprache
der Gebildeten überhaupt. Namentlich
das Benediktinerkloster St. Gallen erfreute
sich durch seine Mönchgelehrten und
Mönchkünstler weithin eines besonderen Rufes.
Klösterliche Baumeister und Steinmetze entfalteten
eine rege Tätigkeit. Erzguß, Glasmalerei,
Mosaikarbeit, Holzschnitzerei und Goldschmiedekunst
fanden hinter den Klostermauern eifrige und eigenartige
Pflege. Hier war die Heimstätte der bildenden Kunst
und des Kunsthandwerks, in welchen der Geist des
Christentumes eine Verbindung mit
den Formen
der Antike eingegangen ist und so den romanischen
Stil geschaffen hat. In Metz und in
den niederrheinischen Klöstern
blühte die Elfenbeinschnitzerei. Die Textilindustrie
beschäftigte in den Benediktinerabteien
am Rhein und an der Donau emsige Hände.
Den Mönchen von St. Emeran in
Regensburg wurde die Kunst der Purpurfärberei
nachgerühmt. Zu der heiligen Klausnerin
Luitbirg, die bei Halberstadt in einem
ausgehölten Felsen auf der Klus, einem Vorberge des
Harzes, hauste (gestorben um 870), schickte Bischof
Anskar von Bremen junge Mädchen zum
Handarbeitsunterricht. An den Hauptverkehrsstraßen
und insbesondere an der großen Pfaffengasse des
Mittelalters, dem Rheinstrome, entlang,
waren die Klöster zu großen
europäischen Gasthöfen geworden.
Die fremden Botschafter, die Königsboten, die
Hofbeamten, angelsächsische Mönche,
sprachkundige Italiener, herumziehende Sänger,
Kaufleute, sie alle suchten und fanden ihre Reiseherberge
in den reichen Klöstern. In den Klosterräumen
wurden, wie in einer Notariatskanzlei, alle wichtigen
Geschäfte abgeschlossen. Im Jahre 811 klagten die
Fuldaer Mönche gegen ihren Abt bei Karl dem
Großen: sie seien zu Maurern degradiert, durch
übermäßige Bauarbeit ermüdet, ihr
Kloster sei durch das weltliche Treiben, durch Handel und
Lehensverträge und Geldgeschäfte aller Art
entweiht. Wer könnte es da nicht verstehen,
daß ein Staatsmann wie Karl der Große seine
Mönche und seine Klöster mit ihren Leistungen
wohl zu schätzen wußte? Trotzdem bleibt auch
hier dieser gewaltige Herrscher frei von jeder
Einseitigkeit: er verbietet das Mönchwerden, um die
Verödung seiner Königshöfe zu
verhüten und verbietet, daß ein
Grundstück, welches dem Könige zinspflichtig
sei, Gegenstand einer Schenkung an die Kirche werde.
§ 8. Die Verwaltungsorganisation des
fränkischen Staates war jener der
Kirche angepaßt.
Dem
Machtgebiete des Bischofs entsprach das des Grafen, dem
des Archidiakon das des Centenar. Da die
kirchlichen Funktionäre vermöge ihrer
lateinischen Bildung für die neuen Aufgaben des
weltlichen Staates zumeist besser geeignet
schienen, als die altfränkischen Grafen und
Centenare, wurden sie immer häufiger mit neuen
staatlichen Aufträgen betraut. In den neu
eroberten Gebieten war die
Frankenkirche ein besonderes wichtiges
Machtmittel, um die Besiegten in Untertänigkeit zu
erhalten. Den Friesen und Sachsen ist das Christentum
unter dem Schutz des fränkischen Staates gebracht
worden. Als beide Germanenstämme sich gegen die
Frankenherrschaft erhoben, richtete sich ihr Angriff
nicht minder auch gegen die Vertreter der Kirche. Der
Organisation der Armen- und Krankenpflege im
Reiche diente vor allen die Zehntabgabe,
welche als Kirchensteuer erhoben wurde. Die Ueberwachung
von Maß und Gewicht auf
den Märkten wurde nicht den Grafen, sondern den
Bischöfen übertragen, welche auch für die
Münze zu sorgen hatten. Und da man zur
einheitlichen Ordnung von Maß und Gewicht ein
Normalmaß und Normalgewicht brauchte,
schickte Karl der Große zu dem
Benediktinermutterkloster Monte Casino in
Italien, um beides von dort für sein Reich zu holen.
Den Bischöfen wurde vielfach schon die
Immunität für bestimmte Gebiete
mit den damit verbundenen Einnahmen aus Bußgeldern
u.s.w. verliehen. Selbst das
Heerbannaufgebot ist ihnen vereinzelt
übertragen worden. Und als Karl zur Kontrolle der
Rechts- und Verwaltungspflege seines weiten Reiches das
Institut der Königsboten einrichtete,
wurden die kirchlichen Würdenträger wieder
bevorzugt, weil sie reich genug waren, „um keine
Geschenke gegen Unschuldige annehmen zu
müssen.“
§ 9. Schon unter den Merowingern war die
Kirche reich namentlich an
Grundbesitz. Sie soll damals mehr
als den dritten Teil des gesamten
Kulturlandes besessen haben. St. Germain des Prés
bei Paris hatte im VIII. Jahrhundert einen Besitz von
442'150 Hektar mit einer abhängigen Bevölkerung
von 10'026 Seelen und einer jährlichen
Grundzinseinnahme von 605'628 Frs. Fulda, das Kloster des
heiligen Bonifatius, war nicht lange nach seiner
Gründung mit 15'000 Hufen Land nicht weniger
begütert.
Die Quellen, aus denen dieser Riesenbesitz der Kirche
geflossen ist, waren die Geschenke der Gläubigen und
die für die Armenpflege angesammelten Reserven. Als
dann zu Anfang des VIII. Jahrhunderts die ausgezeichnet
berittenen islamischen Heere durch Spanien erobernd
vorgedrungen sind und die fränkische Kriegsmacht zur
Abwehr dieser großen Gefahr ein besseres Reiterheer
benötigte, haben die Frankenfürsten in Zeiten
der Not vielfach das Verfügungsrecht über das
Grundeigentum der Kirche in Anspruch genommen. Die Kirche
hat sich nachträglich damit abgefunden, gegen
entsprechende jährliche Zinsleistung derjenigen,
denen die Nutznießung des Kirchengutes durch den
Fürsten zugewiesen war. Der entscheidende Sieg Karl
Martells zwischen Tours und Poitiers über die Araber
(732) war die Frucht dieser Maßnahmen. Das
verständnisvolle Zusammenwirken von Kirche und Staat
führte das Frankenreich aufwärts von Stufe zu
Stufe bis zur gebietenden Höhe des
Karolingerweltreiches.
§ 10. Im Mittelpunkte des Karolingerreiches steht
Karl der Große selbst Er war der
gewaltigste Herr, welchen germanische
Völker jemals bewundert und gehaßt haben. Mit
stahlharter Ausdauer hat er sein neues
Weltreich auf den Grundsätzen der
Arbeit und der Gerechtigkeit nach
jenen großen Richtpunkten aufgebaut, die er den
besten Ueberlieferungen der Kirchenväter entlehnen
konnte. In den ersten 30 Jahren seiner Regierung
führten ihn seine Heerzüge gegen unruhige
Nachbarn fast alljährlich
über die Grenzen zu neuen Siegen. Seine Herrschaft
reichte vom Ebro in Spanien bis zur Raab an der
Westgrenze Ungarns, von der britannischen Mark und der
Eider an der Nordgrenze Holsteins bis zum Golf von
Neapel. Dazu pflegte Karl freundschaftliche Beziehungen
zu dem Chalifen von Bagdad, Harun al Raschid, er
schlichtete Thronstreitigkeiten der sarazenischen
Fürsten in Spanien, leitete dazu Verhandlungen mit
der Regierung des oströmischen Reiches und empfing
Gesandte der Christen aus Jerusalem, welche um seinen
Schutz zu bitten kamen, nachdem der Kaiser von Byzanz
sich zu schwach dazu erwiesen habe. Soweit er auf seinen
fast ununterbrochenen Rundreisen die Klagen seiner
Untertanen nicht persönlich
hören und abstellen konnte, schickte er
mit besonderer Sorgfalt auserlesene
Königsboten zur Kontrolle der gesamten
Rechtsprechung und Verwaltung und ließ sich von
diesen über alles Wichtige genau berichten. Der
Kaiser selbst legte sich den Titel eines
Schirmherrn der Armen, Witwen und Waisen
bei. Karl warb die größten Gelehrten
seiner Zeit, wie den Angelsachsen Alkuin und Peter
von Pisa, den Langobarden Paulus Diakonus u. A. für
die von ihm gegründete Hofschule, in
welcher fast alle führenden Männer der
folgenden Generation unter seinen Augen gebildet wurden.
Unablässig blieb er bemüht, den
Schulunterricht für sein Volk zu
fördern. Persönlich zensierte er Schularbeiten
und hat noch im reifen Mannesalter sich selbst Unterricht
erteilen lassen. Geradezu mustergültig bleibt Karls
Kolonisationspolitik auf sächsischer
Erde. Nachdem er durch einen scharfen
Angriff gegen die Mitte des Landgebietes
dasselbe in zwei Teile gesprengt, ging er seit 777 mit
der Christianisierung der Sachsen vor, indem
er die acht westfälischen Bistümer einrichtete.
Dann ließ er auf dem
Reichstage zu Paderborn die Großen des
Landes taufen. Wer von nun an abfiel, war Rebell. 782
mißlang der Versuch, durch gemeinsamen
Kampf gegen die Slaven den Gegensatz zwischen
Sachsen und Franken auszugleichen. Als sich die Heere
begegneten am Sündelgebirge, überfielen die
Sachsen das fränkische Aufgebot und vernichteten es.
Dafür folgte die strenge Strafe bei
Verden an der Aller (wenn auch nach neuerer
Forschung die Zahl der getöteten Sachsen mit 4500
etwas zu hoch gegriffen erscheint). Noch einmal rafften
sich die Sachsen auf zum offenen Kampfe in der
Feldschlacht. Als sie hier abermals geschlagen wurden,
unterwarf sich der sächsische Adel,
ließ sich taufen und wurde von nun an durch gute
Stellen begünstigt und dauernd gewonnen. Die
sächsischen Bauern aber setzten den
Kampf gegen die Franken unermüdlich fort, bis Karl
zum letzten Mittel griff und die
sächsischen Bauern
„entwurzelte“. Ganze
Bauerndörfer wurden von Sachsen nach Franken und
umgekehrt auf königlichen Befehl
„verpflanzt“. Erst damit war für immer
aller Widerstand hingeschwunden. Mehr noch! die Sachsen
hatten sich mit den Franken vereint. Hundert Jahre
später ruht die Leitung der deutschen Geschicke in
der starken Hand des sächsischen Stammes. Bei all
dem fand Karl noch Zeit, die
Wirtschaftsführung seiner
Königshöfe bis auf die Zahl der Eier zu
kontrollieren, die sie ihm zur Ablieferung brachten. Wer
so in unermüdlicher Arbeit den Wohlstand seines
Reiches zu fördern beflissen war, konnte auch bei
seinen nächsten Angehörigen
Müßiggang nicht dulden. Selbst den
Königstöchtern wurde befohlen, im
Frauengemach Wolle zu spinnen, „damit sie nicht auf
unnütze Einfälle kommen“.
§ 11. In seiner Wirtschaftspolitik
folgte Karl der Große vor allem
den Grundsätzen des heiligen
Augustinus, wie sie in dessen
Büchern über die Bürgergemeinde Gottes
niedergelegt sind. Als um die Wende des VIII. ins IX.
Jahrhundert Notjahre in seinem Reiche sich einfanden,
erließ er ein Verbot der Ausfuhr von
Lebensmitteln und Preistaxen für
den inländischen Verkehr, um der
übermäßigen Preistreiberei entgegen zu
treten. Die königlichen Güter wurden
angewiesen, ihre Getreideüberschüsse
billig an Bedürftige zu
verkaufen. Wo die Not die Leute aus ihren
bisherigen Wohnsitzen vertrieb, wurde ihnen
besonderer kaiserlicher Schutz gegen die
Habgier der Wucherer gewährt mit dem Privileg, sich
anderwärts, wo es ihnen beliebte, niederzulassen.
Seinen Königsboten gab Karl eine eingehend
motivierte Verordnung gegen den Wucher und gegen die
Habgier. Nach dieser Verordnung des großen
Frankenkönigs ist alles das Wucher und
„Uebermaß“, was mehr empfangen
wird, als gegeben war. Wer 1 Scheffel Getreide
gab, um dafür später 1 1⁄2 Scheffel Getreide zu empfangen,
war ein Wucherer. Jedem Kauf und Verkauf zur Zeit der Not
wurde die Rechtsgültigkeit versagt,
wenn Leistung und Gegenleistung
ungleich waren. In diesem Falle hatte die,
unter dem Druck der Notlage gestandene Partei das Recht,
das Geschäft nachträglich durch Rückgabe
des Kauf- oder Verkaufspreises
rückgängig zu machen. Auch das
Zinsnehmen hat Karl als Wucher
verboten. Die Habsucht, die Gier nach dem Reichtume und
die Ungerechtigkeit wurden von ihm als schwere
Sünden verdammt. Dazu kam die Einrichtung
fester Verpflegungsstationen für die
Armen, wesentliche Erleichterungen des
Aufgebotes zu einem Heereszuge für jene
Gegenden, welche von der Notlage betroffen waren,
ausdrückliche Verpflichtung der Reichen zum
Almosengeben u.s.w.
§ 12. In besonderem Maße
eigenartig war die Stellung Karl des Großen
zur römischen Kirche. Er fühlte sich
nicht nur als Herr seines Staates, sondern
auch als Herr seiner Kirche innerhalb seiner
Bürgergemeinde Gottes. Es erschien ihm
selbstverständlich, daß seine
Kirche ganz in den Dienst seines Staates
gestellt wurde und daß er in allen kirchlichen
Angelegenheiten oberste Instanz blieb. Karl
präsidierte persönlich den
Konzilien des fränkischen Episkopats, er
ernannte nicht nur seine Bischöfe und Aebte, er
schickte ihnen auch Dispositionen für ihre
Katechismuspredigten, über deren Abhaltung er
sich wieder berichten ließ, er normierte das
geistliche Recht, beaufsichtigte das ganze
kirchliche Leben und den Bildungsgang der Geistlichen.
Auf seinem ersten Römerzuge (773/4) besuchte Karl
den Papst Hadrian I. in Rom, beschwor mit
ihm über dem Grabe der Apostelfürsten in
germanischer Weise einen Bruderbund und schaltete als
Patricius von Rom und Gebieter des Langobardenreiches.
Als dieser selbe Papst Hadrian die Akten des zweiten
Konzils zu Nicäa (787—790) über die
Bilderverehrung dem Könige der Franken zuschickte,
erschienen die berühmten „Karolinischen
Bücher“ (libri Carolini), welche auf
der Synode von Frankfurt (794) unter Karls Vorsitz von
dem gesamten fränkischen Episkopat einmütig
angenommen wurden. In diesem „Werke des
ausgezeichneten Frankenkönigs Karl gegen die
törichten und anmaßenden Beschlüsse einer
griechischen Synode zu Gunsten der Bilderverehrung“
(so der amtliche Titel dieser Schrift) ist beides, sowohl
die Bilderverehrung wie die Bilderzerstörung,
verworfen worden. Dem Papst wurde das königliche
Buch amtlich übermittelt. Er begnügte sich mit
einer formalen Verwahrung gegen dessen Tendenz. Sein
Nachfolger Papst Leo III. (795—816)
übersandte nach seiner Wahl dem Frankenkönige
die Schlüssel von
St. Peter
und das Banner (Vexillum) der Stadt Rom, datierte seine
Urkunden nicht nur nach dem Jahre seines Pontificats,
sondern auch nach Karls Regierungsjahren und ließ
in einem Saale des Lateran ein Mosaik anbringen, welches
— im Vergleich mit dem gegenüberstehenden
Mosaik — Karl den Großen als Nachfolger des
römischen Kaisers Konstantin zur Darstellung bringt.
Im Jahre 799 mußte Leo vor seinen persönlichen
Feinden aus Rom flüchten und eilte, Schutz suchend,
zu Karl dem Großen nach Paderborn. Dieser
ließ den Papst unter fränkischer Bedeckung
nach Rom zurückführen und erschien dort im
folgenden Jahre (800) mit einem starken Heere selbst, um
auch über den Pontifex zu richten, der von seinen
Gegnern schlimmer Vergehen angeklagt war. Am
Weihnachtsfeste 800 krönte dann Leo Karl den
Großen als römischen Kaiser. Von nun an
ist Karl Schirmherr der römisch-katholischen
Kirche und der Idee nach als römischer Kaiser
Herr der Welt. In Rom aber, wo das Schwert
des Frankenkönigs für Ruhe und Sicherheit
sorgte, konnten jetzt die ersten Blüten einer
christlichen Kunst auf römischem Boden sich
entfalten, welche in ihren Formen die Beziehungen zur
neuen fränkischen Kultur erkennen lassen.
Daß für Karl die neue Würde eine
besondere Bedeutung hatte, geht daraus hervor,
daß er noch das goldne Szepter, den Thron und die
Krone als Abzeichen seiner neuen Macht angenommen und im
Jahre 802 alle Bürger seines Reiches einen
neuen persönlichen Treueid
schwören ließ, welcher alle jene
Verpflichtungen enthielt, die der Vasall seinem
Lehensherrn gegenüber einging. Bei der ganz
überwiegenden Bedeutung des Grundbesitzes in der
damaligen fränkischen Volkswirtschaft führte
die Logik der weiteren Entwickelung notwendigerweise zur
Verallgemeinerung des
Vasallenverhältnisses und seiner Ausdehnung
über alle Kreise der Bevölkerung.
§ 13. All diese intimen
Wechselbeziehungen zwischen Kirche und Frankenreich
brachten eine Reihe eigenartiger Bildungen im
Rechts- und Wirtschaftsleben, welche
gewiß zu Anfang den gegebenen Verhältnissen
durchaus entsprochen haben, im Laufe der Geschichte aber
über kurz oder lang zu Neubildungen und
Konflikten führen mußten.
Freie wie Sklaven, welche aus Furcht vor ihren
Verfolgern sich unter die Türe oder in den Vorhof
der Kirche flüchteten, standen im Schutze der
Kirche. Verletzungen dieses kirchlichen
Asylrechts wurden von der weltlichen
Macht bestraft. Wer an kirchlichen
Feiertagen knechtische Arbeit verrichtete,
wurde unfrei, also mit einer
weltlichen Strafe belegt. Mord, Forstfrevel,
Münzverbrechen und Wucher wurden mit kirchlichen
Strafen geahndet. Diese Vermischung des
kirchlichen und weltlichen
Strafrechts hat dazu geführt, daß das
System der Geldbußen der alten
germanischen Volksrechte sich in das System der
Kirchenstrafen eingeschlichen. Bei den
Angelsachsen fanden sich Rechtsvorschriften,
welche eine Kompensation der kirchlichen Bußzeit
durch Almosen zuließen. Das Bußbuch von
Reims hat schon eine förmliche Preistabelle
für gute Zwecke ausgearbeitet,
wonach die Ablösung einer kirchlichen
Jahresbuße durch 26 Schilling, die einer
dreijährigen Buße durch ein Almosen von 26
Schilling im ersten, 20 im zweiten und 18 im dritten
Jahre gestattet war. Als Karl der
Große nach seinem Avarensiege
im Jahre 791 ein dreitägiges Fasten gebot, war ein
Dispens vom Verbot des Weintrinkens für diejenigen
vorgesehen, die 1 Schilling pro Tag an
die Kirche entrichteten. Es ist durchaus germanische
Rechtsprechung, wie auch die Institution des Wehrgeldes
beweist, daß eine Sühne durch Geldzahlung
geleistet werden kann. So hat Karl der
Große im Kapitulare vom
Jahre 803 verfügt, daß
die Ermordung eines Subdiakon mit 300, eines Diakon mit
400, eines Presbyter mit 600 und eines Bischofs mit 900
Schilling Buße bestraft werde. Die
altkirchliche Lehre von der Sündensühne
durch Almosen, verwandelte sich, in Anlehnung an
das Buß- und Wehrgeldsystem des
altgermanischen Strafrechtes, in eine
Ablösung der Kirchenbuße durch
Geldzahlung und legte damit den Keim zu
jener späteren kirchlichen
Ablaßpraxis, welche in der
Reformationsbewegung eine so hervorragende Rolle gespielt
hat.
§ 14. Hierher gehört auch das Institut
der Eigenkirchen. Die Gründung einer Kirche
ohne Ausstattung mit Grundbesitz war bei der damaligen
Naturalwirtschaft undenkbar. Wo eine neue Kirche
entstanden war, erwies sie sich auch als
vorzügliches Mittel, ein größeres
Einkommen anzuziehen. Es lag deshalb nahe, daß
fränkische Grundbesitzer es rentabel fanden, neue
Kirchen auf ihren Besitzungen ins Leben zu rufen. Zu
diesem Behufe errichtete man an einem geeigneten Orte ein
entsprechendes Gebäude, ließ dieses als Kirche
weihen, einen häufig unfreien Knecht des Grundherrn
auf der nächsten Priesterschule für die
geistlichen Funktionen heranbilden und auch weihen. Damit
war dann die kirchliche Neugründung fertig. Der
unfreie Knecht und Priester mußte seinem Herrn bei
Tisch aufwarten, Wein einschenken, er hatte die
Reitpferde der Frauen zu lenken, beim Auszug zur Jagd die
Meute zu führen u.s.w. Für
all’ diese Dienste, wie für seine
priesterliche Tätigkeit gab ihm sein Herr soviel,
als ihm beliebte. War der Knechtpriester damit nicht
zufrieden, so gab es noch eine Zulage in Prügeln.
Das Einkommen der neuen Kirchen in Spenden und Almosen
der Gläubigen, im Kirchenzehnt u.s.w. gehörte natürlich dem
Grundherrn, der auch das Recht hatte, seine
Kirchen
gründung als rentables
Vermögensobjekt zu verkaufen, zu vererben und zu
verpfänden. Im Jahre 819 wurde den schlimmsten
Mißbräuchen dieser Einrichtung dadurch
begegnet, daß geboten wurde: diese unfreien
Priesterknechte schon vor der Priesterweihe frei zu
lassen, dem dann also freien Geistlichen ein gewisses
Minimaleinkommen zu sichern und über seine
priesterlichen Funktionen hinaus keine weiteren
Dienstleistungen von ihm zu fordern. Es wurde den
Grundherren ferner verboten, die Priester ihrer
Eigenkirchen zu prügeln und auszubeuten. Nur unter
der Voraussetzung, daß das Kirchengebäude und
der Gottesdienst nicht gestört würden, war auch
ferner gestattet, Eigenkirchen zu verkaufen und zu
übertragen.
§ 15. Diese Grundsätze fanden analoge
Anwendung auch auf die Klöster, Abteien
und Bistümer. Keine dieser
Neugründungen entstand ohne innige Anlehnung an eine
große grundherrliche Familie, deren vornehmste die
königliche war. Mit den reichen Schenkungen an Land
und Einkünften aller Art war damals schon nach der
Rechtsauffassung der Zeit selbstverständlich der
Anspruch verbunden, die kränklichen Söhne, die
unverheirateten Töchter der Familie in dem
betreffenden Kloster nach Wunsch unterzubringen, die
freiwerdenden Abt- und Bischofsstellen mit einem Mitglied
oder einem besonderen Günstling der Familie zu
besetzen. So kamen nur zu häufig Laien in den Besitz
von Abteien. Ja man hat nicht selten schon damals einem
Laien mehrere Abteien übertragen. Für das Amt
eines Bischofs wurde ja nur minimale wissenschaftliche
Bildung verlangt. Der Abt und der Bischof verfügten
vor allem über den Besitz und das Einkommen der
Klöster und Bistümer. War der neue Abt ein
gewalttätiger oder übel veranlagter Charakter,
dann kam es sogar zu Aufständen der Mönche
gegen ihren Abt, zur Auswanderung eines
größeren Teiles der
Mönche aus dem Kloster. Auch in den
Nonnenklöstern gab es ärgerliche Scenen.
Solche Zustände mußten eine
kirchliche Reformbewegung im Sinne einer
Befreiung der Kirche aus der Laienhand über kurz
oder lang hervorrufen. Nicht minder war die
überragende Stellung Karls des Großen in
seinem Reiche auf die Dauer
unhaltbar. Seine gewaltige
Einzelperson konnte den Karolingerstaat
schaffen, als die Zeit reif dazu war, aber sie konnte den
Karolingerstaat nicht erhalten. Dazu
bedurfte es einer, von den wechselnden
Zufälligkeiten der einander folgenden Regenten
unabhängigen objektiven Organisation der
Gesellschaft und des Staates. Zu diesem Zwecke stand nur
der Grundbesitz als Basis zur Verfügung. Die
nächste Entwicklung mußte
zur Ausbildung des Lehensstaates führen. In
der lehensstaatlichen Einheit entfalteten sich dann
die Konflikte der kirchlichen Reformbewegung
um so breiter, je mehr die immer häufigeren
Berührungen mit der islamischen
Kulturwelt die Ausbildung der
Geldwirtschaft und des
Kapitalismus neben dem Grundbesitz
förderten. Erst mit der Herrschaft des
Geldes kam dann eine kurze Herrschaft der
Kirche über die Staatsgewalt, welcher die
Auflösung der Einheit des christlichen
Abendlandes in eine Vielheit von Staaten und
durch Angliederung neuer Staaten die Ausbildung des
modernen europäischen Staatensystems folgte.
§ 16. Was Caesar im I. Jahrhundert
vor Christus und Tacitus im I.
Jahrhundert nach Christus über die
Germanen berichten, läßt sie als
Kriegsvölker erscheinen, welche die
Grundzüge ihrer Heeresverfassung auf die Ordnung
ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse angewendet
haben. Nach dem Recht der Kriegsbeute hatte jeder
freie Germane gleichen Anspruch an Land und
Bodenfrüchten. Besonders hervorragende Krieger und
namentlich der König erhielten ausgedehntere
Landzuweisungen. Die Hundertschaft als militärische
Untereinheit hat auch als Ansiedlungseinheit gegolten
u.s.w.
Im V. und VI. Jahrhundert nach Christus sind bei
Besetzung jener römischen Gebiete, deren
Verschmelzung unter fränkischer Herrschaft im
wesentlichen der Machtbereich des
Karolingerstaates geworden ist, die verschiedenen
Germanenstämme je nach Lage der Verhältnisse
ungleich zu Werke gegangen. Die Goten und
Burgunder hielten sich an die
römische Quartierordnung, und zwar in
der Weise, daß bei den Ostgoten ein
Drittel, bei den Burgundern und Westgoten
zwei Drittel der größeren Güter des
Landes den Kriegern zur Besiedlung überwiesen
wurden, die Langobarden nahmen ein
Drittel des Ertrages der Güter, deren
Bewirtschaftung sie der besiegten Bevölkerung
weiterhin überließen. Die
Vandalen wählten sich, gezwungen durch
ihre Isolierung im fernen Süden, eine für ihre
Volkszahl ausreichende ganze Landschaft, aus
welcher die bisher ansässige Bevölkerung der
Römer verjagt wurde. Die Franken und
Alamannen dagegen fanden im
nordöstlichen Gallien so viel ganz herrenloses
Land, daß ihre Bedürfnisse leicht
gedeckt wurden und nur wenige Siedler bis an das Loire-
und Rhonegebiet vorzudringen
brauchten.
Alles nach der Besiedelung übrig gebliebene
herrenlose Land fiel mit den römischen
Staatsdomänen dem Könige zu, der
dadurch zum weitaus größten
Grundbesitzer wurde. Im Frankenreich der
Merowinger erscheint mithin von Anfang an durch das
Königsland neben den verhältnismäßig
gleich großen Landlosen der freien Franken der
Großgrundbesitz zahlreich
vertreten.
§ 17. Das germanische Königstum
war in den eroberten römischen Provinzen
Rechtsnachfolger des römischen Kaisers
geworden. Die oberste Gewalt in Gesetzgebung,
Rechtssprechung und Verwaltung, welche ursprünglich
der Volksversammlung des wehrfähigen Volkes
gehörte, war zum Teil an die regelmäßige
Heeresversammlung am 1. März (Märzfeld)
übergegangen, bald aber fast vollständig in der
Hand des Königs vereint. Selbst unverantwortlich,
hatte der König die Befugnis, bei Strafe zu gebieten
und zu verbieten (den Königsbann) und
erlangte mit dem Königsgericht auch die
oberste richterliche Gewalt. Seine
Verordnungen und Entscheidungen waren an die
Volksrechte gebunden, welche auf
römischen Boden zur Verhütung
willkürlicher Rechtssprechung bald schriftlich
festgelegt wurden. So das Recht der salischen
Franken und der Burgunder im V., das der Ripuarier und
Alamannen im VI. Jahrhundert.
Einen Geburtsadel, wie die Jarle der
Nordgermanen, die Earle der Angelsachsen und die
Ethelinge der Sachsen gab es bei den Franken
neben dem Königshause der Merowinger nicht
mehr. Die oberste Schicht des Volkes waren die
Freien, zwischen ihnen und den
Unfreien bildeten die Liten
einen besonderen Stand, der sich wahrscheinlich aus
römischen Kolonen und freigelassenen Sklaven
zusammensetzte.
§ 18. Auch die Frankenkönige haben sich mit
einem persönlichen Gefolge
(antrustiones) umgeben, einer
Schaar
streitbarer Mannen zur Wehr und zur Ehr. Zur
Ausübung der Herrschaft im Reiche waren viele
Beamte, die Grafen (comites) und
Herzöge (duces) unentbehrlich.
Zu dem persönlichen Gefolge, den Tischgenossen
des Königs, gehörten: der
Seneschall (Altknecht) und der
Schenk, welche die Aufsicht über die
Lieferungen zum Unterhalt des Hofes und den gesamten
Dienst des königlichen Tisches führten, der
Marschall, welcher über Marstall und
den Troß zu wachen hatte, der
Kämmerer, dem die Hut des
königlichen Schatzes unterstellt war, der
Pfalzgraf, welcher die Geschäfte des
Hof- und Pfalzgerichtes leitete, der
Referendarius, der die Ausfertigung der
königlichen Urkunden besorgte und die
königlichen Siegel bewahrte, und endlich vor allem
der Hausmeier (maior domus),
ursprünglich der Anführer der königlichen
Garde und Hausminister, dann Stellvertreter des Regenten
und bald selbst Träger der Königskrone.
Die Grafen hatten innerhalb kleiner
Bezirke, welche sich in germanischen Landen meist mit den
Gauen, auf vorher römischem Boden mit den
Stadtgebieten deckten, den König zu vertreten. Der
Graf bot die kriegstüchtige Mannschaft auf und
führte sie an, er hatte gewisse polizeiliche
Befugnisse, den „Grafenbann“, er
überwachte die Gerichtsversammlungen an den
Malstätten, wo sich das Volk nach Hundertschaften
zum Rechtsspruch eingefunden. Ueber mehrere Grafen waren
Herzöge gesetzt, vorzugsweise als
Anführer im Kriege, meist zugleich Grafen in einem
engeren Bezirke. Sie wurden vom König ernannt. Nur
die Alamannen, Bayern und Thüringer hatten
Herzöge, die Normannen in der Betragne standen unter
Grafen als erblichen Herzögen.
§ 19. All diese Gefolgsmannen und beamteten
Grafen und Herzöge mußten vom
Könige für ihre Dienste
natürlich entlohnt werden. Womit? Der
Geldverkehr war zwar keineswegs
vollständig verschwunden, aber die
Geldeinnahmen des Königs waren im Ganzen doch
nur gering. Sie konnten nur zum Teil als Beamtenbesoldung
verwendet werden, sodaß sie für den einzelnen
Beamten nur ein Nebeneinkommen bedeuteten. Der Graf z. B.
erhielt ein Drittel der eingehenden Strafgelder seines
Bezirks. Bei dem gewaltigen Reichtum des
Königs an Grundbesitz aber, der noch
fortgesetzt durch neue Eroberungen und Konfiskationen des
Vermögens rebellischer Großen vermehrt wurde,
lag es nahe, die Antrustionen, Grafen und Herzöge
mit Erträgnissen aus Königsland für ihre
Dienste zu bezahlen.
Gewiß ist es nicht selten vorgekommen, daß
Königsland dem Einzelnen zu freiem
Eigen geschenkt wurde. Aber als Regel konnte
diese Art der Entlohnung nicht gelten. Der
Reichtum und damit die wirtschaftliche
Selbständigkeit des Königs wären sonst
doch zu rasch verloren gegangen. Diese große und
ernste Gefahr schien gemieden zu sein, wenn das
Königsland den königlichen Dienstleuten nur zur
Nutznießung geliehen wurde und der
König Eigentümer desselben blieb. In Anlehnung
an römisch-rechtliche wie an altgermanische
Rechtsinstitute hat sich unter diesen Verhältnissen
folgende Art der Landleihe ausgebildet.
Der betreffende Beamte oder Gefolgsmann legte seine
gefalteten Hände in die des Königs und
verpflichtete sich durch einen besonderen Eid, seinem
Herrn immer treu und gewärtig zu sein, worauf der
König ihm Schutz und Beistand zusicherte und eine
entsprechende königliche Besitzung mit den dazu
gehörigen Unfreien und Liten zuerst auf Lebzeiten
des Königs, bald aber auf Lebzeiten des Beliehenen
ihm zur Nutznießung übertrug. Den so
Beliehenen bezeichnete man bald mit dem keltischen
Ausdruck
vassus oder vasallus. Das ganze
Rechtsinstitut erhielt den Namen
Vasallität oder den der ähnlichen
römisch-rechtlichen Einrichtung
commendatio.
Mit diesem Vasallitätsverhältnis
verknüpfte sich bald die
Immunität. Nach römischem
Recht bezeichnete man damit die
Abgabefreiheit des königlichen
Grundbesitzes, die auch dann erhalten blieb, wenn
derselbe in andere Hände übergegangen war. Bei
den Franken hatte sich damit auch die
Ueberlassung aller mit diesem Grundbesitz
verbundenen königlichen Gefälle und bald
selbst die Wahrnehmung aller königlichen
Rechte einschließlich der
Gerichtsbarkeit innerhalb des betreffenden
Gebietes verknüpft, sodaß die Amtsgewalt
der königlichen Beamten aus dem
Immunitätsgebiet vollständig
ausgeschlossen schien.
§ 20. Neben dem
Könige verfügte die Kirche im
Frankenreiche gleichfalls über einen
ungeheuren Grundbesitz, der aus verschiedenen
Quellen zusammengeflossen war.
Zunächst hatten der fromme König und die
Großen den Kirchen, Bistümern und
Klöstern Besitzungen mit den dazu gehörigen
Leuten zu vollem Eigentum geschenkt. Dann übertrugen
fränkische Bauern, um himmlischen Lohn dafür zu
gewinnen, ihr Land vielfach der Kirche. Aber zur Hufe des
Gemeinfreien gehörten in der Regel keine unfreien
Arbeitskräfte. Die Kirche hatte mithin ein
naheliegendes Interesse daran, die bisherigen
Bodenbearbeiter dem Bauernlande zu erhalten. Und die
Bauern waren wieder interessiert daran, daß ihnen
und eventuell ihren Nachkommen die Nahrung erhalten
bliebe. Um diesen Interessen auf beiden Seiten zu
genügen, trennte man
Besitz und Eigentum in der
Weise, daß der Bauer sein Land der
Kirche zu vollem Eigen gab,
dann
aber gegen Ausstellung eines
Bittbriefes (precaria) für mäßigen
Zins auf Lebensdauer
Nutznießung und Besitz der Hufe
zurück erhielt. Der vorher vollfreie Franke
war damit allerdings in ein persönliches
Abhängigkeitsverhältnis zur Kirche getreten.
Aber diesem Freiheitsverluste standen ganz bestimmte
bedeutende Vorteile gegenüber. Die Bauernhufe nahm
von nun an Teil an der vorzüglichen
Wirtschaftsorganisation des kirchlichen Grundbesitzes.
Der jetzt durch Landleihe mit der Kirche verbundene Bauer
stand unter ihrem mächtigen Schutze. Er war jetzt
durch Angliederung an einen Großbetrieb gegen die
üblen Folgen von Mißernten gesichert. Er war
von nun an befreit von der Verpflichtung zur Teilnahme an
den oft lästigen häufigen Gerichtsversammlungen
der Hundertschaft und des Gaues und zumeist auch frei von
dem immer kostspieligen Heeresaufgebot, wobei sich jeder
Krieger selbst verpflegen mußte. Das gegen
Bittbrief übertragene Gut hieß
beneficium. Endlich haben die
Kirchenverwaltungen und namentlich die Klöster durch
Rodungen mit ihren überschüssigen
Arbeitskräften auf Neuland weite Flächen Landes
selbst der Kultur gewonnen. Diese Hufen wurden mit
Nachkommen ihrer Eigenleute und gegen Bittbrief auch mit
Nachkommen freier Bauern besetzt.
Auch dem Großgrundbesitz der Kirche ist vielfach
das Privileg der Immunität verliehen
worden. Die Großen des Reichs, welche
mit königlichen Domänen ausgestattet waren,
folgten dem Beispiel der kirchlichen Grundverwaltung in
umfangreichen Rodungen auf Neuland. Auch sie
verlangten für diese neuen Besitzungen das
Recht der Immunität. Im VII.
Jahrhundert war es mit dieser Entwickelung schon dahin
gekommen, daß fast 1⁄4
alles Grundbesitzes im Frankenreiche der Amtsgewalt der
königlichen Beamten entrückt war.
§ 21. Zweifelsohne wurde
damit die Auflösung des Frankenreiches in eine
große Zahl selbständiger Territorialgebiete
vorbereitet. Die Königsgewalt im Vollbesitz
ihrer Rechte und im Uebermaß ihrer Aufgaben
fühlte sich indes durch all diese Ansätze zu
neuen Bildungen zunächst kaum beengt. Des Reiches
Grenzen wurden ja immer weiter, die Kriege deshalb nicht
seltener, wohl aber dehnten sich die Heereszüge auf
immer größere Entfernungen aus. Die Masse des
Frankenheeres bestand noch aus freien Bauern, die als
Fußvolk kämpften. Die Schwierigkeiten in der
Ueberwindung langer Wegstrecken ließen deshalb
die praktische Bedeutung einer Vermehrung der
Reiterzahl im Kriegsdienste deutlich genug
hervortreten. Als dann noch ein so gefährlicher
Gegner, wie die arabischen Eroberungsheere
sich eingefunden, dessen vorzügliche Reiterei sich
überall glänzend bewährt hatte, da lag es
nahe, das Institut der Vasallität, mit dessen Hilfe
die königliche Reitergarde erstanden war, im
Interesse erhöhter Schlagfertigkeit des
fränkischen Heeres wesentlich auszubreiten. Die
Großen des Reiches hatten schon
begonnen, nach dem Vorbilde ihres Königs sich
auch ein reitendes Gefolge zu halten, dessen
Mitglieder mit Nutznießungsrechten an dem
Grundbesitz ihres Herrn ausgestattet waren. Solche
Vasallen wurden homines, ihre Herren
seniores genannt. Der König fand es
ratsam, solche seniores mit großem und
tüchtigem Reitergefolge seinerseits mit
Königsland zu belehnen, um im Kriegsfalle sich diese
Verstärkung seiner Reitertruppe zu sichern. Von
ausschlaggebender Bedeutung aber mußte es nun sein,
den Weg zu finden, auf welchem der riesige
Grundbesitz der fränkischen Kirche für eine
wesentliche Vermehrung des berittenen Vasallenheeres
nutzbar gemacht werden konnte.
Nach dem willkürlichen Vorgehen
Karl Martells wurde durch die Vereinbarungen zwischen
seinen Söhnen und den Leitern der fränkischen
Kirche diese Frage dahin gelöst, daß der
Frankenfürst berechtigt war, neue Vasallen nach
Beneficialrecht in den Grundbesitz der Kirche
einzuweisen. Das Eigentumsrecht der Kirche wurde dabei
zwar ausdrücklich anerkannt und sogar vereinbart,
daß diese neue Art von Vasallen einen nicht
unbedeutenden Grundzins an die Kirche als
Eigentümerin ihres Beneficialbesitzes entrichten
sollten. Aber die weitere Entwickelung der Dinge hat
diesen Punkt des Vertrages bald beseitigt. Das
Kirchengut war tatsächlich in jenem
Augenblicke Königsgut geworden, in
welchem die Notwendigkeit einer einschneidenden
Reorganisation des Heeres dies forderte.
§ 22. Der glänzende Sieg des
reorganisierten Frankenheeres über die so
allgemein gefürchteten Araber brachte dieser neuen
Politik mit ihrer eigenartigen Militärvorlage bald
eine nur zu augenfällige Anerkennung. Die
Großen des Reiches wetteiferten von
nun an miteinander, sich ein möglichst
glänzendes Gefolge zu halten. Der
Frankenfürst zeigte sich den Herren mit besonders
großem Gefolge besonders gnädig. Die
Kirchenfürsten konnten bald schon ihrer
persönlichen Sicherheit halber auf eigene
Vasallen nicht verzichten, an deren Spitze sie
rasch gelernt hatten, ohne Zagen mit in den Kampf zu
ziehen. Wenn einmal die Staatsgewalt im Interesse der
notwendigen Vermehrung der Reiterei vor dem Grundbesitz
der Kirche doch nicht halt machte, mußte es den
Kirchenfürsten zweckmäßig erscheinen,
sich diesen Grundbesitz vielleicht dadurch zu erhalten,
daß man selbst ihn mit Vasallen und reisigen
Dienstmannen besetzte. Dieses immer allgemeiner
hervorbrechende Streben einer Vermehrung des berittenen
Kriegs
volks, das mit Nutznießungen an
Grundstücken besoldet war, hat im Frankenreiche
jenen eigenartigen Landhunger groß
werden lassen, der gewiß zu den gewaltigen
Rodungen in den folgenden Jahrhunderten wirksamen
Antrieb gegeben hat, aber auch von Anfang an nicht vor
den verwerflichen Mitteln des Wuchers in
Zeiten der Not, vor der List und selbst vor roher Gewalt
zurückschreckte, um den freien oder
freigewordenen fränkischen Bauern ihre Hufen
zu entreißen.
Mit lautem Jammer haben sich daher im Jahre 811 die
ärmeren Bauern an Karl den
Großen gewandt; sie würden von den
Grafen und ihren Beamten wie von den
bischöflichen und
klösterlichen Grundherren um ihr Eigentum
gebracht. Wollten sie diesen Räubern ihr
Eigengut nicht abtreten, dann suchten sie jede
Gelegenheit auf, um sie zu Gerichtsstrafen
zu verurteilen oder in Kriegsfällen immer
gegen den Feind aufzubieten, bis sie so arm
geworden seien, daß sie, gleichviel ob gutwillig
oder nicht, den Machthabern ihr Gut übertragen
müßten. Daß es darauf allein abgesehen
sei, gehe daraus hervor, daß die
andern, die ihre Hufe diesen Herren schon
übertragen hätten, unbehelligt daheim
bleiben könnten.
Karl der Große hat in der Tat auf
diese beweglichen Klagen hin die Vernichtung des
kleinen freien bäuerlichen Grundbesitzes
durch geeignete Maßregeln wenigstens etwas
aufzuhalten vermocht. Der Druck des
Heeresdienstes wurde in der Weise erleichtert,
daß von vier Hufenbesitzern künftig nur
einer zur Heeresfolge verpflichtet war,
wobei ihn die drei anderen unterstützen sollten.
Auch beschränkte Karl die Pflicht, zu dem
Gerichtsthing sich einzufinden, auf die sieben
dazu erwählten Schöffen. Die
Teilnahme an dem so
genannten
„Umstand“ wurde in das Belieben der einzelnen
Besitzer gestellt. Unter der schwachen Regierung seiner
Nachfolger aber wurde dem unaufhaltbaren Prozeß
einer zu Gunsten der Großen ausschlagenden
sozialen Umbildung kaum mehr entgegen getreten.
Die jetzt immer häufigeren feindlichen
Einfälle, die Bürgerkriege und zahllosen Fehden
brachten nur zu regelmäßig schwere
Hungersnöte ins Land.
Mißernten infolge ungünstiger
Witterungsverhältnisse fehlten auch nicht.
So brach denn die Freiheit der großen
Mehrzahl der fränkischen Bauern im Laufe des VIII.
und namentlich des IX. Jahrhunderts zusammen.
Freiwillig oder unfreiwillig fanden sie Unterschlupf bei
den großen weltlichen und geistlichen Grundherren.
Nur in vereinzelten Gebieten, wie in
Friesland, in Dithmarschen, in
Westfalen, in den Alpen, in
Teilen von Südfrankreich, in den
Pyrenäen haben sich Bauern in
größerer Zahl frei vom Herrenrecht erhalten
können.
§ 23. Die Bedürfnisse der
Heeresverfassung blieben für die fortschreitende
soziale Organisation des Volkes maßgebend.
Als die tiefen Massen des Fußvolkes
die entscheidenden Schlachten schlugen, war jeder
Krieger ein vollberechtigter
Volksgenosse und die Ackerverteilung als Regel
eine gleichmäßige. Als die größere
Ausdehnung des Reiches aber mit den Siegen über die
Araber und die ebenfalls berittenen Ungarn das
Schwergewicht der Heeresmacht vom
Fußvolk auf die Reiterei
übertrug, die — um Tüchtiges zu leisten
— mit Roß und Waffen in steter Uebung bleiben
mußte, konnte eine weitgehende
Differenzierung im soliden Aufbau des Volkes nicht
ausbleiben. Eine Differenzierung der Arbeit
war notwendig. Der Eine bebaute die Hufe, der Andere
übte sich in den Waffen und führte die Kriege
des Reiches.
Auch eine
Differenzierung nach dem Maße der Rechte der
Einzelnen war in einem so groß gewordenen
Reiche bald notwendig. Da standen der König
mit seinem Gefolge, die Herzöge,
Grafen und geistlichen
Würdenträger, als die höher
berechtigten, gegenüber den einfachen
Reitern, den Bauern und allen
übrigen als den minder Berechtigten.
Und weil die materielle Unterlage für all diese
Stufenbildungen nur der Grundbesitz sein konnte,
mußte die reale Entwickelung notwendigerweise
zunächst über die Interessen der gemeinfreien
Bauern hinweggehen und zur Bildung großer
Grundherrschaften kommen. Wer aber bei Betrachtung
jener Unsumme von Unrecht und böser Gewalt, welche
mit all diesen Umwandlungen verbunden waren, zu lange
verweilt, wird sich notwendigerweise den Einblick in die
innere Zweckmäßigkeit dieses
geschichtlichen Werdeprozesses verschließen.
Daß trotz alledem der so entstandene
Lehnsstaat für seine Zeit nicht nur etwas
Neues, sondern auch etwas Großes
für die staatliche Entwickelung bedeutete, lassen am
besten jene Lehrsätze erkennen, die das
Mittelalter aus den Verhältnissen des Lehnsstaates
sich heraus gelesen hat.
§ 24. Der Theorie nach erstreckt
sich die Einheit der lehnsstaatlichen
Verfassung zuletzt über die ganze
Erde, mindestens aber über das ganze
christliche Abendland. An der Spitze dieser, aus
militärischen Bedürfnissen hervorgegangenen
Staatsform hatte Gott — in Konsequenz der
vorausgegangenen Verschmelzung des Frankenreichs mit der
Kirche im Karolingerstaate — zwei
Schwerter gesetzt: das geistliche und das
weltliche Schwert — Papst und Kaiser.
Beide übten im göttlichen Auftrage
und unter göttlicher Gnade die
Weltherrschaft aus. Weil beide „Herren
der Welt“ waren, waren auch beide Herren des
Landes und des ge
samten
Grundbesitzes. Sie belehnten
ursprünglich mit Land und
Amt. Die von der kaiserlichen und
päpstlichen Krone belehnten Vasallen
belehnten wieder andere, diese letzteren
abermals andere u.s.w.
Aber „belehnt“ konnte nur werden, wer
„Heerschild“ hatte, mithin der
neuen Heeresorganisation angehörte. Pfaffen, Frauen,
Juden, Bürger und Bauern waren ohne
Heerschild und damit aus dem Lehensverbande
ausgeschlossen. Die verschiedenen Lehnsverträge
stuften sich nach dem Sachsenspiegel (um 1230
niedergeschrieben) in sieben Heerschilde ab.
Die kaiserliche, königliche bezw.
päpstliche Krone führten den
ersten Heeresschild. Wer nur von diesen Kronen
direkt belehnt war, führte den zweiten.
Da die weltlichen Fürsten sich zumeist
von geistlichen Fürsten hatten belehnen
lassen, führten die geistlichen Fürsten den
zweiten, die weltlichen den dritten Heerschild. Der
Lehensträger gehörte nämlich immer einer
tieferen Stufe an, als der Lehensherr. Es folgte als der
vierte Heerschild die freien Herren, als der
fünfte die Bannerherren, als sechster
die Ritter und als siebenter endlich die
Nicht-Ritterbürtigen, genannt die
Einschildigen. Infolge dieser Lehnsordnung
hatten die Beamten des Karolingerstaates aufgehört,
eigentliche Beamte zu sein. Der Herzog und der Graf waren
Vasallen des Königs oder der Kirche
geworden, das Herzogtum, die Grafschaft gehörten
ihnen als ihr Lehen zu eigenem
Rechte. Das Amt und das als
Sold dazu ihnen übergebene
Beneficium waren so miteinander
verschmolzen, daß das Amt selbst auch
als Gegenstand der Verleihung, als Lehen
aufgefaßt wurde. Das ganze Lehnsverhältnis war
auf einen gegenseitigen Treueid
begründet. Der Vasall war seinem Herrn zu treuen
Diensten verpflichtet, aber auch der Lehnsherr
mußte dem Vasallen Schutz nach Kräften
leisten. Beistand in Not war wechselseitige
Pflicht. Auch nahmen die
Kriegsartikel keine Rücksicht auf
Familienbeziehungen der Einzelnen. Der Vasall mußte
dem Kriegsrufe seines Herrn gegen alle
folgen, welche nicht der direkt übergeordneten
Stufenreihe des Lehnstaates angehörten, also auch
gegen den eigenen Bruder, Sohn oder Vater. So lange der
Vasall diese Treue hielt, war er in seinem Lehen
gesichert. Entstand ein Rechtsstreit, so konnte
jeder Lehensträger nur durch seine Genossen
gerichtet werden. Das Lehnsrecht hat so das Recht
des Einzelnen dem Mächtigen
gegenüber in ein heiliges Recht
verwandelt. Das konnte in einer Epoche der Roheit und
Eigenmacht nur heilsam wirken. Wer nicht zum
Heeresverband gehörte, mußte daheim die Felder
bebauen und als Angehöriger der grundholden
Bevölkerung Abgaben und Dienste leisten. Aber
auch hier fand der Einzelne jenes Maß von Schutz
und Sicherheit, welches das Hofrecht der
Grundherrschaft ihm gewährleistete.
All diese Sätze des Lehensrechtes bieten
indeß nur für eine ganz bestimmte Zeit ein
einigermaßen zutreffendes Bild. Die Zeitperiode,
die wir unter dem Namen Mittelalter zusammenfassen, war
so wenig verknöchert, vielmehr so angefüllt mit
fortwährenden Umbildungen und Revolutionen,
daß nur eine Darstellung, welche die
Entwickelung der einzelnen großen
Interessengruppen zeichnet, das Verständnis
der mittelalterlichen Geschichte erschließen kann.
Wenden wir uns deshalb zunächst der Entwickelung des
Bauernstandes zu.
§ 25. Die Bevölkerung,
welche im Karolingerstaate den Boden bearbeitete,
setzte sich zusammen aus Sklaven, Liten (Halbfreien) und
freien Bauern. Die Ausbildung des Lehenstaates
zerriß die freie Bauernschaft zunächst in zwei
Klassen: ein kleiner Teil behauptete seine Freiheiten:
reiche Hüfner, welche sich Pferde hielten, wurden
durch Precarie (§ 20)
reisige Dienstmannen
(Ministerialen) der Kirchenfürsten oder der Grafen
und Herzöge, die Masse der freien Bauern aber sank
hinab zu zins- und dienstpflichtigen Hufnern und
verschmolzen als solche mit den Liten und Unfreien im IX.
Jahrhundert zu einer Klasse
grundholder Bauern oder
Hintersassen. Aber die neue Organisation,
welche diese Hintersassen jetzt in den großen
Grundherrschaften erhielten, gab sofort wieder
Anlaß zu neuen Differenzierungen.
Diese Herrschaftsgebiete hatten eine ansehnliche
Ausdehnung. Geistliche Grundherrschaften
erreichten als Regel 2200—4500 Hektar, aber solche
mit 7500—15'000 Hektar waren keine Seltenheit.
Kleine Laiengrundherrschaften besaßen zwar nur
gegen 800 Hektar, die fürstlichen Grundherrschaften
jedoch waren wesentlich größer. Ueberall war
der Kleinbetrieb beibehalten worden. Die
Hufenwirtschaften der Bauern hatten durch ihre Aufsaugung
in große Grundherrschaften keine wesentliche
Aenderung erfahren. Aus der früheren Dorfgemeinde
wurde ein grundherrlicher Fronhof, auf
welchem wie vorher neben dem Vollhufner der Halbhufner,
der Leerhäusler mit ihrem eigenen Schmiede und ihrem
eigenen Zimmermann wohnten. Wie vorher in der
Dorfgemeinde, so war man jetzt in der Fronhofswirtschaft
bestrebt, alle ökonomischen Bedürfnisse
möglichst in der eigenen Wirtschaft zu decken. Nur
etwa Salz, Eisen und Mühlsteine mußten gekauft
werden. Die Aufsicht über den Fronhof wurde von
einem Meier geführt, welchen der Grundherr bestellt
und in der Regel aus den Hufenbauern selbst
ausgewählt hatte. Seine Aufgabe war es, die
Zinsleistungen aller Art als Zwischenhebestelle der
Grundherrschaft in Empfang zu nehmen und nach den
ihm gewordenen Anweisungen abzuliefern. Er beaufsichtigte
die unfreien Dienstleistungen der Hintersassen, die etwa
zu Rodungen auf Neuland, zu Wegebauten,
Wasserbauten verwendet wurden. Unter seinem
Vorsitze versammelte sich die
Gerichtsgemeinde des Fronhofs, um nach
Hofrecht das Urteil zu finden. Nach seinen
Anordnungen wurde die Bestellung der Felder im
Flurzwange ausgeführt. Er bestimmte die
Reihenfolge, nach welcher die grundherrliche Mühle,
das grundherrliche Brauhaus benutzt wurde und
vereinnahmte für den Grundherrn den auch dafür
zu leistenden Zins usw. Mehrere solcher Fronhöfe
gehörten bei ausgedehnten Besitzungen zu einer
Propstei. Das natürliche Zentrum aller
Fronhöfe bildete der Herrensitz des
Grundherren. Hier gab es neben den Zinsbauern noch
Fischer, Jäger, Roßhirten, Schäfer,
Weinbauern, Gärtner und Handwerker aller Art in
hofrechtlicher Abhängigkeit. Eine besondere
Organisation des Nachrichtendienstes und des
Transportwesens sorgte für regen Verkehr zwischen
Herrenhof und Fronhöfen. Der vom Grundherren und
seinen Leuten mit Hilfe der unfreien Dienstleistungen
bewirtschaftete Teil der Grundherrschaft hieß
„Salland“ oder
Salgut im Gegensatz zu den Zinshufen der
Hintersassen.
In jenen Gebieten des christlichen Abendlandes, in
welchen sich römische Städte mit
römischen Verkehrswegen besser erhalten
hatten und die Gunst der klimatischen Verhältnisse
Spezialkulturen wie Weinbau, Olivenbau, Obstkultur in
gesuchten Qualitäten ermöglichte, wie in
Italien und im südlichen Gallien, war auch der
römische Großbetrieb mit Verpachtung an
routinierte Provinzialen für
größere Grundbesitzungen beibehalten
worden.
§ 26. Die Blütezeit dieser Art von
Bodenbewirtschaftung unter persönlicher
Leitung der großen Grundherren fällt in
das X. und XI. Jahrhundert. Im Laufe des XI.
Jahrhunderts sind plötzlich eine Anzahl von
Herrenhöfen in
„Städte“ verwandelt, deren
Bewohner aus hofrechtlich abhängigen Leuten
„Bürger“ geworden waren.
Damit zeigten sich den Grundherren
neue, interessante und rentable Aufgaben, welche
ihr Interesse in solchem Maße in
Anspruch nahmen, daß sie sich von
jetzt ab von der persönlichen Leitung ihrer
Grundherrschaften mehr und mehr
zurückgezogen haben. Seit dem Jahre
1095 hatten die Kreuzzüge begonnen.
Eine große Zahl adliger Kreuzritter versuchten im
Orient ihr Glück und verkauften vorher ihren
heimischen Grundbesitz. Der Grundmarkt wurde
dadurch stark mit Angebot belastet.
Gleichzeitig nahmen die Pflichten der
Ritterschaft des christlichen Abendlandes jedes
Mitglied immer mehr in Anspruch, was abermals die
Grundherren von der Selbstverwaltung ihrer
Grundherrschaften fern halten mußte. Die
wagemutigen Normannen, germanische Bewohner
von Skandinavien und Dänemark, waren im
VIII. und IX. Jahrhundert für den Karolingerstaat an
seiner Nord- und Südgrenze eine schwere Plage
geworden. Sie gewannen im Osten die Herrschaft
über Slaven und Finnen, drangen in dem
heutigen Rußland erobernd vor,
gründeten das russische Reich mit der Hauptstadt
Nowgorod und schlugen im Dienste des Kaisers
von Byzanz als „Waräger“
die Schlachten des oströmischen Reiches. Diese
gefährlichen Feinde sind nur dadurch Freunde des
christlichen Abendlandes geworden, daß Karl der
Einfältige, der König von Frankreich, im Jahre
911 ihnen die Normandie als Lehen
überließ, und die neuen Ansiedler sich zum
Christentum bekehrten. In den Jahren 1059 und 1130 folgte
die Belehnung der Normannen mit Apulien und
Sizilien durch den Papst. Im Jahre 1066
eroberte Wilhelm von der Normandie England
und knüpfte auch dieses Reich enger an die
römische Kirche. In eben dieser Zeit verfolgte man
ganz allgemein gegen die noch heidnischen
Ungarn und slavischen Völker die
Politik: sie durch das Schwert, das Kreuz und die
deutsche
Pflugschar dem christlichen Abendlande
anzugliedern, was schon Karl dem Großen bei dem
Sachsenstamme so gut gelungen war. Bistümer,
Mönchs- und geistliche Ritterorden wurden die
Träger einer großen
Kolonisationsbewegung, die gegen den Osten
von Europa erobernd vorgedrungen ist und im Norden
bis an die Küsten der Ostsee, im Süden bis nach
Siebenbürgen ihren Einfluß erstreckte. Durch
all diese Aufgaben wuchs die Nachfrage nach
tüchtigen christlichen Bauern
außerordentlich.
§ 27. Große dauernde Nachfrage nach
bäuerlichen Arbeitskräften, vermehrtes Angebot
von Grundherrschaften und ein immer
ausschließlicheres Interesse der Grundherren
für die Pflichten ihres Schildamts, wie für die
neue städtische Entwickelung mit ihrem Renteinkommen
mußten notwendiger Weise einschneidende
Veränderungen in den Rechtsverhältnissen der
bäuerlichen Hintersassen hervorrufen. Unter
Führung des Meiers hatten sich die Bewohner der
Fronhöfe bald eine gewisse rechtliche
Selbständigkeit erworben, die zu einer
grundholden Genossenschaft sich auswuchs,
welche mit ihrem bisherigen Grundherren neue
selbständige Geschäftsverträge zum
Abschluß brachte. In der Normandie hat
diese Hofgenossenschaft schon im XI.
Jahrhundert begonnen, gegen Zahlung eines Lehnsgeldes das
persönliche Herrschaftsrecht der Grundherren
abzulösen und den bisherigen
Fronhof gegen eine wesentlich erhöhte
Summe als freie Leute von dem
Grundherren zu pachten. Bis ins XIII.
Jahrhundert hatte sich diese Umwandlung der
unfreien Hintersassen in freie Zeit-, Lehens- oder
Erbpächter, neben denen jetzt freie
Lohnarbeiter in den Dörfern erscheinen,
ziemlich allgemein vollzogen. Der Meier war
jetzt zu einem freien Rentbeamten des
Grundherrn aufgerückt. Im
westlichen Deutschland finden wir den Meier
als Lehnsmann des Grundherren, welcher mit dem Fronhof
erblich bewidmet ist und der im Laufe des
XIII. Jahrhunderts es auch noch verstanden hat, sich vom
Lehnsnexus zu befreien. Als
Herr des Fronhofs erblickte er dann in den
Zinsbauern seine Grundholden. So sind im
westlichen Deutschland aus den alten
Meierhöfen Rittergüter geworden,
die von den Zinsleuten der Frongenossenschaft umwohnt
blieben. In Niedersachsen sind durch
Abwanderung der hofgenossenschaftlichen Bevölkerung
in Neurodungen des Mutterlandes oder in das
Kolonisationsgebiet des Ostens größere
Gutsbetriebe unter dem ritterbürdig
gewordenen Meier als Erbpächter
entstanden. Die umfangreichen Rodungen auf deutschem
Boden im XII. Jahrhundert bezeugen die zahllosen
Ortsnamen auf rode, brand, schneid und hagen, welche aus
dieser Zeit stammen. Rodbauern waren schon
im XI. Jahrhundert freie Pächter des
Grundherrn, welche auf 5 bis 7 Jahre von jedem Zins
befreit waren und dann nur eine mäßige
Erbpacht zu zahlen hatten. Im südlichen
Frankreich und Italien verbreitete sich
innerhalb des Produktionsgebietes der Spezialkulturen der
Teilbau, welcher den persönlich freien
Pächter einen bestimmten Prozentsatz des
Naturalertrages (etwa die Hälfte) an den Grundherrn
abzuliefern verpflichtet.
§ 28. Durch die nach dem Osten Europas
vordringende Kolonisation wurde 1⁄3 der Fläche des heutigen
Deutschlands gewonnen. Auch hier erfolgte die Besiedelung
von Anfang an unter günstigem Recht.
Die ersten deutschen Kolonisten waren
Niederländer, Vlamen und
Holländer gewesen, die durch furchtbare
Mißjahre aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Sie
haben Moos- und Sumpfgebiete im westlichen Deutschland
für den Ackerbau gewonnen. Auch bei der Kolonisation
des
slavischen Bodens im Osten gingen
sie voran. Ihnen folgten die Sachsen, dann
auch die Thüringer, Franken und
Bayern. Von den kirchlichen
Organisationen zeichneten sich hier namentlich die Orden
der Prämonstratenser und
Cisterzienser aus. Hie und da, wie im
westlichen Mecklenburg und auch in der
Mark Brandenburg wurden die
Slaven systematisch ausgerottet oder doch
ihrer Ländereien beraubt. Anderswo wie im
östlichen Mecklenburg, in
Pommern, im ganzen Sorbenlande,
der Markgrafschaft Meißen, in
Schlesien blühten überall
zwischen den slavischen
Ringdörfern deutsche Siedlungen empor. In
Brandenburg z. B. ging die Besiedelung in
folgender Weise vor sich. Die slavische Bevölkerung
eines Dorfes wurde kurzer Hand verjagt und das dazu
gehörige Gebiet einem Locator zur
Besetzung mit Deutschen übergeben. Der Locator
erhielt 2 bis 4 Hufen für sich, 2 Hufen wurden der
Pfarre zugewiesen, die andern standen zur Vergebung an
bäuerliche Siedler offen, die der Locator
heranzuziehen hatte. Gelang die Besiedelung, so wurde der
Locator Erbschulze des Dorfes und als
solcher Beamter des Lehensherrn, der seinen Grundbesitz
zu Lehen trug. Die Bauern bildeten unter ihm eine
Gemeinde. Sie saßen zu
Erbzinsrecht und im Rechte
freien Zuges, sobald sie für einen
Ersatzmann gesorgt hatten Nach einer Anzahl von
Freijahren, die bei Urbarmachungen bis zu 16
Jahren stiegen, zehnten sie der Kirche und
zahlen dem Grundherrn mäßige
Zinsen. Die Kolonialhufen, in welche
der Locator das ihm angewiesene Land aufzuteilen hatte,
umfaßten 60 bis 120 Morgen (à 1⁄4 Hektar) gegen nur 30 bis 40 Morgen
der altfränkischen Hufe.
Ueberblicken wir diesen lehnsstaatlichen
Entwickelungsgang, so sehen wir zunächst die
Mehrzahl der freien Bauern im VII., VIII. und IX.
Jahrhundert ihre
persönliche Freiheit verlieren, um sich mit
den Halbfreien und Unfreien zur Masse
der grundholden Bauernschaft zu verschmelzen, die
dann im XI. und XII. Jahrhundert sich aus ihren
persönlichen Abhängigkeitsfesseln
lösen. Für die große Masse der
bäuerlichen Bevölkerung hat sich damit das
lehnsstaatliche Verhältnis bereits ausgelebt und
zwar mit einer wesentlichen Verbesserung ihrer
kulturellen Verhältnisse.
§ 29. Wie ist es in der gleichen Zeit den Vertretern der edlen Reiterei
ergangen?
Die Lehensherren der verschiedenen Stufen hatten
ursprünglich aus freien wie aus unfreien Leuten den
Stand der Ministerialen, ihre reisigen
Dienstmannen gebildet, die dem persönlichen
Gefolge zugehörten und zumeist Ausrüstung wie
Verpflegung aus dem grundherrlichen Wirtschaftsbetriebe
erhielten. Der reisige Dienstmann eines
Grafen stand unter dem niederen Hofrecht,
der freie Bauer unter dem besseren
Landrecht. Trotzdem hob Einfluß wie Ansehen
den Reitersmann sichtlich über den Bauersmann empor.
Bald war es Sitte geworden, dem Dienstmann
ein Dienstlehen zu geben. Und als im XI. und
XII. Jahrhundert die Grundherren sich von der
persönlichen Leitung ihrer Grundherrschaften
zurückzogen, um in den Städten und
auf den Burgen ihrem Schildesamte zu leben,
erhielten auch Ministeriale das Salgut zu Lehen. Die
kaiserliche Politik fand es im XI. und XII.
Jahrhundert ratsam, die Erblichkeit dieser
Dienstmannenlehen zu begünstigen und damit
ihre persönliche Abhängigkeit von dem
Grundherrn wesentlich abzuschwächen. Am
meisten jedoch wurde die soziale Stellung der
Ministerialen durch die Kreuzzüge
begünstigt. In diesem großen
gemeinsamen Unternehmen des christlichen
Abendlandes gegen das islamische Morgenland
kämpften und lagerten die
reitenden Dienstleute Schulter an Schulter mit den
Fürsten und Königen. Manch tapferer
Schwabenstreich brachte dem einfachen Reitersmann Ruhm
über viele stolze Lehnsherren. Die verfeinerten
Sitten der Araber in Kleinasien übertrugen nach
Europa den Minnedienst, das
Minnelied und die Wappenkunde,
wie das Turnier mit einem eigenen Kodex der
gesamten ritterlichen Sitten und Gebräuche, die von
nun an im Abendlande in dem „höfischen
Leben“ zusammengefaßt wurden. Aus all
dem wuchs die mittelalterliche Idee und Vorstellung des
christlichen Rittertums empor.
Ritterschaft und Adel wurden
identische Begriffe. Der Adel
war jetzt die bewaffnete Ritterschaft des
Reiches, der Kaiser als
weltliches Oberhaupt der Christenheit der
erste Ritter. Es gab keinen
französischen, deutschen oder englischen Adel. Das
Rittertum des Mittelalters ruhte, wie die
Kirche, auf einem internationalen Gedanken.
Die Ritterschaft des christlichen
Abendlandes war eine einheitliche
Genossenschaft geworden, die, wie auch die Kirche,
das Reich, die gelehrte Bildung, keine
nationalen Grenzen kannte. Es darf daher nicht
überraschen, daß zunächst schon im Laufe
des XII. Jahrhunderts ursprünglich unfreie
reisige Dienstleute der Gewalt des Grundherrn
entwachsen sind, um als „freier niederer
Adel“ dem hohen Adel der Fürsten,
Herzöge und Grafen zur Seite zu stehen. Es war die
einfache Konsequenz dieser Tatsache, daß zu Ende
des XII. Jahrhunderts durch kaiserliches
Gebot dem Bauern das Eintreten
in die Reihe der Ministerialen versagt wurde. Die
ritterliche Genossenschaft wurde nach unten
abgeschlossen. Ihre Ergänzung blieb im wesentlichen
auf die ritterbürtigen Nachkommen
beschränkt, welche vorschriftsmäßig die
Schule als Knabe, Page und
Knappe durchzumachen hatten, bevor sie den
Ritterschlag erhielten,
der sie mit feierlichem Eide nicht
nur dem Kaiser und Könige,
sondern vor allem der römischen Kirche
zu Treuen verpflichtete. So ist also ein
großer Teil des Adels aus ursprünglich
hörigen, unfreien Dienstmannen
hervorgegangen. Der Rittergürtel ließ jeden
Unterschied zwischen eigentlichem Adel und Hörigen
verschwinden.
Diesen veränderten Verhältnissen
entsprechend geschah die Besetzung der neuen
Kolonialgebiete östlich der Elbe mit ritterlichen
Reitern in der Weise, daß neben der
Dorfgemeinde der Bauern das Gut des Knappen oder
Ritters (Rittergut) mit einem Umfange von
4—6 Hufen vorgesehen wurde (zu je 60—120
Morgen). Der Knappe hatte mit 2—3
Spießjungen, der Ritter mit 3—4
reisigen Knechten anzureiten. Für diesen
Reiterdienst war das Rittergut frei von
Steuern und bäuerlichem Zins.
Der ungeschmälerte Ertrag des Gutes
vertrat des Ritters Sold. Der Ritter
besaß sein Gut unter Obereigentum seines
Lehnsherrn. Statt einer streng lehnsstaatlichen
Unterordnung der Bauern unter den Ritter beobachten wir
hier im XII. und XIII. Jahrhundert eine Siedlung der
freien Bauern neben dem Rittergute. Neue
Zeiten mit anderen Verhältnissen standen vor der
Türe.
§ 30. Die persönlichen
Dienstmannen des Kaisers und seine Beamten, die
Herzöge und Grafen, waren nach dem Kaiser die
Spitze des Karolingerstaates. So lange ein Karl der
Große die Regierung führte, blieben die
hochgestellten Herren Beamte und Dienstleute, Sobald aber
die Zentralgewalt in schwachen Händen ruhte oder
böser Zwist in der Herrscherfamilie Bewerbungen um
eine größere Gefolgschaft hervorrief oder die
Degeneration der Karolinger dazu zwang, einen der bisher
ersten Beamten zum Könige zu wählen, oder die
von Hause aus zweiköpfige Spitze des Lehnsstaates
ihren unausbleiblichen
Kampf um
die Vorherrschaft zum Austrag brachte — da bot sich
auch für die ersten Hof- und Staatsbeamten des
Karolingerstaates Gelegenheit, die Frage der
Rangordnung für ein bestimmtes Territorium zu ihren
persönlichen Gunsten zu entscheiden. Von
jeder kraftbewußten Persönlichkeit war in
solcher Lage nichts anderes zu erwarten. Die
Antrustionen, Grafen und Herzöge
mußten eines Tages selbständige
Territorialfürsten werden und damit die
Verfassung des Lehnsstaates zertrümmern.
Für die historische Betrachtung bleibt nur
übrig zu berichten, wann und unter welchen
Umständen dieser Wandel geschehen ist.
Schon der erste Nachfolger Karls des Großen,
Ludwig der Fromme, wurde 833 von seinen
aufständischen Söhnen gefangen, von den
Bischöfen des Reichs abgesetzt und erst nach einer
öffentlichen Kirchenbusse in der Marienkirche von
Soissons wieder auf den Thron gehoben. Karl der
Dicke ist 887 im Ost- und Westfrankenreiche wegen
Feigheit seines Königsamtes enthoben worden. Ihm
folgte im Ostfrankenreiche Arnulf von
Kärnten und dann als letzter der Karolinger
Ludwig das Kind im Alter von 6 Jahren
(899—931). Das deutsche Reich schien sich in die
Herzogtümer Sachsen, Franken, Bayern, Schwaben
und Lothringen auflösen zu wollen.
Nur die furchtbaren Einfälle der Ungarn,
Slaven und Dänen haben die Großen
endlich gezwungen, ihren tüchtigsten und
machtvollsten Genossen zum König zu wählen:
Heinrich I. (919—936) den
Erneuerer des deutschen Reiches. Ihm folgte sein
würdiger Sohn Otto I. der Große
(936—973). Aber wie geht es jetzt in der
herrschenden Königsfamilie zu? Im Jahre 938
empört sich Thankmar, der Halbbruder des
Königs. Im Jahre darauf beginnt sein jüngerer
Bruder einen gefährlichen Aufstand. Im Jahre 941
versucht derselbe Königs
bruder
einen Mordanschlag gegen Otto I. Im Jahre 976 folgt die
Empörung eines Vetters gegen Otto II.
(973—983). Es war also kein durchschlagendes
Hilfsmittel zur Sicherung der Königsherrschaft, wenn
Otto I. die deutschen Herzogtümer und die
ertragreichsten geistlichen Fürstentümer vor
Allem an seine Verwandten vergeben hatte. Seit
Ottos III. Einsetzung (983—1002)
mußte auf lange Jahre die Vormundschaft die
Regierungsgeschäfte führen. Die wachsende
Selbständigkeit der Großen setzte es durch,
daß gerade seit diesem Augenblicke Reichsamt
und Lehen der Herzöge und Grafen erblich
werden. Die eiserne Faust Konrads II. und
seines Sohnes Heinrichs III. (1039—56)
hat dann zwar noch einmal die großen Lehensherren
zu unbedingtem Gehorsam niedergezwungen. Eine
Fürstenverschwörung gegen diesen letzten Kaiser
wurde 1055 noch rechtzeitig unterdrückt. Aber unter
seinem im Alter von 6 Jahren ihm folgenden Sohne erhoben
sich die Fürsten nunmehr im Bunde mit dem Papsttum
über das Kaisertum. Der Vereinigung der
fürstlichen und päpstlichen Macht ist der
Kaiser unterlegen. Mit Heinrich V.
(1106—1125) und Lothar
(1125—1137) folgen bereits die Kaiser von des
Papstes Gnaden. Die großen Vasallen
der Karolingerzeit sind jetzt die
Fürsten der Staufenzeit geworden.
Mit Beginn des XIII. Jahrhunderts ist die
Territorialherrschaft bereits fest begründet.
Die Stammesherzogtümer fühlen sich dem
Könige durchaus ebenbürtig. Die alten
Königsrechte: das Gericht, das Münzrecht,
Einkünfte verschiedener Art, die Verfügung
über das noch herrenlose Land, sind in die
Hände der ehemaligen Beamten und königlichen
Gefolgsleute gekommen. Sobald die Territorialgewalt
souverän wird, wird die Zersplitterung
des Reiches unheilbar. Der Sohn folgte seit dem
XIII. Jahrhundert dem Range des Vaters. Das
Amt ist Adel und Sache des
Blutes
und der
Abstammung geworden. Das deutsche
Reich verwandelte sich aus einem König- und
Kaiserreiche in eine aristokratische
Republik. Der Kaiser hörte auf, Herr und
Gebieter zu sein und ist bald nur noch Repräsentant
des Reiches.
§ 31. Indeß sind die neuen
Territorialfürsten damit nur der
weltlichen Spitze des Lehnsstaates Herr
geworden. Die Herrschaft des päpstlichen
Schwertes besteht gerade jetzt in bisher
ungeahnter Machtfülle weiter. Diese päpstliche
Herrschaft beschränkt sich nur auf das lose Band der
Oberlehnsherrschaft oder auf den praktischen Inhalt jenes
Treueides, den jeder Ritter der Kirche geleistet hatte.
Der Papst wird im XII. und XIII. Jahrhundert
als Herr der Christenheit tatsächlich
Eigentümer des gesamten Vermögens der
christlichen Kirchen. Das bedeutete in Deutschland
den Eigentumsanspruch von 1⁄3, in England 1⁄2, in Frankreich 1⁄7 des gesamten Grund und Bodens.
Seit Papst Innocenz III. (1198 bis 1216)
werden diese gewaltigen Rechtsansprüche durch
Erhebung direkter Steuern auf alles
Kircheneinkommen (Kreuzzugssteuern) geltend
gemacht, die sich rasch zu einer Besteuerung der
gesamten Christenheit erweitern. Mit diesen
Geldsteuern ist jedoch der Boden der
lehnsstaatlichen Ordnung der Dinge schon
prinzipiell verlassen. Der
Entwickelungsprozeß der Emanzipation der neuen
Territorialfürsten auch von der päpstlichen
Herrschaftsgewalt muß deshalb in anderem
Zusammenhange erörtert werden.
§ 32. Anders als in Deutschland gestaltete sich
die Geschichte der Grafen- und
Herzogsgewalt in Frankreich. Nachdem auch
hier Karl der Dicke als unfähiger
Herrscher abgesetzt worden war, wählten die
Großen des Reiches nicht den Mächtigsten,
sondern einen kleineren ihrer Genossen zum Könige:
den Grafen Otto von
Paris. Und in dieser Wahl war
man nicht einmal einig. Eine Gruppe der Wähler trat
für einen Gegenkönig aus dem Hause des
Karolingergeschlechts ein. Die Herrschaft dieser
Gegenkönige dauerte volle hundert Jahre. Der
lästigen Einfälle der Normannen
suchte man dadurch Herr zu werden, daß man ihnen im
Jahre 911 ein bestimmtes Gebiet im nördlichen
Frankreich unter königlicher Oberhoheit
überließ. Frankreich selbst wurde ein Lehen
des deutschen Reiches. Erst vom Jahre 987 ab, wo der
letzte Karolinger in Schimpf und Schande zu Grunde geht,
ist die Herrschaft der Kapetingerkönige
eine unbestrittene. Sie hatte trotzdem
zunächst noch nicht viel zu bedeuten.
Die großen Grafen fühlen sich dem Könige
ebenbürtig und waren ihm an Macht oft weit
überlegen. Der Süden mit seinen
vielen Städten aus römischer Zeit
und seinen seither regeren Beziehungen zu Italien und
Spanien trennte sich vom Norden. Statt zu herrschen,
begnügten sich die
Kapetingerkönige vielmehr durch
kleine Geschenke die freundliche Zuneigung
der großen Herren zu erhalten. Ungehindert
verfügten die Grafen und Herzöge über das
Kirchengut und über die Kirchenämter und waren
dabei fortgesetzt bestrebt ihr Machtgebiet durch Kriege
und Fehden auf Kosten ihrer Nachbarn zu erweitern. Um die
damit verbundenen gräulichen Verwüstungen des
Landes und furchtbaren Quälereien namentlich der
grundholden Bauernschaft etwas zu mildern, wurde von der
ersten Hälfte des XI. Jahrhunderts ab durch die
französische Kirche der Gottesfriede
(Treuga Dei) gepredigt. Wenigstens an den Tagen der
Woche, die durch die letzten Tage des Erlösers
geheiligt waren, von Mittwoch abend bis Montag früh,
sollte jede Fehde untersagt sein und diejenigen, welche
in dieser Zeit Gewalttätigkeiten ausübten, mit
dem Kirchenbann belegt werden. Die ohnehin schon
schwierige Lage des französischen
Königs wurde im Jahre 1066
dadurch noch verschärft, daß einer der
mächtigsten französischen Lehnsträger,
Herzog Wilhelm von der Normandie, sich
England eroberte. Schon im XI. Jahrhundert
werden von den Grafen und Herzögen
Grafschaftssteuern in ihren Gebieten erhoben und nach
ihrem Belieben verwendet. Ein Zerfallen des
Westfrankenreiches in selbständige
Territorialgebiete schien unausbleiblich.
§ 33. Da waren es zwei Faktoren, welche der
Entwickelung dennoch den anderen Weg weisen sollten.
Durch 900 Jahre blieb die
französische Königskrone in dem Hause der
Kapetinger. Die übermächtigen
Großen schienen sich wenig darum zu kümmern,
daß die kleine Königswürde schon im XII.
Jahrhundert erblich wurde. Die Kapetinger aber konnten
ruhig abwarten, bis die rechte Gelegenheit
gekommen war, Frankreich in einen
Einheitsstaat zu verwandeln. Diese Gelegenheit kam
denn auch mit dem Beginn der Kreuzzüge
(1095), welche das französische Königtum von
seinen gefährlichsten Vasallen
befreite, die sich an den neuen Eroberungen im Orient mit
Eifer beteiligten. Die französische Kirche und die
Bevölkerung der Städte, welche ebenso wie der
König von dem Adel bedroht wurden, schlossen sich
enger zusammen, um schon unter Ludwig IV.
(1108—1137) die raubgierigen Burgherren zu
bestrafen. Ihre gemeinsame Politik aber mußte vor
allem gegen den König von England gerichtet werden,
welcher um die Mitte des XII. Jahrhunderts allerdings als
Vasall der französischen Krone die Hälfte von
ganz Frankreich besaß, während der König
selbst kaum ein Viertel des Landes zu seinem gesicherten
Besitz rechnen durfte. Der Kapetinger Philipp
II. (1180—1223) benutzte nun die Abwesenheit
des englischen Königs Richard
Löwenherz auf seinem Kreuzzuge, um trotz
seines feierlichen Gegenversprechens
in Johann ohne Land,
dem Bruder des Abwesenden, einen eigenen Kandidaten auf
den englischen Thron zu bringen. Aber kaum fühlte
sich dieser in seiner Position gesichert, als
Philipp II. ihn vor sein Lehnsgericht
zitierte. Da Johann mit Berufung auf seine Würde als
König von England zu erscheinen sich weigerte,
erklärte Philipp ihn durch lehnsgerichtlichen Spruch
all seines französischen Besitzes für verlustig
und eroberte diese Gebiete zum größten Teile.
Als hierauf eine Vereinigung des Königs von England
mit dem deutschen Kaiser, dem Welfen Otto IV., dem Herzog
von Brabant und dem Grafen von Flandern zu Stande kam,
siegte Philipp in der Schlacht bei Bouvines
(1214) mit den Fußvolkkontingenten seiner
Städte glänzend über die vereinigte
Vasallenreiterei der Gegner. So legten die Kapetinger den
Grundstein zu einer nationalen Einigung Frankreichs unter
ihrem Szepter in einer Zeit, in welcher die weltliche
Spitze des mittelalterlichen Lehnsstaates schon so
schwach geworden war, daß bald darauf (1247) der
Papst Innocenz IV. die
deutsche Kaiserkrone im Auslande ausbieten mußte,
weil in Deutschland keiner der Großen mehr auf
ihren Besitz reflektierte.
Indeß: nationale Einigung Frankreichs —
städtische Fußvolkkontingente —
Vereinigung der Krone, der Kirche und des Volkes gegen
den hohen Adel — das alles sind Begriffe und
Vorgänge, die nicht mehr dem lehnsstaatlichen
Systeme angehören. Auch deren weitere Entwickelung
wird daher in anderem Zusammenhange zu betrachten
sein.
§ 34. Wiederum eigenartig lagen die
Verhältnisse in England. Dem
normannischen Eroberer Wilhelm I.
(1066—1087) waren die revolutionären
Entwickelungstendenzen, welche die
lehensstaatliche Ordnung auf dem Kontinent
zum Nachteile für die Zentralgewalt in sich trug,
natürlich nicht unbekannt geblieben. Sein Streben
war deshalb von Anfang an darauf
gerichtet, die englische Königskrone gegen
diese Gefahr möglichst sicher zu stellen. Der
König mußte vor allem reich sein.
Wilhelm I. erhob deshalb für die Krone den
Rechtsanspruch auf den gesamten Grund und Boden des
eroberten England. Die angelsächsischen
Adligen, welche das Land gegen ihn verteidigt hatten,
wurden als Rebellen behandelt und ihr ganzes Habe oder
doch ein Teil desselben eingezogen. Aus dem
Ganzen sonderte der König zunächst einen
gewaltigen Besitz für die Krone aus.
Dann wurden die normannischen und
französischen Gefolgsleute und Siegesgenossen mit
Kronlehen ausgestattet. Den Kirchen
und Klöstern wurde ein bestimmter
Besitz zugewiesen. Da und dort wurde freier
bäuerlicher Besitz belassen. Kurz: der
Eroberer führte nach seinem Ermessen eine
Neuverteilung des gesamten Grundbesitzes
in England durch. Da für die Krone noch
Gefälle und Einkünfte verschiedener Art
vorgesehen wurden, schien die Königsmacht auf
absehbare Zeit ökonomisch gesichert und
unabhängig gestellt. Damit jedoch die vom
Könige verliehenen Rechtsansprüche am Grund und
Boden in England sich nicht in der üblichen Weise zu
Gunsten der Beliehenen verschieben konnten, ließ
Wilhelm I. in den Jahren 1083—1086 ein
Reichsgrundbuch anlegen, das den Namen
„Domesday Book“ (abgeleitet von
dem angelsächsischen Worte domesday —
„Tag des Gerichts“) erhielt. Hier wurden alle
Kronlehen, Kirchengüter, freie Bauergüter, der
städtische Besitz und die Höfe der Unfreien mit
den darauf lastenden Abgabepflichten eingetragen und der
König hielt streng auf gewissenhafte Erfüllung
aller Pflichten.
Trotz dieser klugen weitschauenden Politik kam unter
Johann (ohne Land) (1199—1216) das
englische Königs
tum in bedrängte Lage. Es
verlor, wie bereits erwähnt, fast alle seine reichen
Besitzungen in Frankreich: Maine, Touraine, Guienne,
Gascogne, mußte im Streit mit der römischen
Kirche dem Papst Innocenz III., den
Lehenseid für die englische Krone leisten (1213),
und jetzt erhoben sich auch die großen Vasallen.
Aber ihr Streben ist nicht, wie anderwärts, darauf
gerichtet, als Territorialfürsten sich
unabhängig vom Könige zu machen. Die im
Reichsgrundbuch fixierten Rechte an Grund und Boden geben
ihrer Politik eine ganz andere Richtung. Wenn in dem
Domesday Book die Rechtsansprüche des Königs
auf den Boden des Landes den Grundbesitzern
gegenüber fixiert waren, dann wollten die Vasallen
und ihre Anhänger auch die Rechte der
Untertanen der Königsgewalt gegenüber verbrieft
haben. Während in Frankreich der König
mit der Kirche und den Städten gegen den hohen Adel
kämpfte, waren in England Kirche, Adel und
Städte einig der übermächtigen
Königsgewalt gegenüber. So wurde 1215
auf der Wiese Runnemelde bei Windsor die Magna
Charta libertatum, die Grundlage der heutigen
englischen Verfassung mit dem Könige vereinbart. Die
Aemter der Bischöfe und Aebte sollten nicht mehr
durch das Belieben des Königs, sondern durch die
freie Wahl der Geistlichen besetzt werden. Die
Verfügungsgewalt des Königs auf die Nachfolge
im Lehen sollte zu Gunsten der Erblichkeit der
Lehen beschränkt sein. An Stelle des
Lehnsdienstes sollte die Zahlung eines
Schildgeldes treten. Die Erhebung von
Hilfsgeldern als ordentliche Steuern
für den König sollte nur nach vorheriger
Zustimmung der Prälaten und Barone
zulässig sein. Jeder Freie sollte nur
von seinesgleichen nach Landrecht gerichtet
werden. Die Städte sollten ihre
Privilegien behalten und die Kaufleute
freien Verkehr haben. Es sind bereits
moderne Volksrechte,
welche mit
diesem Schriftstücke dem englischen Könige
abgerungen wurden. Aber die Einführung eines
Reichsgrundbuchs in den Jahren 1083—86 war ja auch
bereits eine moderne gesetzgeberische Tat. Wilhelm der
Eroberer hat dem englischen Volksleben den
eigentümlichen Charakter eines bunten
Nebeneinander von alten und neuen Formen
aufgedrückt. Trotzdem wird die
entwickelungsgeschichtliche Betrachtung für England
die Periode des Lehnsstaates bereits 150 Jahre
nach der normannischen Eroberung mit der
ersten königlichen Bewilligung der Magna Charta
abschließen müssen.
§ 35. Kaiser und Papst. Ein
arabisches Sprichwort aus der Zeit Muhammeds lautet:
„Es gibt nur einen Gott, wenn es zwei gäbe,
würden sie miteinander kämpfen.“ Der
Kampf zwischen dem weltlichen und dem geistlichen
Schwerte um die Vorherrschaft im Lehensstaate war etwas
naturnotwendiges. Trotzdem war auch die doppelte Spitze
ein notwendiger Bestandteil der lehensstaatlichen
Verfassung. Schon der Karolingerstaat charakterisierte
sich als ein Verschmelzungsprodukt der römischen
Kirche mit dem Frankenstaate in der Weise, daß
trotzdem beide ihre selbständigen
Organisationen bewahrten. Wie hätte es im
Lehensstaate anders sein sollen, nachdem er als
organische Kulturfortsetzung des Karolingerstaates
hervorgewachsen ist? Es wäre für Beide um das
XI. Jahrhundert wiederholt ein Leichtes gewesen, die
andere Spitze ohne viel Kraftanstrengung auszuschalten.
Sie taten es nicht. Kaiser und Papst bedurften
einander. Die Karolingerkönige haben immer
wieder dem Papste in Rom durch das Frankenschwert die
persönliche Sicherheit gewährleistet. Als dann
unter dem Kinde Ludwig (899 bis 911)
Deutschland in seine Herzogtümer zu zerfallen
drohte, und die einzelnen Herzöge mit voller
Eigenmächtigkeit über das Kirchengut
verfügten, da waren es die deutschen
Bischöfe und Aebte, welche im
Einverständnis mit dem Papste all ihren
Einfluß aufboten, um die Großen des Reichs zu
einer glücklichen Königswahl zu bewegen. Und
als die zügellose städtische Aristokratie Roms
mit ihren Günstlingen den päpstlichen Stuhl im
X. und in der ersten Hälfte des XI. Jahrhunderts
verunzierten, als die großen römischen
Adelsgeschlechter der Crescentier und der
Tuskulaner um die päpstliche Würde
wie um ein Besitztum ihrer Familien kämpften, da
haben die deutschen Kaiser Otto der Große (936 bis
973), Otto II. (973 bis 983), Otto III. (983 bis 1002)
und namentlich noch Heinrich III. (1036 bis 56) das
Papsttum dadurch gerettet, daß sie als
römische Patrizier das Ernennungsrecht für das
römische Bistum ausübten und die Wahl des
Papstes von Rom nach Deutschland verlegten.
Trotzdem mußte das XIII. Jahrhundert
den Zusammenbruch der kaiserlichen Herrlichkeit und die
Alleinherrschaft des Papstes über das christliche
Abendland bringen, weil in einer Zeit, in der das
Geld seine unheilvolle Herrschaft angetreten
hat, der Kaiser verarmt, der
Papst aber infolge jener Ereignisse, welche
die Kreuzzugszeit begleiteten, zum reichsten Herrn
der Christenheit geworden war.
§ 36. Macht und Ansehen der Kaiserkrone hatten
mit Karl dem Großen ihren
Höhepunkt erreicht, um von da ab fast
fortgesetzt zurückzuweichen, Heinrich
I. und Kaiser Otto dem Großen
gehorchte nur ein Teil des ehemaligen
Frankenreiches: das Ostfrankenreich (Ostarihi) am Rhein,
Elbe, Main und Donau, dem noch Italien zugefügt
worden war. Die Weltherrschaft des
deutschen Kaisers war für
außerdeutsche Länder ein
bloßer Name oder auf kurze Zeit eine
bloße Oberlehensherrlichkeit mit bescheidenen
Tributleistungen geblieben. Die Weltherrschaft des
deutschen Kaisers beschränkte sich
tatsächlich auf die Herrschaft über
Italien.
Der Reichtum der deutschen
Kaiserkrone bestand aus dem von Pfalzgrafen
verwalteten Reichsgrundbesitz und aus jenen
Einkünften aus Zöllen, Gerichtsgeldern,
Lehensabgaben aller Art, deren Verwaltung in den
vom Kaiser nicht selbst beherrschten Gebieten den
Grafen und Herzögen als kaiserlichen
Statthaltern überlassen war. Aber schon
Heinrich I. und Otto I. haben erkannt, daß
für die kaiserlichen Verwaltungsgebiete der
Herzöge und Grafen die große Gefahr bestand,
durch die immer entschiedener hervortretende
Erblichkeit dieser Aemter der Krone verloren
zu gehen. Otto I. begann deshalb die Herzogtümer mit
seinen nächsten Verwandten zu besetzen.
Und als durch das rebellische Verhalten der Söhne
und Vettern diese Politik nicht als die richtige
beibehalten werden konnte, waren von Otto dem
Großen bis auf Heinrich IV. (936 bis 1106) die
deutschen Kaiser bemüht, ihre Macht auf den
Schultern der deutschen Kirchenfürsten zu
gründen. Ganze Grafschaften und Herzogtümer
wurden den deutschen Bischöfen und Aebten als
kaiserliches Lehen übertragen. Während unter
den letzten Karolingern die Kirchenfürsten sich kaum
der Gewalttätigkeiten der weltlichen Fürsten
erwehren konnten, scheinen jetzt die
geistlichen Fürstentümer mit ihrer
stetig wachsenden Macht die weltlichen
Grafschaften fast zu verschlingen. Für diese
Reichslehen in geistlicher Hand war die
Erbfolge der Lehensträger
ausgeschlossen. Mit jeder Handänderung
fielen diese Herrschaftsgebiete wieder an den Kaiser
zurück, welcher sie an seine zuverlässigen
Getreuen von Neuem vergeben konnte. Das
Kirchengut war Reichsgut
geworden. Beim Aufgebot des kaiserlichen Vasallenheeres
standen die geistlichen Fürsten nicht nur dem Range,
sondern auch der Truppenstärke nach an erster
Stelle. Ein Aufgebotsbrief des Kaisers Ottos II. von 981
fordert
die
Stellung von 1990 Panzerreitern, wovon 1482 die
geistlichen Herren, 508 die weltlichen Vasallen des
Reiches stellen sollten. Manch einer dieser streitbaren
Bischöfe hat inmitten seiner Vasallenreiter in der
offenen Feldschlacht den Tod für Kaiser und Reich
gefunden.
§ 37. Trotzdem war auch auf solche Weise das
Vermögen der deutschen Kaiserkrone gegen den
Zusammenbruch nicht versichert.
Die Vermögensverwaltung der kaiserlichen
Krongüter blieb in der
naturalwirtschaftlichen Organisation
stecken. Ohne geordnete Buchführung irgend welcher
Art, die damals im christlichen Abendlande auch noch
garnicht bekannt war, hatte man das System der
naturalen Ueberschußanweisung für die
einzelnen Domänen beibehalten. Diese
Ueberschüsse wurden durch die Gewohnheit fixiert.
Die bei steigenden Preisen der Produkte steigenden
Erträge der Güter sind dem Kaiser nicht zugute
gekommen. Wohl aber wurde aus dem
Domänenvorstand häufig ein
Erbpächter, welcher zur Lieferung von
bestimmten Naturalien an den Kaiser verpflichtet schien.
Und aus der Erbpacht ist schließlich das Erbeigen
geworden. Die betreffende Domäne aber war damit der
kaiserlichen Vermögensverwaltung entfremdet. Die
Einnahmen der Krone aus den Konfiskationen
der Güter rebellischer Vasallen, aus der
Erbfolge in das Gut der Erbenlosen und aus
den Eroberungen auf slavischem Gebiet waren
zwar vom X. bis XII. Jahrhundert noch sehr
beträchtlich. Aber auch die neuen
Grundbesitzerwerbungen wurden dem so leicht Verlust
bringenden System der naturalwirtschaftlichen Verwaltung
unterstellt. Schon im XI. Jahrhundert hören
die kaiserlichen Reichsforsteinhegungen auf, um
durch Einhegungen der Territorialherren ersetzt zu
werden.
Trotzdem bestand die eigentliche
Schwäche der ökonomischen Position der
Kaiserkrone weniger in dem Mangel an Grundbesitz und
weit mehr in dem Mangel an Geldeinnahmen zu
einer Zeit, in welcher die Ansprüche an die
Hofhaltung immer größer wurden, die
Warenpreise sich fortwährend erhöhten, die
Anforderungen an die „Milte“ des Königs
sich steigerten und das Geld sich anschickte, die
Welt zu regieren. Die großen
kaiserlichen Regalien wie die
Zölle, das Geleitrecht,
die Markt- und Münzhoheit, welche jetzt
sehr wohl große und immer steigende
Geldbeträge hätten abwerfen können, waren
leider von Anfang an nur zu willig an die
Territorialherren verschleudert worden. Die immer
wieder erneuerten Versuche, eine allgemeine
Reichssteuer einzuführen, sind von Heinrich
IV. bis auf Otto IV. (1066 bis 1215)
regelmäßig gescheitert. Nur die
Reichsstädte fanden sich bereit, eine
Pauschalsumme, welche mit jeder einzelnen Stadt von Jahr
zu Jahr besonders vereinbart werden mußte, dem
Kaiser zu steuern. Außerdem blieben
der Krone die veralteten Servitien der
Abteien und Propsteien mit den
Ehrengeschenken der Fürsten, das
bedenkliche Mittel der Zwangsanleihe und der
systematischen Verpfändung von
Kirchengut als verschleierte Zwangsanleihe und
endlich die längst verhaßten Einnahmen
für den Verkauf von geistlichen Aemtern und
die Erteilung von Reichslehen mit den
Einkünften aus den für den Kaiser
zurückbehaltenen Reichsabteien. Schon
der bedenkliche Charakter verschiedener Positionen dieser
kaiserlichen Einnahmen bezeugt, daß die
verfügbaren Mittel hinter den Anforderungen der
großen Aufgaben des Kaisers weit
zurückblieben.
§ 38. Wahrscheinlich am meisten
hatte unter den ungenügenden Geldeinnahmen des
Kaisers die Rechts
pflege zu
leiden. Seitdem unter den letzten Karolingern die
großen Grundherren die Möglichkeit erkannt
hatten, als Territorialherren zur Selbstherrlichkeit zu
gelangen, war auch jeder einzelne derselben bestrebt,
seinem Landhunger zu fröhnen und sein Gebiet auf
Kosten seiner Nachbarn zu erweitern. Damit hat sich jene
Rechtslage ausgebildet, welche als die Herrschaft
des Faustrechtes bezeichnet wird. Möglichst
unvermutet, an einem hohen kirchlichen Feiertage etwa,
fiel der böse Nachbar mit seinen Waffenknechten und
seinen Gefolgsleuten über den Ahnungslosen her,
vernichtete die Ernten, quälte in scheußlicher
Weise die fremden Grundholden durch Augenausstechen,
Blenden, Verstümmeln und Totschlagen, zerstörte
den Herrensitz des selbst gewählten Gegners und
schaltete nach Belieben über dessen und seiner
Familienmitglieder Tod und Leben. Das ganze Besitztum
wurde dann vom Gegner eingezogen, weil es nach Fehderecht
„erworben“ war. Diesen anarchistischen
Zuständen gegenüber waren die Könige in
der Regel machtlos. Es fehlten die Mittel, um etwa eine
auserwählte Truppe unter der Führung von
Königsboten regelmäßig das Land
durchreisen zu lassen, um das Recht zu schützen und
das Unrecht zu kränken. So blieb es denn den Grafen
und Herzögen und den Vögten der geistlichen
Herrschaften überlassen, an Ort und Stelle den
Königsfrieden zu wahren. Aber diese Herren
gehörten in der Regel selbst zur Zunft der
Raubritter und waren nur zu häufig der schlimmsten
Einer. Und schließlich waren ja damals auch die
Könige der Meinung, daß Verrat und
Meuchelmord durchaus erlaubt seien, wenn es sich
um Beseitigung eines unbequemen Gegners handle.
Als der Verkehr zunahm, machte man mit den
wohlhabenden Reisenden ein besonderes
Geschäft dadurch, daß man diese
zwang, sich auf ihrer Straße
geleiten zu lassen, und dafür eine
möglichst hohe
Summe
erpreßte. Man zögerte aber auch nicht, diese
Erwerbsart in der Weise abzukürzen, daß man
den Wandersmann einfach ausplünderte und gefangen
nahm, um ihn nur gegen entsprechendes Lösegeld
wieder frei zu geben. Dieser so weit gehenden
Unsicherheit gegenüber war man in erster
Linie auf die Selbsthilfe angewiesen, die
durch den Bau befestigter Burgen wesentlich
verstärkt wurde. Aber diese Hilfe blieb
naturgemäß eine recht lückenhafte. Wer
nicht selbst eine Burg besaß und für den Fall
der Not das Recht erwerben wollte, sich eine Burg
öffnen zu lassen, hatte dafür eine entsprechend
hohe Summe zu zahlen.
§ 39. Da kam die, von den großen
Grundherren in ihrem Besitz besonders oft
geschädigte französische Kirche
auf den Gedanken, den mangelnden
Königsfrieden durch einen
„Gottesfrieden“ (Treuga Dei) zu
ersetzen. Und damit hat die Rechtsentwickelung in ihrer
mittelalterischen Hilflosigkeit einen Weg eingeschlagen,
der seltsamer Weise heute noch bei den echt
zünftigen Staatsmännern als der normale gilt.
Man war damals zwar im Prinzip der Ueberzeugung,
daß jede Gewalttat als Unrecht zu verbieten und zu
bestrafen sei. Weil aber überall böse
Gewalttaten verübt wurden, hielt man ein
prinzipielles Verbot für zu weitgehend. Man machte
deshalb der herrschenden Lebensweise möglichst
weitgehende Konzessionen und begnügte sich damit zu
fordern, daß die letzten Tage des Erlösers
geheiligt seien, also von Mittwoch Abend bis bis Montag
früh jede Fehde bei Strafe des Kirchenbannes zu
unterbleiben habe. Drei Tage der Woche blieben
damit dem Faustrecht freigegeben. Diese kirchliche
Bewegung begann etwa mit dem Jahre 1053. Bald wurden auch
die hohen kirchlichen Feiertage in den Gottesfrieden mit
einbezogen. Die dann folgende Kreuzzugsbewegung war der
allgemeineren Ausbreitung des
Gottesfriedens günstig. Friedrich I. bestimmte im
Jahre 1187 bei Strafe der Ehrlosigkeit, daß die
Fehde sich wenigstens dadurch von einem gemeinen
räuberischen Ueberfall unterscheiden müsse,
daß sie 3 Tage vorher angesagt
werden müsse. Die rohe Rauflust der
Ritter suchte man seit dem XI. Jahrhundert durch
die Sitte der Turniere in weniger
gefährliche Bahnen zu lenken. Gegen die
skandalösen Ausbeutungen des Geleitrechts richteten
sich besondere Reichsbeschlüsse von 1201, 1208,
1234, 1235 usw. Trotzdem blieb natürlich noch mehr
als genügend Unrecht ungesühnt. Aber die
bescheidene Besserung der groben Mißstände,
welche auf diese Weise erreicht wurden, führten sich
auf die Initiative der Kirche zurück,
die dort eingetreten war, wo die Schwäche der
staatlichen Gewalt jede zeitgemäße Aktion
unterlassen hatte. Dieser unleugbare Erfolg der Kirche
veranlaßte sie auch andere
Reformfragen, ohne Rücksicht auf die
kaiserliche Initiative, in Angriff zu nehmen. Und dazu
war ja allerdings seit geraumer Zeit gerade für die
Kirche mehr als genügend Anlaß geboten.
§ 40. Schon mit den ersten Kirchenbauten im
Frankenreiche durch die Grundherren war es Sitte
geworden, Kirchen und Klostergründungen nicht nur
als eine Tat zur Ehre Gottes, sondern auch
als ein rentables geschäftliches
Unternehmen zu betrachten. Es erschien als
selbstverständlich, daß der Grundherr bei
„seinen“ Kirchen, Klöstern
und Bistümern über die überschüssigen
Einnahmen zu Gunsten seiner Tasche verfügen konnte,
daß er diese Kirchen, Klöster und
Bistümer dazu benutzte, um seine
Angehörigen zu versorgen, oder — wie Kaiser
Konrad II. (1024—1039) — die Erbfolgefrage
dadurch zu lösen, daß er seine sämtlichen
Söhne bis auf zwei, von denen der eine kinderlos
war, gezwungen hat, Kleriker zu werden, oder daß er
von einem Bewerber der
Abt- und
Bischofsstelle, welcher nicht zu seiner Familie
gehörte, sich eine entsprechende Geldsumme für
Uebertragung dieses Amtes zahlen ließ. Schon seit
dem V. Jahrhundert ist es Sitte gewesen, nicht den
Würdigsten, sondern denjenigen zum Bischof zu
weihen, der die größere Geldsumme
dafür zahlte. Ebenso war man längst
daran gewöhnt, die Abtswürde
besonders reicher Abteien als Grundherr selbst zu
behalten, oder einem andern Laien zu
vergeben, um in beiden Fällen zwar das feste
Einkommen zu beziehen, die Abtsstelle aber durch einen
Vikar, welcher nur bescheidene Vergütung erhielt,
versehen zu lassen. Unter den sächsischen und
fränkischen Kaisern hatte diese Verschmelzung der
weltlichen und kirchlichen Dinge dazu geführt,
daß die Bischöfe infolge ihrer
Ueberhäufung mit Grafen- und Herzogspflichten
die Zeit nicht erübrigen konnten,
um ihre Pfarreien zu inspizieren. Mit dem
zunehmenden Reichtum der Kirchen tauchte bei
der damals zulässigen Priesterehe unter
den Verhältnissen des Lehenstaates noch eine
besondere Gefahr auf. Sehr häufig konnte man
nämlich beobachten, daß die
Priestersöhne nicht allein das Erbteil
ihrer Väter erhielten, sondern auch das
Kirchengut als ihr Erbteil in Anspruch nahmen. Je
reicher die Kirchen wurden, desto energischer war deshalb
das Volk wie die Grundherren für ein Verbot
der Priesterehe. Wo dagegen, wie im
bäuerlichen Friesland, die Kirchen
verhältnismäßig arm blieben,
bevorzugten die Kirchengemeinden ebenso entschieden
verheiratete Priester.
All diese Mißstände mußten um so
härter empfunden werden, je mehr sich im Volke das
Verständnis für die christlichen Lehrsätze
verbreitete. Eine entsprechende allgemeine
Reformbewegung konnte nicht ausbleiben.
§ 41. Den Gepflogenheiten jener Zeit ohne
Druckerpresse und ohne geordnete Registraturen
entsprechend er
folgte die
erste Reaktion gegen die herrschenden kirchlichen
Mißstände in der Weise, daß Jemand sich
eine klare Vorstellung darüber zu geben versuchte,
wie diese Verhältnisse nach seiner
Auffassung eigentlich am besten geordnet sein
würden, um dann im Sinne dieses seines Programms
fertige Urkunden herzustellen, welche beliebige Zeit
ruhten, um später auf einmal als angeblich echter
urkundlicher Beweis eine ganz bestimmte Rolle zu spielen.
So sind viele Städtefreiheiten und Reichsprivilegien
der verschiedensten Art entstanden. Und so sind auch die
pseudo-isidorischen Dekretalien mit der
Urkunde über die sog. konstantinische Schenkung ins
Leben getreten.
Die Reformbewegung, getragen durch das lebendige
Bedürfnis und das bessere Beispiel, ist um das Jahr
910 in dem französischen Kloster Cluny
erstanden. Die Cluniacenser führten alle
Mißstände in der Kirche auf die Oberherrschaft
der Welt zurück. Aus diesen weltlichen Fesseln
mußte die Kirche befreit werden. Die Anstellung von
Geistlichen durch Laien (Laieninvestitur)
sollte nach ihrer Auffassung verboten sein,
ebenso die Vergebung geistlicher
Stellen und Pfründen an Laien. Die Besetzung
der Bischofs- und Abtsstellen sollte durch freie
kanonische Wahl erfolgen. Es sollte
verboten sein, gegen Geldzahlung
kirchliche Weihen zu erteilen und kirchliche
Stellen zu vergeben (Simonie). Das
Kirchengut sollte für den
weltlichen Arm unantastbar bleiben,
Kirche wie Kirchengut sollten Christus
allein gehören. Endlich forderten sie
strenge und sittenreine Erziehung und
Lebensweise der Kleriker nach den
Grundsätzen der Armut und der Uneigennützigkeit
und eben deshalb das Verbot der Priesterehe
(Cölibat).
§ 42. Mancher deutsche Kaiser stand auf dem Boden
dieser kirchlichen Reformbewegung. Schon Ludwig der
Fromme (814—840) hat
die Bestrebungen der Entweltlichung der Klöster
unterstützt und die Freiheit und Unabhängigkeit
der Kirche anerkannt. Otto I.
(936—973) war ein tief religiöser frommer Mann
und für seine Zeit der Mittelpunkt einer sittlichen
Renaissance. Otto III. (983—1002) war
ausgesprochener Anhänger der asketischen kirchlichen
Weltanschauung. Heinrich II.
(1002—1024) hat einige Klöster dadurch
entweltlicht, daß er den
größeren Teil ihres
Grundbesitzes, auf welchem weltliche
Verpflichtungen ruhten, an
Reichsvasallen nach Lehensrecht
vergab. Auch Konrad II.
(1024—39) hat die Entweltlichung der Klöster
im Sinne Heinrich II. weiter geführt. Kaiser
Heinrich III. (1036—56) hat drei
Päpste in Rom eingesetzt, welche entschiedene
Anhänger der kirchlichen Reformbewegung waren, und
ist in den deutschen Reichssynoden mit dem Papst
gegen die Simonie und gegen die
Priesterehe (Cölibat) aufgetreten.
Da kam im Jahre 1056 Heinrich IV. als
sechsjähriger Knabe zur Nachfolge, unter der
Vormundschaft seiner Mutter, der Kaiserin Agnes. Wie
die Fürsten im Reiche, so benutzte auch
die päpstliche Partei in Rom diese
Gelegenheit, um sich von der kaiserlichen Gewalt
möglichst zu emanzipieren. 1059 wurde durch
päpstliches Dekret der Einfluß des
römischen Adels und des deutschen Kaisers auf die
Papstwahl beseitigt und zum ersten Male dem Papst
eine zweifache Krone verliehen, wovon die untere die
„Königskrone von Gottes Gnaden“, die
obere die „Kaiserkrone von St. Peters Gnaden“
bedeutete. Die Kaiserin Agnes war nachträglich damit
einverstanden. Dann wurde die päpstliche Würde
einem Manne übertragen, welcher schon bei fünf
vorhergehenden Päpsten die weltlichen Geschäfte
des päpstlichen Stuhles geleitet hatte und
prinzipieller Anhänger der kirch
lichen Reformbewegung war:
Gregor VII. (1073 bis 1085). Das Verbot der
Priesterehe, der Simonie und der Laieninvestitur wurde
streng durchgeführt und mit hoher Sittenstrenge das
päpstliche Amt verwaltet.
Inzwischen hielt der leichtfertige junge
Heinrich IV. in Goslar einen üppigen
Hof. Schon unter seinem haushälterischen Vater
Heinrich III. war die finanzielle Lage
des kaiserlichen Hauses eine so bedenkliche,
daß die deutsche Kaiserkrone zum ersten Male
versetzt wurde, um dringend nötige Geldmittel
flüssig zu machen. So mußte Heinrich IV.
natürlich bald tief verschuldet sein.
Um Geld zu beschaffen, griff er wieder zum
Verkauf der kirchlichen Aemter und Weihen, behielt
die beiden reichen Reichsabteien Lorch und Corvey
für sich und verschenkte gegen ein
Dutzend solcher Reichsabteien an deutsche
Bischöfe, um sie in guter freundschaftlicher
Stimmung zu erhalten. Dazu der Streit Heinrichs mit
seiner Gemahlin, mit den deutschen Fürsten, mit den
Sachsen — ist es möglich, daß dieser Weg
nicht nach Canossa und nach
Ingelheim hätte führen
können?
§ 43. Indeß lag das wahrhaft Bedenkliche
der damals für die deutschen Kaiser gegebenen
Situation nicht in der Bedeutung des kaiserlichen
Bußganges nach Canossa, sondern in der
unzureichenden Beantwortung der so nüchternen Frage:
Woher bezieht die Kaiserkrone die unbedingt
erforderlichen Geldmittel, nicht um alle
großen kaiserlichen Aufgaben lösen zu
können, aber um doch wenigstens den drohenden
ökonomischen Bankrott zu verhüten?
Die von Heinrich IV. angewendeten Mittel des Verkaufs
geistlicher Aemter und kaiserlicher Lehen und der
Uebertragung der reichsten Abteien auf den Kaiser und
seine Freunde hatten das seit Beginn der Kreuzzüge
so
lebhafte religiöse Empfinden
der großen Mehrheit aller maßgebenden Kreise
gegen sich und mußten schon deshalb als unanwendbar
erscheinen. Trotzdem konnte der Kaiser nicht kurzer Hand
auf sein Ernennungsrecht der Bischöfe und Aebte
verzichten. Seit mehr als 1 1⁄2 Jahrhunderten hatten die deutschen
Kaiser mit fleißigen Händen in den deutschen
geistlichen Fürstentümern einen gewaltigen
Reichtum an Reichsgütern aufgehäuft, die bis
dahin ihren Charakter als Reichsgüter beibehalten
hatten. Die Krone mußte im Interesse der
Selbsterhaltung bestrebt sein, diesen Reichtum dem Reiche
zu bewahren. Im Jahre 1111 schien Papst Paschalis II.
bereit zu sein, auf diesen gesamten Besitz im Namen der
Kirche zugunsten des Reiches zu verzichten, wenn von
Seiten des Reichs auf die Laieninvestitur verzichtet
würde. Aber hiergegen erhob sich aus den Kreisen der
hohen deutschen Geistlichkeit ein einmütiger
Entrüstungssturm. Daß der Papst darauf zum
Nachgeben bereit war, ist leicht zu verstehen. Das
Papsttum schien damit zunächst nichts zu verlieren,
daß die deutsche Kirche reich blieb. Anders
mußte diese Frage von der kaiserlichen Politik
beantwortet werden. Die Einziehung des wirtschaftlich von
der Kirche gut entwickelten Reichsbesitzes in kirchlichen
Händen zugunsten der Krone hätte bei sorgsamer
Verwaltung wahrscheinlich sofort alle finanziellen Sorgen
der Kaiser beseitigen können. Heinrich
II. und Konrad II. waren ja auf
diesem Wege schon vorangegangen. Doch die geistlichen
Fürsten waren schon zu reich und zu mächtig und
die Kaiserkrone schon viel zu arm geworden, als daß
sie es härte wagen dürfen, auf solche Weise aus
allen ökonomischen Verlegenheiten sich zu befreien.
Das Nachgeben von Seiten der Krone bedeutete
deshalb hier den ersten Schritt zur Umbildung der
geistlichen Reichslehen in geistliche
reichsunmittelbare Territorien. Das
Kompromiß,
welches
unter solchen Umständen 1122 durch das Wormser
Konkordat zu Stande kam, hat diese Tatsache nur
wenig verschleiert. Das uneingeschränkte kaiserliche
Ein- und Absetzungsrecht der Bischöfe und Aebte
wurde beseitigt, und auf die kaiserliche Einführung
in die Regalien beschränkt, die bedeutungsvoll genug
durch die Belehnung mit dem Szepter erfolgte. Wie bald
schon sollte vergessen sein, daß diese geistlichen
Besitzungen zu einem wesentlichen Teile als angesammeltes
Reichseigentum entstanden waren. Alles ist Kirchengut
geworden. Und damit war dieser gewaltige Reichtum dem
Kaiser verloren und tatsächlich der päpstlichen
Macht zugefallen.
§ 44. Nachdem die Versuche zur Einführung
einer allgemeinen Reichssteuer mißlungen waren und
auf die Einziehung der Reichsgüter in kirchlichen
Händen verzichtet wurde, konnte das Ansehen der
Kaiserkrone nur noch auf einen möglichst
großen Privatbesitz begründet werden.
Geldeinnahmen wurden am meisten benötigt. Die
geldwirtschaftliche Entwickelung war in Italien weit mehr
als in Deutschland zur Durchbildung gekommen. So wurde
denn die kaiserliche Politik auf neue Erwerbungen
in Italien gerichtet. Hier wurden zunächst
1118 die Güter der verstorbenen
Markgräfin Mathilde erworben. Inzwischen
hatte seit dem XI. Jahrhundert der Beginn des
Studiums des römischen Rechts in
Oberitalien juristische Begriffe und Auffassungen
verbreitet, welche einem kaiserlichen Eingriff in die
Verhältnisse der lombardischen Städte sehr
günstig waren. An Stelle der bis dahin herrschend
gebliebenen Auffassung der Kaisermacht im Sinne des
heiligen Augustin, trat die Lehre des
römischen Absolutismus im Sinne der
späteren römischen Kaiserzeit.
Darnach waren die Regalien
unveräußerliche Bestandteile der kaiserlichen
Hoheitsrechte. Für die
Finanzpolitik kamen hier namentlich die
Zölle und das Münz-
und Marktrecht in Betracht. Man hat
berechnet, daß diese Regalien aus den lombardischen
Handelsstädten jährlich die für damals
sehr hohe Summe von 18 1⁄2 Millionen Mark dem Kaiser liefern
würden. Der Krieg begann, Mailand wurde von Grund
aus zerstört (1162). In dem 1183 zwischen dem Kaiser
und den lombardischen Städten geschlossenen Frieden
mußte freilich zur größeren Hälfte
auf diese Einnahmen verzichtet werden. Aber die
Macht des Geldes war damals eine so
gewaltige, daß die noch gezahlten
Millionen zu einem wesentlichen Teile
das Aufblühen des kaiserlichen Ansehens unter
Friedrich Barbarossa (1152—1190) bewirken
konnten. Der Kaiser aber war deshalb unablässig
bemüht, seine italienischen Besitzungen tunlichst zu
erweitern.
Sein Sohn Heinrich VI. (1190—1197)
heiratete die Erbin des leistungsfähigen
sicilianischen Normannenreiches. Der
außerordentliche Glücksfall einer
Gefangennahme des englischen Königs
Richard Löwenherz, welcher für
seine Freilassung die Summe von 10 Millionen Mark dem
Kaiser zahlte, ermöglichte im Jahre 1194 auch die
Eroberung des Königsreichs Sicilien.
Die Hohenstaufen hatten den
Schwerpunkt der finanziellen
Unterlage ihrer kaiserlichen Macht aus Deutschland
nach Italien verlegt.
§ 45. Aber das deutsche Kaisertum war damit nicht
gerettet. Die aus den deutschen
lehensstaatlichen Verhältnissen
entnommenen kaiserlichen Beamten waren mit
den Verhältnissen der aufblühenden
oberitalienischen Handelsstaaten in keiner Weise
vertraut und traten hier möglichst ungeschickt auf.
Diese Handelsstaaten erfreuten sich seit Beginn der
Kreuzzüge einer außerordentlichen Zunahme
ihres Reichtums. Sie selbst strebten nach der
Handelsherrschaft über die Welt
des Mittelmeeres. Wie hätten sie sich unter ein
kaiserliches Regiment dauernd beugen sollen, dessen
Lebensfähigkeit wesentlich von ihren Steuerzahlungen
abhing? Es kam deshalb sehr rasch zu Zwistigkeiten und
kriegerischen Kämpfen, bei welchen auf
Seiten der lombardischen Städte unvergleichlich
reichere Mittel zur Verfügung standen. Endlich hat
gerade die unmittelbare und fast ständige
Nachbarschaft zwischen Kaiser und Papst wesentlich
zur Verschärfung der persönlichen
Gegensätze zwischen beiden beitragen
müssen, die für die kaiserliche Familie in
einer Zeit, die von dem Gifthauch des Kapitalismus schon
durchweht war, um so gefährlicher wurden, als seit
Innocenz III. (1198—1216) es dem
Papsttum bald gelingen sollte, der ganzen Christenheit
eine päpstliche Geldsteuer aufzuerlegen. Mit Hilfe
dieser Steuereinnahmen konnte der Papst im
letzten Drittel des 13. Jahrhunderts in einem Jahre
über 16 Millionen Mark verfügen, welche
Summe sich durch Ablaßpredigten und
Schuldaufnahmen noch wesentlich
erhöhen ließ. Das Jahreseinkommen
Kaiser Friedrich II. (1215—1250) aus
seinem Königreich Sizilien, das den
weitaus wertvollsten Teil seiner Einnahmen ausmachte,
wird auf nicht ganz 1 1⁄2 Millionen Mark angegeben.
Konnte es bei einer solchen Verteilung der materiellen
Machtmittel zweifelhaft sein, welcher von beiden Gegnern
der völligen Vernichtung preisgegeben war?
Die Gegenkönige Philipp von Schwaben
und Otto IV.
(1198—1215) überboten sich gegenseitig in
bedenklichen Verschenkungen aus dem
Reichsgute. Friedrich II.,
(1215—1250) wurde in Deutschland
erst anerkannt, als er sich zu Opfern entschlossen hatte,
die den Territorialherren, den geistlichen Fürsten
und der Kurie Teile der ehemaligen Kaisermacht sicherten.
Friedrichs Sohn Konrad IV. (1250—1254)
verpfändete den letzten
Rest der
Hoheitsrechte des Reiches für ein kleines Heer, mit
dem er nach Italien ging, um dort mit seinem Bruder
Manfred für Erhaltung des
sizilianischen Erbreichs zu kämpfen. Am 29. Oktober
1268 fiel auf dem alten Markt in Neapel das Haupt
Konradins des letzten Sprößlings
des schwäbischen Kaiserhauses der Hohenstaufen unter
dem Beile des Henkers. Es war die kaiserlose die
schreckliche Zeit (1254—1273). Fast alle
Fürsten, Adelige und Städte suchten sich im
deutschen Reiche
„reichsunmittelbar“ d. h.
möglichst selbstständig zu machen. Dem
Ausverkauf des Reichsgrundbesitzes und der Reichshoheiten
war der Bankerott der lehenstaatlichen Kaiserkrone mit
der Vernichtung der kaiserlichen Familie gefolgt. Damit
schließt die eigentliche Epoche des
Lehensstaates.
§ 46. Mit dem Niedergang der Hohenstaufen
war der Charakter der deutschen Kaiser und der
deutschen Kaiserkrone ein völlig anderer
geworden. Die Reichsfürsten sahen sich in
ihrer Entwickelung zur vollen Souveränität auf
Kosten der Kaiserwürde soweit vorgeschritten,
daß es zunächst keinem von ihnen nach der
Stellung des ziemlich ausgeraubten
Reichsoberhauptes gelüstete. Der Kaiserthron
wurde deshalb für „arme“ Reichsgrafen
frei (Rudolf von Habsburg 1273 bis 1291, Adolf von Nassau
1292 bis 1298, Heinrich von Luxemburg 1308 bis 1313)
nachdem diese Würde vorher sogar an Ausländer
meistbietend vergeben worden war (Interregnum 1254 bis
1273). Erst als die Geschichte dieser Reichsgrafen
gezeigt hatte, daß der deutsche Kaiser noch im
Stande sei, durch Vergebung frei werdender Reichslehen an
Mitglieder seines Hauses und durch eine kluge
Heiratspolitik sich eine imponierende
„Hausmacht“ zu schaffen, um auf diesem
Wege, wenn auch nicht Kaiser im lehensstaatlichen Sinne,
so doch der Erste unter den
Reichsfürsten zu werden, interessierten sich
auch die Reichsfürsten wieder mehr für die
Kaisercarriere. Die ursprüngliche
Universalität der lehensstaaatlichen
Kaiseridee hatte sehr realen Erscheinungen
gegenüber aufgehört, noch
„zeitgemäß“ zu sein. Die Einheit
des christlichen Abendlandes unter dem weltlichen
Schwerte des Kaisers war einer Vielheit nationaler
und territorialer Staaten gewichen. Um das
heilige römische Reich deutscher Nation
herum hatten sich jetzt allmählich in Europa die
Königreiche Frankreich, Spanien, England,
Norwegen, Schweden, Dänemark, Polen, das
Großfürstentum
Littauen mit den Königreichen
Neapel, Sizilien und Sardinien,
dem Kirchenstaate und der Republik
Venedig in Italien als durchaus selbständige
Staaten gruppiert. Wenn im XVI. Jahrhundert unter
Kaiser Karl V. und seinen Nachfolgern wieder
Weltherrschaftspläne deutlich genug hervortreten
konnten, so handelte es sich um politische Bestrebungen,
die auf dem Geldreichtum und den weltweiten
Handelsbeziehungen der Untertanen beruhten, es handelte
sich um Erscheinungen der Geldwirtschaft und
des Kapitalismus, nicht mehr um Anschauungen
die dem Lehensstaate und dessen Ideenwelt eigen waren.
Folgerichtig erklärte deshalb der Kurverein zu
Rhense 1338, daß der deutsche Kaiser
ohne Beteiligung des Papstes, durch
einfache Majorität der deutschen
Kurfürsten gewählt werde, wie schon
seit 1179 die Papstwahl ausschließlich den
Kardinälen vorbehalten blieb. Der letzte in
Rom gekrönte deutsche Kaiser war Friedrich
III. (1440 bis 1493). Seit Ferdinand
I. (1556 bis 1564) erfolgte die Krönung von
Kaiser und König in Frankfurt am Main.
Die Gemeinschaft des geistlichen und weltlichen
Schwertes, deren Trennung schon mit der Neuordnung der
Papstwahl von 1179 eingeleitet wurde, fand so auch in dem
rein zeremoniellen Vorgange der Kaiserkrönung keinen
Ausdruck mehr.
Das Geld war seit dem XI., XII. und XIII.
Jahrhundert als meistbestimmender, bald als
fast allein bestimmender Faktor in die
Geschichte des christlichen Abendlandes eingetreten.
Seine Macht hat nicht nur das lehensstaatliche Kaisertum
vernichtet, sie hat auch die Ausbildung der vielen
nationalen und territorialen Staaten wesentlich
begünstigt, das Lehensheer der ritterlichen Vasallen
überflüssig werden lassen und in die
Verhältnisse der hörigen dienstpflichtigen
Bauern zunächst bessernd eingegriffen, um
später zumeist ihre Lage wesentlich zu ver
schlechtern. Weil jedoch in dieser
damit eingeleiteten langen Reihe gewaltiger Revolutionen
die mehr chronologische Betrachtungsweise nur zu sehr
gewohnt ist, die Ereignisse als Verdienst oder Schuld
einzelner Personen aufzufassen, wird jede objektivere
Geschichtsauffassung gezwungen sein, die großen
entwickelungsgeschichtlichen Tatsachen in ihrem
inneren logischen Zusammenhange mit dem
großen Gegensatze zwischen Land und
Geld zur Darstellung zu bringen.
§ 47. Die spezifische Verfassung des
Lehensstaates ist die Summe jener
Konsequenzen, welche sich aus der Tatsache ergeben,
daß ein Volk auf der Basis seines
Landgebietes sich einheitlich organisiert. Nur der
Landbesitz gilt als „echtes Eigen“. Jedes
Recht an Grund und Boden muß sich direkt oder
indirekt auf eine Verleihung durch den König bezw.
Kaiser als Repräsentanten der Gesamtheit
zurückführen. Nach dieser Verleihung gliederten
sich die Heerschilder, denen das übrige Volk in
Diensten und Arbeiten auf dem Boden untergeordnet war.
Auf der alleinigen Organisationsbasis des unvermehrbaren
und unbeweglichen Grundbesitzes war für Staat und
Gesellschaft nur eine ständische
Gliederung möglich, wobei ein Stand dem
anderen diente, eine Autorität die andere
stützte und die notwendigen Naturalleistungen
unfreie Arbeitsverhältnisse schufen.
Weil aber der mittelalterliche Lehensstaat aufs Engste
mit der römischen Kirche verflochten
war, zeigten alle seine Glieder eine
charakteristische Verschmelzung von Kirche und
Staat.
Trotzdem war in der germanischen Geschichte
früh schon das Geld nicht unbekannt geblieben.
Römische und später
syrische und jüdische
Händler durchzogen das Land, um den Bernstein
an der Küste der Ostsee, frisische Tücher,
kostbare Felle usw. aufzukaufen.
Karl dar Große, welcher die römische
Münzordnung
beibehalten hatte, erließ im Jahre 806 eine
Verordnung an die Königsboten, in welcher der
Aufkauf von Getreide und Wein in Zeiten der Not zum
Zwecke des Wiederverkaufs mit entsprechendem Gewinn als
Wucher bei strengen Strafen verboten wurde.
Also muß es schon damals Spekulanten und ein
spekulatives Kapital im Lande gegeben haben. Die
Königsboten Karls des Großen
versuchte man zu bestechen mit arabischen
Goldmünzen, orientalischen Mänteln,
cordovanischem Leder, antiken Vasen usw. Produkte, deren
Vorhandensein im Reiche Karl des Großen das
Bestehen internationaler Handelsbeziehungen
zur Voraussetzung hatte. Auch das Karolingerreich
vereinnahmte gelegentlich bedeutende Mengen edlen
Metalles. Die Eroberung des großen
Ringwalles zwischen Donau und Theiß im Jahre 796
hatte einen unermeßlichen Schatz, die
vieljährige Kriegsbeute der Avaren aus
dem Raube der Völkerwanderung, in die Hände der
Franken fallen fassen. Karl der Große konnte
deshalb seine Gefolgsmannen nicht nur mit ausgedehnten
Grundherrschaften, sondern auch mit Silber
und Gold beschenken. So kann es denn nicht
überraschen, daß gelegentlich eines
Römerzuges eben dieses Gefolge von einem
venetianischen Händler in Pavia viele und kostbare
orientalische Prunkgewänder kaufte. Neben dem
König und seinen Grafen verfügten damals die
Bistümer und Abteien zum Teil über
reiche Edelmetallschätze, welche im X.
und XI. Jahrhundert gegen entsprechende Sicherheit zu
billigem Zinse ausgeliehen wurden. Mußten doch auch
die Kirchen nicht nur ihre kostbaren
Reliquien, sondern auch ihre kirchlichen
Prunkgewänder durch Vermittelung des
Handels aus dem Orient beziehen. Ja selbst der
alte kaiserliche Krönungsmantel war von
kunstfertigen arabischen Händen
gebildet worden. In den italienischen
Handels
städten, in
Südfrankreich, wie in
Flandern war auch während der
Völkerwanderung der Handelsverkehr nicht
vollständig ins Stocken geraten. Das Geld und
der mobile Besitz waren also immer da, aber in so kleinen
Mengen, daß sie im Leben des Volkes keine
hervortretende Rolle spielen konnten.
§ 48. Auch das hat die Zeit geändert. In
Deutschland war seit dem XI. Jahrhundert
für Zins- und Giltigkeiten
die alternative Geldzahlung zugelassen. Seit
dem XII. Jahrhundert finden wir eine
Verallgemeinerung der Schatzung d.h. der direkten Abgabe der nicht
hofhörigen Leute an den Territorialherrn in
Geld. Seit dem XIII. Jahrhundert ist der
städtische Geldumlauf gesichert. Seit
dem XIV. Jahrhundert dringt das Geld auch in die
ländlichen Verhältnisse ein. Mit dem
XVI. Jahrhundert beherrscht die Geldwirtschaft alle
Verhältnisse.
Das entscheidende Ereignis in dieser
Entwickelung bilden die Kreuzzüge (1096
bis 1291). Schon vor Beginn derselben hatten namentlich
die italienischen und französisch
– burgundischen Handelsstädte einen
lebhaften Verkehr mit dem kapitalistisch hoch
entwickelten Handel des islamischen
Weltreichs unterhalten. Bei dem fortschreitenden
Verfall dieses Weltreiches verschärfte sich dann
nicht nur die schlechte Behandlung der christlichen
Händler wie der Pilger auf der
Reise nach Palästina, es steigerten sich auch die
Aussichten auf Erfolg im Falle eines kriegerischen
Angriffs des christlichen Abendlandes gegen das
islamische Reichsgebiet. Schon waren die Waffen der
christlichen Reiche auf der
pyrenäischen Halbinsel gegen die Mauren, die
der Genueser, Pisaner und
Normannen gegen arabische
Teilherrscher im Mittelmeere siegreich
vorgedrungen. Die kirchliche Reformbewegung
hatte das religiöse Empfinden
der Völker des christlichen Abendlandes wesentlich
gesteigert. Neben dem Verlangen, die heiligen
Stätten Jerusalems aus den Händen der
Ungläubigen zu befreien, wirkten partielle
Hungersnöte (1095 und 1145/47), die
Aussicht auf maritime Eroberungen im
Mittelmeere, auf die im Orient
möglichen Gewinne zusammen, um unter
Führung des Papsttums, die
italienischen Handelsstädte mit den
normannischen Eroberern Süditaliens und
den frommen Kreuzzugsrittern den Kampf um
das heilige Grab mit dem Islam beginnen zu lassen.
§ 49. Es ist wichtig, die
wirtschaftspolitischen Wirkungen der Kreuzzüge
auf den verschiedenen Etappen ihrer Bewegung zu
beobachten.
Von Hause aus waren in den
ersten Kreuzzügen die
Ausrüstungskosten den Privatmitteln der
Kontingentsherren und ihrer Vasallen überlassen.
Aber auch auf den Durchzugslanden: Italien,
Oesterreich, Ungarn, byzantinisches Reich, mußten
sich diese Krieger auf eigene Rechnung
verpflegen. Wo in Palästina die Kreuzfahrer
auf die Zufuhr von Lebensmitteln durch die italienischen
Handelsstaaten angewiesen waren, weil in den Wüsten
keine Lebensmittel erbeutet werden konnten, mußten
die Kämpfer ums heilige Grab abermals in ihre eigene
Tasche greifen. Die Vorbereitungen eines
Kreuzzuges stellten deshalb ganz
außergewöhnliche Ansprüche an den
Geldvorrat der betreffenden Länder. Was an
edlem Metall irgendwie in der Familie, bei Freunden und
Bekannten aufgetrieben werden konnte, wurde den
Kreuzfahrern mitgegeben. Da diese Hilfsquellen nur zu
regelmäßig nicht ausreichten, griff man zu dem
Mittel der Schuldaufnahme. Die
Edelmetallvorräte der bisherigen Geldgeber: der
Bistümer und Abteien versagten rasch. Wo ein Zug von
Kreuzfahrern die Heimat verlassen hatte,
war mit ihm auch fast alles Bargeld
aus dem Lande verschwunden. Wer konnte in dieser
allgemeinen Geldnotlage noch helfen? Nur die
Juden. Sie hatten einen guten Teil ihres
mobilen Vermögens selbst durch die Stürme der
Völkerwanderung zu retten gewußt. Ihre
Stellung war schon im Frankenreich keine ungünstige.
Karl der Große bediente sich eines Juden als
Gesandten für sein Reich, um mit dem Chalifen in
Bagdad Handelsbeziehungen anzubahnen. Jetzt bot man
den Juden im Falle ihrer Niederlassung eine Reihe
wichtiger Privilegien. Während den
Christen das Zinsnehmen
für ein Darlehen im allgemeinen als Wucher
verboten war, sicherte man nun den
Juden die Handelsfreiheit und
das Recht zu, gegen Zinsen, oder wie man damals zu sagen
pflegte gegen „Judenschaden“,
Geld zu leihen. Sie erhielten ihre eigene
Gerichtsbarkeit, das Recht des
Sklavenhandels, sie durften Christen als
Ammen und Knechte verwenden u.s.w. Der übliche Judenschaden scheint
damals sich zwischen 40 und 50%
pro Jahr bewegt zu haben. Es werden aber auch Judenzinsen
bis zu 174% und mehr berichtet.
Die Darlehen gewährten sie gegen Verpfändung
mobiler und immobiler Güter. Für
Grundbesitzungen wurde der
Verpfändungsvertrag in die Form eines
bedingten Kaufvertrages gekleidet. Wenn der
Schuldner den vereinbarten Betrag zu dem festgesetzten
Termine nicht leisten konnte, war der Gläubiger
Eigentümer des betreffenden Landes. So kam es
nach Beginn der Kreuzzüge innerhalb der
Bevölkerung rasch zu einer ungeheueren
Vermögensverschiebung durch Vermittlung des
Geldes. Der Handel blühte hinter den
Kreuzzugsheeren auf. Den Juden waren die alten
Handelswege nach dem Orient wie nach dem Herzen von Asien
längst bekannt. Bald gehörten den Geldgebern
eine Reihe der schönsten Besitzungen des Adels,
ganze Dörfer
und fast
ganze Städte. Die Judenverfolgungen
hatten schon mit dem ersten Kreuzzuge begonnen, meist
ausgehend von den armen Pilgern, welche meinten, zur
Plünderung der Juden ein Recht zu haben, weil sie
die älteren Feinde des Christentumes und die
Mörder des Heilandes seien. Die bald immer mehr
hervortretenden gewaltigen Vermögensverschiebungen
gaben dieser antisemitischen Bewegung immer neue Nahrung.
Die Landesherren und Bischöfe schützten nicht
überall die Juden gegen die Ausraubung durch die
aufgeregte Volksmasse. Häufig teilten sich die
Landesherren und Städte in den Ertrag der nach
bestimmten Rechtsnormen durchgeführten
„Expropriation der Expropriateure“.
Außerdem wurde durch päpstliche
Bulle der Kreuzfahrer von der Pflicht entbunden,
während der Dauer seiner Abwesenheit Schuldzinsen zu
entrichten und die Eröffnung der Exekutionsverfahren
gegen Kreuzfahrergut innerhalb dieser Frist verboten.
Aber — man konnte die
gewerbsmäßigen Geldleiher und
Handelstreibenden nicht mehr entbehren. Bald
wurden deshalb den Juden von neuem ihre früheren
Privilegien bestätigt. Der Reichtum in ihrer Hand
nahm von neuem zu. Darauf folgte ihre abermalige
Enteignung. Und so ging das Spiel der Kräfte weiter,
bis die Landesherren die Juden unter ihren
besonderen Schutz nahmen, sie damit zu ihren
Leibeigenen machten, um allein das Recht zu üben,
das in den Händen und Taschen der Juden sich
ansammelnde Vermögen von Zeit zu Zeit
auszuschröpfen. In Deutschland sind so unter Kaiser
Konrad III. (1138—1152) die Juden zu
„kaiserlichen Kammerknechten“
(servi camerae) geworden. Weil aber auch damit die
Rechtsauffassung bestehen blieb, daß den Juden
jederzeit ihr Vermögen genommen werden könne
und außerdem bald durch das Auftreten
christlicher
Banquiers und christlicher Kaufleute
die Stimmung gegen die Juden sich noch verschärfte,
begann mit dem XV. Jahrhundert die Wanderung der
Juden von Mitteleuropa nach dem Osten, nach
Polen und Rußland. Nur
die kapitalistisch hoch entwickelten
Länder wie Holland und
England sahen im XVI. und XVII. Jahrhundert
schon gerne die Zuwanderung der Juden mit ihrem
Geldreichtume. Hier begann auch zuerst ihre
politische Gleichstellung mit der
einheimischen christlichen Bevölkerung.
Wo, wie in den italienischen
Städten, die gewerbsmäßigen
Kreditgeber von Anfang an Christen
waren, kam es rasch zur Ausbildung einer neuen
Aristokratie des Geldes, welche zur Beseitigung
der lehensstaatlichen Verfassung in Oberitalien
wesentlich beitrug und zu einem guten Teil an der
weiteren Befestigung der Geldwirtschaft und des
Kapitalismus in Europa mitgewirkt hat.
§ 50. Während sich diese Vorgänge in
der Heimat der Kreuzzugsheere abspielten, können wir
auf dem Wege bis nach Palästina folgende
Begünstigungen des Geldes und der
Geldwirtschaft wahrnehmen.
Die ungeheure Steigerung des Personenverkehrs
durch das Mittelmeer nach Syrien und
Palästina haben den Handelstädten in Italien
und Südfrankreich, welche die Ueberfahrt besorgten,
gewaltige Geldeinnahmen zugeführt. Dieser
wesentlichen Zunahme des Personenverkehrs folgte ein
nicht minder starkes Anwachsen des
Warenverkehrs und notwendigerweise auch eine
entsprechende Zunahme des internationalen
Zahlungs- und Geldverkehrs. Schon der
erste Kreuzzug entpuppte sich in Syrien und
Palästina als ein Beutezug der land- und
geldhungrigen Machthaber. Im dritten
Kreuzzuge ließ Richard Löwenherz
von England nach der Eroberung von Akkon
(1191) 2000 Gefangene nieder
metzeln,
weil Saladin nicht ohne weiteres das auf 200'000
Goldstücke angesetzte Lösegeld für sie
bezahlte, wie bei Abschluß der Kapitulation
angenommen wurde. Dann ist das Kreuzherr über diese
Leichen hergefallen, um in deren Eingeweiden nach Gold zu
suchen, das die Gefangenen möglicherweise
verschluckt haben könnten. Bei seinem Weggange aus
Palästina hat derselbe Richard Löwenherz
islamische Gefangene gegen Lösegeld an
Saladin freigegeben, dafür aber nicht
wie verabredet war, christliche Gefangene
ausgelöst, sondern dieses Geld für sich
behalten und jene ihrem Schicksal überlassen. Im
Lager der Kreuzheere hatte die leidenschaftliche Spielwut
um Geld bald so bedenkliche Zustände
herbeigeführt, daß die
Lagerstatuten bestimmten: Ritter und
Kleriker dürfen innerhalb 24 Stunden nur 1
1⁄2 Pfund Silber (etwa 150
Mark) verspielen, wenn aber Erzbischöfe oder
Fürsten in der Spielergesellschaft anwesend waren,
bestanden für das Geldverspielen keine Schranken.
Solche Bestimmungen sind um so beachtenswerter, als die
Kreuzfahrer im Orient für jede aufgenommene
Schuldsumme Wucherzinsen zu entrichten hatten.
Selbst die geistlichen Ritterorden, wie die
Templer und Johanniter, welche
nach dem mönchischen Gelübde der Keuschheit,
des Gehorsams und der Armut zum Kampf gegen die
Ungläubigen gegründet waren, wurden in solchen
Zeiten rasch reiche und mächtige
Handelsleute, die dem Parteizwist und dem
Konkurrenzneid soweit verfallen konnten, daß in
Akkon bald die Tempelherren alle anwesenden
Johanniter, bald die Johanniter
alle anwesenden Templer überfielen und
erschlugen. Es kann deshalb kaum überraschen,
daß in der gleichen Zeit die italienischen
Handelsstaaten Genua, Pisa und
Venedig auf orientalischem Gebiete
sich gegenseitig blutige Schlachten
lieferten und sich gegenseitig dem gemeinsamen Feind
verrieten. Bis
zu solchem
Maße hatten sich während der Kreuzzüge
die kapitalistischen Leidenschaften der Völker des
christlichen Abendlandes an dem glänzenden Reichtum
des Orients entzündet.
§ 51. Trotz dieser scharf hervorstechenden
Konflikte der kapitalistischen Entwickelung vollzog sich
in Mitteleuropa die Einführung der Geldwirtschaft so
allmählich, so ganz selbstverständlich, in
organischer Weiterbildung der bestehenden
Verhältnisse, daß dem Quellenforscher
für die wichtigsten Vorgänge keinerlei
Ueberlieferungen zu Gebote stehen.
Die heimische Wiege der
Geldwirtschaft ist die Stadt mit
ihren Bürgern im Gegensatz zum Land mit
seinen Bauern und Rittern als den historischen Vertretern
der Naturalwirtschaft. Im XI. Jahrhundert hören wir
auf einmal von deutschen Städten und
deutschen Städtebürgern. Im XII.
und XIII. Jahrhundert mehren sich die
Städtegründungen. Im deutschen Nordosten allein
hat man für diese Zeit 350 Städte gezählt.
Woher kam die Stadt und die Stadtfreiheit im
Gegensatze zur ständigen Gebundenheit des Landes
innerhalb der lehensstaatlichen Verfassung?
In Italien und Südfrankreich ist es einzelnen
alten Städten wie Amalfi, Venedig, Marseille,
Toulouse gelungen, ihre selbständige
Magistratsverfassung aus der Römerzeit durch die
Wirren der Völkerwanderung zu erhalten. Bei der
tiefgehenden Abneigung der Germanen gegen Städte,
ist selbst für Köln, Trier, Mainz, Metz,
Straßburg, Augsburg u.s.w. unter der Herrschaft der Franken die
Verfassung der Landgemeinden zur Einführung
gekommen. Ein Graf oder Bischof herrschte über die
Masse der unfreien Leute, die ihm zu Diensten und
Reichnissen verpflichtet waren. Wie ist daraus die
Stadtfreiheit entstanden? Unsere historischen
Quellen
schweigen
darüber. Aber dieser ganze tiefgreifende
Umbildungsprozeß ist trotzdem
nationalökonomisch unschwer zu erklären.
Durch die Bildung der großen
Grundherrschaften war eine erhöhte
Konzentration wirtschaftlicher Güter in
einer Hand gegeben, welche naturgemäß
einen quantitativ gesteigerten Konsum des
Grundherrn veranlaßte. Dieser größere
Vorrat an Verbrauchsgütern konnte durch Austausch
gegen andere Güter leicht in eine qualitative
Verbesserung des Konsums sich verwandeln. Es ist
bekannt, welche Anregungen daraus die Anfänge des
Handels geschöpft haben. Mit dieser Verfeinerung und
Vervielfältigung der Verbrauchs-Bedürfnisse des
Grundherren kam es notwendigerweise auch zu einer
höheren Wertschätzung der bis
dahin zumeist unfreien gewerblichen Arbeit.
Der naturgemäße Ausdruck hierfür war die,
im Verhältnis zur Landarbeit höhere
Entlohnung der besseren gewerblichen Arbeit. Da
aber die landesübliche Entlohnung zum
Lebensunterhalte ausreichte, war mit dieser höheren
Entlohnung die Möglichkeit der Ansammlung
eines mobilen Vermögens in der Hand dieser
noch unfreien Arbeiter gegeben. Und an diese
Tatsache knüpfen sich eine Reihe wichtiger
Konsequenzen, die zu einer Zertrümmerung der
Lehensverfassung zunächst in der Stadt führen
mußten.
§ 52. Was die bäuerliche Arbeit als Ertrag
der Felder erntet, das verdankt sie vor allem in
sichtlicher Weise dem Segen Gottes, wie er sich über
das unvermehrbare und unbewegliche Land alljährlich
ausgießt. Dem Bauern ist deshalb die
Achtung vor der Autorität kirchlicher
und weltlicher Obrigkeit bis zu dem Maße zur
zweiten Natur geworden, daß selbst das politische
Programm der Bauernkriege diese Grenze innehielt. Nicht
minder ist aus dem gleichen Grunde
dem Bauern die ständische Gliederung der
Gesellschaft und seine Unterordnung von Hause aus
verständlich. Der Händler erblickt
ebenso wie der gewerbliche Arbeiter in den
ökonomischen Resultaten seiner Bemühungen vor
allem das Resultat seiner Energie, seiner
Klugheit und Geschicklichkeit.
Sein beliebig vermehrbares, bewegliches
Vermögen ist deshalb
gewissermaßen die materielle Fortsetzung
seiner eigenen Persönlichkeit. Ein wesentlich
gesteigertes Selbstbewußtsein ist die
natürliche Folge. Damit tritt an Stelle der Achtung
vor der Autorität eine schärfere
Kritik der obrigkeitlichen Handlungen, an Stelle
einer fast selbstverständlichen Unterordnung das
lebendige Bedürfnis nach Freiheit,
Gleichheit und Anteilnahme an der
obrigkeitlichen Gewalt, an Stelle einer
konservativen Vorliebe für Erhaltung des Bestehenden
die entschiedene Neigung für Annahme
zweckmäßiger Neuerungen. Und
während der Bauer glaubt, mit der gelegentlich guten
Ernte wie mit einem Mißwachs des Jahres sich
bescheiden zu müssen, wird die
Gewinnstgröße der
händlerischen und gewerblichen
Tätigkeit bald nur eine Frage der besseren
Organisation des Unternehmens, die mit dem
wachsenden Verkehr und mit der stetig wachsenden
Gewinnsucht in der einen oder der anderen Form der
Weltherrschaft zustrebt.
All diese in der Ausbildung des mobilen Vermögens
und in der Entstehung der Geldwirtschaft enthaltenen
Evolutionsideen kamen in Fluß, sobald der einfache
praktische Fall eintrat, daß der Grundherr
von seinen Untergebenen ein Darlehen aufnahm.
Anlaß hierzu bot sich gerade damals genügend
häufig. Sobald jedoch ein solches Geschäft
abgeschlossen war, verpflichtete sich der
Grundherr zu bestimmten
Leistungen an seine
Untergebenen. Das aber
bedeutete den Umsturz der lehensstaatlichen
Ordnung. Denn wer im Lehensstaate Reichnisse
empfängt, ist der Herr, wer sie leistet, der Knecht.
Dieser Darlehensvertrag machte den Knecht zum Herren, den
Herrn zum Knechte. So war denn leicht begreiflich der
Grundherr jetzt damit einverstanden, daß das
Stadtgebiet von dem System des Lehensstaates
ausgenommen wurde. Die Stadtluft machte frei! Kein
Zinshuhn flog über die Stadtmauer! Bald war die
hofrechtliche Vergangenheit der Stadt vergessen. Der
Gegensatz zwischen Stadtrecht und
Lehensrecht, zwischen
Geldwirtschaft und
Naturalwirtschaft, zwischen
Stadt und Land war geschaffen.
Gewiß verdankt unsere moderne Kultur der Entstehung
der Geldwirtschaft und der Städte
außerordentlich viel. Hier sind die herrlichen
romanischen und gotischen Dombauten und
Rathäuser im XIII. bis XV. Jahrhundert
entstanden, denen dann Renaissancebauten
folgten. Die wissenschaftlichen Studien,
deren Aufleben die Völker des christlichen
Abendlandes ihren Beziehungen zu den Arabern
und Byzantinern verdankten, fanden vor allem
in den Städten ihre Pflege. Die Sonne der neuen Zeit
mit ihren wichtigen Erfindungen und
Entdeckungen war zunächst in den
Städten aufgegangen und von dem
geldwirtschaftlichen Interesse getragen worden. Erst der
wesentlich gesteigerte Verkehr hat eine
rationellere Getreideversorgungspolitik
ermöglicht. Die Periode der Wanderung in
Hungersjahren wurde durch die Errichtung von
Getreidemagazinen — in Deutschland durch
Kaiser Karl IV. vom Jahre 1362 — und
durch wesentliche Erweiterung der
Getreidezufuhrgebiete abgeschlossen. Aber der
gesteigerte internationale Verkehr, wie er durch die
Kreuzzüge eingeleitet wurde, brachte auch eine Reihe
furchtbarer Volksseuchen aus dem Orient nach
Europa. Und
der
gleichen geldwirtschaftlichen Wurzel entstammen all jene
großen Konflikte und
Krisen, welche der Geschichte der
Völker des christlichen Abendlandes angehören
und als Reformation, Bauernkriege, politische und
soziale Revolution, Niedergang der Völker
usw. in diesem Zusammenhange als organische Entwickelung
erkannt und betrachtet werden sollen.
§ 53. Große weltweite Organisationen, wie
die Kirche im Mittelalter, können
zur Erfüllung ihrer Aufgaben des Reichtums
nicht entbehren. Einsichtsvolle Schenkungen haben
deshalb früh schon dazu beigetragen, die
römische Kirche wohlhabend zu machen. Zur Zeit des
Papstes Gregors des Großen (590 bis 604)
umfaßte ihr Grundbesitz 85
Quadratmeilen, die als Streubesitz auf Italien,
Gallien, Illyrien, Dalmatien, Afrika und Kleinasien sich
verteilten. Dem folgten weitere große
Schenkungen unter den Langobarden-
und Frankenkönigen. Zu Beginn der
Kreuzzüge schätzte man den Grundbesitz der
Kirche in Frankreich auf 1⁄3, in England auf 1⁄2, in Deutschland auf 2⁄5 des ganzen Landes. Mit Aufkommen
des geldwirtschaftlichen Verkehrs wuchs auch
in Rom das Bedürfnis nach Geldeinnahmen. So ist im
IX. Jahrhundert in England der
Peterspfennig entstanden und nach und nach
in den nordischen Reichen Dänemark,
Schweden und Norwegen, in
Polen und in den Gebieten des
deutschen Ordens eingeführt worden.
Da kamen die Konflikte mit den
Muslimen.
Selbst Rom wurde schon 846 von plündernden
arabischen Horden heimgesucht. Das islamische Prinzip des
auf Eroberung ausziehenden bewaffneten Propheten machte
sich in der römischen Kirche unangenehm bemerkbar.
In den Kreuzzügen tritt dann auch die christliche
Kirche ihren Feinden und Widersachern mit Waffen
entgegen. Und dabei zeigte es sich bald, daß
Kriege durch Geld unterhalten werden
müssen. Die erdrückende Last der
Selbstausrüstung ließ den Kreuzzugseifer der
Ritter rasch erlahmen. Niemand konnte sich der Erkenntnis
verschließen, daß es ein Unsinn sei, vom
Krieger, der für
alle
kämpft, auch noch die alleinige Tragung der
Kriegskosten zu verlangen. So versuchten denn vor dem 2.
und 3. Kreuzzuge zunächst England und
Frankreich durch einen allgemeinen
Steuerzehnt, der sich auch auf den Kirchenbesitz
erstreckte, die erforderlichen Geldmittel aufzubringen.
Das führte zu scharfen Protesten auf Seiten der
Geistlichkeit, welche sehr entschieden die Auffassung
vertrat, daß nicht der Staat, sondern
nur die Kirche das Bezehntungsrecht
für Kirchengüter besitze. Diese
Streitfrage wurde dem Papst zur Entscheidung vorgelegt.
Die daran sich knüpfenden Erwägungen
führten im Jahre 1199 zur Einführung der
päpstlichen Kreuzzugssteuern durch Innocenz
III., durch welche das Prinzip der Steuerfreiheit
der Kirchengüter und der Kleriker der weltlichen
Macht gegenüber gewahrt blieb.
Außerordentlich begünstigt wurde diese
päpstliche Entscheidung durch jene
eigenartigen Wandlungen, welche die Lehre vom
Kirchengut im Laufe der Jahrhunderte durchgemacht hatte.
Ursprünglich war das Kirchengut ein
angesammelter Gütervorrat, welcher zum Teil für
Unterhalt der Kirche, des Lichtes u.s.w. bestimmt war, im Wesentlichen aber dazu
diente, um im Bedarfsfalle für die
Armen verwendet zu werden. Man hat deshalb
das Kirchengut unter den ersten Christen als
„Armengut“ bezeichnet. Dann war mit
der Annäherung der christlichen Kirche
an den römischen Staat Kirchengut
„Bischofsgut“ geworden. Unter
der Frankenherrschaft war das Kirchengut
zwar Eigentum der Kirche, aber der
fränkische König hatte das
Verfügungsrecht darüber. Der
Niedergang der Karolinger wandelte das Kirchengut in
Bayern z.B. in
„Herzogsgut“. Dann wurde das
Kirchengut als
„Reichsgut“ betrachtet, bis die
Kirchenreformer die Theorie aufstellten: Kirchengut
sei „Christi Gut“,
eine Auffassung, welche auch von
Thomas von Aquin geteilt wurde. Die zu Ende
des XIII. Jahrhunderts verkündete Lehre sah in dem
Kirchengut „Papstgut“, welcher
Auffassung die Theorie von dem Gesamteigentum der
Kirche als einheitliche Institution folgte. Die
drei zuletzt genannten Theorien begünstigten die
Besteuerung der Kirchengüter durch den Papst gleich
sehr. Denn nach der Theorie der göttlichen
Proprietät besteuerte der Papst als Vertreter
Gottes, nach der Papaltheorie als Eigentümer, nach
der Gesamtkirchentheorie als Vertreter dieser
Gesamtkirche.
§ 54. Im Allgemeinen charakterisierten sich die
päpstlichen Kreuzzugssteuern als
kombinierte Vermögens- und
Einkommensteuer, insofern vom Grundbesitz ein
entsprechender Prozentsatz des Einkommens,
vom mobilen Vermögen ein entsprechender Prozentsatz
des Wertes erhoben wurde und zwar auf Grund
eines besonderen
Steuerkatasters. Die Steuern wurden nicht
regelmäßig, sondern nach Bedarf,
dann aber mehrere Jahre hintereinander erhoben. In der
Einforderung wie in der
Bemessung dieser Steuern war der Papst
prinzipiell unbeschränkt und nicht einmal an
die Verwendung der Einnahmen zu dem zuerst bekannt
gegebenen Zwecke gebunden. Die Domherren und Patrone der
Kirchengüter protestierten zwar gegen diese
Rechtsauffassung und forderten die Zustimmung der
Steuerträger für Besteuerung wie für
Zweckänderung. Solange aber die weltliche
Gewalt mit der Kurie einig war, wurde mit aller
Strenge gegen nichtzahlende Geistliche mit
Exkommunikation, Gefangennahme und Einziehung der
Güter und Pfründen vorgegangen. Immerhin
zeigten diese Vorgänge schon die Schwäche der
ganzen Steuerorganisation.
Besonderes Interesse verdient noch die
Zahlungsart dieser päpstlichen Steuern.
Die verschiedenen Teile des
christlichen Abendlandes waren wirtschaftspolitisch wenig
gleichmäßig entwickelt. Namentlich in den
nördlich gelegenen Ländern hatte die
Geldwirtschaft kaum Eingang gefunden. Hier konnten die
Steuern nur in Naturalien wie getrocknete
Fische, Wolle, Getreide u.s.w.
entrichtet werden. Andere Länder konnten zwar diese
Abgaben in barer Münze zahlen, aber das
Münzwesen war damals wenig geordnet, sehr
ungleich und fast alle Münzen waren zu Soldzahlungen
in Palästina, Aegypten oder Syrien unverwendbar. Die
päpstliche Steuererhebung mußte deshalb all
diese verschiedenartigen Steuerleistungen in eine
für den damaligen internationalen Verkehr
gangbare Münze umwandeln, um dann erst den
Steuerertrag dem Papste zur Verfügung zu stellen.
Zur Lösung dieser Aufgabe bediente sich die
päpstliche Politik besonderer
Kollektoren, welche den norditalienischen
Kaufmannskreisen entnommen waren. Diese
beauftragten Kaufleute übernahmen die Naturalien an
Ort und Stelle zum Lokopreis für eigene
Rechnung, um sie dann auf geeignet erscheinenden
Märkten zu verwerten. Sie übernahmen die
Zahlungen in den verschiedenen Landesmünzen
nach dem Metallwert, um die Gesamtsumme dann in
gangbaren Goldmünzen an jenen Plätzen zu
hinterlegen, welche vom Papste namhaft gemacht wurden.
Unter diesen sind London, Paris, Venedig an
erster Stelle zu nennen. Zumeist gehörten diese
päpstlichen Kollektoren der Wollzunft
an. So hat der direkte geschäftliche
Verkehr zwischen Italien und den
nordischen Ländern Europas in Wolle und
wollenen Tüchern sich außerordentlich belebt.
Aber auch der Verkehr mit Geldanweisungen
und Wechselbriefen ist erst durch
diese päpstlichen Einrichtungen im
christlichen Europa zur Einführung gekommen.
Die Gewinnstchancen der Kollektoren waren bei diesen
kompli
zierten Geschäften um so
größer, je häufiger noch
Kreditgeschäfte mit den Klerikern und
kirchlichen Instituten damit verbunden
waren. Wer den nach dem Steuerkataster eingeforderten
Betrag nicht bezahlen konnte, ließ sich von den
Kollektoren Vorschuß geben, wofür Kirchengut
oder später fällig werdende Bezüge
verpfändet wurden. Trotz der Wucherzinsen, welche in
solchen Fällen die Kaufleute berechneten, fanden sie
in der Beitreibung ihrer Ausstände volle
Unterstützung von Seiten der päpstlichen
Gewalt. Kleriker welche nicht zahlen konnten, wurden
exkommuniziert, das verpfändete Kirchengut den
Gläubigern ausgeliefert. Das Amt eines
päpstlichen Steuereinnehmers bot deshalb
vorzügliche Gelegenheiten, sich rasch zu bereichern.
An Bewerbern um diese Stellen fehlte es nicht. Im XIII.
Jahrhundert wurden diese pästlichen Kollektoren
zunächst den Städten Piacenza, Asti,
Cahors, dann Bologna und
Siena entnommen, im XIII. Jahrhundert kamen
die päpstlichen Geldgeschäfte in die Hand der
florentiner Banken und namentlich in die der
Medici. Der florentinische
Goldgulden, welcher seit 1252 geprägt wurde,
ist auf diesem Wege zur Weltmünze
geworden. Seit dem letzten Viertel des XV. Jahrhunderts
traten die Augsburger Fugger diese Erbschaft
der Medici an, um sie bis zu ihrem Bankrott Mitte des
XVI. Jahrhunderts zu behalten.
§ 55. Der finanzielle Ertrag der
Kreuzzugssteuern war ein ganz
außerordentlicher. Ihr Jahreserträgnis wird
für das letzte Drittel des XIII. Jahrhunderts von
Gottlob auf 20 Millionen Franken geschätzt. Die
ordentlichen französischen Staatsrevenuen waren in
dieser Zeit nach Abzug der Erhebungskosten 4'800'000
Franken. Der päpstliche Zehent aus Frankreich aber
erreicht 5'280'000 Franken. Die päpstliche
Steuereinnahme aus England wird auf 4 Millionen Franken
angegeben. Das größte
Privatvermögen innerhalb des christlichen
Abendlandes war im
XV.
Jahrhundert das der Medici, welches für
1440 auf 5 Millionen Mark geschätzt wird. Der
Reichtum der Fugger soll im Jahre 1546 40
Millionen Mark erreicht haben. Durch Ablaßpredigten
und Anleihen konnten diese Geldeinnahmen des Papstes noch
derart gesteigert werden, daß von Martin
IV. (1281 — 1285) nach Gottlob berichtet
wird, er habe in den 4 Jahren seines Pontificats die
enorme Summe von 366 Millionen Mark für politische
Zwecke aufgewendet. Das wären pro Jahr
91 1⁄2 Millionen Mark.
Wenn auch diese Ziffer wesentlich zu hoch gegriffen sein
mag, so bleiben doch die Päpste des XIII.
Jahrhunderts durch ihr Besteuerungssystem die reichsten
Herren der Christenheit.
Hand in Hand damit ging eine ungeheure Zunahme der
politischen Macht der Päpste. Innocenz
IV. (1243 bis 1254) kämpfte gegen Kaiser
Friedrich II., unterstützte die deutschen
Gegenkönige Heinrich Raspe und Wilhelm von Holland,
wie den Kaiser Balduin im Osten, schenkte viele Millionen
Ludwig dem Heiligen von Frankreich zu seinem Feldzug
gegen Aegypten, ebenso den Königen von Aragonien und
Kastilien zu ihren Kämpfen gegen die Mauren und
schickt dem Könige von Norwegen reiche Subsidien zu
dessen Eroberungszügen gegen die heidnischen
Sambitten und Esthen. Fast alle Könige und
Fürsten standen jetzt im Sold des Papstes und
bemühten sich, aus seinen so wohl gefüllten
Geldkisten einen möglichst großen Anteil zu
erbitten. Es kann deshalb kaum überraschen,
daß auf diese Weise die Päpste
dem erstrebten Ziele der Universalmonarchie
immer näher rückten. England, Schottland,
Polen, Ungarn, Bulgarien, Aragonien und
Sizilien waren päpstliche Lehen geworden und die
deutsche Kaiserkrone wurde von Rom aus vergeben.
§ 56. Dennoch vermochte diese
Politik des Geldreichtums und
der politischen Macht für die Kirche
keine dauernden Erfolge
zu zeitigen. Es konnte nicht ausbleiben, daß damit
Mißstände verschiedener Art sich
verknüpften, welche kritisch denkende Männer um
so leichter zu öffentlichen Anklagen
veranlaßte, je weniger diese Zustände mit den
Worten des Evangeliums in Einklang zu bringen waren. Die
erste Reaktion dieser Art erwuchs aus der
Pariser Theologenschule des Peter
Abälard (1079—1142). Ihr am meisten
hervorragender Schüler war Arnold aus
Brescia in Italien. Er führte das Verderben
der Kirche vornehmlich auf ihren Reichtum zurück.
Abhilfe könne durch Beseitigung der Verweltlichung
der Kirche und des Klerus und durch Rückkehr zum
Christentum der Apostel erreicht werden. Er forderte
deshalb Verzichtleistung der Kirche auf weltliche
Macht und irdischen Besitz. Anfangs durch den
Papst Cölestin II. begünstigt,
bemächtigte sich Arnold dann selbst der politischen
Macht in Rom und fand 1155 ein gewaltsames Ende. Aber
auch der berühmte Kreuzzugsprediger Abt
Bernhard von Clairvaux (1091—1153) erkannte die
Gefahren des wachsenden Reichtums für die
Kirche. Das Kloster Cluny war ihm schon zu
wohlhabend geworden. Es war nicht nach seiner Meinung,
daß die cluniacensische Kirchenreform von einer
Befreiung der Kirche aus weltlichen Fesseln zu einer
Verweltlichung der Kirche führte. Mit seinen
Genossen gründete er in tiefer Waldeinsamkeit das
Kloster Clairvaux in Burgund, und seinem Schüler,
dem nachmaligen Papste Eugen III.
(1145—1153) gab er bei Uebernahme seines hohen
Amtes ernste Mahnungen gegen den Reichtum der Kirche mit
auf den Weg. Im Jahre 1170 begann die Bewegung des
Petrus Waldus, eines reichen Kaufmanns in Lyon,
welcher seinen gesamten Besitz unter die Armen verteilte.
Nach seiner Auffassung war die Kirche zu Grunde gerichtet
worden durch die erlangte weltliche Herrschaft. Seine
Tätigkeit war darauf gerichtet,
durch Verbreitung der heiligen Schrift in Wort und
Tat die Wiederherstellung der ursprünglichen
Reinheit der Kirche bei freiwilliger Armut zu
erreichen. Die Evangelien wurden in die Sprachen des
Volkes übersetzt und den Laien in die
Hand gegeben, welche auch predigen durften.
Waldus fand namentlich unter den Woll- und Seidenwebern
viel Anhänger. Die Waldenser Prediger, die zumeist
Laien waren, durften nichts besitzen und waren zum
fortwährenden Reisen und Predigen verpflichtet.
Anfangs wollte sich die neue Gemeinde vom Papste nicht
trennen. Das Bibellesen und die Laienpredigt brachten sie
jedoch mit der Kirche in Konflikt. Sie wurden verfolgt
und dadurch zerstreuten sich die Waldenser Weber
über Frankreich bis nach Flandern, über
Norditalien und Deutschland bis nach Böhmen, um
überall unter der gewerblichen Bevölkerung der
Städte ihre Lehren zu verbreiten.
§ 57. Trotz all dieser Zeichen der Zeit wurde die
Kirche in der einmal begonnenen Entwickelung immer
weiter gedrängt. Die Mißerfolge der
Kreuzzugsbewegung führten im Jahre 1190 zur
Einführung der päpstlichen Kreuzzugssteuern.
Damit wuchs der Reichtum und die weltliche Macht der
Kirche immer mehr, die damit in Verbindung stehenden
Uebelstände wurden immer augenfälliger.
Die erhofften Siege des Kreuzheeres blieben
aus. Die Bewegung, welche gegen den Erbfeind der
Christenheit mit dem begeisternden Rufe „Gott
will es“ in Scene gesetzt, und als ein
offizielles Unternehmen der kirchlichen und weltlichen
Macht des christlichen Abendlandes mit ungeheuren Opfern
fast zwei Jahrhunderte lang (1096 bis 1270) geführt
wurde, ist kläglich gescheitert. Die
meisten ursprünglich über die islamischen
Araber verbreiteten Nachrichten erwiesen sich
als unzutreffend. Wohl aber
verfielen die Kreuzzugsstaaten rasch der
Habgier und Sittenlosigkeit,
sodaß Niemand von ihrer baldigen Vernichtung
überrascht werden konnte. Eine solche Kette von
Mißerfolgen der von Rom aus regierten christlichen
Welt mußte die Autorität und das Ansehen der
Kirche in weiten Volkskreisen ebenso tief
erschüttern, als in unseren Tagen die Autorität
der russischen Staatsverfassung durch die
Mißerfolge den japanischen Heeren gegenüber.
Fast überall tauchten im XIII. Jahrhundert in
den gewerblichen und handelsreichen Städten neue
Sekten auf, welche in dem Reichtum und in der
Verweltlichung der Kirche die Ursachen aller
Mißstände erblickten und die
Rückkehr zu den Zuständen der
apostolischen Kirche durch Säkularisierung der
Kirchengüter zu Gunsten des Staates und der
Gesellschaft forderten. Der römischen Kirche, welche
dem Islam bereits den auf Eroberung ausziehenden
bewaffneten Propheten nachgeahmt hatte,
blieb nun folgerichtig nur übrig, auch den
Ketzercode mit dem
Ketzermeister und dem Inquisitor der
Araber zu übernehmen. Von 1208 bis 1229
wüteten in Südfrankreich die
Albingenserkriege, welche auf beiden Seiten
den Verlust von Hunderttausenden gefordert und die
schönsten Gegenden in der Provence und in
Oberlanguedoc furchtbar verwüstet haben, um
schließlich zu einem Gebietszuwachs für den
König von Frankreich zu führen.
§ 58. Aber auch unter den besten, der Kirche
treuen Söhnen wurde jetzt die Ueberzeugung
erkennbar, daß sie in dem Reichtum und in der
weltlichen Macht der Kirche eine schwere Schädigung
des Christentums erblickten. Franz von
Assisi verlangte von seinen Brüdern nicht nur
den Verzicht auf persönlichen Besitz,
sondern auch den Verzicht auf gemeinsamen
Besitz und Dominikus
suchte ihm darin zu folgen. Mit
voller Begeisterung wurden allerwärts diese
Priester der Bettelorden, die Franziskaner
und Dominikaner, vom gläubigen Volke aufgenommen.
Sechzig Jahre nach seiner Gründung (1210)
zählte der Franziskanerorden rund 8000 Klöster
mit über 200'000 Mönchen. Und doch sollten auch
diesen idealen Gründungen die Versuchungen des
Reichtums nicht erspart bleiben. Für die
Dominikaner wurde durch Papst Martin V. 1425
das Ordensverbot, Güter zu erwerben, aufgehoben.
Bald darauf sind die Dominikaner in dem Besitz reicher
Pfründen. Für die Franziskaner hat Papst
Nikolaus III. (1279) das Eigentum an dem zum
Gebrauch notwendigen Dingen, nach der Lehre Christi
über den Weg zur Vollkommenheit, der Kirche
übertragen. In den Jahren 1297 und 1305 wurde Rom
von einigen Franziskanern bekämpft als das Haupt der
Fleisch gewordenen Kirche. Papst Johann XXII. verwarf die
Auffassung, daß Christus und die Apostel weder
persönlich, noch gemeinsam etwas besessen
hätten. Der Franziskanergeneral Michael von
Cesena protestierte und Johann XXII. antwortete
mit dem Inquisitionsverfahren. Als dann auch die
Klöster der Franziskaner vielfach reich wurden, hat
sich dieser Orden in der Beobachtung des Armutsprinzips
gespalten.
§ 59. Bevor noch die Reaktion im Volke gegen den
Reichtum und die politische Macht der Kirche tiefere
Wirkungen zeitigen konnte, kam es aus den gleichen
Gründen zu einem ernsten Konflikt
zwischen der geistlichen und
weltlichen Gewalt. Die Politik der Kurie hat
in ihrer Rivalität mit der Machtstellung der
deutschen Kaiser schon vom XII. Jahrhundert ab die
Loslösung der slavischen,
ungarischen und nordischen Länder von der
Organisation der deutschen Kirche bewirkt. Immer
größer wurde die Zahl der
selbständigen Nationen,
welche sich unter wesentlicher
Mithilfe der päpstlichen Politik aus der
ursprünglichen Einheit des christlichen
Abendlandes differenzierten. Man schien in Rom
nach dem Grundsatz „teile und herrsche“ zu
handeln und dabei jene Erfahrungen mit den
Herzogsgewalten zur Zeit des Niederganges der Karolinger
vergessen zu haben, welche lehrten, daß dieses
politische Prinzip der Teilung nur dann ein richtiges
ist, wenn die Teile nicht auch mächtig werden
können. Im letzteren Falle bleibt die
Verständigung mit Vielen weit schwieriger, als mit
Einem.
Daß der Papst die Kirchensteuern einführte
und erhob, damit waren alle Fürsten,
einschließlich des Kaisers Friedrichs II.,
einverstanden. Die kirchliche Gewalt schien
nach der damals herrschenden Ueberzeugung weitaus
am besten befähigt, Geldeinnahmen aus dem Volke
flüssig zu machen. Noch zu Anfang des XVI.
Jahrhunderts vertraten Kaiser und Reich die Auffassung,
daß am sichersten durch Ablaßpredigten die
nötigen Geldmittel zur Verteidigung der Ostgrenze
des deutschen Reiches aufgebracht würden. Die
päpstlichen Kirchensteuern haben die
spätere Einführung der
Staatssteuern ganz wesentlich vorbereitet.
Die anderen Fragen: ob der Papst dauernd allein über
die Verwendung der Kirchensteuer-Erträge
verfügen solle? oder ob die Könige in ihren
Ländern zur Besteuerung des Kirchenvermögens
berechtigt seien? wurden erst aktuell, als die
Päpste diese Gelder nicht nur zur Bekämpfung
des Islam, sondern bald häufiger noch zur Verfolgung
ihrer anderen politischen Zwecke verwendeten. Dieser
nicht mehr kirchliche Verwendungszweck trat
im Kampfe gegen die Hohenstaufen so scharf
hervor, daß Papst Innocenz IV.
(1248—1254) erklären konnte: „Die
Niederwerfung der Staufen in Italien und ihr Ersatz durch
eine dem Papste freundliche Dynastie
übertrifft alle Werke der
Frömmigkeit.“ Als wichtigstes Werkzeug zur
Vernichtung der Hohenstaufen fungierte in der Hand der
Kurie das französische Königshaus.
Die französischen Heere erhielten zu diesem Zwecke
ungezählte Millionen aus der päpstlichen Kasse.
Unter Clemens IV. wurden in den Jahren
1265/66 nicht nur die Erträge der Kirchensteuern
ausgeschöpft und die kostbaren
Kirchengefäße verkauft, es wurde auch für
Schuldaufnahmen alles verpfändet, bis auf den St.
Peter und den Lateran. Dem Papste blieben kaum mehr die
Mittel, um seinen Haushalt zu bestreiten und klagend
schrieb er an Karl von Anjou: „Wir
sind erschöpft und die Kaufleute ermattet. Willst du
ein Wunder, etwa daß wir Erde und Stein in Gold
verwandeln?“ Wenn es aber für den
Papst recht war, die zur Förderung der
Kreuzzüge eingeführten Steuern für ganz
andere politische Zwecke zu verwenden, warum sollte dann
das Gleiche für die Fürsten
unbillig sein? So wurde es jetzt Mode, daß
die Könige ein Kreuzzugsgelübde
ablegten, oder auf sonstige vom Papst gemachte
Vorschläge scheinbar eingingen, sich
dafür reiche Mittel von der Kurie überweisen
ließen und dann die so erhaltenen Gelder für
ihre Zwecke verwendeten. Welch ungeheures Feld
eröffnete sich damit der politischen lntrigue!
Speziell das französische
Königshaus war durch opferwillige Schenkungen
der Päpste so verwöhnt und dadurch für
einen eventuellen Kampf mit dem Papste so gestärkt
worden, daß es zum mindesten die Steuern aus
dem Kirchenvermögen in Frankreich als
seine Steuern zu betrachten anfing. Und
daraus ist der ernste Konflikt zwischen dem Papst
Bonifaz VIII. und dem König Philipp IV.
dem Schönen von Frankreich enstanden.
§ 60. Philipp IV. hatte 1294 einen Krieg mit
Eduard I. von England begonnen, zu dessen
Führung
er eine
allgemeine Kriegssteuer auch für die Kleriker und
das Kirchenvermögen innerhalb seines Landes
ausschreiben ließ. Die Kleriker weigerten sich,
diese Steuer zu zahlen und ergriffen die Berufung nach
Rom. Papst Bonifaz VIII. antwortete mit der Bulle
Clericis Laicos von 1296, in welcher er alle
Fürsten, welche ohne Einwilligung des Papstes die
Geistlichen und das Kirchengut besteuerten, mit dem
Kirchenbann bedrohte. Philipp erwiderte
darauf sofort mit einem Ausfuhrverbot
für Gold, Silber, Lebensmittel, Pferde, Wagen und
untersagte allen Fremden Aufenthalt und Handel in
Frankreich ohne königliche Erlaubnis.
Damit waren die sämtlichen Bezüge des Papstes
aus dem Kirchengute in Frankreich gesperrt. Bonifaz
mußte nachgeben und schrieb in einem Briefe an
Philipp: er würde eher die Hände nach den
Kelchen, Kreuzen und heiligen Gefäßen
ausstrecken, als Frankreich Schaden leiden lassen. Die
Bulle Clericis Laicos wurde Frankreich gegenüber
zurückgenommen. Dieser Mißerfolg sollte wieder
gut gemacht werden durch eine zweite Bulle von 1301
Ausculta fili, worin jeder für einen
Ketzer erklärt wird, der nicht glaube, daß der
König dem Papste wie in geistlichen so in weltlichen
Dingen unterworfen sei. Philipp antwortete darauf mit
einem Reichstag zu Paris (April 1302), in
welchem zum ersten Male
bürgerliche Vertreter der Städte
neben den Baronen und Prälaten erschienen sind. Hier
wurde der Beschluß gefaßt, das
Parlament sei, nächst Gott, nur dem
Könige unterworfen und dieser trage
seine Gewalt von Niemand zu Lehen! Und als nun
Bonifaz VIII. in seiner Bulle Unam sanctam
von 1302 die Grundsätze der päpstlichen
Weltherrschaft proklamierte und fünf Monate
später Bann und Absetzung über Philipp
aussprach, ließ dieser den Papst auf italienischem
Boden überfallen. An den Folgen dieser Gefangennahme
starb Bonifaz bald
darauf.
Sein Nachfolger Benedict XI. lebte nur kurze
Zeit. Durch Geld und Intriguen gelang es dem Könige,
den Erzbischof von Bordeaux als Clemens V.
auf den päpstlichen Stuhl zu setzen. Dieser wurde
das gefügige Werkzeug Philipps und mußte sich
1309 herbeilassen, seine Hofhaltung fortan aus Rom
nach der päpstlichen Besitzung Avignon in
Südfrankreich zu verlegen, den Kirchenbann
über Philipp aufzuheben und die von Bonifaz
erlassenen Strafbullen für ungültig zu
erklären. Der Sieg des aufstrebenden
fürstlichen Absolutismus über die Päpste
in weltlichen Sachen hatte begonnen.
§ 61. Der fast 70jährige Aufenthalt
der Päpste in Avignon (1309 bis 1378),
welcher von vielen Kirchenschriftstellern als
„Babylonisches Exil“ der
Päpste bezeichnet wird, führte zu einer ganzen
Reihe wichtiger Konsequenzen.
Das Privileg der Steuerfreiheit des Klerus und
der Kirchengüter der weltlichen
Gewalt gegenüber und das ausschließliche
Recht des Papstes, Kirchensteuern zu erheben,
gingen verloren. Frankreich, und bald auch England,
Aragonien, Sizilien und Böhmen erhielten das Recht,
Kleriker und Kirchengüter innerhalb ihres
Herrschaftsgebietes zu besteuern. In diesen
Königreichen hatte man mithin von da ab die zwei
Steuerherren: den Papst und den König.
Und wie energisch wurde diese neue staatliche
Steuerquelle namentlich in Frankreich ausgebeutet.
Philipp soll binnen zehn Jahren 400 Millionen Franken
Steuern von seinem Klerus erhoben haben. Da blieb
für die päpstliche Kasse nicht mehr viel zu
holen übrig. Das neue Rechtsverhältnis
führte auch bald dazu, daß der Papst erst mit
Fürsten und Bischöfen verhandeln mußte,
bevor er Kirchensteuern erheben und empfangen durfte.
Philipp IV. begnügte sich
indeß nicht mit dem Besteuerungserfolg. Der
Templerorden, welcher 1119 als „arme
Mitstreiter Christi“ in Jerusalem gegründet
worden war, hatte inzwischen einen ungeheuren
Reichtum angesammelt. Damit war auch in seinen
Reihen Zucht und Ordnung dahin. Die liegenden Güter
der Tempelritter wurden auf 25 bis 65 Millionen Franken
geschätzt. Daneben betrieben sie
außerordentlich umfangreiche
Handelsgeschäfte, unterhielten eine eigene
stattliche Seeflotte mit vorzüglichen
Schiffen. Ihr Haupthaus der „Tempel“ in
Paris, war eine internationale Börse. Bei dem
gewaltigen internationalen Geldverkehr, der durch die
Hände dieser päpstlichen Ritter ging, gewann
der Orden die Stellung einer
finanziellen Großmacht, um deren Gunst sich
Könige bewarben. Diese Tempelherren, welche ihrer
Nationalität nach überwiegend Franzosen waren,
beabsichtigten größere Territorialgebiete in
Frankreich zu erwerben, um da dauernd ihre Macht zu
konzentrieren. Philipp IV. konnte ein solches Vorhaben
nicht billigen. Außerdem reizte ihn der
ungewöhnliche Reichtum des Ordens. So begann der
König mit List und Gewalt den
Ketzerprozeß gegen den Templerorden,
welcher ihm das Recht und die Möglichkeit der
Vermögenskonfiskation eröffnete. Der
Prozeß dauerte von 1307—1313. Papst
Clemens V. wurde zur Aufhebung des Ordens
gedrängt. Das Ordensvermögen mußte der
König in der Hauptsache mit den Johannitern teilen.
Philipp IV. hat also durch den Templerprozeß die
Säcrilarisation der Kirchengüter durch
die Staatsgewalt bereits eingeleitet.
§ 62. Bald sollten sich noch ungünstigere
Folgen für die Kirche zeigen. Die
Päpste in Avignon unter dem
bestimmenden Einfluß des französischen
Königs, trieben naturgemäß
französische Politik. Nicht nur die
Kirchen
steuern, welche aus allen
Ländern der Christenheit erhoben wurden, wanderten
zu einem hohen Prozentsatze in die Kassen des
französischen Staates. Auch der ganze kirchliche
Einfluß des Papstes wurde zu Gunsten Frankreichs
verwendet. Es konnte nicht ausbleiben, daß bei dem
jetzt erwachenden Nationalbewußtsein in den
anderen Staaten der Papst weniger als das Haupt
der Christenheit und mehr als das Haupt der
französischen Kirche im Dienste des
französichen Staates erscheinen mußte. Mit der
Verbreitung dieser Auffassung in Klerikerkreisen aber
konnten Strömungen nicht ausbleiben,
welche die stolze Einheit der christlichen Kirche
in eine Reihe von fast selbständigen
Nationalkirchen zu zersplittern drohte.
So war das Streben des französischen Königs
damals darauf gerichtet, wenn möglich den deutschen
Kaiserthron selbst einzunehmen, jedenfalls aber mit einem
der französischen Politik ergebenen Kandidaten zu
besetzen. Das führte zu einem Konflikt zwischen
Papst Johann XXII. und dem Kaiser
Ludwig dem Bayern, über welchen der
Kirchenbann und die Absetzung durch den Papst 1324
ausgesprochen wurde. Von Avignon aus blieben jedoch diese
Maßnahmen unwirksam. Eine Reihe hervorragender
Gelehrter wie Marsilius von Padua, Wilhelm von
Occam, Ubertino da Casale sammelten sich um Ludwig
den Bayern und traten mit wissenschaftlichen Waffen
für die Souveränität des
Staates in weltlichen Dingen ein, wie
das vorher schon die sizilianischen
Gelehrten des Kaisers Friedrichs II. in Anlehnung
an das arabische und
byzantinische Staatsrecht und dann die
Pariser Juristen für Philipp IV. getan
hatten. Unter dem Eindruck dieser wissenschaftlichen
Ausführungen rafften sich die deutschen
Kurfürsten (1338) im Kurverein zu
Rense zu der Erklärung auf, daß jeder
rechtmäßig gewählte deutsche
König
auch
ohne päpstliche Krönung der
rechtmäßige römische Kaiser
sei. Als dann aber auch Kaiser Ludwig der Bayer
weitgehende Hausmachtspolitik trieb, fand sich rasch
unter dem Einfluß päpstlicher und
französischer Bestechungsgelder eine Majorität
der deutschen Kurfürsten, welche den am
französischen Hofe erzogenen nachmaligen
Kaiser Karl IV. noch zu Lebzeiten Ludwigs
des Bayern 1346 wählten und damit dessen Absetzung
aussprachen. Nicht die allgemein päpstliche, sondern
die französische Politik hatte in
diesem Falle über die altdeutsche
Zerrissenheit gesiegt.
§ 63. Am bedauerlichsten für die Kirche war
es vielleicht, daß sie selbst auf der Bahn
kapitalistischer Entwickelung noch weiter
fortgedrängt wurde. Die neue Einrichtung der
Hofhaltung in Avignon steigerte den Geldbedarf des
Papstes. Der Verlust des ausschließlichen
Besteuerungsrechts der Kirchengüter in einer Reihe
von Staaten und besonders das fast völlige
Ausbleiben von Einnahmen aus dem Kirchenstaate
mußte die päpstlichen Einnahmen
bedeutend mindern. Der immer drängende
Geldbedarf der französischen Politik blieb nicht
aus. Die Kurie wurde deshalb gezwungen, immer neue
Arten zur Erschließung größerer
Geldeinnahmen zu erfinden. So folgte der Periode
des Ausbaues der direkten Kirchensteuern
(Kreuzzugssteuern) die Periode der indirekten
Kirchensteuern, die die Bedenken gegen das ganze
kapitalistische Steuersystem der Kurie nur wesentlich
steigern konnten.
Die päpstlichen Einnahmen wurden damit etwa aus
folgenden Titeln bezogen:
Noch Bonifaz VIII. hatte im Jahre 1300
den Jubelablaß verkündet, durch
den zwei Millionen Fremde nach Rom gekommen sein sollen.
Er lieferte so reiche Gelderträge, daß zwei
Priester durch Tag und Nacht mit
Rechen in
den Händen beschäftigt waren, das auf dem Altar
des heiligen Petrus in der Peterskirche von den
Gläubigen ausgeschüttete Geld einzustreichen.
Ursprünglich sollte dieser Jubelablaß nur alle
hundert Jahre verkündet werden. Der chronische
Geldbedarf aber hat diesen Zeitraum bald auf 50, 33 und
selbst 25 Jahre verkürzt. Zu diesen freiwilligen
Abgaben gehörten auch der Peterspfennig
und die Geschenke der Prälaten
gelegentlich der visitatio ad limina apostolorum. Die
noch verbliebenen Kreuzzugssteuern verwandelten sich in
einen päpstlichen Zehent auf
Kircheneinkommen. Die Almosen und
Vermächtnisse für das heilige Land
wurden von der Kurie eingezogen. Dazu
kamen die Konfirmations- oder
Provisionsgebühren als Abgabe, welche
die neu ins Amt gekommenen kirchlichen
Würdenträger für die päpstliche
Bestätigung zu entrichten hatten. Schon im XIII.
Jahrhundert mußte hierfür das Bistum Brixen
4000 Goldgulden, die Erzbistümer von Trier, Mainz
und Salzburg je 10'000 Goldgulden, Rouen je 12'000,
Cambrai 6000, Toulouse und Sevilla je 5000 Goldgulden
entrichten. Die Palliengelder sind nach
Empfang des Palliums, ein wenige Finger breiter,
weißer wollener Umhang, von den Erzbischöfen
zu zahlen, ebenso die Taxen bei Empfang der
päpstlichen Bullen. Bistümer, Klöster und
Kirchen, welche durch besondere päpstliche
Privilegien der allgemeinen Kirchenorganisation nicht
unterstellt sind, unterliegen dafür einem besonderen
Zensus. Nach den Reservationen
und Annaten waren die Einkünfte aller
nicht besetzten kirchlichen Stellen, die der Papst sich
reserviert hatte, und nach ihrer Besetzung ein Teil der
Einkünfte des ersten Jahres an die päpstliche
Kasse abzuführen. Die sog.
Spoliengelder umschlossen das Recht, das
Vermögen eines Klerikers, über welches nicht
testamentarisch zu guten Zwecken verfügt war, oder
dessen
Verfügung sich der Papst
vorbehalten hatte, für allgemeine kirchliche Zwecke
in Anspruch zu nehmen. Commenden waren
Zahlungen für die Gewährung der Anwartschaft
auf eine Pfründe an eine Person, welche zur Zeit
noch unmündig war. Unter Unionen oder
Inkorporationen verstand man Zahlungen
für die Erlaubnis der Vereinigung mehrerer
Pfründen in einer Hand. Dazu kamen noch die
Tribute, welche die als päpstliche
Lehen getragenen Königskronen zu entrichten
hatten.
All diese Steuern wurden während der Hofhaltung
der Päpste in Avignon am fleißigsten in
Frankreich und England erhoben. Englands reiche
Ergiebigkeiten boten der Kurie den Anlaß, dieses
Land einen Garten von Kostbarkeiten und einen
unerschöpflichen Brunnen zu nennen. Bald klagte das
englische Parlament, daß die dem Papste
jährlich bezahlten Abgaben fünf mal so
groß seien, als der Ertrag der königlichen
Steuern. Die Wiclifsche Reformationsbewegung
beginnt.
§ 64. Auch die englische Krone war
ein päpstliches Lehen geworden.
Johann ohne Land hatte sie im Jahre 1213
gegen die Verpflichtung eines jährlichen Tributs von
1000 Pfund Silber aus den Händen des Papstes
Innocenz III. entgegen genommen. Diese
Tributleistung wurde in England ungern gesehen.
Eduard I. (1272—1307) wußte denn
auch von einem solchen Vasallentribut nichts.
Eduard II. (1307—1327) gab wieder
nach, Eduard III. (1327—1377) jedoch
weigerte sich 1366 entschieden, den seit 33 Jahren
rückständigen englischen Vasallentribut an die
Kurie zu leisten. Schließlich hat im Jahre 1374 der
Papst ganz darauf verzichtet. Bei dem Verlauf dieses
Streites aber waren die engeren Beziehungen der Kurie zu
Frankreich von wesentlicher Bedeutung.
Schon den König Philipp IV. von Frankreich
gelüstete es nach dem Reichtum der
aufblühenden flande
rischen
Städte. Die Ausbreitung ketzerischer
Strömungen daselbst dienten als Vorwand, um
über Flandern herzufallen. Eben dieses Flandern war
das wichtigste Absatzgebiet für die englische
Wolle, aus welchen Geschäftsbeziehungen auch
dem Könige von England reiche Einnahmen zufielen.
England unterstützte deshalb die Flamen gegen
Frankreich. Englische Bauernsöhne dienten als
Söldner im Dienste der flanderischen Städte.
Und als 1328 die männlichen direkten Erben
Philipps IV. ausgestorben waren, erhob der
englische König Eduard III. als Sohn
einer Tochter Philipps IV. Anspruch auf den
französischen Thron. Damit begann der mehr
als hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und
England (1339—1453). Nachdem die englischen Waffen
zunächst siegreich waren, wandte sich das
Blättchen 1364 und England verlor wieder die meisten
seiner Besitzungen in Frankreich. Mitten in dieser
ernsten Kriegsnot mußte 1366 die Forderung des mit
dem Landesfeinde eng verbündeten Papstes, den
rückständigen Vasallentribut von 33'000 Pfund
Silber zu entrichten, von der öffentlichen Meinung
in England als ein Schimpf empfunden werden. Clemens
wollte ferner den durch den langen Krieg oft verarmten
Adel Frankreichs dadurch etwas unterstützen,
daß er reiche englische Pfründen
an Franzosen vergab. Darauf antwortete ein
englischer Parlamentsbeschluß vom 18. Mai
1343: Die Kurie gebe, seitdem Avignon an Roms
Stelle getreten sei, der Kirche ein Aergernis durch
Habsucht und Ungerechtigkeit. Die Reservationen,
Provisionen und Versorgung ausländischer Kleriker
mit den reichsten englischen Pfründen seien der
Kirche ebenso schädlich, wie dem Lande. Durch die
Landesfremden werde der Gottesdienst vernachlässigt
und die Güter ins Ausland verschleppt. Das
widerspreche dem Willen des Stifters der Kirche. —
Als dennoch vom Papste abermals solche Versuche gemacht
wurden, haben 1350 König und
Parlament die Statute of Provisors
angenommen, durch welche verboten wurde, große
englische Pründen
auswärts zu vergeben. 1353 folgte die
Statute Praemunire, welche die Berufung an
päpstliche Gerichte mit den härtesten Strafen
belegte. Die um 1362 in England niedergeschriebenen
„Gesichter Peters des
Pflügers“ führten aus: „Das
Geld, das schlimme Geld hat die Kirche
vergiftet“.
„Als Kaiser Konstantin aus Gunst
Mit Geld und Gut die Kirch’ begabte,
Mit Land und Leuten, Lehensrecht und Zins,
Da hörte man, hoch aus den Höhen, von himmlischen Heerscharen rufen:
«Heut hat des Herrn heilige Braut,
Die Kirche, kränkendes Gift gegessen,
Vergiftet sind alle, denen gegeben
Des guten Petrus Gewalt.»“
|
§ 65. Die Zeit der englischen
Niederlagen und der französischen Siege
mußte naturgemäß die Kritik des
kapitalistischen Systems der Kurie in England
verschärfen. Dabei trat als Führer der
Bewegung der Pfarrer und Universitätslehrer
John Wiclif auf. Nachdem er im Jahre 1366 des
Königs Weigerung, den Vasallentribut an den Papst zu
entrichten, energisch unterstützt hatte, forderte er
1369 die Besteuerung der Kirchengüter durch die
Krone, welcher er auch das Recht zuerkannte, im Falle
finanzieller Not die Kirchengüter einzuziehen. Der
ganze Schwerpunkt der notwendigen
Kirchenreform lag nach seiner Auffassung in
der Beseitigung des Reichtums und der Habsucht der
Kirche. Erst dann würden jene Personen,
welche nur nach weltlicher Macht trachten, sich nicht
mehr in die Kirchenstellen eindrängen. Er
verherrlichte die Armut Christi und stellte dem den
Reichtum und die kapitalistische
Politik
seiner Nachfolger gegenüber. Die Väter
hätten die Kirchen ausgestattet zum Unterhalt der
Geistlichen, nicht zur Machterweiterung des Papstes. Der
nach Reichtum begierige Papst sei nicht mehr Nachfolger
Christi, sondern bereite dem Anti-Christ den Weg. Die
Säkularisation des Kirchengutes sei auch deshalb
prinzipiell zulässig, weil es kein absolutes
Eigentum gebe. Das Eigentum an wirtschaftlichen
Gütern sei kein Dominium, sondern ein
Ministerium, das durch jeden schweren
Mißbrauch die Berechtigung seiner Stellung
verliere. Es müsse auch verboten werden, daß
eine Person des größeren Einkommens halber
mehrere Kirchenämter übertragen erhalte. Die
Exkommunikation des Papstes aus wirtschaftlichen
Gründen sei wirkungslos. Auch der Papst könne
von Laien getadelt und gestraft werden. Die Kirche
müsse wieder zur Reinheit der apostolischen
Zeit zurückkehren. Wiclif begann deshalb die
Bibelübersetzung ins Englische, um die Evangelien
der Masse des Volkes zugänglich zu
machen. Seine letzten Konsequenzen führten zu einer
unabhängigen demokratischen englischen
Nationalkirche.
Dennoch kam es jetzt nicht zur Trennung von Rom,
nicht zur Säkularisation der Kirchengüter in
England. Eduard III. hatte schon 1331 viel Weber,
Färber und Walker aus Flandern zur Uebertragung
ihres Gewerbes nach England gebracht. Damit waren auch
viel Ketzer ins Land gekommen. Die
Pestverheerungen namentlich von 1340 hatten
einen unruhigen Geist in die englische
Arbeiterbevölkerung hineingetragen, dem
wiederholt mit strengen Maßnahmen begegnet werden
mußte. Gerade jetzt war 1381 ein großer
englischer Bauernaufstand ausgebrochen, den das
hauptstädtische Proletariat unterstützte und
der nur durch listige Gewalt überwunden wurde. In
solch unruhigen Zeiten wollte man
von einer
Säkularisation der Kirchengüter nichts wissen.
Man kam sogar zu dem Schluß, daß die
Wiclifschen Lehrsätze über das Kircheneigentum
einen allgemeinen Sturm gegen das Eigentum überhaupt
predigten. 1382 wurden die Wiclifschen Lehren auf einer
Kirchenversammlung zu London verdammt. Und bald darauf
begann in England wie in den Nachbarländern eine
allgemeine Ketzerverfolgung.
§ 66. Die Mißstände in der
Kirche blieben bestehen. Immer neue krankhafte
Erscheinungen im Völkerleben des christlichen
Abendlandes mußten deshalb hervortreten. Nicht nur
England mit Deutschland, auch Italien mit Rom war durch
den viel zu langen Aufenthalt der Päpste in
Avignon aufs Höchste erregt. Nachdem alle
Bitten und Vorstellungen die Rückkehr der
päpstlichen Hofhaltung nach Rom nicht bewirken
konnten, zwang das römische Volk mit den Waffen in
der Hand die nach dem Tode Gregors XI. (1378) zur
Papstwahl in Rom anwesenden Kardinäle, einen
Italiener zum Papst zu wählen, welcher seinen Sitz
in Rom nehmen würde. Das Kollegium nominierte
Urban VI., dann aber verließ die
Mehrzahl der Kardinäle, welche Franzosen waren, Rom
und wählte Clemens VII. zu ihrem
kirchlichen Oberhaupte, der in Avignon seinen Sitz nahm.
So ist das Schisma entstanden. Die
christliche Kirche war in zwei feindliche Heerlager
gespalten. Hinter dem avignonser Papst stand
hauptsächlich Frankreich, hinter dem Papst in Rom
Deutschland und England. Die beiden feindlichen
Päpste belegten sich gegenseitig mit Bann und
Interdikt. Das Papsttum bekämpfte sich selbst. Die
Völker des christlichen Abendlandes sahen die
päpstlichen Bannstrahlen machtlos erlöschen.
Die doppelte Hofhaltung (in Rom und in Avignon) und der
Kampf innerhalb der Kirche verschlangen noch
größere Summen als bisher. Deshalb
wurden jetzt allgemeine
Ablaßpredigten häufiger und der
Verkauf kirchlicher Aemter an den
Meistbietenden bürgerte sich ein. Diese höchst
unerfreulichen Zustände dauerten von 1378 bis 1409.
Innerhalb der gesamten Christenheit wurde der Ruf nach
„Reformation der Kirche an Haupt und
Glieder“ erhoben. Die damit erwachte
Bewegung führte zu den drei Reformkonzilien
von Pisa (1409), Konstanz (1414 bis
1418) und Basel (1431 bis 1443). Das Konzil
von Pisa setzte die beiden Gegenpäpste ab und einen
dritten ein, aber ohne die Fähigkeiten zu besitzen,
seine Entscheidung auch durchzusetzen. Die beiden
Gegenpäpste blieben, der zu Pisa erwählte Papst
trat als dritter Gegenpapst hinzu. Das
zweiköpfige Schisma war zu einem
dreiköpfigen gesteigert worden. (1409
bis 1417)! So brachte das „babylonische Exil“
von Avignon die erste Kirchenspaltung von oben. Die
kirchlichen Organe allein besaßen nicht mehr so
viel Ansehen, um das Schisma beseitigen zu können.
Deshalb mußten jetzt die staatlichen
Mächte mobil gemacht werden. Das Reformkonzil
zu Konstanz wurde zu einem
europäischen Kongreß, an welchem
fast ebensoviel Vertreter der Staaten wie
Kirchenfürsten teilnahmen. Auch die
Kirchenfürsten stimmten jetzt
nach Nationen getrennt. Beteiligt waren
Italien, Deutschland, Frankreich, England und später
noch Spanien. Kaiser Sigismund nahm
hervorragenden Anteil. Die drei Gegenpäpste wurden
durch Konzilbeschluß abgesetzt bezw. zur Abdankung
genötigt und ein neuer Papst Martin V.
(1417 bis 1431) eingesetzt, welcher allgemeine
Anerkennung fand. Das Schisma war endlich
beseitigt worden. Die weitere Durchführung des
Reformationswerkes blieb einem neu zu berufenden
allgemeinen Konzil vorbehalten. Kurz vor
seinem Tode hat dann Martin V. das
Baseler Konzil zu diesem
Zwecke einberufen. Die
Annaten wurden aufgehoben, die
Appellationen nach Rom beschränkt,
Beschlüsse gegen die päpstlichen
Reservationen gefaßt. Als aber das
Konzil weiter gehen wollte, wurde es vom neuen Papst
Eugen IV. gesprengt (1437). Bei einem
solchen Gange der kirchlichen Reformationsarbeiten war es
längst wieder aus dem Volke zu einer
neuen größeren
Reformationsbewegung gekommen, welche von dem
böhmischen Priester und Prager
Universitätsprofessor Hus eingeleitet
wurde.
§ 67. Das Königreich
Böhmen war im XIV. Jahrhundert
ungewöhnlich rasch reich geworden. Das
schon 1237 erschlossene Kuttenberger
Silberbergwerk blieb bis ins XV. Jahrhundert das
ergiebigste Europas. Dazu kamen
Goldwäschereien an der
Moldau und der Luzic,
Wollmanufakturen und ein ausgedehnter
Handel. Der am französischen Hofe
erzogene böhmische König Karl I. wurde als
Karl IV. (1346—1378) Kaiser von
Deutschland. Das goldene Prag
erstand. Im Jahre 1348 wurde die Prager
Universität als erste in
Deutschland gegründet. Die große Masse
des czechischen Volkes beschäftigte sich mit dem
Landbau und war arm geblieben. Der
böhmische Adel suchte sein Unterkommen
im Söldnerdienste. Zur
Durchführung der Neuerungen hatte der böhmische
König viel Ausländer, namentlich
Deutsche, herangezogen. Die vier Nationen an
der Prager Universität waren die
böhmische, bayerische, sächsische
und polnische Nation. Große
Reichtümer hatten sich in der
Kirche namentlich an jenen Plätzen
angesammelt, wo Bergbau, Handel und Gewerbe blühten.
Und das waren wieder jene Orte, an denen besonders viele
Nichtböhmen vertreten waren. Der
Erzbischof von Prag besaß 17 große
Herrschaften in Böhmen, dazu Herrschaften in
Mähren und Bayern und
kleinere
Güter in Menge. Sein Hofstaat wetteiferte mit dem
des Königs. Dem Domkapital zu St. Veit waren
über 100 Dörfer ganz oder zum Teil als
Beneficien angewiesen. Der Dompropst allein war im Besitz
der großen Herrschaft Wollin und etwa 12 kleinerer
Güter. Bei dem üblich gewordenen Verkauf
der kirchlichen Aemter konnte das Angebot der
ärmeren Böhmen mit dem der reichen
Ausländer selten konkurrieren. So waren die besten
Stellen zumeist mit Nicht-Böhmen besetzt,
während den Böhmen überwiegend die
ärmeren Stellen blieben.
§ 68. Unter solchen Verhältnissen war der
Bauernsohn Johannes Hus Lehrer an der
Universität Prag geworden. Bei seiner
glänzenden Begabung für Sprache und Rede fand
er vom Könige wie vom Erzbischof persönliche
Förderung. Aus der Literatur hatten die
Wiclif’schen Schriften einen besonders
nachhaltigen Einfluß auf ihn gewonnen. Seit 1402
trat er in Prag als Prediger immer entschiedener auf
gegen den Reichtum und die politische
Macht der Kirche und forderte von einer
gründlichen Reform der Kirche an Haupt und Gliedern
insbesondere die Einziehung aller
Kirchengüter. Dadurch sah sich die zumeist
ausländische, reiche Geistlichkeit in
ihrem Einkommen bedroht. Die ausländischen Nationen
an der Universität standen mit diesen Geistlichen in
enger Beziehung. Daß die Hus’schen
Reformpredigten mit den Wiclif’schen Schriften in
engstem Zusammenhange standen, war bekannt. Also begann
die Universität ihre Angriffe gegen die
Wiclif’schen Schriften. 45 Sätze wurden
als ketzerische Irrtümer bezeichnet. Hus verteidigte
Wiclif. Der ganze Streit wurde durch die Stellungnahme
zum Schisma noch komplizierter. König
Wenzel hatte sich aus politischen Gründen von
Gregor XII. losgesagt und verlangte,
daß die Prager Universität gleich ihm sich in
dem neuen Streite neutral erkläre. Aber nur
die böhmische Nation folgte
seinem Wunsche. Der König steigerte deshalb den
Einfluß der böhmischen Nation an der
Universität. Die damit nicht zufriedenen
ausländischen Professoren und Studenten wanderten
aus und gründeten die Universität
Leipzig (1408).
Inzwischen hatte sich die Stimmung in den Reihen der
reichen Geistlichkeit gegen Hus wesentlich
verschärft. 1408 wurde ihm die Ausübung
geistlicher Funktionen untersagt. Papst Alexander
V. bedrohte im folgenden Jahre jede Verbreitung
der Wiclif’schen Lehren mit der Excommunication.
1410 wurden in Prag die aufgefundenen Wiclif’schen
Schriften öffentlich verbrannt und Hus mit dem
Kirchenbann belegt, weil er einer Vorladung zur
Verantwortung vor dem päpstlichen Gericht in Avignon
nicht Folge leistete. Als aber der Pisaner Papst
Johann XXIII. — gegen dessen Person
der später vom Konstanzer Konzil eingeleitete
Kriminalprozeß die Anklage auf 80 schwere
Verbrechen erhob — zur Führung eines rein
politischen Krieges gegen den König von Neapel 1412
auch den Ablaß in Prag predigen ließ, wandte
sich Hus mit aller Entschiedenheit dagegen. Es kam zu
lärmenden Volksaufläufen. Die
päpstlichen Bullen wurden
öffentlich verbrannt. Das Band zwischen
Hus und der hierarchisch gegliederten Kirche war
zerrissen. Er verließ Prag, um auf verschiedenen
Burgen befreundeter Edelleute sein Reformationsprogramm
auszuarbeiten, das die Rückkehr zu den
Grundsätzen der Evangelien erstrebte.
§ 69. Das Reformationskonzil zu
Konstanz hatte auch die Beilegung der kirchlichen
Wirren in Böhmen auf seine Tagesordnung gesetzt. Hus
war geladen, erschienen und predigte in Konstanz
öffentlich seine Ansichten. Die hierarchische
Macht sah sich dadurch zum Einschreiten veranlaßt.
Bald darauf erfolgte seine Verurteilung als
Ketzer.
Hus’ Hinrichtung erregte in
Böhmen eine furchtbare Entrüstung. Seine
Anhänger, Hussiten genannt, wollten mit Gewalt ihre,
vom Konzil verworfene Lehre durchsetzen. Die
Hussitenbewegung war von Anfang an nicht nur
von religiöser, sondern auch von
nationaler Begeisterung getragen. Das
böhmische Volk in Stadt und Land schloß sich
zusammen. Die Kirchengüter wurden eingezogen.
Siegreich schlugen die Hussiten alle gegen sie
geschickten Heere und fielen dann plündernd in die
umliegenden Länder ein. Jetzt endlich versuchte das
Baseler Reformkonzil eine Verständigung
mit den Hussiten auf gütlichem Wege. Es wurde
zugestanden, daß der Besitz von
Kirchengütern in Laienhänden nicht als
Kirchenraub gelten solle. Auf dieser Basis
erfolgte 1433 eine Einigung mit dem Adel und den reichen
Prager Bürgern. Die sogenannten
Taboriten, der radikalere Flügel,
wurden 1434 besiegt und Kaiser Sigismund
konnte endlich wieder in Prag einziehen, wo er bald
darauf ausdrücklich anerkannte, daß die
Rückerstattung des vorher eingezogenen
Kirchengutes in das Belieben eines jeden Herrn und
jeder Gemeinde gestellt sei. In der Frage der
Enteignung der Kirchengüter hatte für
Böhmen die Hussitenbewegung
gesiegt. Außerdem erhielt durch sie der Zug
der Zeit: die in der Kirche historisch
gewordenen Verhältnisse an dem Wortlaut
der heiligen Schrift kritisch zu
prüfen auf ihre Zuverlässigkeit,
eine weitere Stärkung im Volke. 1473 wurde die
Uebersetzung der Bibel ins Böhmische begonnen. Bald
waren mehrere böhmische Druckereien damit
beschäftigt, böhmische Bibeln fürs Volk
herzustellen. Die Inquisition, welche 1461 gegen die
böhmischen Brüder aufgeboten wurde, konnte nur
eine weitere Verbreitung dieser Sekte in den benachbarten
Ländern bewirken, wodurch für neue Konflikte
eine immer größere Anteilnahme des Volkes sich
vorbereitete.
§ 70. Die Theorien des
fürstlichen Absolutismus sind mit den Hohenstaufen
unterlegen, weil diese arm und ihre Gegner,
die Päpste, reich waren. Denn die
Entscheidung auch dieses Konfliktes wurde durch das
Schwert herbeigeführt. Und in dieser Zeit der
Söldnerheere war der Reichste auch der
Mächtigste, dem der Erfolg von Anfang an gesichert
blieb. Die französische Königskrone, welche im
päpstlichen Solde reich
und mächtig geworden war, siegte dann
über das Programm der Weltherrschaft der
Päpste bis zu dem Maße, daß der
Papst ein Werkzeug der französischen Politik wurde
und sogar mit der Konfiskation von
Kirchengütern durch die französische Krone
einverstanden war. Der
französisch gewordene Papst hat die
Entstehung des Bedürfnisses nach
Nationalkirchen unmittelbar hervorgerufen.
Das Schisma war die Spaltung der
Kirche unter verschiedenen nationalen
Päpsten. Seine Beseitigung durch das Reformkonzil zu
Konstanz konnte nur durch Intervention der Staatsgewalten
gelingen. Nachdem man dem König von
Frankreich die Besteuerung der Kirchengüter
zugestanden, konnte das gleiche Recht den anderen
geschlossenen Königreichen nicht vorenthalten
werden. Der Besteuerung des Kirchengutes durch den
Staat folgte die Besetzung der
Kirchenstellen durch den König. Der
fürstliche Absolutismus hatte die
Weltherrschaft der Päpste als
Erbe anzutreten begonnen. Ueber diese
einschneidende Aenderung ihrer Lage waren die Päpste
selbst am wenigsten im Unklaren. Mit Martin
V. (1417 bis 1431) beginnt unmittelbar nach
dem Konstanzer Konzil die landesherrliche
Politik der Päpste im Kirchenstaate. Nur wo
der Papst selbst absoluter Landesherr war,
konnten in Zukunft seine Einkünfte und seine
weltliche Macht gesichert erscheinen.
§ 71.
Zu diesen
Verschiebungen in dem Verhältnis zwischen Kirche und
Staat kamen noch eine Reihe wichtiger
Veränderungen in den allgemeinen
Zeitverhältnissen. Die Freiheit der
Städte wurde mehr und mehr unter das
fürstliche Szepter gebeugt. Der Kampf
zwischen den Zünften und Geschlechtern erleichterte
diese Privilegienentziehung. Die Feuerwaffen
und das Söldnerwesen mit der
fortschreitenden Ausbreitung der
Geldwirtschaft zwangen auch den Adel in den
Dienst der Fürsten. Eine wachsende
Anhäufung revolutionärer Ideen
schien nur durch eine starke Fürstengewalt
niedergehalten werden zu können. In dem Maße
als sich die gewerblichen Zünfte in ihrem Kampfe
gegen Handelsgesellschaften und Monopol aller Art enger
zusammenschlossen, wurde dem weniger Bemittelten das
Aufrücken in den Mittelstand erschwert. Es bildete
sich ein städtisches Proletariat, dem
bald auch ein ländliches Proletariat
als Folge der erschwerten Zuwanderung nach der Stadt zur
Seite stehen mußte. Die Lage der
Bauern wurde seit Einführung des
römischen Rechtes vielfach eine
sehr ungünstige. Aber auch in den
wohlhabenderen und gebildeteren Kreisen herrschte jetzt
eine ausgesprochene Vorliebe für Neuerungen
und Umbildungen aller Art. Der
Humanismus, welcher das mittelalterliche
Denken zu einer allgemein menschlichen
„humaneren“ Bildung weiter führen
wollte, vertiefte sich mit begeistertem Studium in die
Literatur der Griechen und Römer, idealisierte das
Leben dieser Völker zu einem Musterbilde
menschlicher Vollkommenheit und trachtete, dasselbe
literarisch, politisch und sozial nachzuahmen. Es erwuchs
daraus die Epoche der Renaissance. Diese
neue geistige Bewegung, welche selbst die führenden
Kreise der Kirche erfaßte und beherrschte und
für deren Einflußnahme die vorausgegangenen
überaus zahlreichen
Universitätsgründungen den Boden
wesentlich vorbereitet hatten, war der Erhaltung der
kirchlichen Zustände kaum günstig.
Gegenüber den bestehenden Verhältnissen gerade
auf kirchlichem Gebiete kam eine scharfe
Kritik mehr und mehr in Uebung. Statt einer
Erhaltung des Bestehenden und einer
Fortsetzung der Tradition wurde die
Rückkehr zu früher gewesenen idealeren
Zuständen erstrebt. In dieser allgemeinen
Auffassung deckte sich die Bewegung des
Humanismus und der Renaissance
mit den meisten kirchlichen
Reformationsbestrebungen seit dem XIII.
Jahrhundert. Humanismus und Reformation
stützten und stärkten sich gegenseitig. Die
technische Erfindung der Buchdruckerkunst
trug all diese Bestrebungen in weiteste Kreise. Die
Entdeckung neuer Erdteile mußte den
Glauben an das Anbrechen einer ganz neuen
Zeit mächtig stützen. Und die Fortdauer
bedenklicher kirchlicher Zustände namentlich in
Deutschland hat dafür gesorgt,
daß bei all diesen sich vorbereitenden Umbildungen
die Kirche nicht übergangen wurde.
§ 72. Martin
Meyer, der Kanzler des Mainzer Erzbischofs schrieb
1456 an den neu ernannten Kardinal Aeneas Sylvius
Bartholomäus de Piccolomini, nachmals
Papst Pius II.: „Tausend Manieren
wurden ausgedacht, unter denen der römische Stuhl
uns wie Barbaren auf seine Manier unser Geld wegnimmt.
Dadurch ist unsere Nation jetzt in Armut versunken. Nun
aber sind unsere Fürsten aus dem Schlafe erwacht und
haben zu bedenken angefangen, wie sie diesem Unheil
begegnen möchten. Ja sie haben beschlossen, das Joch
völlig abzuschütteln und sich die alte Freiheit
widerzugewinnen.“ Aeneas Sylvius antwortete darauf
in einer besonderen Schrift, in welcher er auf die
Blüte von Handel und Bergbau in Deutschland hinwies
und ausführte: Die Kirche
würde ohne die deutschen
Geldsendungen arm sein und ihre großen
Aufgaben nicht erfüllen können. Ohne
Reichtum sei es nicht möglich,
Hervorragendes zu leisten und
angesehen zu sein. Die Einnahmen aus dem
Kirchenstaate aber wären noch unsicher und gering.
— Wie vorher Frankreich und England, so war jetzt
Deutschland mit den nordischen Ländern
die Hauptgeldbezugsquelle der Kurie, an welcher sie um so
energischer festhalten mußte, je sicherer die
Länder mit nationaler Einigung unter
königlicher Gewalt für größere
Geldleistungen verschlossen blieben.
§ 73. Die weltlichen Mächte
selbst schienen die kuriale Besteuerung in
Deutschland erhalten zu wollen. Alle Versuche
einer Reichsreform waren gegen Ende des XV. Jahrhunderts
gescheitert. Der „Gemeine Pfennig“ blieb
selbst als „Türkenpfennig“ bei fast
jedermann verhaßt. Dauernd wurden die
Reichsinteressen durch unzulängliche Geldeinnahmen
geschädigt. Kaiser Maximilian I. (1493
bis 1519) war fortwährend in Geldverlegenheiten und
trug sich deshalb mit immer neuen Plänen, diesem
empfindlichen Mangel seiner Regierung zu begegnen. So kam
er auch auf den Gedanken, sich zum Papst wählen zu
lassen. Es fehlten nur die 300'000 Dukaten, welche nach
seiner Information notwendig waren, um die Kardinäle
für seine Wahl zu gewinnen. Indeß war auch
diese seine Information unzureichend, weil sie die
Bedeutung der Bulle „cum tam divino“ zur
Verhütung simonistischer Papstwahlen
unterschätzte. Wie die Dinge lagen, schienen
Ablaßpredigten das beste Mittel zu sein, um
aus dem deutschen Volke größere
Geldbeträge für öffentliche Zwecke zu
erschließen. In diesem Sinne hatte sich der
deutsche Adel 1476 bei Beratung der Reichsreform
geäußert. Nach der gleichen Richtung zielten
die Vorschläge der Reichsstadt Nürnberg.
Die Landesfürsten mit dem
Kaiser Maximilian waren mit einer immer wiederkehrenden
Besteuerung des deutschen Volkes durch
Ablaßpredigten ganz einverstanden. Gestritten wurde
nur darüber: wer den Geldertrag dieser
Predigten zuletzt erhalten sollte? und in
welchem Prozentsatze die Landesfürsten daran zu
beteiligen wären? Als zu Ostern 1501 in der
Nähe von Mastrich auf dem Kopftuch einer jungen Frau
sich ein großes goldfarbenes Kreuz zeigte, da war
es Kaiser Maximilian, welcher durch ein
besonderes Flugblatt die Nachricht von
diesem „Kreuzwunder“ tunlichst
verbreitete und dabei die Ansicht vertrat, daß in
diesem Zeichen die Aufforderung des Himmels zu einem
Kreuzzuge gegen die Türken zu erblicken wäre.
Wenn mit den kirchlichen Aemtern und Pfründen
ein einträglicher Handel getrieben wurde, an
dem sich auch die Augsburger Fugger
beteiligten, und wenn einzelne Personen bis 24 und mehr
kirchliche Pfründen in ihrer Hand vereinigten, so
konnte das in Deutschland kaum überraschen, wo
selbst die Königs- und Kaiserwahl so offen zu
einem Geldgeschäft erniedrigt worden war,
daß die Wahlstimmen der einzelnen
Kurfürsten Zug um Zug gegen die vereinbarte
Geldanweisung aufgekauft wurden. Und wenn der
Reichtum der Kirchen und Kirchenfürsten sich am
längsten in Deutschland erhielt, so mußte das
hier schon deshalb selbstverständlich erscheinen,
weil es Sitte geworden war, die nachgeborenen
Fürstensöhne mit den reichsten
Kirchenstellen zu versorgen. Kaum schien man
darauf zu achten, daß namentlich durch die
Mystiker Wiclif’sche und
Hus’sche Ideen über die Notwendigkeit einer
allgemeinen Säkularisation alles Kirchengutes im
Volke immer allgemeinere Verbreitung gefunden hatten. Als
die Volkspredigten des Sackpfeifers von
Niklas
hausen Hans Böheim gegen
Kaiser und Papst, Priester und Adel täglich schon 30
bis 40'000 Pilger heranlockten, beschränkte sich der
Graf von Wertheim darauf, eines Tages den
reichen Schatz der Niklashauser Kapelle zu konfiszieren,
um ihn mit den Bischöfen von Mainz und Würzburg
zu teilen. Man hätte wahrscheinlich diesen Schatz
von Neuem wieder anwachsen lassen, um ihn abermals leeren
zu können, wenn Böheim eines Tages nicht auf
den Gedanken gekommen wäre, den Würzburger
Bischofssitz zu erobern, und hierbei seinen Tod gefunden
hätte.
§ 74. In dieser Zeit wurde ein neuer
päpstlicher Ablaß für die ganze
Christenheit zur Vollendung der Peterskirche in
Rom verkündet. Albrecht von
Brandenburg war als Erzbischof von
Mainz päpstlicher
Generalkommissär für jenen Teil
von Deutschland geworden, zu dem auch
Kursachsen gehörte. Der Anlaß
für diese Ernennung des Mainzer Erzbischofs war
folgender: Albrecht hatte bei seiner Ernennung zum
Erzbischof für sein Pallium 30'000 Dukaten zu
entrichten, welche Summe ihm die Augsburger Fugger
geliefert. Durch Zahlung der weiteren Summe von 10'000
Dukaten an die päpstliche Kasse erhielt der
Erzbischof das Generalkommissariat für den
Ablaß mit der Vereinbarung, daß die
eine Hälfte des Ertrages der
Ablaßpredigten zur Abzahlung der
Albrecht’schen Schuld bei den Fuggern dienen
sollte. Da das Haus Fugger auch Hauptbanquier der
Kurie war, begleitete ein Fugger’scher
Geldeinnehmer den Ablaßkasten, um nach jeder
Predigt die Verrechnung in Ordnung zu bringen. Dieser
Ablaß kam durch die thüringischen Lande auch
in die Nähe von Wittenberg und
veranlaßt den Augustinermönch und
Universitätsprofessor Dr. Martin Luther, am
31. Oktober 1517 seine Thesen gegen
den Ablaß an die
Schloßkirche zu Wittenberg anzuschlagen.
Diese Ablaßthesen wandten sich keineswegs
im Prinzip gegen den päpstlichen Ablaß.
These 71 lautet: „Wer wider die Wahrheit des
apostolischen Ablasses redet, der sei verflucht und
verdammt!“ Luther richtete seine Angriffe lediglich
gegen die Ablaßkommissare, welche
statt des päpstlichen Befehls ihre eigenen
Träume predigten (These 70). Als solche
Ueberschreitungen des päpstlichen Auftrages werden
genannt: „Der päpstliche Ablaß macht den
Menschen von aller Strafe frei und selig“ (21).
„Sobald der Groschen im Kasten klingt, die Seele
aus dem Fegefeuer in den Himmel springt“ (27).
„Das Kreuz mit dem Wappen des Papstes aufgerichtet,
vermag so viel als das Kreuz Christi“ (79). Luther
wünscht den Ablaß vorsichtig
gepredigt (41): „Wer den
Armen etwas gibt, tut besser als wer Ablaß
nimmt“ (43). „Wer nicht
übermäßig reich ist, soll sein Geld nicht
für Ablaß verschwenden“ (46).
„Ablaßlösen sei ein freies Ding und
nicht geboten“ (47). Erst gegen
Schluß der Reihe seiner Thesen teilte Luther
einige scharfe Fragen der Laien mit,
welche im Prinzip die Geldeinnahme als die
Hauptsache bei diesen Ablaßpredigten erscheinen
lassen. Luthers Landesherr, der reiche
Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen
verbot dann die päpstliche
Ablaßpredigt, damit sein Land nicht wegen des
Mainzer Palliums in Kontribution genommen
werde.
§ 75. Durch das an diese Thesen sich
anschließende „Mönchs- und
Professorengezänke“ kam auch Luther
dazu, wie vor ihm Hus und Wiclif, die Tradition der
Kirche zu verwerfen und das Recht der individuellen
Vernunftskritik an den bestehenden kirchlichen
Verhältnissen und Ansichten auf der Basis der
Evangelien für sich in
Anspruch
zu nehmen. Darauf folgte die päpstliche Bannbulle,
die auch von Luther öffentlich verbrannt wurde.
Der Bruch mit der römischen Kirche war
vollzogen. Die Druckerpresse verbreitete die
Nachricht über all diese Ereignisse in früher
ungeahntem Maße durch Mitteleuropa. Die
überall unmittelbar vorausgegangenen
Ablaßpredigten hielten das Interesse für
solche Mitteilungen wach. Die landesherrlichen Gewalten
erwiesen sich stark genug, um die aufständigen
Bauern und die durch Bibellesen verwirrten
„Schwarmgeister“ zu
dämpfen. So vollzog sich denn die wieder in
Fluß gekommene kirchliche
Reformationsbewegung in solcher Form,
daß an weltlicher Gewalt dem
fürstlichen Absolutismus zugeflossen
ist, was der Kirche genommen wurde. Auf dem
Reichstage zu Nürnberg 1522 richteten
die deutschen Stände eine lange Reihe
von Beschwerden gegen den römischen Stuhl,
gegen dessen Gelderpressungen und
Satzungen und erklärten, sich selbst
helfen zu wollen, falls von Rom aus kein Wandel
geschaffen werde. Der Reichstag zu Speyer
1526 hat dann den Landesherren und
Reichsstädten das Reformationsrecht
zuerkannt nach dem Grundsatze: wer die
Regierungsgewalt in Händen hat, entscheidet auch
über den Glauben seiner Untertanen! (cujus
regio, ejus religio). 198 Städte und viele
Landesfürsten zogen die Kirchengüter ein und
führten den Gottesdienst nach jenen Grundsätzen
durch, welche Luther in tunlichster
Anlehnung an die Apostelzeit aufgestellt hatte. Nur
für die Kirchenfürsten in Deutschland
wurde bald der „katholische
Vorbehalt“ eingelegt, wonach diese
Fürsten allerdings im Falle eines Uebertritts zur
Reformation Amt und Würden verlieren sollen. Die
allgemeine Einziehung der Kirchengüter
hat sich dadurch für Deutschland bis zum Jahre 1806
verzögert. Diese letzte deutsche Säku
larisation wird in ihrem Wert auf
mehrere hundert Millionen Gulden, nach ihrem
Jahreseinkommen auf 33 1⁄2 Millionen Mark
geschätzt. Aber auch außerhalb
Deutschlands sind jetzt Reformatoren
erstanden, welche eine Trennung von Rom und
den Ausbau einer neuen Kirchenordnung durchführten,
so Zwingli in Zürich,
Calvin zuletzt in Genf. Des letzteren
Anhänger haben sich ungemein rasch durch
Frankreich und die Länder am
Rhein verbreitet. Jetzt vollzog sich auch 1527 die
Reformation mit Säkularisation der Kirchengüter
in Schweden, 1536 in
Norwegen und Dänemark,
1533 die englische Reformation unter
Heinrich VIII., welcher die
Kirchengüter einzog und sich an Stelle des Papstes
setzte. Die Einnahmen der Kurie in Rom gingen
außerordentlich zurück. Auf dem
Konzil zu Trient (1545—1563) wurden
die Ablaßpredigten in der bisher
üblichen Form, die Provisionen, die
Annaten, die Palliengelder, die
Spoliengelder, Unionen und
Incorporationen u.s.w.
mit der Excommunication wegen
Zahlungsverweigerung abgeschafft. Doppelt wichtig
erwies sich nun die Energie, mit welcher Alexander
VI. und Julius II. die
landesherrliche Gewalt des Papstes im
Kirchenstaate ausgebreitet und gesichert hatten.
Der Kapitalismus ist aus der Kirche im
wesentlichen beseitigt. Die religiösen
Bewegungen mit ihren ökonomischen Konflikten
gehören von jetzt ab der Geschichte des
fürstlichen Absolutismus an.