Vorbemerkung und Literatur. Die heute
noch herrschende Darstellung läßt auf die
römische Geschichte die Geschichte der
europäisch-germanischen Entwicklung
unmittelbar folgen. Auch historische
Spezialuntersuchungen bringen vielfach den Werdegang
einzelner Institute und Einrichtungen nur bis nach
Italien zur Darstellung. Woher stammt der Wechsel und
sein Recht? — aus Italien. Woher kommt die
kaufmännische Buchführung? — aus Italien.
Auch das Bankwesen hat man bis vor Kurzem in Italien
entstehen lassen.
Der gewaltige Fortschritt der
orientalischen Studien in unseren Tagen hat
unsere Kenntnisse in diesen Dingen ganz wesentlich
erweitert und vervollkommnet. Es kann heute nicht mehr
bezweifelt werden, daß das richtige
Verständnis unserer ganzen
europäisch-mittelalterlichen Geschichte das
Eindringen in die Geschichte des arabisch-islamischen
Weltreiches und damit in die orientalische Geschichte
überhaupt zur unerläßlichen Voraussetzung
hat. Es ist eine recht bedenkliche Lücke der bisher
herrschenden Auffassung, die
christlich-abendländischen Völker fast
mehr als Kulturfortsetzung der römischen,
griechischen und höchstens noch der jüdischen
Geschichte zu betrachten. Was wir in unseren heutigen
volkswirtschaftlichen Erscheinungen unter dem Begriff
„Kapitalismus“ zusammenfassen, führt
sich entwicklungsgeschichtlich ganz
überwiegend auf das arabisch-islamische Reich
zurück. Es kann schon deshalb hier gesagt werden,
daß wir den Wechsel, das Bankwesen, die
kaufmännische Buchführung dem Orient zu
verdanken haben. Was wir heute deutsches
Handelsrecht nennen, das ist ein Recht, an welchem die
Handelsvölker des Orients
seit Jahrtausenden in der raffiniertesten Weise
gearbeitet haben.
Unsere nationalökonomische Literatur hat dadurch
wenig gewonnen, daß sie die Geschichte des Orients
fast vollständig vernachlässigt hat.
Prof. Bücher würde nach
Kenntnisnahme von dieser Geschichte niemals seine so
energisch verteidigte Theorie aufgestellt haben: bis zur
Entstehung des modernen Staates reiche die
ausschliesslich haus- und stadtwirtschaftliche Epoche und
erst von da ab sei die volkswirtschaftliche Entwicklung
zu datieren. Das arabisch-islamische Weltreich hatte
längst die volkswirtschaftliche Organisation zu
einer geradezu großartigen Entfaltung gebracht.
Diese so notwendige Beschäftigung der
Nationalökonomie mit der orientalischen Geschichte
muß freilich eine andere sein, als sie von Prof.
Gustav Schmoller in seinem
„Grundriß der allgemeinen
Volkswirtschaftslehre“ beliebt wurde. Was
hier im letzten Bande (1904 erschienen) auf Seite 1125
ff. über arabisch-islamische Verhältnisse
gesagt wird, ist Satz für Satz
unrichtig. Von fachmännischer Seite wurden
deshalb diese Schmoller’schen Ausführungen mit
Recht als „eine Mißhandlung der
islamischen Geschichte“ bezeichnet! Man wird
uns also zubilligen, einen zeitgemäßen
Literaturbeitrag geliefert zu haben, wenn wir im
Nachfolgenden erstmals eine
nationalökonomische Darstellung der
Entwicklungsgeschichte des islamischen Weltreichs bieten.
Für die besondere fachmännische Beratung darf
auch an dieser Stelle dem Herrn Professor Martin
Hartmann vom orientalischen Seminar in Berlin
aufrichtiger Dank zum Ausdrucke gebracht werden.
Aus der Literatur sind hier vor allem zu nennen:
A. Müller, der Islam im Morgen- und
Abendlande, 2 Bde. Berlin 1885 und 1887. Alfr. von
Kremer, Kulturgeschichte des Orients. 2 Bde. Wien
1875 und 1877. Derselbe, Ueber das
Einnahmebudget des Abbasidenreiches vom Jahre 306 H.
(918–919 n. Chr. )Wien 1887. Th.
Nöldeke, Geschichte der Perser und Araber zur
Zeit der Sasaniden, aus der arabischen Chronik des
Tabari, Leyden 1879, J. Wellhausen, Das
arabische Reich und sein Sturz, Berlin 1902, A.
Sprenger, Babylonien, das reichste Land in der
Vorzeit und das lohnendste Kolonisationsfeld für die
Gegenwart, Heidelberg 1886, ferner: Alfr. von
Kremer, Ibn Chaldun, Sitzungsbericht der
philos.-histor. Klasse der Akademie der Wissenschaften,
Wien 1879, M. de Slane, les
prolégomènes d’Ibn Khaldoun, traduits
en français et commentés,
Paris 2 Bde. 1865, Jos. Kohler moderne
Rechtsfragen bei islamitischen Juristen, Würzburg
1885, derselbe, Die Commenda im islamischen
Rechte, Würzburg 1885, derselbe
islamisches Obligationen- und Pfandrecht, Zeitschft. f.
vergl. Rechtswissenschaft 6. Bd. 1886 S. 208 ff.,
derselbe juristischer Excurs zu Peis,
babylonische Verträge, Berlin 1890,
derselbe, Ein Bankhaus vor 2500 Jahren im
„Zeitgeist“, Beiblatt des Berliner Tageblatt
No. 29 Juli 1901. Grasshoff das Wechselrecht
der Araber, Berlin 1899, Schaube, Studien
zur Geschichte und Natur des ältesten Cambium in
Conrad’s Jahrbücher f. Nationalökonomie
u. Statistik Bd. LXV. S. 153 ff., derselbe
Betrachtungen zur Entstehungsgeschichte der Tratte,
Zeitschft. d. Savingny-Stiftung, germanist. Abt. Bd. XIV.
S. 111 ff. Palgrave, a narrative of a
year’s journey through Central and Eastern Arabia 2
Bde. London 6. Aufl. 1871.
* * *
§ 1. Die Entstehung einer Weltherrschaft aus
verhältnismäßig kleinen und bescheidenen
Anfängen hat naturgemäß vor allem zur
Voraussetzung, daß nicht gleichzeitig ein
großes machtvolles Staatswesen in politischer
Nähe existiert. Die Zeitrechnung der Muhammedaner
beginnt mit der Flucht ihres Propheten
Muhammed (d. h. der Vielgepriesene) von Mekka nach
Medina im Jahre 622 n. Chr., von den Arabern
Hidschra genannt. Persien und
das byzantinische Reich sind die beiden
Großstaaten, gegen welche die Ausbreitung der
arabischen Macht in erster Linie gerichtet sein
mußte, und zu deren politischen Aufgaben es
gehört hätte, den Emporkömmling zur
rechten Zeit unschädlich zu machen. Hierzu waren
damals die Zeitverhältnisse in Persien, wie in
Byzanz wenig geeignet. Beide Großstaaten hatten in
langen Kämpfen sich gegenseitig geschwächt.
Thronstreitigkeiten, theologischer Zwist,
Bürgerkriege und Zersplitterungsbestrebungen im
eigenen Lande füllten die Tagesgeschichte aus. Eine
immer bedenkliche Unterschätzung des
Gegners tat das Uebrige. So kam es, daß sowohl die
Perser wie die Byzantiner dem ungewöhnlich rasch
aufstrebenden Reiche der Araber erst dann ihre
Aufmerksamkeit schenkten, als es für beide bereits
zu spät war.
§ 2. Die Heimat der welterobernden
Araber ist bekanntlich die südwestlichste
große Halbinsel Asiens, die durch den persischen
Golf als Teil des indischen Ozeans vom Kontinent Asien
getrennt wird und durch die syrisch-arabische Wüste
mit ihm zusammenhängt. Durch die Landenge von Suez
mit Afrika bezw. mit Aegypten verbunden und durch das
rote Meer von diesen geschieden, repräsentiert das
Land der Araber, bei ausgedehnter Küstenbildung, ein
Uebergangsglied zwischen Asien und Afrika.
Die Ausbreitung der Herrschaft nach diesen beiden
Erdteilen konnte dadurch nur begünstigt werden. Die
Flächenausdehnung des Landes ist eine große.
Sie wird auf wenig unter drei Millionen Quadratkilometer,
also auf etwa ein Viertel von Europa geschätzt.
Davon sollen nach Palgrave drei Viertel anbaufähiges
Land sein. Der herrschende Wassermangel jedoch hat der
Pflanzenwelt zum überwiegenden Teile den Charakter
der östlichen Sahara aufgedrückt. Die
ausgedehnten Wüsten haben die dort wohnenden
Menschen gezwungen, sich der Zucht von Tieren zu
befleißigen, welche zur Ueberwindung von
Entfernungen im Wüstenlande besonders geeignet sind.
Daraus ist das ausgezeichnete arabische
Pferd und das, für solche Gegenden
unersetzliche, Menschen und Lasten tragende
arabische Kamel hervorgegangen. Das
arabische Pferd und das arabische Kamel sind von den
gewaltigen Eroberungszügen der Araber untrennbar.
Nur mit ihrer Hilfe war es den arabischen Herren
möglich, durch die Wüsten von Indien, Persien,
Kleinasien und Nordafrika mit überlegener
Schnelligkeit sich zu bewegen und durch ein immer ganz überraschendes
Auftreten den Gegner in eine weniger günstige Lage
von Anfang an zu versetzen.
§ 3. Die Bevölkerung der
arabischen Halbinsel wird für die Zeit Muhammeds auf
etwa 5 Millionen Einwohner geschätzt, die zumeist
nach Art der heutigen Beduinen im weitgestreckten Lande
ein Nomadenleben führten. Das Volk war
noch streng nach Familien und Stämmen gegliedert und
von einem noch ungebändigten Freiheitsdrange
getragen. Durch eine Reihe von Jahrhunderten hat es die
Unterjochungsversuche der babylonischen, assyrischen,
ägyptischen und persischen Könige abgewiesen.
Und selbst das römische Weltreich hat hier nur
Teilerfolge erzielen können. So war den Arabern der
Kampf ihr Lebenselement geworden. Fehlte es an einem
auswärtigen Feinde ihrer Freiheit, so kämpften
sie unter sich um Blutrache, um einen Brunnen, um
Weidegründe für ihre Herden, oder auch um ganz
nichtssagende Dinge, wie um ein paar zertretene
Lercheneier oder um den zweifelhaften Ausgang eines
Pferderennens jahrzehntelang die blutigsten Fehden. Bei
all dem hatten sich bestimmte Regeln einer gewissen
ritterlichen Moral ausgebildet, deren Summe Muruwwa
(virtus, Tugend) genannt wird. Die Wahrung der Ehre des
Stammes und der Familie und die rachsüchtige
Bekämpfung Aller, die derselben Abbruch getan,
standen hier an erster Stelle. Trotz aller Freiheitsliebe
aber hielt man sich durch einen einmal abgeschlossenen
Vertrag gebunden. So wurde bei jeder Erledigung der
Herrscherwürde durch Wahl, und nicht durch Erbrecht,
der Nachfolger bestimmt. Aber so lange nicht ganz
besondere Umstände gewaltsam sich geltend machten,
wählte man den neuen Herrscher immer wieder aus der
gleichen Familie. Großmütig waren die alten
Araber in der Uebung der Gastfreundschaft, wie in der
Beschützung der Verfolgten, die in ihren Zelten
Schutz gesucht haben. Die Stellung der Frau war eine freie und
hoch geachtete. Sie konnte unverschleiert ausgehen und
auch männliche Besuche empfangen. Es galt als eine
grobe Verletzung der guten Sitte, in Gegenwart einer Frau
unanständige Reden zu führen. Die reiche
poetische Begabung dieses Volkes findet ihren Ausdruck in
der großen Zahl von schönen
Volksgesängen, welche den alten Stammesfehden
gewidmet sind. Aber auch für die uralte
Tätigkeit des Handels: möglichst
billig kaufen und möglichst teuer verkaufen, zeigten
schon die alten Araber ebenso viel Neigung wie
Verständnis. Eine Gelegenheit, sich zu bereichern,
ließ man auch dann nicht gerne unbenützt
vorübergehen, wenn die Erwerbsart die Form der
Razzia angenommen und mithin nichts anderes
als ein mit List und Gewalt ausgeführter Raubzug
war. Die geographische Lage des Landes als
Verbindungsbrücke zwischen drei Erdteilen —
wenn wir berechtigter Weise neben Asien und Afrika auch
noch Europa hinzurechnen — mußte dem Volke
die Betätigung des Handels naherücken, die auch
durch religiöse Sitten begünstigt wurde. Die
alten Araber waren Götzendiener, die in der
Kaaba in Mekka ein uraltes und weit im Lande
anerkanntes Heiligtum besaßen, das durch Pilger
fleißig besucht wurde. Bei der Länge des
Weges, welcher zurückzulegen war, und den mancherlei
Gefahren, welche in diesem kriegerischen Lande mit einer
langen Reise verknüpft waren, mußte die
Einrichtung großer Pilgerkarawanen zu ganz
bestimmten Zeiten des Jahres geboten erscheinen. Solche
Pilgermonate waren dann
„heilige“ Monate geworden, in
denen das Kämpfen durch Sitte und Verträge
unbedingt verboten war. Die Zeit aber, in welcher die
Pilgerkarawanen in Mekka zusammenkamen, bot auch die
beste Gelegenheit zum Abschuß von
Handelsgeschäften. So war das Volk und sein Land,
das in überraschend kurzer Zeit zur Weltherrschaft
kommen sollte.
§ 4. Der erste Führer des
arabischen Volkes auf der Bahn zur Weltherrschaft war
sein Prophet Muhammed. Geboren zu Mekka im
Jahre 571 n. Chr. aus dem Stamme Koreisch,
lernte er als kleiner mekkanischer Kaufmann auf
Handelsreisen nach Syrien die jüdische und
christliche Religion kennen. Durch seine Vermählung
mit der reichen Kaufmannswitwe Chadidscha in
Mekka ökonomisch unabhängig geworden, suchte er
in der Gebirgseinsamkeit der Umgegend von Mekka die
Antwort auf die Frage nach der rechten Religion für
das arabische Volk. Erfüllt von seiner neuen
Gotteserkenntnis begann er nach ernsten seelischen
Kämpfen öffentlich davon Zeugnis zu geben gegen
den in Mekka herrschenden heidnischen Götzendienst.
Er war deshalb ein Prophet im wahren Sinne
dieser Bezeichnung. Wenn der deutsche Sprachgebrauch
unter dem Worte „Prophet“ eine Person
versteht, welche die Zukunft vorhersagt, so ist darin
eine ungeheuerliche Entstellung der eigentlichen
Bedeutung dieses Wortes enthalten, deren sich die
hebräische, griechische, lateinische und arabische
Sprache nicht schuldig gemacht haben.
§ 5. Mit seinem festen Glauben an nur
einen Gott (Allah), in dessen Willen man
sich gläubig zu ergeben habe (Islam),
verknüpfte Muhammed ein feines Empfinden für
soziales Recht. Er wird in seiner
kaufmännischen Praxis oft genug Gelegenheit gefunden
haben, den volkswirtschaftlich vernichtenden
Einfluß namentlich der Geldkapitalisten kennen zu
lernen. Dieser Gefahr gegenüber mußte nach
seiner Auffassung das Volk bedingungslos geschützt
werden. Nach Muhammed war deshalb jede Form des
Zinses für ein Gelddarlehen verboten. Aber
der islamische Wucherbegriff ging nach Professor Kohler
darüber noch weit hinaus und umfaßte jeden
Geldgewinn aus dem Moment der Zeit. Die heute an unseren
Börsen so sehr beliebten sog.
„Kostgeschäfte“ (contractus mohatrae) waren schon zu
Muhammed’s Zeiten den Arabern bekannt und nach dem
Propheten als Wucher verboten, sobald
zwischen Kaufs- und Verkaufspreis eine Gewinndifferenz zu
Gunsten des Geldgebers verblieb. Ebenso war der
Aufkauf und das Einsperren von
Ware zum Zwecke einer Preistreiberei streng
untersagt. Es gab Bestimmungen gegen den unlauteren
Wettbewerb, zur Sicherung des
Markenschutzes u.s.w.
Trotz des streng zur Durchführung gekommenen
Zinsverbotes war das Geld nicht verurteilt, nutzlos im
Kasten zu liegen. Um das Kapital des Einen, der die
Fähigkeit nicht besaß, damit zu produzieren,
mit der wirtschaftlichen Tätigkeit und
Befähigung des Anderen, der über kein oder
nicht genügend Kapital verfügte, in Verbindung
zu bringen, bediente Muhammed selbst sich der
Kommanditgesellschaft (commenda, arabisch
Kirad), welches Institut deshalb von dem islamischen
Recht mit besonderer Vorliebe behandelt wurde. Daraus
ergeben sich nach Professor Kohler folgende allgemeine
Rechtsgrundsätze: Der Gerant wird durch eine Reihe
von Bestimmungen gegen Auswucherung durch den
Kapitalisten geschützt. Der Gerant hat volle
Aktionsfreiheit. Der Kapitalist hat nicht das Recht,
seine geschäftliche Tätigkeit durch Einreden zu
stören. Wohl aber soll sich der Gerant im Prinzip
aller unsicheren Spekulationen enthalten. In der Regel
bringt der Kapitalist nur bares Geld in das
Kommanditverhältnis ein. Werden von ihm noch andere
unbare Einlagen gemacht, so gilt dafür
ausdrücklich nur der genau nachgewiesene
Selbstkostenpreis. Der Gerant erhält für seine
Tätigkeit keinen Lohn, aber Ersatz für seine
Reise- und Aufenthaltskosten. Nachdem die
Geschäftsunkosten gedeckt sind und das Kapital
zurückerstattet ist, wird der verbleibende Gewinn in
der Regel zu gleichen Teilen zwischen dem Geranten und
dem Kapitalisten geteilt. In ähnlicher Weise lauten die Bestimmungen
für die Gesellschaften und Genossenschaften mit
beschränkter und unbeschränkter Haftpflicht.
Nach der heute herrschenden volkswirtschaftlichen
Organisation ist das spekulative Privatkapital
Leiter des Unternehmergeistes der Nationen. Nach
der Auffassung Muhammed’s hat die schaffende
produktive Arbeit die Leitung und dem Kapitalisten
ist eine nachgeordnete Position zugeteilt. Erst auf
dieser besseren Rechtsbasis hatte der
Freihandel und die
Freizügigkeit, für welche der
Prophet durch ausdrückliches Verbot der
Grenzzölle und aller Verbrauchsabgaben eingetreten
ist, volle soziale Berechtigung.
§ 6. Zu seiner strengen Rechtlichkeit im
wirtschaftlichen Verkehre mit Nebenmenschen kam noch eine
ungewöhnlich umfassende Fürsorge für
die Armen, Kranken und Bedürftigen und eine für
jene Zeit außerordentliche Milde gegen
Sklaven. Als Almosen- oder
Armensteuer führte der Prophet eine
allgemeine Vermögenssteuer ein, von welcher nur die
kleineren Vermögen und dann der Grundbesitz befreit
waren. Letzterer hatte statt der Armensteuer den
Zehent als Grundsteuer zu entrichten. Die
größeren Vermögen wurden von der
Armensteuer mit einer leicht ansteigenden Progression
erfaßt. Der normale Steuersatz scheint etwa
2 1⁄2% gewesen zu sein. Diese allgemeine
Steuer zur Unterstützung der Armen, Kranken und
Bedürftigen galt als eine religiöse
Verpflichtung, an deren Erfüllung die
Verheißung geknüpft war, daß damit der
Geber und sein Besitztum von allen Sünden gereinigt
werde. Dem ganzen Charakter dieser Steuer entsprach auch
eine rücksichtsvolle Form der Erhebung. Schlechte,
kranke und alte Tiere sollten bei der
Steuereinschätzung nicht gezählt werden, wohl
aber war der Steuereinnehmer beauftragt, kein als
Steuerzahlung angebotenes Tier zurückzuweisen.
Ergänzend kommt noch hinzu die
streng eingeschärfte Verpflichtung, durch Almosen
und Stiftungen sich an der Fürsorge für Arme,
Kranke und Pilger zu beteiligen.
Der Sklave, welcher nach römischem
Recht eine Sache war, über welche der Herr ohne
Einschränkung nach Belieben verfügte, hat bei
Muhammed als Mensch gegolten. Den Herren war
eine menschenwürdige Behandlung ihrer Sklaven
geboten. Sie sollten auch mit Arbeit nicht
überlastet werden. Es war eine der wichtigsten
Aufgaben der Polizei, die Einhaltung dieser
Gebote zu überwachen. Bei der jährlichen
Verteilung des Ueberschusses aus der
Staatskasse wurden auch die zum Islam
gehörenden Sklaven berücksichtigt.
Der islamische Sklave war für sich
erwerbsfähig. Die Freilassung der Sklaven
wurde in besonderem Maße begünstigt.
Verschiedene Verletzungen der religiösen Pflichten
konnten durch Freigabe eines Sklaven gesühnt
werden.
Hierher gehört noch der Grundsatz voller
Gleichberechtigung aller Gläubigen (Muslemin) und
die tolerante Behandlung der Juden und
Christen, welche durch besondere
Verträge gegen bestimmte Tributleistungen sich ihren
Besitz, ihre Erwerbsfähigkeit und ihre
Religionsausübung sichern konnten.
Charakteristischer Weise enthielt der Wortlaut dieser
Verträge die Beifügung: „So lange Gott
will!“
§ 7. Aber Muhammed war nicht nur von seinem
Glauben an den einzigen Gott durchdrungen und von idealen
Rechtsempfindungen getragen, Muhammed war
auch ein Kenner des arabischen Volkscharakters und hat
wohl schon zu Anfang seines Prophetenberufes
großen Zielen einer national-arabischen
Politik Rechnung getragen. Auch in seiner Brust
wohnten zwei verschiedene Seelen. Seine Religion war ihm
auch Politik und zwar nicht nur
Kirchenpolitik. Muhammed wollte neben dem Jenseits auch
das Diesseits gewinnen. Das arabische Volk, wie es damals
war, mußte ein fast unüberwindliches
Eroberungsheer liefern, sobald es nur gelingen wollte,
die im höchsten Maße partikularistisch
veranlagten Volksstämme zu einer nationalen Einheit
zusammenzufassen. Die neue Religion allein mit ihrem
Bekenntnis zu einem Gott und seinem Propheten konnte zwar
eine begeisterte und unbedingt ergebene Gemeinde von
einigen tausend Köpfen schaffen, zur Einigung der
Nation genügte das nicht. Muhammed sah sich deshalb
vor allem auch veranlaßt, die ergiebigtsten
Quellen der Stammesfehden zu verstopfen. Hier
stand in erster Linie die Blutrache. Sie
wurde unter den Gläubigen bei Todesstrafe
verboten und durch eine Bußgeldleistung
ersetzt. Weiter wurde das Weintrinken und
Hazardspielen untersagt, weil auch hierdurch
viel Feindschaft unter den Gläubigen entstanden ist
und die vorgeschriebenen Gebetsübungen leicht
vernachlässigt wurden. Diese Gebetsübungen
versammelten fünfmal täglich die
Gläubigen in der Moschee, wo dann
sämtliche Handbewegungen des Vorbeters von den
Anwesenden in genau gleichem Tempo nachgeahmt wurden.
Dazu an jedem Freitag die Predigt, welche
dem Führer der Gemeinde Gelegenheit bot, auch alle
öffentlichen Angelegenheiten zur Sprache zu bringen.
Man hat mit Recht gesagt: „Die Moschee war der
Exerzierplatz der Muslimen, die hier als Araber endlich
einmal gehorchen lernten“ ! Aber all das
würde bei den so habgierigen Wüstenhelden nicht
zugereicht haben, die nationale Einheit zu schaffen, wenn
es Muhammed nicht gelungen wäre, aus der Gemeinde
der Gläubigen eine
Geschäftsgemeinde mit ungewöhnlich
reichen Gewinnaussichten zu machen und zwar selbst auf
die Gefahr hin, damit als Prophet die Grenze des sittlich
Berechtigten weit zu überschreiten.
§ 8. Als Muhammed im Jahre 622
n. Chr. mit seinen Fluchtgenossen
(Mohadschir) von Mekka nach Medina sich gerettet hatte,
stand er und seine Gemeinde mit den Mekkanern auf dem
Kriegsfuße. Mit der Zunahme der
Hülfsgenossen aus Medina (El Anssar)
erstarkte die kriegerische Macht der neuen Vereinigung.
Deshalb konnten Ueberfälle und Gefechte gewagt
werden. Die dabei eroberte Beute wurde
verteilt und zwar so, daß 1⁄5 die Staatskasse, 4⁄5 die Gemeindemitglieder nach
Maßgabe ihrer Anteilnahme an dem kriegerischen
Unternehmen erhielten. Grund und Boden hat man den
Besiegten zur Bebauung überlassen gegen Abgabe
der Hälfte des Naturalertrags, welche als
„Grundsteuer der Unterworfenen“
— im Gegensatze zur Grundsteuer der Gläubigen,
welche sich auf den „Zehent“ beschränkte
— der Staatskasse zugute kam. Den Muslimen
wurde verboten, in den eroberten Gebieten Grundbesitz zu
erwerben, um eine Schwächung der
kriegerischen Kräfte durch Ansiedlung von
Gemeindemitgliedern in den neuen Ländergebieten zu
verhüten. Versöhnt wurden die Gläubigen
mit dieser, im ersten Augenblicke etwas
überraschenden Maßnahme dadurch, daß
der in der Staatskasse nach Deckung des
Staatsbedarfs verbleibende
Einnahmeüberschuß an die Gemeindemitglieder
zur Verteilung kam. So wurde ihnen statt des
Grundbesitzes der Grundertrag ausgeliefert. Die erste
Anwendung dieser Verteilungsgrundsätze durch den
Propheten findet sich nach der Eroberung von
Cheibar im Jahre 628 n. Chr. (7. Hidshra).
Noch heute nennt man im islamischen Reiche das
Staatsvermögen „das Schatzhaus der
Muslime“ (bait-mâl almoslimyn).
§ 9. Für die Gläubigen wurde diese
Eroberungspolitik in die Formel des Religionskrieges und
in den besonderen Auftrag gekleidet:
„Bekämpfet die Ungläubigen, bis sie Euch
demütig die Steuer zahlen!“ Aber weil
damit die Sache der Religion die Sache des gemeinsamen
rücksichtslosen Erwerbs geworden war, konnte jetzt
der Kern der niemals wankenden Strenggläubigen (der
Anssars und der Mohadshirs) von der großen
Masse der immer beutehungrigen Beduinen
umschlossen werden, um die erobernden Heere bald
lawinenartig anwachsen zu lassen. Schon genügte die
einfache Aufforderung des Propheten, sich
anzuschließen, um die Beduinenstämme in den
entlegensten Bezirken zur Ablegung der so kurzen
Bekenntnisformel: „Es gibt nur einen Gott und
Muhammed ist sein Prophet“, wie zur Zahlung der
gering bemessenen und schonend erhobenen Armensteuer zu
veranlassen und damit das Anteilrecht an stetig
wachsenden Beuteerträgen einzutauschen. Auch
die stolze Aristokratie von Mekka, die in ihrem Herzen
immer nur das goldene Kalb angebetet, hat sich jetzt
formell nach und nach zur neuen Religion bekannt. Hatte
doch der Prophet bei seinem militärischen Besuch in
Mekka selbst die noch ungläubigen Koreischiten
mit Geschenken förmlich überhäuft,
„um ihre Herzen zu besänftigen“, wie der
Koran sich dazu äußert. So war es für die
Mekkaner nicht schwer, zu erkennen, daß
mit Muhammed mehr zu verdienen war, als
gegen ihn. Und mit dieser Einsicht war
merkwürdiger Weise immer die „göttliche
Berufung zum wahren Glauben“ verbunden.
§ 10. Der Erfolg, der ja der Gott nicht nur der
Asiaten ist, war damit zunächst an die
Fahne des Propheten geknüpft worden. Es ist ihm die
nationale Einigung der Araber in überraschend kurzer
Zeit geglückt. Aber nicht auf den Schlachtfeldern
von Syrien und Persien, sondern bei der Verteilung
der hier gewonnenen, fast unermeßlichen Beute ist
die Vielheit der arabischen Stämme zu einer
staatlichen Einheit
zusammengeschweißt worden. Der
Politiker Muhammed hat auf solche Weise in
kurzer Zeit Erstaunliches erreicht. Aber der
Prophet Muhammed ist damit von der Höhe
seiner Gotteserkenntnis und der sozialen Gerechtigkeit in
das niedrige Gebiet der Organisation des gewaltsamen
Erwerbs hinabgestiegen. Es nutzte wenig, dem groß
angelegten Raubzuge das Mäntelchen des
„heiligen Krieges“ umzuhängen. Die
Mehrzahl der Streiter und die besten Feldherren
kümmerten sich wenig um den ganzen Islam. Ihnen war
es lediglich um Beute zu tun. Ihr Säbel war ihr
Koran, ihre Geldbörse ihre Sunna. Wie bald wird
deshalb das Bekenntnis zum neuen Glauben lediglich an der
Pünktlichkeit der übernommenen Zahlungen
gemessen. Es konnte das Verwerfliche des ganzen
Unternehmens nur wenig mildern, daß die eroberte
Beute nach der persönlichen Beteiligung am Kampfe
zur Verteilung kam und daß z. B. Soldaten, welche
vor den Feind geführt wurden und nicht
kämpften, ihren Anspruch auf Beuteanteil verloren
haben.
Zur segenbringenden produktiven Arbeit wurde deshalb
der gewaltsame Raub doch nicht.
Unversöhnt und
unversöhnlich standen innerhalb der
Gemeinde um Muhammed die
Strenggläubigen und die
Glaubenslosen, die streng rechtlichen
Idealisten und die habgierigen Raubtiere in
Menschengestalt neben einander. Der Prophet selbst
war so sehr ein sündiger Mensch geblieben, daß
er sich nicht scheute, unbequeme Gegner durch
Meuchelmörder beseitigen zu lassen. Nach seiner
Religion war der Wucher verboten, die Unterstützung
der Armen und Kranken, wie die milde Behandlung der
Sklaven eine ernste Pflicht, aber der im Großen
organisierte Raubmord bildete die weitaus wichtigste
politische Aufgabe der Gemeinde der Gläubigen und
der politische Meuchelmord war zum Mindesten gestattet.
Nicht das soziale Recht zum Schutze der
Arbeit gegen den Wucher jeder Art, sondern das
Kriegsrecht als Rechtsordnung des gemeinsamen Erwerbs
durch Gewaltakte war der weitaus wichtigste Teil der
ganzen muhammedanischen Rechtsordnung. Das alles
mußte zu einem Ende mit Schrecken
führen, wenn auch zeitweilig noch so
glänzende Erfolge vorausgingen. Bevor wir jedoch den
ebenso verwickelten wie interessanten Prozeß der
Auflösung der arabisch-islamischen Weltherrschaft
kennen lernen, soll hier der Verlauf der großen
Eroberungszüge mit den Kennzeichen der
Blüteperiode der islamischen Kultur betrachtet
werden.
§ 11. Das muhammedanische
Kriegsrecht läßt sich etwa in folgende
Sätze zusammenfassen: Die wehrfähigen
Männer in Waffen werden getötet, Frauen und
Kinder als Sklaven mit der gesamten beweglichen Habe
weggeführt. Die Bauern werden geschont. Die
Ländereien von Grundeigentümern, welche im
Kampf gegen den Islam gefallen oder landesflüchtig
geworden sind, werden konfisziert und als
Staatsdomänen behandelt. Den
Bauern bleibt ihr
Grundeigentum, doch übt der Sieger das Recht,
so viel Steuern von ihnen zu erheben, als sie tragen
können. Zumeist werden die bereits vorhandenen
Besteuerungsarten beibehalten. Die Grundeigentümer
zahlen die Grundsteuer (charag) und mit der
übrigen Bevölkerung die Kopfsteuer
(gizja), beide entsprechen dem tributum soli und tributum
capitis der Römer. In Ländern mit
Goldwährung (Aegypten und Syrien) zahlten als
Kopfsteuer alle erwachsene männliche Personen
jährlich 40 Frs., in Ländern mit
Silberwährung (Mesopotamien, Ostarabien, Persien)
zahlten die Reichen jährlich 80, die mittlere Klasse
40, die Armen 20 Frs. In Aegypten gab es 8 Millionen
Kopfsteuerzahler à 40 Frs., welche für
richtige Steuerzahlung sichtbare bleierne Kontrollmarken
am Halse trugen. In Babylonien wurden nach der Eroberung 550'000
Kopfsteuerpflichtige gezählt.
Zölle und
Verbrauchsabgaben wurden abgeschafft und
Freihandel und
Freizügigkeit allgemein
eingeführt. Soweit als irgend angängig, blieb
den Besiegten die lokale und kommunale
Selbstverwaltung. Die gesamte
Staatsbuchhaltung wurde zunächst nicht arabischen
Händen, sondern Angehörigen der besiegten
Völker anvertraut. So gab es in den byzantinischen
Provinzen, in Persien, Aegypten und Syrien griechische
Christen als Staatsbuchhalter, während in Babylonien
und Mesopotamien Priester mit dieser Aufgabe betraut
wurden. In den persischen Gebieten blieb wie vorher der
persische Rittergutsbesitzer (Dihkan) mit der
Steuereinhebung beauftragt. Angehörige der Besiegten
finden wir auch als Polizeisoldaten verwendet. In
den eroberten Gebieten war es den Arabern verboten,
Grundbesitz zu erwerben. Andererseits wurden die
Christen und Juden aus Arabien
ausgewiesen, so daß das Stammland
ausschließlich den Arabern reserviert blieb. Der
Araber sollte nur als Eroberer, Regent und
Regierungsgehilfe in den neuen Ländern erscheinen.
Es blieb Sache der Besiegten, für die Herren des
Landes zu erwerben und zu produzieren.
Neben der gewaltsamen Unterwerfung durch
die Schärfe des Säbels kannte Muhammed auch die
freiwillige Unterwerfung, für welche
besondere Kapitulationen vereinbart wurden,
die naturgemäß der kriegerischen Eroberung
gegenüber gewisse Begünstigungen geboten
haben.
Weiter spielte die Bekehrung zum wahren
Glauben eine einschneidende Rolle. Wer die kurze einfache
Bekenntnisformel: „Es gibt nur einen Gott und
Muhammed ist sein Prophet“, aussprach und die
üblichen Verpflichtungen zu erfüllen bereit
war, gehörte zur Gemeinde. Eingegliedert wurde er in
das streng nach Familien und Stämmen organisierte
Volk durch seine Annahme als Klient von
einem der arabischen
Familienhäupter. Er gewann damit seinen Anteil
an der Kriegsbeute, sobald er sich dem
Kriegsdienst widmete. Unter allen Umständen
partizipierte er an dem Ueberschuß der
arabischen Staatskasse. Er war damit von der Kopfsteuer
befreit. Aber auf sein Grundeigentum mußte er
verzichten; das fiel im Interesse
der Steuererträge an seine bisherigen
Religionsgenossen zurück.
Endlich gehören hierher die bereits
erwähnten Bestimmungen über Beute- und
Staatseinkommenverteilung: 1⁄5 der Kriegsbeute gehörte dem
Staat, 4⁄5 wurde unter die
beteiligten Kriegsleute verteilt. Die Steuererträge
kamen nach Abzug der Verwaltungskosten der betreffenden
Provinzen ebenfalls in die Kasse der Zentralregierung,
aus welcher die Ueberschüsse als Staatsdotationen an
die Mitglieder des arabischen Volkes bis auf den
Säugling an der Mutter Brust und den Klienten und
gläubigen Sklaven verteilt wurden.
§ 12. Um für die siegende Macht dieses
Kriegsrechts einigermaßen eine richtige Vorstellung
zu gewinnen, wird es notwendig sein, sich die
ökonomischen Verhältnisse zu
vergegenwärtigen, wie sie zu Beginn der
islamischen Eroberungen waren.
Die ahnenstolze Aristokratie von Mekka bezog ihr
Haupteinkommen wahrscheinlich aus dem Karawanenhandel.
Man rechnete dabei damals auf einen Gewinn von 50 bis
100% des angelegten Kapitals.
Eine Karawane repräsentierte den Wert von 5 bis
800'000 Frs. An einer solchen Karawane war eine Reihe von
Geschäftsleuten beteiligt. Nicht jede Karawane kam
unberaubt an ihrem Reiseziele an. Die häufigen
Stammesfehden werden gewiß den geschäftlichen
Verkehr auch nicht gefördert haben. Trotzdem waren
diese Verhältnisse im Ganzen nicht ärmlich zu
nennen. Die Silberwährung hatte seit längerer
Zeit Geltung. Aber die
Geldbeträge, mit denen auch die Reichsten im Lande
rechneten, waren nicht groß in unserem Sinne. Die
höchste Ziffer, für welche die arabische
Sprache ein einheitliches Wort besaß, war 1000. Der
sprachliche Ausdruck für jede höhere Ziffer
mußte durch Zusammensetzung gefunden werden. So
bezeichnete man eine Million mit Tausend mal Tausend. Als
nach den siegreichen Schlachten in Syrien einem Araber
von seinen Landsleuten Vorhaltungen darüber gemacht
wurden, daß er seinen Beuteanteil mit nur 1000 Frs.
viel zu billig veräußert habe, soll dieser
ganz erstaunt ausgerufen haben: „Ich wußte
garnicht, daß es eine höhere Ziffer als 1000
gibt!“ Als zu Beginn der Regierung des Nachfolgers
des Propheten (Chalife) Omar I. (644—656 n. Chr.,
22—34 H.) der Statthalter von Bahram 1⁄2 Million Franken nach Medina zur
Zentralkasse brachte, die augenblicklich keine Ausgaben
hatte, weshalb der ganze Betrag zur Verteilung an das
arabische Volk bereit stand, fragte der Chalife in seiner
Verlegenheit die Gemeinde, ob er ihnen das viele Geld mit
Metzen zumessen solle? Ein Mann aus dem Volke habe dann
mitgeteilt, daß die Perser ihren Staatsschatz durch
einen Dywan (Rechnungshof) in Ordnung halten
ließen, so solle man es auch machen. Das war die
Zentralregierung zu einer Zeit, als gerade ein
Ländergebiet von der Ausdehnung des Deutschen
Reiches und Oesterreich-Ungarns erobert wurde. Noch war
der bescheidene Staatsschatz in der Privatwohnung des
Chalifen aufbewahrt. Noch trieb der Chalife
persönlich die jungen Kamele auf die Staatsweiden.
Noch hatte der Chalife nicht einmal ein besonderes
Einkommen in seiner Eigenschaft als Regent. 6000 Frk.,
welche der erste Chalife Abu Bakr (632—634 n. Chr.,
10—12 H. ) aus der Staatskasse in
einer Notlage entliehen, mußten seinem Auftrage
gemäß seine Verwandten nach seinem Tode
zurückerstatten. Derselbe Abu Bakr hatte in seiner
zweijährigen Regierungszeit die Ueberschüsse aus der Staatskasse
noch gruppenweise an je 100 Personen ausgezahlt. Die
Summen, welche verteilt wurden, waren noch klein. Im
ersten Jahre gab es 10, im zweiten 20 Frk. pro Kopf,
Männer, Frauen, Kinder, Klienten und Sklaven gleich
gerechnet. Wie mußte die als lösbar erkannte
Aufgabe, die fabelhaften Schätze von Babylonien,
Syrien, Aegypten und Persien zu erobern, auf die
Spannkraft dieses Volkes einwirken?
§ 13. Anders lagen die Verhältnisse
bei jenen Ländern, über welche das ganze
Ungewitter hereinbrechen sollte. In
Persien herrschten seit Jahren
Thronstreitigkeiten, welche schon zu lange in blutige
Bürgerkriege ausgeartet waren. Das darunter schwer
leidende Volk sehnte sich nach Frieden. Der Kaiser
Heraklius von Byzanz war fast immer in
großer Geldverlegenheit, so daß die ohnehin
nur mit 80—120 Frs. jährlich bezahlten
Söldner von Zeit zu Zeit überhaupt keine
Löhnung erhielten und dann in der Regel sich
weigerten, gegen den Feind zu kämpfen, bis die
rückständigen Lohnzahlungen ausgeglichen waren.
Früher aus der Heimat ausgewanderte arabische
Stämme saßen durch Mesopotamien bis nach
Kleinasien zerstreut und waren zumeist zum Christentume
übergetreten. Aber dieses Christentum
war unter dem Einfluß des Bilderstreites in Byzanz
so sehr zu einem Götzendienste
entartet, daß das einfache klare
Gottesbekenntnis des Islam dem Volke als ein
religiöser Fortschritt erscheinen mußte, den
als solchen die christlichen Araber um so leichter
erkannten, je günstiger die klingenden Bedingungen
waren, welche von den siegreich vordringenden islamischen
Heeren ihnen für ihren Anschluß geboten
wurden. In Sicilien hausten die
byzantinischen Steuerzahler [Steuereintreiber] in einer so fürchterlichen
Weise, daß die Einwohner sich empörten und die
Muhammedaner zur Befreiung herbeiriefen. In
Spanien war man gerade damit
beschäftigt, die zahlreichen Juden mit Gewalt zum
Christentume zu bekehren. Jeder Abfall von der
Zwangsreligion wurde bei ihnen mit Geißelung und
Vermögenskonfiskation bestraft. Dazu kam eine
maßlose Bedrückung der Bauern durch die
Geistlichkeit und den gothischen Adel, der unter sich
wieder fortwährend in Fehde lag. Auch hier war die
herrschende Klasse der schlimmste Feind des Landes und
die Masse der einheimischen Bevölkerung hat den Sieg
der islamischen Waffen als eine Befreiung aus schwerer
Not empfunden.
§ 14. Der Siegeszug des Islam
mußte unter solchen äußeren und inneren
Verhältnissen alle Erwartungen weit
übertreffen.
In der Entscheidungsschlacht bei Bedr
(624 n. Chr., 2 H.) in welcher die junge Gemeinde um
Muhammed ihre Existenz gegen die mekkanische Aristokratie
zu verteidigen hatte, kämpften 306 Mann mit 70
Kamelen und 2 Pferden bei Muhammed gegen 950 Mann mit 700
Kamelen und 100 Pferden auf der feindlichen Seite. In der
Schlacht bei Akraba (633 n. Chr., 11 H.),
als ein Jahr nach des Propheten Tod die erwachten
Abtrennungsgelüste unter den arabischen Stämmen
niedergeschlagen und die nationale Einheit mit
Waffengewalt wieder hergestellt wurde, kämpften 4000
Muslims gegen 8000 Gegner. In der
Entscheidungsschlacht gegen die Byzantiner in
Syrien am Hiromax im Jahre 636 n. Chr., 15. H. und
also nur drei Jahre nach der Schlacht bei Akraba
kämpften 25 bis 30'000 Muslims gegen 80'000
Byzantiner und Armenier. Nur ein Jahr später in der
Schlacht bei Kadesia, welche das Perserreich
unterworfen hat, standen 38'000 Araber 80'000 Persern
gegenüber. Im Jahr 636 n. Chr. sollen höchstens
80'000 Mann außerhalb der Heimat gestanden sein.
Für das Jahr 650 n. Chr. wird das Heer des Islam auf
250'000 bis 300'000 Mann geschätzt. Im Jahre 651 n. Chr., also 29 Jahre,
nachdem Muhammed aus Mekka nach Medina flüchten
mußte, um sein Leben zu retten, beherrschte der
Islam ein Gebiet in der Ausdehnung von etwa der
Hälfte Europas; 120 Jahre später umfaßte
das arabisch-islamische Weltreich ein Gebiet von der
Ausdehnung des europäischen Kontinentes und noch
einmal die Fläche von Deutschland und
Oesterreich-Ungarn hinzugerechnet. Von den Säulen
des Herkules und dem großen Ozean des Westens bis
zu den fabelhaften Meeren der Finsternis, wie die Araber
den indischen Ozean nannten, dehnte sich der von ihnen
unterjochte Teil der Erde aus.
§ 15. Als Organisator dieses
Weltreiches haben wir den bereits wiederholt
genannten Chalifen Omar I. zu bezeichnen.
Die aus der Gemeinde gegebene Anregung, eine
geordnete Staatsbuchhaltung
einzuführen, fand bei ihm volle Beachtung. Nach
byzantinischem Muster wurde ein
Volksregister angelegt, in welches die
Gliederung des Volkes nach Stämmen und Familien mit
Klienten und Sklaven, mit Geburten und Todesfällen
und mit den Freilassungen der Sklaven u.s.w. eingetragen wurden. An Hand dieser
Bevölkerungsliste setzte Omar die Höhe
der Staatsdotationen fest und zwar nach
Maßgabe der Verdienste des Einzelnen um den Islam.
An erster Stelle wurden die Witwen des Propheten bedacht
mit einem Jahresgehalt von 100'000 bis 120'000 Frs. Die
noch lebenden Teilnehmer an der Schlacht bei Bedr
erhielten 50'000 Frs. jährlich. Weitere Gruppen der
Bevölkerung wurden mit 40'000, 30'000, 20'000, 5000,
3000 und 2000 Frs. bedacht. Je 1000 Frs. jährlich
gehörten für jedes Kind an der Brust und
für Sklaven und Klienten. Außerdem erhielt
jeder Einwohner von Medina monatlich zwei Metzen Weizen
und zwei Maß Essig in natura geliefert. Jeder
Soldat bekam — statt nur 80 bis 120 Frs. jährlich, wie in Byzanz
— 2000 Frs. jährlich, dazu monatlich in der
Provinz Irak 15 Sad Weizen und ein bestimmtes Quantum
Schmalz, in Aegypten 15 Sad Weizen und ein bestimmtes
Quantum Schmalz, Honig und Linnen, in Syrien und
Mesopotamien 2 Modd Weizen und je drei Kisten Oel,
Schmalz und Honig. Endlich gehörte dem Soldaten der
entsprechende Anteil an 4⁄5
der eroberten Beute. Nach dem entscheidenden
Siege bei Kadesia über die Perser wurde der Wert der
in Ktesiphon allein eroberten Schätze
amtlich auf 900 Millionen Franken ermittelt. Auf jeden
Soldaten sind davon 12'000 Frs. entfallen. Jetzt
verfügte der gewöhnliche Mann unter den Arabern
über ein so großes Einkommen, wie es vor
Muhammed kaum die reichsten Leute in Mekka gehabt haben.
Unter solchen Umständen wird es gewiß
begreiflich, daß das siegreiche Heer der
Araber ebenso lawinenartig angewachsen ist, wie in
den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts die
Goldsucherstädte auf den besten aluvialen
Goldfeldern in Nordamerika und Australien.
§ 16. Den besten Herrschern des
arabisch-islamischen Weltreiches kann man die
Anerkennung nicht versagen, daß sie in einer Reihe
von Maßnahmen nach großen
wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten gehandelt
haben. Als unmittelbar nach der Eroberung von Persien,
Syrien und Aegypten im Jahre 639 n. Chr., 18 H. eine
Hungersnot mit einer verheerenden Seuche in Arabien
ausbrach, die auch Syrien heimsuchte, ließ Omar I.
in weniger als einem Jahre eine Art
Suezkanal herstellen, indem er durch den
Landstreifen zwischen Kairo und dem roten Meere einen
Kanal bauen ließ, auf welchem die mit Getreide
beladenen Schiffe vom Nil direkt nach der arabischen
Küste fahren konnten. Es wird berichtet, daß
von da ab die Getreidepreise in Mekka und Medina auf das
Niveau der
ägyptischen Getreidepreise gefallen seien. Hier
blieb die Brotversorgung der Hauptstadt Medina von
Aegypten abhängig. Durch die Verlegung der
Zentralregierung nach Damaskus (661 n. Chr.) in
die so fruchtbare Ebene des wasserreichen Baroda wurde
die Brotversorgung der Residenzstadt mehr in
unmittelbarer Nähe gesichert, bis endlich die
Residenz der Abbasiden (750 n. Chr.)
nach Bagdad mitten in die eigentliche
Kornkammer des Reiches wanderte. Auch im
arabisch-islamischen Weltreiche ist also — wie
einst in Rom — die Reichsregierung dem Getreide
nachgezogen.
Während die arabischen Eroberer die
städtische
Bevölkerung zumeist die ganze Strenge ihres
Kriegsrechtes fühlen ließen,
haben sie ausnahmslos den Bauer schonend
behandelt. In einer Reihe von Fällen
hören wir von großartigen
Bewässerungsanlagen, welche die
arabische Regierung im Interesse der Landkultur,
später auch im Interesse der Wasserversorgung der
Städte habe ausführen lassen. Den Landwirten
wurden aus der Staatskasse Millionen als
Meliorationskredit zinsfrei zur
Verfügung gestellt. Die Blüte, welche das
landwirtschaftliche Gewerbe unter der
arabisch-islamischen Regierung erreichte,
ist selbst in Spanien und Sicilien inzwischen nicht
wieder erreicht worden. Wie man auch die Literatur der
Landwirtschaft zu fördern bemüht war, geht
daraus hervor, daß schon damals ein
landwirtschaftlicher Kalender mit Angaben
über die landwirtschaftlichen Arbeiten zu den
verschiedenen Jahreszeiten erschienen ist.
§ 17. Wie müssen Handel und
Gewerbe sich entfaltet haben, nachdem
innerhalb dieses gewaltigen Ländergebiets
uneingeschränkter Freihandel und volle
Freizügigkeit zur Geltung kamen! Schon unter den
ersten Omaijaden-Chalifen Moawija und Addalmelik
(661—705 n. Chr., 39 bis 83 H.) ist man allgemeiner
zur Goldwährung übergegangen und hat eine geordnete
Prägung arabischer Goldmünzen begonnen.
Die vorgeschriebenen Pilgerfahrten nach Mekka haben auch
jetzt den Verkehr zwischen den entlegensten Gebieten des
Reiches wesentlich gefördert. Die Organisation
der Reichspost soll 930 Stationen gezählt und
in der Provinz Irak allein dem Staate jährlich vier
Millionen Franken gekostet haben. Die arabischen
Reichspostkursbücher sind unsere ersten
geographischen Werke geworden. Die
Leistungsfähigkeit dieser Reichspostanstalt war eine
so hervorragende, daß sie gelegentlich den
Transport ganzer Heeresabteilungen von Bassra und Kufa
nach den indischen Provinzen übernehmen konnte. Wir
haben in der Blütezeit des arabischen Welthandels
zweifelsohne mit einem jährlichen Geldumsatze
von Milliarden zu rechnen. Dementsprechend finden
wir eine umfassende Ausbildung des
Zahlungsverkehrs in diesem Weltreich mit
Geldanweisungen, aber auch mit einem
ausgedehnten Wechselverkehr, dementsprechend
ein gut durchgebildetes Handels- und
Wechselrecht.
Sogar ganz moderne Fragen, wie die
Verstaatlichung der städtischen
Grundrente finden wir im arabischen Weltreiche
längst gelöst. Ein Abbasidenchalife Motasim
fühlte sich in Bagdad nicht mehr behaglich und
beschloß deshalb im Jahre 836 n. Chr. (221 H.) etwa
15 Meilen stromaufwärts sich eine neue Residenzstadt
zu bauen. So entsteht mit einem Aufwande von etwa 200
Millionen Franken das neue prächtige
Ssamarra mit seinen Staatspalästen
für den Chalifen, für die Soldaten und für
die Beamten. Im Stadtbauplan waren breite Straßen
und große freie Plätze vorgesehen, von denen
ein entsprechender Raum an die Kaufleute zum Aufstellen
ihrer Verkaufsbuden vermietet wurden. Der Ertrag dieser
staatlichen Grundstücksverpachtung soll dem Chalifen
jährlich eine Einnahme von 10 Millionen Franken
gebracht haben.
Aus der staatlichen
Finanzverwaltung ist m.W. nur einmal aus späterer Zeit die
Aufnahme einer Staatsanleihe bekannt geworden. Als Regel
galt für den guten Staatshaushaltsplan, keine
Schulden zu machen, sondern einen
möglichst großen Staatsschatz in
barem Gelde anzusammeln. So hinterläßt der
Chalif el Mansur (754 bis 775 n. Chr.) einen Staatsschatz
von 960 Millionen Franken, Harûn Rashid (786 bis
809 n. Chr.) einen solchen von 900 Millionen Franken. Der
ausgezeichnete Chalife Abderrachmann III von Cordova (912
bis 961 n. Chr.) hat sein jährliches Staatseinkommen
von 125 Millionen Franken zu 1⁄3 für das Heer, zu 1⁄3 für allgemeine Kulturzwecke
und zu 1⁄3 zur Ansammlung
eines Staatsschatzes verwendet, dessen Höhe im Jahre
951 n. Chr. die Summe von 400 Millionen Franken
erreichte. Im Jahre 1903/4 hatte das heutige Spanien eine
Staatseinnahme von rund 1 Milliarde Franken, wovon
416 1⁄2 Millionen
— oder nahezu die Hälfte — im Dienste
der rund 9 Milliarden betragenden Staatsschulden
verausgabt wurden, während für Armee und Marine
und für Zwecke der allgemeinen Kultur je etwa 174
Millionen Franken Verwendung fanden.
Daneben dürfen großartige
Einrichtungen zu Gunsten der Armen,
der Kranken und der Pilger
nicht unerwähnt bleiben.
§ 18. Die Raschheit, mit welcher nach
Beginn der arabischen Weltherrschaft große
Städte aus der Erde wuchsen und die
wirtschaftlichen Werte sich
vervielfältigten, kann mit der besten
modernen Entwickelungsperiode der Vereinigten Staaten von
Nordamerika verglichen werden. Baßra
und Kufa, welche erst etwa 640 n. Chr., 18
H. als ständige Militärlager gegründet
wurden, haben 30 Jahre später je eine
Bevölkerung von 150'000 bis 200'000 Einwohner.
Bagdad hat in kurzer Zeit eine Million
Einwohner erreicht. Cordova „die helle
Zierde der Welt, die junge herrliche
Stadt, stolz auf ihre Wehrkraft, berühmt durch die
Wonnen, die sie umschließt, strahlend im Vollbesitz
aller Dinge“ — wie sie um das Jahr 960 n.
Chr. die gelehrte Nonne Hrotswitha von
Gandersheim gepriesen hat, beherbergte 1⁄2 Million Einwohner. Eine gleich
hohe Einwohnerzahl hatte Damaskus unter den
Omaijaden. Auch Kairo soll eine Million,
Alexandrien 1⁄2
Million Einwohner gehabt haben u.s.w. Ein Mann verkaufte an den ersten
Omaijaden-Chalifen in Damaskus etwa 661 n. Chr.,
39. H. ein Haus zum Preise von 60'000
Frs. Als man ihm sagte, daß er damit sein Haus
offenbar viel zu billig verkauft habe, antwortete er:
„Ich habe dieses Haus kurz vor Muhammed um einen
Schlauch Wein gekauft.“ Eben dieser nachmalige
Chalife Moawija wurde vom Propheten „ein armer
Schlucker“ genannt, weil er in Mekka nie einen
Pfennig Geld in der Tasche hatte. Er brachte es als
Chalife auf ein Jahreseinkommen von über 100
Millionen Franken. In der besten Zeit erreichte das
Chalifeneinkommen pro Jahr 300 bis 400 Millionen Franken
und mehr. Die Mutter des Chalifen Harûn Rashid
verfügte jährlich über ein Einkommen von
160 Millionen Franken. Ein reicher Hashimide unter dem
Chalifen Al Mahdy (775 bis 785 n. Chr.), in Baßra
wohnhaft, hatte ein tägliches Einkommen von 100'000
Frs., er soll 50'000 Klienten gehabt haben. Ein Juwelier
schätzte selbst sein Vermögen auf 200 Millionen
Franken ein. Unter Omar I. bezieht der Statthalter einer
Provinz ein Jahresgehalt von 12'000 Frs., bald aber ist
das Statthalter- und Ministereinkommen per Jahr auf drei
und selbst auf 13 Millionen Franken gestiegen. Der
Leibarzt des Chalifen Harûn Rashid erhielt
jährlich 120'000 Frs. an Geld und 160'000 Frs. in
Naturalien und Geschenken. Das Richtergehalt in Kairo
betrug im Jahre 827 n. Chr. 48'000 Frs. per Jahr
u.s.w. Mit diesen für uns heute
noch vielfach unerreichten
Ziffern darf nicht etwa die Vorstellung verknüpft
werden, es wäre damals alles ganz
unverhältnismäßig teuerer gewesen, als
heute. Denn diese Annahme wäre durchaus
unzutreffend. Bei der Erbauung von Bagdad (763 n. Chr.)
wurde nach Sprenger als Tagelohn für einen Arbeiter
2 2⁄5 Pfg.,
für einen Werkmeister und Aufseher 4 7⁄10 Pfg. gezahlt. Im Jahre 985
n. Chr. kostete ein Essen in einem mit allem Komfort
ausgestatteten Restaurant in Bagdad 8 1⁄3 Pfg. In Kesker konnte man
1224 n. Chr. 24 fette große Brathähne um 1
Frs. kaufen. Im Verhältnis zu diesen Ziffern
muß der Preis für Brotgetreide
(Weizen und Gerste) als verhältnismäßig
hoch bezeichnet werden, wenn er für die Zeit der
Erbauung von Bagdad auf 50 bis 60 Mk. per 1000 Kilo
angegeben wird. Eine naheliegende Erklärung
hierfür bietet sich in der Tatsache, daß
Getreide eine hohe Steuer zu tragen hatte, während
die Produkte der Viehhaltung unbesteuert blieben. Im
Ganzen aber bestätigen all diese Ziffern nur immer
wieder: die arabisch-islamische Kultur war nicht auf der
Arbeit des Volkes, sondern auf dem organisierten Raub der
herrschenden Klasse aufgebaut. Deshalb hatte die Masse
der Beherrschten so wenig Anteil an derselben.
§ 19. Entsprechend dieser ganz
außergewöhnlichen Zunahme des Reichtums der
herrschenden Klasse war auch die Größe
des Luxus. Wiederholt wird von Privatpalästen
berichtet, deren Bau einen Aufwand von 20 Millionen
Franken und mehr erforderte. Es wird von Torflügeln
erzählt aus Ebenholz mit Goldblech. Als Baumaterial
wird vielfach Marmor bevorzugt. Im Empfangsraum speisen
Löwen aus Gold das Wasserbecken. Dazu kostbare
Teppiche, Stuckarbeiten, chinesische Vasen, Lacksachen,
goldene Kandelaber und kostbare Möbel. Die Kochkunst
wird so hoch geschätzt, daß ein
Abbassidenprinz sich nicht zu gut dünkt, ein
Kochbuch zu schreiben. Ein Gericht aus Fischzungen kostet pro Person 1000 Frs.
Feine Parfümerien werden mit Gold aufgewogen. Die
Damenhemden sind aus feinem venetianischem Gazestoff
verfertigt. Eine Tapete, welche im Jahre 964 n. Chr.
für den Fatamidenpalast nach Aegypten geliefert
wird, kostete 220'000 Frs. [Für]
junge, besonders schöne Sklavinnen, welche in der
Musik- und in der Tanz- und Dichtkunst gut unterrichtet
sind, werden bis 80'000, 100'000 und 170'000 Frs.
bezahlt. Ein Liedercyklus, den ein Sänger vor dem
Chalifen vorgetragen, bringt ein Honorar von 300'000 Frs.
Bei der Hochzeit eines Chalifen wurden über die als
Gäste geladenen Damen Körbe mit großen
echten Perlen als Geschenke ausgeschüttet. Unter die
gleichfalls geladenen Großen des Reiches und hohen
Offiziere hat man kleine Papierstreifen ausgestreut, auf
welchen die Namen großer Grundbesitzungen
verzeichnet waren. Wer einen solchen Zettel sich
aneignete, war Eigentümer der betreffenden
Grundherrschaft geworden. Andere Zettel trugen die
Bezeichnung von Reitpferden, Sklaven u.s.w. Es wird von einem Handspiegel aus
Silber und Gold berichtet, dessen Handhabe ein einziger
großer Smaragd war. In dem Chalifenpalast zu Bagdad
befand sich ein goldener Garten, dessen Bäume aus
Gold statt der Früchte Edelsteine trugen und dessen
Blumen und Vögel aus Gold mit
Schmelz hergestellt waren.
§ 20. Mit dem Reichtum und mit dem Luxus ist
immer auch eine gewisse Blüte der
Kultur verbunden. Gesättigte und zufriedene
Existenzen sind duldsam gegen
Andersgläubige. Wir finden in den besten Zeiten der
islamischen Geschichte die Vertreter der verschiedenen
Religionsbekenntnisse friedlich mit einander im Verkehre
stehen. Die dadurch geförderte größere
Unbefangenheit des Urteils mußte mit dem regeren
Meinungsaustausch auf der Basis der reichen Mittel,
welche zur Verfügung standen, zu tüchtigen
Leistungen auf verschiedenen Wissensgebieten führen. Die Ueberlieferung
berichtet denn auch von einer Reihe berühmt
gewordener Hochschulen, auf denen neben der
Theologie die Jurisprudenz, die Grammatik, die
Philosophie, die Geschichte, die Geographie, Mathematik,
die Kulturwissenschaften und die Medizin gepflegt wurden.
Einsichtsvolle Regenten waren bemüht, die besten
wissenschaftlichen Werke fremder
Kulturvölker durch Uebersetzungen ins Arabische dem
Volke zugänglich zu machen. So sind namentlich die
Werke der griechischen Autoren den Arabern bekannt
geworden. Auf Vervollständigung der
Bibliotheken wurden z.T. ganz besondere Mühen verwendet. Die
Bibliothek von Cordova soll 400'000 Bände
gezählt haben. Aber auch die allgemeine
Volksbildung wurde in einzelnen Teilen des Reiches
gepflegt. Aus Spanien wird für das Jahr 960 n. Chr.
erzählt, daß in Andalusien fast
Jedermann lesen und schreiben konnte, während
gleichzeitig im übrigen Europa selbst hochgestellte
Personen, soweit sie nicht der Kirche angehörten,
über diese elementaren Fertigkeiten nicht
verfügten. Die höhere
landwirtschaftliche Kultur des damals
herrschenden Orients hat in Europa wie in Afrika ihre
deutlichen Spuren zurückgelassen. Mit der
Ausdehnung, Einrichtung und Organisation des
arabischen Welthandels konnte sich um das Jahr 750
n. Chr. der Handel keines anderen Reiches der Erde
vergleichen. Nicht minder haben sich Gewerbe
und Industrie ausgebreitet. Die arabische
Papierfabrikation aus Baumwolle hat im XI. und XII.
Jahrhundert das Pergament in Europa verdrängt. In
der Herstellung seidener Prachtgewänder mit
Goldfäden hatten Irak und Syrien ein
tatsächliches Monopol. Dazu kommt die Herstellung
besonders wertvoller Teppiche und Tapeten, von kostbaren
Möbeln, köstlichen Wohlgerüchen, von
schönen Buchbinderarbeiten, kunstvollen Zelten, von
berühmten Waffen und Rüstungen u.s.w.
§ 21. Für die
Volkswirtschaftslehre bietet noch die Tatsache ein
besonderes Interesse, daß auch die arabische Welt
— ähnlich der griechischen — zu einer
Zeit, in welcher der Untergang des Reiches schon
besiegelt war, den Aristoteles der arabischen Kultur
hervorgebracht hat: Ibn Chaldun. Geboren zu
Tunis im Jahre 1332 n. Chr., aus einer angesehenen
Familie des spanischen Arabien stammend, mit den
Verhältnissen fast der ganzen arabischen Welt aus
persönlicher Augenscheinnahme bekannt, starb er im
Jahre 1406 n. Chr. als Oberrichter und Sekretär des
Sultans in Kairo. Professor von Kremer hat ihn den ersten
kritischen Kulturhistoriker mit induktiver Methode
genannt. Sein Hauptwerk beschäftigt sich mit dem
großen volkswirtschaftlichen Problem des
Fortschritts und Niederganges der Völker. Seine
Endresultate klingen in einem heute noch vielfach
vertretenen Pessimismus aus: jedes Reich und jedes Volk
geht nach einer bestimmten Zeit zu Grunde. Seine
diesbezüglichen Untersuchungen ruhen auf einer
ungewöhnlich umfassenden Basis. Er
berücksichtigt die geographische Lage des Landes,
Sitte, Moral, Religion, privates und öffentliches
Recht, die Zeitverhältnisse, die Rassenfrage, die
Landesverteidigung und ganz besonders die
volkswirtschaftlichen Verhältnisse. Er untersucht
das Geld bis in die letzten Konsequenzen der
Kapitalistenherrschaft, die Bevölkerungsfragen mit
der Brotversorgungspolitik und der öffentlichen
Gesundheitspflege, er beschäftigt sich mit der
Steuerpolitik und dem Finanzwesen, mit den
Staatsmonopolen, der Agrarpolitik, der Handels- und
Händlerpolitik. Schon Ibn Chaldun kennt den
Unterschied zwischen Tauschwert und Gebrauchswert. Er
schreibt sehr viel zutreffendes über Luxus und
Reichtum. In seiner Getreidepreispolitik will er zu
niedrige und zu hohe Getreidepreise gleich sehr vermieden
wissen, ohne dabei zu vergessen, daß ein guter
Markt für Getreide im Interesse des ganzen Volkes am meisten zu wünschen
sei. Wenn der Getreidebau viel einbringt, zieht der Staat
den meisten Nutzen daraus. Hier finden sich deutlich die
Elemente der Ricardo’schen Grundrententheorie. Die
Arbeitsteilung wird eingehend als wichtige Quelle des
Reichtums und der Kultur behandelt. Und selbst der
Begriff „Lieferwaren“ unserer modernen
Börsenusancen findet sich schon bei Ibn Chaldun. Wie
Professor Kohler moderne Rechtsfragen mit entschiedenem
Vorteile für unsere Kenntnisse an den Entscheidungen
und Theorien der alt-islamischen Juristen gemessen hat,
so kann auch unsere nationalökonomische Wissenschaft
nur gewinnen, wenn sie endlich beginnt, sich mit den
Ausführungen des Ibn Chaldun näher bekannt zu
machen.
§ 22. Der Chalife Omar I., den wir
bereits als Organisator des arabisch-islamischen
Weltreiches kennen gelernt haben, hatte als sein
Testament folgende Regierungsätze
hinterlassen: „Ich empfehle meinen Nachfolgern die
Fluchtgenossen und Hülfsgenossen des Propheten, die
Bewohner der militärischen Standlager, die
Einsammler der Steuern. All diesen sollten nur solche
Steuern auferlegt werden, als sie freiwillig zahlen. Ich
empfehle die Beduinen, die die Wurzel der Araber und der
Kern des Islam sind, sie sollen ihre Armensteuern unter
ihre Armen verteilen. Die Verträge mit den
Ungläubigen soll man halten und sie nicht zu sehr
mit Steuern belasten.“ Auf seinem Sterbebette
schlägt Omar I., mit Umgehung seines eigenen Sohnes,
Othmann als seinen Nachfolger vor. Als er
die Liste der Staatsdotationen festsetzte, riet ihm seine
Umgebung, in seiner Eigenschaft als Chalife sich an
erster Stelle zu bedenken. Er tat es nicht, sondern
setzte an erste Stelle die Witwen des Propheten, um sich
selbst an zweiter Stelle, in der gleichen Reihe mit einer
größeren Zahl seiner Glaubensgenossen mit etwa
der halben Summe zu begnügen. Man ersieht aus
alldem: innerhalb des von Muhammed einmal gegebenen
Raubrechtes war Omar in ehrlicher
Weise bemüht, dem menschlichen
Gerechtigkeitsempfinden treu zu bleiben und auch die
Henne nicht zu schlachten, welche die goldenen Eier in
das „Schatzhaus der Muslime“ legen sollte.
Die große Mehrzahl der im Staate maßgebenden
Gläubigen liebte eine weniger ideale
Lebensauffassung. Kaum hatte Muhammed die Augen
geschlossen, als auch die zentralarabischen Stämme
bereits die Erklärung nach Medina schickten, sie
wollten zwar beim Islam bleiben, aber keine Armensteuer
mehr zahlen, m.a.W. sie wollten die
Vorteile des Islam genießen, aber möglichst
ohne Gegenleistung ihrerseits. Was vielleicht noch
bedenklicher war: es fanden sich jetzt schon
falsche Propheten, welche die Methode
Muhammeds nachzuahmen versuchten, um als direkte
Beauftragte Gottes eigene Religionsanhänger zu
gewinnen und durch deren Hülfe zu politischer Macht
und vielleicht auch zu ökonomischem Reichtum zu
gelangen. Von da an bis in unsere Tage wird die
muhammedanische Welt immer wieder von
Unternehmern heimgesucht, welche den
Prophetenberuf als ein ausgezeichnetes
Geschäft betrachten und in der Tat oft genug
dabei ausgezeichnete Geschäfte machen. Der erste
Chalife Abu Bakr verstand solchen
Bestrebungen gegenüber keinen Spaß. Seine
Antwort an die zentralarabischen Stämme lautete:
„Unbedingte Unterwerfung unter den
Islam oder Krieg bis zur Vernichtung!“ Der Ausgang
der Schlacht bei Akraba hat seiner Politik zunächst
Recht gegeben. Aber das Blut, das hier vergossen wurde,
um die heidnisch-arabischen Stämme unter die Fahne
des Islam zu zwingen, war deshalb nicht vergessen. Denn
trotz des Koran hielten die Araber auch weiter an ihrem
alten Grundsatze fest: „Meine Rache muß ich
haben und sollte die Welt darüber zu nichte
gehen!“ Die Gelegenheit zur reichlichen Heimzahlung
an die frommen Herren von Medina boten nur zu bald die habgierigen Pläne von
Mitgliedern der Familie Koreisch, der bekanntlich auch
der Prophet entsprossen war, und für welche der
Koran eine besondere Anweisung auf die
geschäftlichen Erträge des islamischen
Unternehmens enthielt.
§ 23. Der Nachfolger von Omar I. war
Othmann geworden, ebenfalls ein Koreischite.
Er war nicht blind jenen schamlosen Diebstählen
gegenüber, deren sich die arabischen Herren im neuen
islamischen Reiche befleißigten. Sein Streben war
deshalb darauf gerichtet, vor allem die Steuereinhebung
von den Funktionen der Statthalter in den Provinzen zu
trennen. Der Statthalter von Aegypten Amr
schrieb ihm darauf ganz offen: „Wenn hier ein
Anderer die Steuer einzieht, dann bin ich in der Lage
eines Mannes, welcher die Kuh bei den Hörnern
festhält, während ein Anderer sie melkt.“
Othmann war zu schwach, um den verdienten General,
welcher Aegypten dem Islam erobert hatte, die Staatskuh
nicht weiter melken zu lassen. Diese seine
persönliche Gutmütigkeit ließ die
Ansprüche seiner nächsten mekkanischen
Verwandten immer maßloser werden. Seinem Vetter,
dem „armen Schlucker“ Moawija,
gab er den Statthalterposten für Syrien in Damaskus
und schenkte ihm die in Syrien gelegenen
Staatsdomänen, deren Erträge
bisher in die Staatskasse geflossen waren. Othmann
durchbrach somit das so wichtige Omar’sche
Staatsgrundgesetz, wonach kein Araber außerhalb
Arabiens Grundbesitz erwerben sollte. Auch die
übrigen guten Staatsämter besetzte er mit
seinen Verwandten und Günstlingen, welche alle wie
die Raben gestohlen haben. Das Omar’sche System der
Jahresdotationen aus der Staatskasse an die
Gläubigen wurde damit durchbrochen. Die Einnahmen
der Staatskasse genügten bald nicht mehr für
die Auszahlungen, an welche sich die Gläubigen nur
zu rasch gewöhnt hatten. Die Masse der
Gläubigen sah sich gegenüber den
Verwandten und Günstlingen Othmann’s
entschieden benachteiligt. Die Unzufriedenen sammelten
sich in Medina, stürmten das Haus des Chalifen und
als der alte Herr nicht abzudanken beliebte, wurde er
ermordet. Zu seinem Nachfolger hat man den
strenggläubigen Ali, Schwiegersohn des
Propheten Muhammed, (656 n. Chr. ) ausgerufen.
Mit dieser Wendung der Dinge war natürlich die in
fette Staatspfründen eingewiesene mekkanische
Aristokratie nicht einverstanden. Der Statthalter von
Damaskus Moawija verweigerte die Anerkennung
des neuen Chalifen und bereitete sich mit seinen ihm
ergebenen syrischen Truppen auf den Kampf vor. Der
schlaue Amr in Aegypten schloß sich
Moawija an. Ein anderer Statthalter Ja Ala
nahm aus seiner Provinz die wohl gefüllte
Staatskasse mit nach Mekka, wo sie als Kriegskasse gegen
Ali und seinen Anhang diente. Kräftigen Zuzug
erhielten die nimmersatten Mekkaner aus den Reihen der
durch die Schlacht bei Akraba zum Islam gezwungenen
zentralarabischen Stämme. Der blutige
Bürgerkrieg dauerte von 656—661 n. Chr. Durch
die bessere List und größere Verschlagenheit
siegten die religionslosen Geschäftsleute über
die ehrlicheren Gläubigen. Ali wurde ermordet und
dem Sieger Moawija gehörte die Beute: das Chalifat
von 661—680 n. Chr. Er verlegte den Regierungssitz
des Reiches aus der heiligen Stadt Medina, nach dem
weniger heiligen, aber prächtig gelegenen Damaskus.
Die Herrschaft der Omaijaden-Chalifen hatte
begonnen.
§ 24. Eben diesem Moawija hatte Keis Ibn
Ssaad in einem Briefe geschrieben: „Du bist
nichts als ein mekkanischer Götzendiener, ungern
bist Du in den Islam ein- — gern wieder
ausgetreten.“ Der Götze, welchen dieser
Nachfolger der Propheten und Fürst der
Gläubigen anbetete, war das goldene Kalb. Mit
wenigen Ausnahmen haben die Mitglieder der
Omaijadenfamilie keinen Hehl daraus
gemacht, daß ihnen die religiösen Vorschriften
des Islam lästig seien. Als lustige Lebemänner
und unersättliche Zecher zogen sie es vor, sich
durch das fünfmalige tägliche Gebet und durch
die Freitagspredigt nicht immer stören zu lassen.
Der Chalife Jezyd I, Sohn und Nachfolger des
Moawija, ließ sich in der Moschee durch den
Obersten seiner Leibgarde vertreten. Walid I
(705—715 n. Chr. ) soll sogar eine verkleidete
Haremsdame als Vertreterin an seiner Stelle in die
Moschee geschickt haben. Mit der Freiheit und Gleichheit
der Araber war es jetzt vorbei. Der kluge, schlaue
Absolutismus mit Gift und Dolch und ohne moralisches
Gewissen war mit Moawija zur Herrschaft gekommen. Seinen
Sohn Jezyd hatten die Araber schon 670 n. Chr. als seinen
Nachfolger im Chalifate nicht mehr zu wählen,
sondern nur auf Befehl anzuerkennen. Dabei wurden in der
Moschee neben jede zweifelhafte Persönlichkeit zwei
Soldaten mit entblößten Schwertern gestellt,
welche den Auftrag hatten, den Betreffenden im Falle
einer Verweigerung der Anerkennung sofort nieder zu
hauen. Die Strenggläubigen waren
natürlich diesem Chalifen ein Dorn im Auge. Aus
irgend welchem Anlaß wurden bald hier bald dort
Vertreter dieser Richtung aufgegriffen, hingerichtet und
ihr Vermögen zu Gunsten der Staatskasse und damit
vor allem zu Gunsten des Chalifen konfisziert. Doch die
arabische Rache blieb auch jetzt nicht aus. Nach jeder
Hinrichtung dieser Art war am folgenden Tage der
Vollstrecker eine Leiche.
§ 25. Schonender behandelte Moawija die
Geldgier des Volkes. Die von Omar I angesetzten
Staatsdotationen wurden wieder ausgezahlt, nachdem in dem
vorausgegangenen Bürgerkriege die Zahl der zu den
höchsten Bezügen Berechtigten gelichtet war.
Diese Dotationen wurden auch dadurch etwas gekürzt,
daß man die 2 1⁄2% der Armensteuer bei der
Auszahlung zurück behielt. Um trotzdem
tunlichst reiche Mittel für den Chalifen übrig
zu behalten, wurde das Finanzwesen streng
geordnet. In der Steuererhebung wurden den
Statthaltern der Zentralkasse gegenüber in der Weise
die Hände gebunden, daß Moawija das Steuersoll
jeder Provinz einschätzte und vom Statthalter die
Ablieferung dieser Summe alljährlich verlangte. Es
ist begreiflich, daß der habgierige Chalife in
diesen seinen Steuereinschätzungen nicht niedrig zu
greifen gewohnt war. Die Provinz Irak z.B. hatte danach jährlich 100 Millionen
Franken zu zahlen. Durch welche Erpressungen diese Summen
aufgebracht wurden, war dem Chalifen gleichgültig.
Wo es nötig war, wurden einfach durch
Vermögenskonfiskationen bei den Reichsten die
Barbestände der Steuerkassen ergänzt. Eine
bessere Ordnung des Münzwesens, die erste
Organisation der Reichspost, welche zugleich die Aufgaben
der Geheimpolizei zu besorgen hatte, traten
ergänzend hinzu. Und nachdem das Chalifat
genügend gesichert schien, wurde auch wieder der vom
Propheten befohlene „heilige Krieg“ gegen die
Ungläubigen in Szene gesetzt.
Transoxanien und Chorassam
wurde erobert. Bis nach dem Indus drangen die siegreichen
Heere vor. Der Raubzug gegen das byzantinische Reich
führte zur ersten Belagerung von
Konstantinopel, die freilich erfolglos blieb.
§ 26. Nach dem Tode des
gefürchteten Moawija (680 n. Chr.)
begann der Bürgerkrieg von neuem
aufzulodern. Die frommen Muslime wollten keinen
Glaubenslosen als „Fürst der
Gläubigen“ haben. Man hatte Jezyd
freilich im Jahre 670 n. Chr. als Nachfolger des Chalifen
anerkannt. Aber diese Anerkennung konnte mit Recht als
eine erzwungene bezeichnet werden. Man hielt sich deshalb
durch dieselbe nicht gebunden. Von der Gegenseite wurde
daraus gefolgert, daß Eide überhaupt nicht
mehr bindend seien. Und bald ließ man Eide, die einigermaßen als
haltbar gelten sollten, fünfzig mal schwören.
Dieser zweite Krieg der Strenggläubigen zur
Beseitigung der Herrschaft der Glaubenslosen dauerte 13
Jahre (680—693 n. Chr.). Er wurde mit höchster
Erbitterung geführt und endete abermals mit dem
Siege der Omaijaden. Von den Soldaten des Chalifen, unter
der Führung eines heidnischen Arabers, welcher seine
Rache für Akraba an der Familie des Propheten haben
wollte, wird Hussein, der Sohn des Ali und
Enkel des Propheten mit den besten Freunden der
Prophetenfamilie bei Kerbela hingeschlachtet
und der Kopf des Hussein an den Chalifen nach Damaskus
geschickt. Auf dem Zuge gegen die heilige Stadt Medina,
dem Hauptsitze der orthodoxen Partei, wurde den Soldaten
des Chalifen doppelte Löhnung gegeben, Medina
zerstört, die Moschee des Muhammed geschändet
und 2400 Hülfsgenossen des Propheten mit 2300
strenggläubigen Koreischiten niedergemacht, der Rest
der Bevölkerung in die Sklaverei abgeführt.
Auch Mekka wurde belagert und selbst die Kaaba nicht
geschont. Mit solchen Ereignissen wurde der
Religionskrieg eingeleitet. Wenige Jahre später fand
sich ein neuer Prophet, welcher sich
für einen Sohn des Ali ausgab und an den
Glaubenslosen ein Rächer für Hussein werden
wollte. Auch die ehrgeizigen Mekkaner schlossen sich
diesem neuen Unternehmen an, das 687 n. Chr. im Blute
erstickt wurde. Inzwischen war der Säufer Jezyd I.
nach dreijähriger Regierung gestorben. Sein
schwacher Sohn Moawija II. war nach einer
Regierung von nicht ganz einem Jahre aus dem Wege
geräumt worden. Der dann folgende Chalife
Merwan II. (683—685 n. Chr.) fand
durch die Hand seiner Gattin seinen Tod. Erst mit
Abdalmelik I.
(685—705 n. Chr.), dem größten der
Omaijaden-Chalifen, der wenigstens sein Gewissen mit
keinem Giftmord belastet hat, beginnt allmählich die
Beruhigung des Reiches, die im Jahre 693
n. Chr. zur Einigung der Parteien
führte.
§ 27. Solche Religionskriege mit dem raschen
Wechsel der Chalifen mußten die Finanzen des
Reiches tief erschüttern. Von dem Bezug der von Omar
I. ausgesetzten Staatsdotationen war längst keine
Rede mehr. Die Einnahmen der Staatskasse reichten nicht
einmal aus. den Truppen der Regierung ihren Sold zu
zahlen. Zu Beginn seiner Regierung
mußte sich Abdalmelik dazu verstehen, die von
Byzanz drohenden räuberischen Einfälle durch
besondere Tributleistungen abzuwenden, um sich so den
Rücken zu sichern, und alle vorhandenen
Streitkräfte endlich zur Niederwerfung der
heimischen Gegner zusammenfassen zu können.
Außergewöhnliche Dienste wurden hierbei dem
Chalifen von einem Schulmeister aus einem
persischen Gebirgsdorfe mit Namen Haggag
geleistet, den Abdalmelik auf seinem Heereszuge
persönlich kennen gelernt und sofort zum
Heerführer und Statthalter der so wichtigen Provinz
Irak ernannt hatte. Mit eisernem Besen hat dieser
Neumuslim in die, durch lange Religionskriege sehr
verwilderten Staatsverhältnisse Ordnung gebracht.
Wer unter seinem Regiment als Muslim vom Kriegsdienste
sich drücken wollte, wurde sofort hingerichtet. Aber
mit der politischen Ordnung und Unterwerfung des Volkes
allein war noch nicht den jetzt wesentlich
veränderten ökonomischen
Verhältnissen Rechnung getragen.
§ 28. Die Araber hatten unter ihrem Propheten und
den ersten beiden Chalifen gelernt, daß das
islamische Reich eine Einrichtung zu ihrer
ökonomischen Versorgung sei. Sie haben den
vierten Chalifen ermordet, weil er sich eine merkliche
Verschiebung dieser Organisation zu Gunsten seiner
Verwandten und Günstlinge gestattete. Die weitere
Folge dieses politischen Mordes war die Unterwerfung der
Araber unter das absolute Regiment der
Omaijaden, deren Herrschaft in zwei Religionskriegen, von
denen der erste 6, der zweite 12 Jahre dauerte, nicht
gebrochen wurde. Wollte jetzt Abdalmelik die innere Ruhe
herstellen, so durfte er seine Aufgabe nicht allein in
der Niederwerfung der noch vorhandenen bewaffneten
Oppositionspartei erblicken. Er mußte vielmehr als
kluger Fürst außerdem darnach streben, die
materiellen Interessen der Araber wieder in irgend
welcher Form mit der Existenz des islamischen Reiches zu
verknüpfen.
Eines dieser Mittel war der Erwerb von
landwirtschaftlichem Grundbesitz. Zu Gunsten der
Omaijaden war ja das Verbot Omars I., außerhalb
Arabiens als Muslim Grundbesitz zu erwerben, aufgehoben
worden. Unter den Omaijaden hatte dann dieser Grunderwerb
in den eroberten Ländern so zugenommen, daß
die Provinz Irak als „Garten der
Koreischiten“ bezeichnet wird. Mit diesem
landwirtschaftlichen Besitz war
keineswegs die landwirtschaftliche Erwerbstätigkeit
verbunden. Alles Land war vielmehr wieder an Bauern
verpachtet. Auch dieser Erwerb von
Großgrundbesitzungen spielte sich hier häufig
in jenen räuberischen Formen ab, welche die deutsche
Sprache mit „Bauernlegen“
bezeichnet. An Abgaben an den Staat hatte der Araber von
diesen Latifundien den Zehent zu leisten. Rechnen wir
also durchschnittlich eine Einnahme aus der Pachtleistung
des Bauern gleich 1⁄2 des
Bruttoertrages und ziehen davon die nur zu häufig
von den Arabern garnicht gezahlte Staatssteuer gleich
1⁄10 des Ertrages ab, so
blieb dem Grundherrn eine arbeitslose Rente in der
Höhe von 4⁄10 des aus
dem Boden durch die Arbeit der Bauern
herausgewirtschafteten Ertrages. Die Herren Araber waren
durch entsprechend große Grundbesitzungen ganz gut
versorgt.
§ 29. Nun hatte aber auch diese Medaille
ihre Kehrseite. Nach den Grundsätzen ihrer
Religion hatten alle
Gläubigen gleiche Rechte. Omar I. hat deshalb den
Neubekehrten den gleichen entsprechenden Anteil an den
Staatsdotationen zugewiesen und gleichzeitig auch von
ihnen verlangt, daß sie auf ihren Grundbesitz zu
Gunsten ihrer bisherigen Glaubensgenossen verzichteten,
um die Staatseinnahmen aus der wesentlich höheren
Grundsteuer der Besiegten nicht zu schmälern. Wenn
aber inzwischen den Arabern gestattet wurde,
außerhalb Arabiens Grundbesitzer zu werden, dann
konnte es den Neubekehrten im Lande nicht verboten sein,
Grundbesitzer zu bleiben. Die Steuererleichterung aber,
welche durch den Uebertritt zum Islam und der
Verpflichtung der Gläubigen nur zur Zahlung des
Zehnt, wahrscheinlich auf 1⁄3 und 1⁄4 der bis dahin gezahlten
Grundsteuer herabgegangen wäre, ungerechnet die
gleichzeitige Befreiung von der Kopfsteuer, hätte
mit der längeren Dauer der arabischen Herrschaft die
Neubekehrungen immer mehr anwachsen lassen. Der Umstand,
daß mit Haggag ein Neumuslim
Vorbeter in der Moschee und Statthalter
geworden war, mag diesen Bekehrungsprozeß aus
ökonomischen Gründen noch mehr angeregt haben.
Die Interessen der Staatskasse waren indeß mit
diesen Vorgängen kaum in Einklang zu bringen. Denn
der Gewinn, den der Islam mit den Neubekehrten als
Zuwachs seiner Anhänger gemacht hat, bedeutete
für die Steuereinnahme einen entsprechenden Verlust.
Wenn nun auch den Arabern gegenüber in diesem Falle
wieder ein Auge zugedrückt wurde, weil sie in dem
Erwerb von größeren Grundbesitzungen einen
Ersatz für die verloren gegangenen Staatsdotationen
fanden, den Neubekehrten gegenüber konnte der rein
fiskalische Standpunkt um so leichter vertreten werden,
je weniger die herrschende Familie der Omaijaden sich um
die Bestimmungen des Koran kümmerte. So erschien
denn im Jahre 700 n. Chr. das Gebot, daß
durch den Uebertritt zum Islam keinerlei Veränderung in den
Steuerverpflichtungen bedingt sei. Die
Neubekehrten hatten nach wie vor die Grundsteuer der
Besiegten und die Kopfsteuer zu zahlen.
§ 30. Damit man daraus nicht etwa den
Schluß ziehen konnte, es sei der Regierung des
„Fürsten der Gläubigen“ weniger um
die Gewinnung neuer Glaubensgenossen und mehr um die
Erhaltung und Erhöhung der Steuereinnahmen zu tun,
kam jetzt eine andere Methode in der Behandlung der
Ungläubigen zur Anwendung. Die nach den
Grundsätzen der Omar’schen Politik der Duldung
mit den Ungläubigen abgeschlossenen Kapitulationen
wurden aufgehoben. Ihre Kirchen und Tempel wurden
niedergerissen. Das Vermögen der Reichsten unter
ihnen wurde zu Gunsten der Staatskasse konfisziert.
Christen, Juden und Perser mußten schon
äußerlich durch ihre Kleidung als Nichtmuslime
sich kenntlich machen. Die Angehörigen dieses
Religionsbekenntnisses wurden aus allen Staatsämtern
entlassen, um die so freigewordenen Versorgungsstellen
künftig nur mit Muslime zu besetzen. Nur im Berufe
der Aerzte und der Geldwechsler
wurden Andersgläubige fortan noch geduldet. Die
innere Notwendigkeit dieser politischen Wendung ist klar.
War man aus fiskalischen Gründen gezwungen, die
Neubekehrten schlechter zu behandeln als die Alt-Muslime,
so mußten zum Ausgleich im Interesse des Islam die
Nichtmuslime um einige Grade schlechter behandelt werden.
Namentlich die Araber haben auch jetzt wieder die
für sie frei gewordenen oder neu geschaffenen
Staatsstellen mit dem ihnen in so hohem Grade eigenen
Verständnis verwaltet. Ein Staatskommissar, welcher
den Auftrag erhalten hatte, die Feuertempel der Perser im
Reiche zu zerstören, wußte bei Erfüllung
seiner Mission 40 Millionen Franken zu erübrigen.
Die Feuertempel der armen Kultusgemeinden wurden
zerstört, wo aber reiche Gemeinden entsprechende
Ablösungssummen zahlen
konnten, blieben die zum Abbruch bestimmten Tempel
unberührt.
§ 31. Daß speziell den Bauern
gegenüber mit der Steuerschraube über
das bereits erreichte Maß nicht hinausgegangen
werden könne, ohne die Staatseinnahmen selbst auf
das Schwerste zu schädigen, hat der tüchtigste
Statthalter Abdalmelik’s
Haggag in der reichsten Provinz Irak bald
genug erfahren. Nachdem die Jahreseinnahmen aus der
Grundsteuer zunächst auf 118 Millionen Franken
gestiegen waren, gingen sie infolge der neuen
Steuererhöhungen auf 40, nach anderen Quellen sogar
auf nur 16 Millionen Franken zurück. Die weitaus
größte Einnahmequelle des Staates war
nämlich die auf dem Getreidebau ruhende Grundsteuer.
Als diese Abgabe so sehr erhöht wurde, daß die
Bauern, trotz solidarischer Steuerhaftpflicht der
Gemeinden, sie nicht mehr tragen konnten, ließen
sie die Felder brach liegen und ernährten sich von
der Viehhaltung. Haggag verfiel dann auf das Mittel, den
Bauern das Schlachten der Rinder für den eigenen
Bedarf zu verbieten. Aber die Erträge der
Grundsteuer in Irak haben sich doch erst nach Haggag
unter der milderen Regierung Omars II. (717—720)
wieder auf 120 Millionen Franken gehoben.
Unter solchen Umständen blieb immer noch
ein neuer Raubzug in die Länder der
Ungläubigen am dankbarsten. Nachdem im Jahre
693 n. Chr. die Einigung der Muslime geglückt war,
wurden unter Abdalmelik und Walid
I. (705—715) die Eroberungszüge nach
Osten wie nach Westen fortgesetzt. Das Unternehmen gegen
Indien kostete jährlich 60 Millionen
und brachte eine jährliche Einnahme von 120
Millionen. So wurden jetzt Turkestan, Cilicien,
Armenien, Kleinasien, Sardinien, die
Balearen und der größere Teil von
Spanien dem arabisch-islamischen Weltreiche
einverleibt und eine außerordentlich
reiche Kriegsbeute eingeheimst. Das Chalifat
erreichte damit die größte Ausdehnung als
einheitliches Reich.
§ 32. Trotzdem ging die Omaijadenherrschaft
bereits ihrem blutigen Ende entgegen. Die
Eroberungen in den Ländern der Ungläubigen mit
dem Ertrage der Kriegsbeuten erreichten allmählich
ihre natürlichen Grenzen. Den
fortgesetzten Angriffen der Muslime gegenüber
zeigten sich die Mauern von Konstantinopel
noch bis zum Jahre 1453 überlegen. Ganz Nordafrika
und den größeren Teil von Spanien konnten die
Araber erobern. Als sie aber durch die baskischen
Pässe nach Südfrankreich einfielen, begegneten
sie der Kriegsmacht des Frankenreiches unter
Karl Martell. Nach der Schlacht
zwischen Tours und Poitiers (732 n. Chr.) war von
einem weiteren Vordringen der islamischen
Waffen nach dieser Seite keine
Rede mehr. Durch die fortgesetzten Eroberungen war auch
das Islamische Reich bereits zu groß geworden. Ein
Ländergebiet von mindestens der
Flächenausdehnung des europäischen Kontinentes
ließ sich, trotz der vorzüglich organisierten
Reichspost, auf die Dauer von einer Stelle
aus durch eine Hand nicht leiten. Schon im Jahre 756 n.
Chr. löst Abderrachmann I. Spanien als
Chalifat von Cordova vom einheitlichen Reiche ab
und wenig über 50 Jahre später ist der
Abbröckelungsprozeß im Reiche
allgemein. Bevor noch diese Ereignisse eintraten, zeigten
sich immer deutlicher in der Familie des Omaijaden
die Symptome der Degeneration.
§ 33. Das jährliche Einkommen des
Chalifen mit 300 bis 400 Millionen Franken war zu
groß, um nicht maßlose Genußsucht auf
Seiten des Regenten und gefährlichen Neid selbst
innerhalb der herrschenden Familie aufkommen zu lassen.
Die einzelnen Familiengruppen der
Omaijaden bekämpften einander um das Chalifenamt und
sein Einkommen und benutzten dabei in der üblichen
Weise Gift und Dolch, um die Regierungszeit des
jeweiligen Herrschers tunlichst abzukürzen. Jetzt
erst wurde das scheußliche System der
Haremswirtschaft eingeführt. Das
übermäßige Einkommen der Reichen hatte
gewinnsüchtige Unternehmer ein Geschäft daraus
machen lassen, junge, besonders hübsche Sklavinnen
zu erwerben, sie in den raffiniertesten Künsten der
Verführung besonders zu unterrichten und dann zu
Preisen bis 170'000 Francs an einen Liebhaber zu
verkaufen. So kam die altgriechische
Hetärenwirtschaft wieder auf. In
gleichem Maße hielt man es für nötig, die
legitimen Frauen durch die tausende, aus dem christlichen
Byzanz erst bezogenen Eunuchen im Hause
streng bewachen zu lassen. Es nützte wenig,
daß die gleichzeitige arabische Literatur die volle
Schale ihres Zornes über diese so bedenklichen
Neuerungen gegossen. Selbst die Chalifen waren jetzt
meist Söhne griechischer und persischer Sklavinnen.
Mit den Eunuchen übernahm man aus Byzanz bald auch
das altgriechische Laster der Knabenliebe.
Die Sitten wurden immer roher, die Stellung der Frau eine
immer ungünstigere. Die Auffassung politischer
Verpflichtungen dem Gemeinwesen gegenüber reduzierte
sich bis zu dem Maße, daß die Schmeichler und
Günstlinge des Chalifen Hischam
(724—743 n. Chr.) es für überflüssig
hielten, die ihnen übertragenen Statthalterposten in
den Provinzen persönlich anzutreten. Sie blieben
vielmehr in der herrlichen Residenz am wasserreichen
Baroda, amüsierten sich auch ferner mit dem Chalifen
und schickten nach den bedauernswerten
Provinzen selbst beglaubigte Procuratoren,
die nur den Auftrag hatten, die Taschen ihrer Herren
möglichst zu füllen. Daß sie dabei ihre
eigene Tasche nicht vergessen haben, war
selbstverständlich. Es kann kaum überraschen, daß unter
solchen Umständen die Statthaltereien einzelner
Provinzen es bald unterlassen haben, irgend welchen
Ueberschuß an die Zentralstaatskasse
abzuführen.
§ 34. Mitten in dieser Regentenreihe der
Schlemmer und Prasser steht der einfache, milde, gerechte
und fromme Omar II. (718 bis 719 n. Chr.)
Die Strenggläubigen hatten
große Hoffnungen auf ihn gesetzt. Jedenfalls war er
ehrlich bemüht, in Recht und Sitte zu den
Grundsätzen des Propheten und der ersten Chalifen
zurück zu kehren. Ueberall sollte die alte
Einfachheit wieder eingeführt werden. In der
überprächtigen Moschee zu Damaskus wurden alle
kostbaren Prunkstücke verhüllt. In der
Verwaltung der Staatsangelegenheiten sollten wieder Recht
und Gerechtigkeit gelten. Das so wichtige Verbot Omars I.
außerhalb Arabiens als Araber keinen Grundbesitz zu
erwerben, wurde erneuert. Und wenn auch die inzwischen
erworbenen Rechte ausdrücklich anerkannt wurden, so
sollte doch jeder neue Grundbesitzerwerb durch Araber in
den eroberten Ländern null und nichtig sein. Im
Hinblick auf den Wortlaut der alten Omar’schen
Bestimmungen war das alles gewiß verständlich.
Aber die inzwischen völlig veränderten
Zeitverhältnisse mußten ein solches Gesetz in
neues Unrecht wandeln. Denn die Zeit der
Omar’schen Staatsdotationen war vorbei. Der
Grundbesitzerwerb durch Araber in den eroberten
Ländern war eine der Möglichkeiten, sich und
seinen Nachkommen ein anderes arbeitsloses Einkommen und
damit einen Ersatz für die verlorenen
Staatsdotationen zu verschaffen. In diese ausgleichende
Entwickelung durch ein Verbot einzugreifen, mußte
als eine Ungerechtigkeit namentlich auf Seiten jener
Araber empfunden werden, welche bis dahin noch keinen,
oder einen geringen Grundbesitz in den neuen Provinzen
erworben hatten.
Ferner wurde der arabische
Großgrundbesitzer durch Omar II. daran erinnert,
daß auch er den Zehent an die Staatskasse zu zahlen
habe. Den Statthaltern aber ließ er den Auftrag
zugehen, alle der Bevölkerung ungerecht auferlegten
Steuern nicht mehr zu erheben. Die Statthalter und
Steuereinnehmer ließen sich das nicht zweimal
sagen. Die eigentlich ungerechten Steuern wurden von
ihnen zwar vielfach nach wie vor erhoben, der auf der
Bevölkerung lastende Steuerdruck keineswegs
überall gemindert, wohl aber hatten die habgierigen
Staatsverwalter jetzt eine ausgezeichnete Ausrede, um
möglichst viel von den Staatseinnahmen in ihre
Tasche verschwinden zu lassen und dann an die
Zentralkasse zu berichten: „Nach Erlaß der
ungerechten Steuern sind die Einnahmen so zurück
gegangen, daß sie von den lokalen Ausgaben
verschlungen wurden.“ Einzelne Statthalter hatten
sogar die Unverfrorenheit, sich mit dieser Motivierung
vom Chalifen noch Zuschüsse für ihre Provinzen
zahlen zu lassen. So wurden denn die Kassen des Chalifen
rasch leer. Die Soldzahlungen an seine Truppen blieben im
Rückstand. Auch für die Mitglieder der
herrschenden Familie mußte jetzt viel weniger
abfallen, als früher. Die auffallende Hinneigung
Omar II. zu den Aliden, welche als direkte
Nachkommen des Propheten die geschworenen Feinde der
Omaijaden-Dynastie waren, tat das Uebrige. Nach nicht
ganz zweijähriger Regierung wurde Omar II. von
seinen eigenen Verwandten vergiftet. Sein
Nachfolger hat die von ihm getroffenen prinzipiellen
Bestimmungen sofort wieder aufgehoben.
§ 35. Die Unzufriedenheit mit den
herrschenden Zuständen im Reiche war trotzdem
nicht kleiner geworden. Wie das Volk noch
heute für die objektiven Gewalten der
volkswirtschaftlichen Verhältnisse keinen Blick hat,
sondern in seiner Kurzsichtigkeit immer geneigt ist, für gute wie für
schlechte Zeitverhältnisse in erster Linie den
Regenten und die Regierung verantwortlich zu machen, so
auch hier. Die Omaijadendynastie trug für alle
ungünstiger gewordenen Verhältnisse die Schuld.
Die Orthodoxen konnten diese Auffassung wenigstens mit
einem gewissen Maße der Berechtigung vertreten. Es
war zum Mindesten widersinnig, daß ein durch
Gründung einer neuen Religion ins Leben gerufenes
Staatswesen von einer Familie regiert wurde, deren
Mitglieder fast durchweg eben dieser Religion feindlich
gesinnt waren und deren Regentenhände nur zu stark
mit heiligem Märtyrerblut sich befleckt hatten. Was
durch die Tätigkeit der islamischen
Missionare namentlich in
Persien an Neumuslimen gewonnen
wurde, nahm mit der neuen Lehre auch den Haß
gegen die Omaijaden in sich auf. Die ungleiche
Behandlung der Alt- und Neu-Muslime in der Besteuerung,
trotz des entgegenstehenden klaren Wortlautes im Koran
mag auch hier seine Rolle mitgespielt haben. Zu dieser
wachsenden Macht der Strenggläubigen gesellte sich
die Macht der Unzufriedenen. Beide Bewegungen wußte
sich der mekkanische Aristokrat Ibrahim, ein
Urenkel Abbas, und mithin der Nachkomme
eines Oheims des Propheten in äußerst
geschickter Weise dienstbar zu machen. Zwar siegten noch
einmal die Waffen des Chalifen und Ibrahim wurde im
Kerker ermordet, Aber in eben diesem Kerker hatte er
seinen Anspruch auf das Chalifat an Abul
Abbas abgegeben, der mit Hülfe seines Oheims
und Feldherrn Abdallah den letzten
Omaijaden-Chalifen Merwan II. schlug und
vernichtete und als Abul Abbas I. (750 bis
754 n. Chr.) die Reihe der Abbasidenchalifen
eröffnete.
§ 36. Mit der Ablösung der
Omaijaden-Dynastie durch die Abbasiden ist namentlich die
arabische Bevölkerung des Reiches aus dem Regen
unter die Traufe gekommen. Es war also doch ein
großer Irrtum, zu behaupten, die von frommen Leuten so oft verfluchten
Omaijadenchalifen seien die eigentliche Ursache der immer
schlechter werdenden Zeitverhältnisse. Abbas I.
hatte sich selbst den Beinamen „el
Saffah“, d.i.
„Blutvergießer“, gegeben.
So etwas wie ein menschliches Gewissen schienen die
Mitglieder dieses Fürstenhauses nicht zu besitzen.
Von einer ununterbrochenen Reihe von Mord, Meineid und
Meuchelmord wird ihre Regierungstätigkeit begleitet.
Zunächst mußten natürlich die
Anhänger der gehaßten Omaijaden tunlichst
rasch ins Jenseits befördert werden. Es wird
berichtet, daß von diesem Loose in dem
leichtlebigen Syrien allein 60'000 Menschen betroffen
worden seien. Nach der Ermordung des letzten
Omaijadenchalifen kam es zu einer feierlichen
Aussöhnung mit den Omaijaden-Prinzen, die dann
sämtlich zu einem Gastmahl nach Mekka geladen
wurden, um hier — trotz der bestimmtesten
feierlichsten Zusicherungen — abgeschlachtet zu
werden. Wer Abbas I. nicht als Chalifen anerkennen
wollte, wurde sofort hingerichtet. Wer politisch
irgendwie nur verdächtig war, dem wurden Hände
und Füße abgehauen. Später wurde
hierfür lebendiges Einmauern beliebt. Selbst die
besten Freunde des Chalifen, wie sein eigener Oheim und
Feldherr Abdallah, dem er eigentlich alles zu verdanken
hatte, fielen einer Mordwaffe dieses Blutvergießers
zum Opfer. Diese Regierungsgrundsätze wurden von
fast allen Abbasidenchalifen treu befolgt. Nur wenn der
jeweilige Machthaber gerade sehr vetterlich aufgelegt
war, begnügte er sich seinen eigenen Verwandten
gegenüber damit, dem Opfer seiner Politik oder
seiner schlechten Laune mit einem glühend gemachten
Eisenstift über beide Augäpfel zu streichen und
es so zu „blenden“. Diese neronische
Veranlagung der Abbasiden ging so weit, daß der
Chalife Mutadhid (892 bis 902 n. Chr.) in
einem nervösen Wutanfall eine große Zahl
seiner Diener und Dienerinnen ohne jedes Verschulden
ihrerseits hinrichten ließ.
Für die Person des Chalifen wurde auf solche Weise
naturgemäß keine größere Sicherheit
geschaffen. Unter fünf Abbasidenchalifen haben
mindestens immer vier ein gewaltsames Ende gefunden. Kann
es überraschen, daß unter einer solchen
Regierung das ganze arabisch-islamische Weltreich in
einem Meere von Blut untergehen mußte?
§ 37. Mit dieser furchtbaren Gewissenlosigkeit
verknüpften die Abbasiden den Schein tiefster
Frömmigkeit. Die religiösen Vorschriften
des Koran wurden in der Oeffentlichkeit wenigstens auf
das Gewissenhafteste erfüllt, die orthodoxe Partei
in jeder Weise unterstützt. Jetzt sollte auf
Kommando dem Volke wieder eine größere
Religiösität beigebracht werden. Die
ungünstigere Behandlung der Neumuslime
in der Besteuerung, welche durch die Omaijaden
eingeführt worden war, wurde unter den Abbasiden
aufgehoben. Neumuslim und Araber fanden
jetzt die gleiche Behandlung vor dem Gesetze, aber
gewiß nicht nur deshalb, weil es so der Koran
bestimmte, sondern wohl auch deshalb, weil die
Abbasidenherrschaft die Unterstützung durch die
neubekehrten Perser nicht entbehren konnte. Nur die
beiden Chalifen Mamûn (813 bis 833 n.
Chr.) und Motassim (833 bis 842 n. Chr.)
sind etwas aus der orthodoxen Rolle der Abbasiden
gefallen, insofern sie Gegner der extrem theologischen
Richtung waren und eine freie wissenschaftliche
Forschung allgemein begünstigten. Für so
weitgehende Unterstützung durch die Abbasiden
zeigten sich die Strenggläubigen dankbar, indem sie
der Dynastie den Ehrentitel „von Gottes
Gnaden“ beilegten.
Anders muß der einfache Mann im Volke
vielfach gedacht und empfunden haben. Man hatte
die Vereinigung der Regierungsgewalt mit der
strenggläubigen Richtung vor Augen. Daß die
Verhältnisse vorher unter den
gottlosen Omaijaden-Chalifen immer schlechter wurden,
schien selbstverständlich. Daß aber jetzt die
allgemeinen Verhältnisse immer noch
schlechter wurden, mußte das Denkvermögen des
armen Volkes vielfach zur Verzweiflung an Gott und den
Menschen bringen. Das war der Boden, aus dem die
Bildung neuer Sekten und Glaubensanschauungen in
ungewöhnlich großer Hast mit teils
kommunistischem, teils sogar
anarchistischem Charakter empor gewachsen
ist. Und immer allgemeiner bestärkte sich dabei im
Volke der Glaube an die Wiederkehr eines
Welterlösers oder doch eines neuen Propheten, der
das Volk aus allem Jammer wieder befreien werde. Bei dem
furchtbaren Regiment der weltlichen Gewalt gebot die
Selbsterhaltung einer jeden solchen neuen
Glaubensgemeinde die Form des Geheimen und
des Geheimnisvollen. So wird uns jetzt von den
Zendiken, den Mosdakiten, den
Ismaeliten, den Karmaten, den
Fatimiden, den Charidschiten,
den Dschafars, den Drusen
u.s.w. denen schließlich auch
die Aliden zuzuzählen sind,
berichtet.
Für die bestehende Staatsverfassung und die
herrschende Chalifenfamilie lag — wie die
Geschichte des Islam selbst zur Genüge lehrte
— in diesen geheimen Sekten eine große
Gefahr. Nicht minder peinlich fühlten sich die
Strenggläubigen durch diese Neuerer auf dem
Glaubensgebiete berührt. Durch das Zusammenwirken
dieser beiden Interessenkreise zu ihrem gegenseitigen
Schutze kam der furchtbare islamische
Ketzerprozeß zu Stande. Für Ketzer im
allgemeinen gebrauchte man das persische Wort
Zendik d.h. Zauberer.
Man klagte den Einzelnen des Zendikismus an.
Der Großinquisitor hieß
Zendikmeister. Die Ketzer wurden öffentlich
verflucht und sobald man ihrer habhaft wurde, gefoltert,
gekreuzigt, verbrannt oder auf irgend eine andere Art
hingerichtet. Das Vermögen
der Ketzer wurde zu Gunsten der Staatskasse konfisziert.
Die ketzerischen Bücher und Schriften wurden dem
Feuer überliefert. Der Großinquisitor hatte
das kirchliche Aufsichtsrecht auch über den
Chalifen, welcher, unbedeutender Religionsvergehen
halber, selbst strengere Bußen ohne Widerrede sich
gefallen ließ. Die Hinrichtungen der Ketzer wurden
im arabischen Spanien wenigstens mit öffentlichen
Volksbelustigungen verknüpft. Die Einführung
dieses islamischen Ketzerprozesses scheint vor dem Jahre
779 n. Chr. erfolgt zu sein. Wir hören von nun ab
immer wieder von außerordentlich umfangreichen
Ketzerverfolgungen. Und nicht selten wird dieser kurze
summarische Prozeß auch angewendet, um
persönliche oder politische Gegner rasch aus dem
Wege zu schaffen.
Nicht überall ist es indeß der
Staatsregierung und den Strenggläubigen gelungen,
mit Hilfe des Ketzerprozesses der betreffenden Bewegung
Herr zu werden. So gründete z.B. Hassan Ibn Said unter dem
Chalifen Mustein (862 bis 866 n. Chr.) in
Tabaristan ein unabhängiges Reich, das
durch 50 Jahre bestehen konnte. Obeidallah eroberte
sich im Jahre 934 n. Chr. als Haupt der
Geheimsekte der Fatimiden Aegypten. Die
ketzerischen Karmaten, ein Zweig der
Ismaeliten, haben im Jahre 930 n. Chr. Mekka
während der Wallfahrtszeit
überfallen, tausende von Pilgern
getötet, die berühmte Reliquie, den schwarzen
Stein der Kaabe geraubt und mit nach Lahsa
genommen, wo er bis 951 n. Chr. verblieben ist. Erst seit
1037 n. Chr. ist diese Sekte verschwunden. Von den Lehren
dieser verschiedenen Sekten wissen wir wenig. Die auf uns
überkommenen Darstellungen ihrer gehässigen
Gegner, welche zumeist von Weiber- und
Gütergemeinschaft erzählen, können als
objektive Berichte nicht gelten.
§ 38. Zur Zeit der schon vollständigen
Auflösung der arabisch-islamischen Reichsgewalt
kommt zu diesen ketzerischen
Sektenbildungen noch die eigenartige anarchistische
Organisation der Assassinen. Hassan Ibn
Ssabbach bemächtigte sich im Jahre 1090 n.
Chr. der am Randgebirge des kaspischen Meeres gelegenen
Felsenburg Alamut (d.i.
Adlernest). Dieser Mann suchte sich aus den Reihen der
Ismaeliten geeignete Werkzeuge, gab ihnen das jetzt
aufkommende Opium und Haschisch, ein narkotisches
Hanfpräparat, und machte dann die Leute glauben,
daß die schönen Träume, welche sie
gehabt, ihnen einen Einblick in die Paradiesesfreuden
gewährt hätten, kraft der ihm verliehenen
göttlichen Macht. Den so Betörten drückte
Hassan dann einen Dolch in die Hand mit dem Auftrage,
eine bestimmte Person nach seinen Dispositionen zu
ermorden. Fände der Beauftragte bei Ausführung
dieses Befehls seinen Tod, so komme er direkt in das
Paradies, dessen Freuden er ja bereits gekostet habe. Die
islamischen Todbringer dieser Art heißen
„Fedwari“. Ihr Name
„Assassinen“ gebildet von
„Haschaschin“ wurde von dem
berauschenden „Haschisch“ abgeleitet und
bedeutet „Hanfraucher“. Mit der Ausbreitung
dieser Sekte im Lande hielt ihre Organisation Schritt.
Auf Dutzenden von Felsenburgen im Gebirge waren ihre
Filialen verteilt und ein vorzüglicher
Nachrichtendienst mit Brieftauben und Spionen
ermöglichte die stramme einheitliche Leitung von
Alamut aus.
Es ist bezeichnend für die Rolle, welche diese
Anarchisten in den Kreuzzugswirren auch auf Seiten der
christlichen Ritter gespielt haben, daß die damals
von den Europäern in Kleinasien als Weltsprache
gebrauchte französische Sprache die
Worte assassin und assassinat
als gleich bedeutend mit Mörder, Meuchelmord und
schändlicher Gewalttat übernommen und bis zum
heutigen Tage beibehalten hat. Durch 200 Jahre hat diese
anarchistische Herrschaft weit verhängnisvoller auf
dem arabisch-islamischen
Reiche gelastet, als alle Kreuzzüge des christlichen
Europa. Ganz Vorderasien zitterte vor diesen
Mördern. Wo irgend eine bedeutende politische
Persönlichkeit sich zeigte, die das Zeug gehabt
hätte, in die gänzlich zerfahrenen politischen
Verhältnisse wieder etwas Ordnung zu bringen, da
traf sie auch schon ein Assassinendolch. Ein
Kleinfürst in Syrien ruft 1102 n. Chr. die
Assassinen zum Schutze seiner Herrschaft in sein Land, wo
sie sofort sich organisieren, und neue Felsenburgen
bauen. Selbst der Sultan Saladdin ist
zweimal nur durch einen glücklichen Zufall dem
für ihn bestimmten Fedwari-Dolche entkommen und hat
sich trotzdem entschlossen, nach einem Feldzuge gegen die
Assassinen, mit diesem Gelichter einen förmlichen
Frieden zu schliessen. Der gefürchtete
Mamluckensultan Beibars in Aegypten nahm die
Assassinen in seine Dienste und verwendete sie als
Geheimpolizisten und Henkersknechte. Der Chalife
Nassir in Bagdad setzte sich mit dem Herrn von
Alamut in Verbindung, um für entsprechende Zahlungen
unbequeme islamische Fürsten ermorden zu lassen.
Erst das Jahr 1256 n. Chr. hat die Wogen des
Mongolensturmes auch über die steilen Gipfel der
Felsenburg Alamut zusammenschlagen sehen. Für die
Entstehungsgeschichte und das innere Wesen des
islamischen Reiches aber bleibt es im höchsten
Maße charakteristisch, daß die
großartigste anarchistische Organisation der
Menschengeschichte zur religiösen Begründung
ihrer Berechtigung sich auf den Propheten
Muhammed selbst berufen konnte, welcher sich
ebenfalls eines Meuchelmörders bedient hatte, um
unbequeme persönliche Gegner zu beseitigen.
§ 39. Welcher Art war nun die Entwicklung
der volkwirtschaftlichen Verhältnisse, welche
unter den Abbasidan-Chalifen so grauenhafte
Zustände herbeiführen konnte ?
Wir haben bei der Gründung ihres
Weltreiches die Araber als eine gut organisierte
Räuberhorde kennen gelernt, welche von der
Ueberzeugung ausging, daß die Bevölkerung der
übrigen Welt nur dazu bestimmt sei, für die
Araber zu arbeiten und von ihnen sich beherrschen und
ausbeuten zu lassen. In dem Maße, als dann der
Chalife aus einem Nachfolger des Propheten ein absoluter
Fürst der Gläubigen geworden war, vollzog sich
auch der Prozeß der Expropriation der
Araber aus den Tributleistungen der eroberten Provinzen
zu Gunsten des Chalifen. Den Arabern blieb
davon bald nur der 4⁄5 Anteil der Beute, welche in neuen
Eroberungskriegen gemacht wurden. Als aber dieser
kriegerische Beuteerwerb häufiger durch
Bürgerkriege unterbrochen wurde, deren letzter Grund
der Kampf um die bereits gemachte Beute war, und als nach
und nach die Eroberungskriege auch deshalb ihr
natürliches Ende fanden, weil andere Völker
stark genug waren, die Araber erfolgreich abzuweisen, da
blieb auch diesen so vornehm sich dünkenden Herren
nichts anderes übrig, als nach einer anderen Art des
Erwerbs Umschau zu halten.
Als Nächstliegendes kamen natürlich die
Aemter des Staates in Betracht. Die
Christen, Juden und Perser wurden deshalb jetzt aus allen
Staatsstellen verdrängt durch Araber, welche
natürlich auch in dieser neuen Position bemüht
waren, sich das Möglichste anzueignen. Eine andere
Erwerbsart zeigte sich den Arabern in dem Besitz
von Latifundien. Die Nichtaraber mußten an
den Staat eine Grundsteuer bis zur Hälfte des
Bruttoertrages zahlen. Die Araber hatten nominell nur den
Zehnt zu entrichten, pflegten aber nur zu häufig
auch diese Verpflichtung dem Staate gegenüber nicht
zu erfüllen. Nachdem aber die erzielte Pachtrente
für den Nichtaraber wie für den Araber die
gleiche war, mußte der Araber aus seinen
Grundbesitzungen noch ein besonderes
arbeitsloses Einkommen von mindestens 4⁄10 des Bruttoertrages ziehen. Doch
das alles konnte auf die Dauer nicht genügen.
Die Polygamie durfte zu Anfang der
arabisch-islamischen Geschichte die Berechtigung für
sich beanspruchen, die kleine Minderheit der Eroberer,
welche in der ihnen untergebenen Welt nur kleine Oasen
bilden konnten, tunlichst rasch anwachsen zu lassen. Es
wird erzählt, daß ein Sohn des Omaijaden
Chalifen Walgas I. 60 Söhne hatte und kurz vor
seinem Tode in seinem Haushalte 1000 Personen
zählte. Zur Zeit des Chalifen Mamun (813—833
n. Chr.) erreichte die 750 n. Chr. zur Herrschaft
gekommene Abbasidenfamilie 33'000 Angehörige.
Solange aus der Staatskasse eine Jahresdotation von 1000
bis 50'000 Fr. per Kopf der arabischen Bevölkerung
gezahlt wurde, konnte diese Vermehrung der Araber nicht
bedenklich erscheinen — wenn auch dieser
Bevölkerungszunahme gegenüber binnen absehbarer
Zeit die reichste Staatskasse der Welt versagen
mußte. Sobald aber diese Staatsdotationen zu
Gunsten des Chalifeneinkommens aufhörten, und die
Araber auf Eigenerwerb angewiesen waren, hat auch die
Polygamie wesentlich zu ihrer raschen Verarmung
beigetragen.
§ 40. Diese schon damit bedingte
wirtschaftliche Notlage der Araber hat sich
mit dem Beginn der Abbasidenherrschaft noch mehr
verschärft. Wie bereits erwähnt, war der neuen
Fürstenfamilie wesentlich durch die
Unterstützung von Seiten der persischen Neubekehrten
der Sieg über die Omaijaden gelungen. Es mußte
deshalb jetzt die bis dahin ungleiche Besteuerung der
Grundbesitzungen der Alt- und Neu-Muslime beseitigt
werden. Wenn auch damit die Liebesgaben aus der
Steuerkasse an die arabischen Großgrundbesitzer
noch nicht verloren gingen, so mußten sie dieselben
doch von jetzt ab auch den nicht
arabischen Großgrundbesitzern zufließen sehen
und, da diese Latifundienbesitzer auch sumpfige
Ländereien entwässern und dürres Land in
das Bewässerungssystem einbeziehen ließen, so
ist es zum mindesten nicht unwahrscheinlich, daß
schon dadurch eine Art lokale Ueberproduktion in
landwirtschaftlichen Produkten hervorgerufen
wurde. Es kommt ferner in Betracht, daß der
Uebergang von der Omaijaden- zur Abbasidenherrschaft sich
in der Form eines etwa 25jährigen Bürgerkrieges
vollzog. Solchen Ereignissen folgt
erfahrungsgemäß eine wesentliche
Verschlechterung des Marktes für landwirtschaftliche
Produkte und namentlich für Getreide, das nach den
Steuereinschätzungen für Babylonien 80 bis
90% der gesamten Bodenproduktion
ausmachte. Je billiger aber die Getreidepreise wurden,
desto weniger waren die Bauern und Pächter in der
Lage, ihre aus früherer Zeit recht hoch bemessenen
Geldverpflichtungen den Grundherren und der
Steuerkasse gegenüber weiter zu erfüllen. Aus
der Not der Pächter und Bauern wurde so
eine Not der Grundherrn und der Staatskasse. Aus dieser
Zeit ist uns eine Fabel erhalten, durch welche der Vezir
dem absoluten Fürsten ein Bild von der allgemeinen
landwirtschaftlichen Notlage zu geben bemüht war. Er
sei auf einer nächtlichen Wanderung, so
erzählte der Vezir, in der Lage gewesen, zwei alte
Eulenpaare zu belauschen, welche über die
Verheiratung ihrer Kinder verhandelten. Die eine Partei
habe eine größere Zahl verfallener
Bauerndörfer als Mitgift gefordert. Darauf habe die
andere Partei geantwortet: „An verfallenen
Dörfern fehlt es uns nicht. Gott erhalte uns noch
recht lange seine jetzt regierende Majestät, denn
unter seiner glorreichen Regierung werden wir stets
verlassene Bauerndörfer genug haben, da die Bauern
wegen des Steuerdruckes alle Reißaus
nehmen“.
§ 41. Die Erwägungen,
welche sich mit der Beseitigung dieser Notlage
beschäftigten, führten unter el Mansur (754 bis
775 n. Chr.) zu einer Art Verstaatlichung des
Getreidehandels. Die bisher weit
überwiegenden Geldsteuerleistungen auf Getreide
namentlich wurden abgeschafft und Naturalabgaben in der
Höhe von 1⁄2,
1⁄3 und 1⁄4 des Bruttoertrages der
Getreidefelder, je nach der Qualität des Bodens,
eingeführt. (Das Mokasama – System im
Gegensatze zur weit überwiegenden Geldsteuerleistung
des Wazifa – Systems, das auf einem ordentlichen
Grundsteuerkataster mit Parzellenvermessung beruhte,
welcher im Irak zuerst, durch den Perserkönig
Chosroes {531 bis 579 n. Chr.}
eingeführt worden sein soll.) In großen
staatlichen Scheunen (ahra), in welchen bis 1000 Tonnen
Getreide gedroschen wurden, kam es zur Einsammlung der
Garben. Gedroschen wurde unter Aufsicht besonderer
Staatsbeamten, welche auch die richtige Ablieferung der
dem Staate gehörenden Anteile kontrollierten. Solche
Kontrollscheunen soll es in Babylonien allein für
266 Dörfer 6036 gegeben haben. Diese
Naturalsteuerabgaben erreichten damit über
90% der gesamten Staatseinnahmen
aus der Grundbesteuerung, während vorher die
Grundsteuer überwiegend als Geldsteuer geleistet
wurde. Im Besitze so großer Getreidemassen
beherrschte der Staat bezw. sein Steuerpächter den
Getreidemarkt und dessen Preisbewegung vollständig.
Es kann mithin nicht überraschen, daß von
jetzt ab trotz der entschieden niedergehenden
volkswirtschaftlichen Entwicklung die
Getreidepreise wesentlich steigen. Während
nach Prof. Sprenger unter den Omaijaden ein Preis von 50
bis 60 Mk. per 1000 Ko. Brotgetreide (Weizen und Gerste)
angegeben wird, erheben sich jetzt diese Preise auf 100
Mk. und mehr. Für das Jahr 969 n. Chr. wird für
Bagdad ein Preis von 140 Mk. per 1000 Ko. berichtet. Da
inzwischen der Arbeitslohn, welcher zur
Zeit der Erbauung von Bagdad (756 n. Chr.) mit etwa 5
Pfg. pro Tag für einen Werkmeister und von etwa
2 1⁄2 Pfg. für
einen gewöhnlichen Arbeiter uns überliefert
ist, kaum gestiegen sein dürfte, so wird es
begreiflich, daß diese Art der Getreidepolitik ganz
wesentlich zum raschen Verfall der Städte
beigetragen hat. Auch wird trotz der großen
Lücken in den auf uns überkommenen
Aufzeichnungen wiederholt erwähnt, daß ein
Minister oder ein anderer Generalsteuerpächter durch
Einsperren von Getreide eine solche
Preissteigerung herbeigeführt habe,
daß der Volksaufstand nur durch
sofortige Aufhebung des Steuerpachtvertrags und
kostenlose Verteilung der eingesperrten
Getreidevorräte an das Volk gedämpft werden
konnte.
§ 42. Mit den höheren Getreidepreisen
erwachte sofort wieder die Tendenz der
Latifundienumbildung. Den Bauern wurde von allen
Seiten so viel zugesetzt, daß sich zu Anfang der
Abbasidenherrschaft das Sprichwort im Volke gebildet
hatte: Jemanden so schlecht wie einen Bauern behandeln.
All diesem Leiden gegenüber gab es in vielen
Fällen nur das eine Mittel, das in der germanischen
Entwicklung zur Zeit Karls des Großen aus etwas
anderen Gründen in Mode gekommen war, nämlich:
daß der Bauer freiwillig seinen ererbten
Grundbesitz einem Mächtigen zu Eigentum
übertrug und von da ab mit der Stellung eines
Erbpächters sich begnügte. So stand er unter
dem Schutze eines einflußreichen Herrn und war
nicht mehr recht- und wehrlos. Seine bisherigen
Steuerverpflichtungen ermäßigten sich damit
auf etwa 1⁄4, wobei freilich
zu berücksichtigen ist, daß die übrigen
3⁄4 von jetzt ab an den
neuen Grundherrn als Erbpachtschilling zu leisten waren.
Der neue Großgrundbesitzer hatte den Zehent mit
teilweisen besonderen Erhöhungen an die Staatskasse
zu zahlen, was aber nur zu häufig unterblieb.
Wenn trotzdem die Latifundienbildung
von nun an sich nicht als eine verheerende Krankheit im
Volkskörper ausbreiten konnte, so ist das auf die
reichlich geübte Sitte zurück zu führen:
den beim Chalifen oder seinen Ministern aus irgendwelchem
Grunde unbeliebt gewordenen Latifundienbesitzern
das ganze Vermögen zu konfiszieren,
meistbietend zu Gunsten der Staatskasse in einzelnen
Teilen zu verkaufen oder an einen neuen Günstling
ohne Land zu verschenken. Nicht selten wurde bei dieser
Prozedur auch dem bisherigen Grundbesitzer der Kopf
abgeschlagen.
Diese für die zunächst betroffenen Personen
gewiß nicht angenehme wirtschaftspolitische
Maßnahme gegen die Latifundienbildung versuchte man
bald in einer Weise zu umgehen, welche für die
Regierungszeit der Abbasidenchalifen charakteristisch
ist. Schon Omar I. hatte nämlich
Grundbesitzungen für fromme und milde
Stiftungen bestimmt und sie ausdrücklich auch
für die Staatsgewalt als unantastbar bezeichnet. So
finden wir schon früh im arabisch-islamischen Reiche
den unveräußerlichen Grundbesitz der
toten Hand. Nachdem das gesamte Staatseinkommen
einschließlich der Armensteuer mehr und mehr zur
ausschließlichen Verfügung des absoluten
Chalifen gestellt worden war, kam in gleichem Maße
die Sitte frommer und milder Stiftungen auch in
Grundbesitz auf und zwar für Arme, für
Spitäler, für Verteidigung der Grenzen,
für die heiligen Städte Mekka und Medina,
für die Pilgerkarawanen u.s.w.
Stiftungen dieser Art wurden jetzt von den
Latifundienbesitzern in der Weise gepflegt, daß man
für sich oder seine Verwandten mit einer in der
Stiftungsurkunde namhaft gemachten Erbfolgeordnung
innerhalb der Familie die ausschließliche
Verwaltung der gesamten Einkünfte vorbehielt.
So hoffte man in wirksamer Weise durch eine andere Art
Familienfideikommiss sich gegen die wenig beliebten
Besitzstörungen durch den
Staat zu sichern. Daß dabei die Stifter und ihre
Erben sich wenig um den frommen Stiftungszweck
kümmerten und das Stiftungseinkommen fast
ausschließlich für ihre eigene Person
verwendeten, war selbstverständlich. Dieser
Mißbrauch hatte bald einen solchen Umfang
angenommen, daß der Chalife Harûn al
Raschid (786 - 809 n. Chr.) unter dem Drucke der
laut gewordenen Klagen seine eigene Mutter aufforderte,
auf die von ihr gemachten Latifundienstiftungen
freiwillig zu verzichten. Ihre Weigerung führte zur
Säcularisation durch den Chalifen. Von
da ab war es mit der so geschickt gewählten
Sicherung des Latifundienbesitzes vorbei, und das
Expropriations- und Wiederaufteilungsverfahren des
Staates war in der Lage, mit der neuen
Latifundienbildung Schritt zu halten.
§ 43. Diese beiden Erwerbsmöglichkeiten:
Uebernahme einer einträglichen Staatsstelle und
Aneignung eines landwirtschaftlichen Grossgrundbesitzes
waren indeß längst nicht genügend, um die
ungemein rasch fortschreitende Verarmung des
islamischen Volkes aufzuhalten.
So blieb dann schliesslich den Nachkommen der
einstmaligen Herren des islamischen Weltreiches nichts
anderes übrig, als sich endlich auch zur
wirtschaftlichen Arbeit zu bequemen. Die Araber
mussten anfangen, sich auch mit dem Handwerk, mit Handel
und Gewerbe zu beschäftigen, wobei die Stufenreihe
ihres Eindringens in die einzelnen Berufsarten
naturgemäss von ihrer sittlichen und religiösen
Anschauung abhängig war. Erst im Jahre 932 n. Chr.
eröffnet der große Razy die Reihe
der berühmten muhamedanischen Naturforscher
und Aerzte. Von den ersten arabisch-
muhamedanischen Geldwechslern, Goldschmieden
und Juwelenhändlern die dem
Wuchergewerbe nahestehen sollten, wird — soweit bis
heute bekannt — aus dem Jahre 941 n. Chr.
berichtet. Dass sich die Araber mit besonderer Vorliebe
dem bäuerlichen Berufe
zugewendet hätten, wird nicht berichtet. Was an
Arabern in der Stadt keinen dauernden Aufenthalt nahm,
lebte auf dem Lande als Beduine — eine
Erscheinung welche nicht nur auf historische, sondern
vielleicht mehr noch auf geographische Ursachen sich
zurück führt. Die Wüste spielt nicht nur
in der Urheimat Arabien, sondern in dem ganzen arabischen
Weltreich eine grosse Rolle, die wahrscheinlich nur von
Jenen ganz verstanden werden kann, welche die Poesie des
Wüstenlebens aus eigener Anschauung kennen.
Der Gegensatz zwischen Stadt und Land,
welcher von nun an auch in der arabisch-islamischen
Geschichte eine hervorragende Bedeutung besitzt,
löst sich hier nicht in Bürger und Bauer,
sondern in Bürger und
Beduine auf.
Der Jungbrunnen des Volkes ist deshalb
bei Ibn Chaldun nicht der Bauernstand auf Feld und Weide,
sondern der Beduinenstand in der Wüste.
Die Reichen in der Stadt schicken ihre Kinder zur
tunlichsten Kräftigung ihrer Gesundheit nicht, wie
z.B. in Frankreich, zu einer
bäuerlichen Familie aufs Land, sondern zu einer
Beduinenfamilie in die Wüste. Das
ausschliessliche Stadtleben aber wirkte auch hier
rasch degenerierend auf die
Bevölkerung.
§ 44. Mit diesem Uebergange des arabischen
Volkes vom kriegerischen Räuberhandwerk zum
wirtschaftlichen Erwerbe steht eine andere
tiefeinschneidende Veränderung in innigster
Verbindung d.i. die
Auflösung des alten, bis dahin so
streng festgehaltenen Geschlechterverbandes
und seine Ersetzung in der Stadt durch die
Zunftverfassung, welche von den Arabern als das
System der Akilah bezeichnet wird. Nicht mehr die
Geschlechtsgenossen sondern die Zunftgenossen wohnten
jetzt in der Stadt nebeneinander und hatten am Markte als
besondere Gilde ihren eigenen Platz. Die
Zunftgenossen waren zu gemeinsamer Haftpflicht und zu
gemeinsamem Schadenersatz gebunden. Wo ein Gewerbe nicht
genügend Mitglieder zählte, galt das Dorf oder
Stadtviertel als Zunft. Den Beginn der Auflösung des
Geschlechterverbandes bezeichnet charakteristischerweise
die willkürliche Einreihung jedes Einzelnen in den
Heeresverband durch die Heeresleitung, ein Ereignis,
welches in Vorderasien mit dem Beginn der
Abbasidenherrschaft (750 n. Chr.) in Spanien erst mit der
Ruhmeszeit Almansors (etwa 990 n. Chr.)
zusammenfällt.
Die realistische Auffassung ging bei dieser neuen
Zunftorganisation im Abbasidenreiche so weit, dass sich
in der Residenzstadt Bagdad unter den Augen der Regierung
auch eine Zunft der Diebe bildete. Und diese
Diebsgenossenschaft kam gelegentlich zu solcher Macht,
dass sie sich der Hauptstadt Bagdad bemächtigte und
der Chalif, um sich und seine Schätze zu retten, es
vorzog, seinen eigenen Sohn in die Diebszunft als
Mitglied aufnehmen zu lassen. Dieser Situation ist es
vollkommen entsprechend, wenn wir weiter hören, dass
die Zunft der Diebe in Bagdad einem hohen Beamten
für dessen Schutz monatlich 150'000 Frcs. zahlte,
und wenn die arabischen Historiker sich als besten Beweis
für die allgemeine Verarmung des Volkes auf die
Tatsache berufen, dass im Jahre 989 n. Chr. die Zunft der
Diebe in Bagdad der Staatspolizei für unbehelligte
Plünderung der Mekkapilger nur lumpige 50'000 Frs.
bieten konnte.
§ 45. Im Uebrigen fließen auch
um diese Zeit in der arabisch-islamischen Weltanschauung
die Begriffe Diebstahl, Raub und Erwerb,
Erpressung, Bestechung und staatliche Besoldung so
sehr in einander über, daß es
unmöglich ist, sie auseinander zu halten. Ein Vezir,
der auch nur einige Jahre seines Amtes
waltete, hat selbstverständlich inzwischen neben
seinen Schätzen in Edelmetall und Edelsteinen auch
einen Latifundienbesitz mit einer jährlichen Rente
von etwa 10 Millionen Franken „erworben“. Ein
Regierungsschreiber, oder um den entsprechenden modernen
Ausdruck zu gebrauchen: ein vortragender Rat im
Ministerium erhält aus der Staatskasse jährlich
einen Sold von 3600 Frs. aber gegen Ende seiner
Beamtenlaufbahn verfügt er seltsamer Weise über
ein Gesamtvermögen von 20 Millionen Franken.
Daß auch die anderen Berufsstände in
ähnlicher Weise sich betätigten, bestätigt
ein Epigramm des berühmten syrischen Dichters
Ma’rry (973 bis 1057 n. Chr.), welches
besagt: „In den Wüsten hausen die Räuber
von Kamelen, in der Stadt sind Räuber anderer Art.
Diese nennt man Notare und Kaufherren. Jene heißen
einfach Beduinen.“ Auch diese Beduinen
beschränken sich jedoch nicht immer auf den
Diebstahl von Kamelen. In den Jahren 900 bis 915 n. Chr.
plünderten sie so eifrig die Mekkapilger, daß
zwei Jahre lang diese Wallfahrt überhaupt
unterblieb, und die frommen Pilger sich dann
entschließen mußten, ihre Sicherheit auf der
Reise nach Mekka vorher von den Beduinen zu erkaufen.
Da das „Eigentum“ bis zu
solchem Maße „Diebstahl“
war, mußten die regelmäßigen
Vermögenskonfiskationen durch die
Staatsgewalt als eine Einrichtung ausgleichender
Gerechtigkeit erscheinen. Sobald irgend Jemand
durch großen Reichtum sich bemerkbar machte,
ließ auch seine, nach abgekürztem Verfahren,
durchgeführte staatliche Expropriation kaum lange
auf sich warten. Sobald ein Minister in Ungnade fiel,
wurde sein ganzes Personal mit ihm entlassen und der
Minister wie zwei seiner Beamten, welche als reich
bekannt waren, zu einer Geldstrafe von so und so viel
Millionen Franken verurteilt. Eine Geldstrafe von nur
eine Million Frs. pro Person hat
als milde gegolten. Es kamen Strafzahlungen bis zu 20
Millionen pro Person vor. Es kam aber auch vor, daß
dem bisherigen Vezir mit seinen Freunden Vermögen
und Leben genommen wurde. In der Auffassung der damaligen
Gesellschaft hatten all diese Geldstrafen keine
entehrende Bedeutung.
§ 46. All diesen wirtschaftlichen Verschiebungen
laufen bedeutsame Aenderungen in der Verfassung des
Staates parallel. Die Zentralverwaltung des
Reiches war im Vergleich zu den so einfachen
Verhältnissen Omar I. recht kompliziert geworden.
Während damals die Einführung einer
Staatsbuchhaltung als eine außerordentliche
Neuerung erscheinen mußte, zählte die
Zentralregierung des ersten
Abbasidenchalifen sieben Hauptkanzleien,
nämlich:
- Die Zentralstelle der Steuern,
- die Kanzlei der Krongüter,
- den obersten Rechnungshof,
- die Kanzlei der Truppen,
- die Kanzlei der Klienten und Sklaven,
- die Generalpostdirektion,
- die Kanzlei für Buchhaltung der Ausgaben.
Hieraus lassen sich leicht das Ministerium des
kaiserlichen Hauses, das Kriegsministerium, das
Ministerium des Innern und der Finanzen mit dem
Reichsrechnungshofe und der Reichspostverwaltung
unterscheiden.
Auch die Steuerquellen haben sich
entsprechend vermehrt. Wir hören unter den ersten
Abbasidenchalifen von folgenden Staatseinnahmen:
- Grundsteuer verschiedener Art,
- Vermögenssteuern,
- Zehent von den Handelsschäften,
- Doppelter Zehent von Bergbau und Weide,
- Kopfsteuer,
- Münzgebühr,
- Mautgelder,
- Salz- und Fischereisteuer,
- Grundrentensteuer für Benutzung
öffentlicher Plätze,
- Mahl- und Fabrikationssteuer,
- Luxus- und Konsumsteuer.
Die daraus erzielten Einnahmen werden für die
Jahre 775 bis 786 n. Chr. auf 411 Millionen Franken
angegeben. Das alles konnte in einem so großen
Reiche der Fürst persönlich nicht mehr
überschauen. Die ersten
Abbasidenchalifen bedienten sich deshalb um so lieber
hierzu der Mithilfe eines ihnen verantwortlichen
Staatsmannes und dessen Gehilfen, als sich auf solche
Weise die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung
unter Umständen leicht und vorteilhaft auf den
leitenden Minister ablenken ließ. So ist Amt und
Würde des islamischen Vezir entstanden,
welche von 750 bis 800 n. Chr. in den geschickten
Händen der alten persischen Adelsfamilie der
Barmekiden ruhten.
§ 47. Nach dem Sturze der
Barmekidenfamilie unter Haruûn al Raschid
versuchte der Chalife Mamun (813 bis 833 n. Chr.) die
Erblichkeit des Vezirates durch die Erblichkeit der
Statthalterposten in den Provinzen zu ersetzen.
Die erbliche Vezirwürde mochte mit der Gefahr
verknüpft erscheinen, bei einer schwächlichen
Persönlichkeit des Chalifen zu einer
Verdrängung der ganzen Herrscherfamilie vom Throne
zu führen. Mit dem erblichen Statthalter dagegen
konnte eine reiche und deshalb kräftige
Zentralgewalt leichter fertig zu werden hoffen und doch
die Vorteile genießen, welche aus dem
größeren Interesse einer erblichen
Statthalterwürde an dem Gedeihen der betreffenden
Provinz fließen mußte. Anfangs schienen diese
Erwartungen sich zu bestätigen. Die
Aghlabiden in Nordafrika haben unter Mamun
Sizilien und Sardinien erobert,
die von jetzt ab 200 Jahre unter islamischer Herrschaft geblieben sind. Die
Einnahmen der Zentralkasse aber zeigten bald
eine weniger günstige Entwickelung. Die 411
Millionen Franken in den Jahren 775 bis 786 n. Chr. sind
auf 372 Millionen in den Jahren 819/20 n. Chr. und auf
293 Millionen im Jahre 845 n. Chr. zurückgegangen.
Das ist ein Verlust von 119 Millionen gleich 29% binnen 59 Jahren. Weil aber das
Ausgabebedürfnis des Chalifen in keiner Weise das
Bestreben zeigte, sich nach der kürzer werdenden
Decke zu strecken, wurde die Steuerschraube
fast überall noch weiter zu drehen versucht, mit
Vermögenskonfiskationen und
Hinrichtungen der Reichen noch ausgiebiger vorgegangen
und die Staatsämter öffentlich an den
Meistbietenden vergeben. Damit steigerte sich die
Unzufriedenheit der Bevölkerung bis zu dem
Maße, daß der Chalife Motassim (833 bis 842
n. Chr.) sich in der Mitte heimischer Truppen nicht
sicher genug fühlte und sich deshalb ein Heer
aus fremden Söldnern, Türken und Berbern
zusammenstellte, deren Zahl bald die Höhe von 70'000
Mann erreicht haben soll. Diese Soldateska betrug sich in
Bagdad so schlecht, daß die ernstesten Beschwerden
darüber aus der Bevölkerung der Residenzstadt
den Chalifen veranlaßten, mit seiner Leibgarde und
seinen Beamten nach dem neu erbauten
Ssamarra auszuwandern.
Das Los des Chalifen war damit noch schlechter
geworden. Die hoch besoldete Leibgarde verwandelte sich
rasch in übermütige
Prätorianer, die ihre eigentliche
Aufgabe darin erblickten, aus der Kasse des Chalifen so
viel als möglich in ihre Taschen zu bringen. Das
Stündlein der Expropriation des
Chalifen hatte sich angekündigt. Nach jeder
Erledigung des Thrones kam es von jetzt für den
Nachfolger in erster Linie auf die Anerkennung durch die
Leibgarde an. Und diese Leibgarde war immer für
jenen Thronkandidaten, welcher ihr die reichsten Geschenke zusicherte. So
kam es, daß bei jedem Thronwechsel der ganze
Staatsschatz ausgeplündert werden mußte, nur
um die Anerkennung der Prätorianer und der
mächtigsten Beamten für den neuen Chalifen zu
erkaufen. Die Prätorianer waren deshalb wesentlich
daran interessiert, daß möglichst oft eine
Neubesetzung des Chalifenthrones eintrete. Und wenn die
bessere Körperkonstitution des Fürsten der
Gläubigen dieses Ereignis länger
hinauszuschieben drohte, wurde durch geeignete Mittel
nachgeholfen. Von 13 Chalifen, welche unter
der Herrschaft der Prätorianer regierten, wurden
8 abgesetzt, geblendet oder ermordet.
§ 48. Der Chalife als Puppe in der
Hand der Prätorianer hatte natürlich sein Spiel
mit den erbberechtigten Statthalterfamilien bald
verloren. Rasch treten uns deshalb in dem seither
einheitlichen Reiche fast selbständige
Vasallendynastien und dann auch unabhängige
Einzelstaaten entgegen, deren Bedeutung und Einfluß
in dem allgemeinen Wirrwarr der politischen
Verhältnisse vor allem auf der mehr oder minder
machtvollen Persönlicheit des Herrschers beruhte.
Als im Jahre 872 n. Chr. Ssaffar sich
anschickte, den Statthalterposten für Choressan sich
mit Waffengewalt zu „erwerben“, erschien ein
Abgesandter des Chalifen bei ihm mit der bescheidenen
Anfrage: wo Ssaffar denn seine vom Chalifen ausgefertigte
Bestallungsurkunde für Chorassan habe? Da lautete
die sachgemäße Antwort, indem Ssaffar auf sein
Schwert schlug: „Hier ist meine Bestallung!“
Der Chalifengesandte war nicht in der Lage, gegen die
Gültigkeit dieses Dokumentes Einspruch zu erheben.
Irgend ein tüchtiger General, der mit seinen
Söldnern dem Chalifen einmal sich nützlich
gezeigt, ließ sich dafür eine erbliche
Statthalterschaft übertragen und regierte hier, bis
ein Stärkerer ihn verjagte. So entstanden nach 870
n. Chr. Dutzende von Räuberdynastien aus jener
Machtfülle, welche durch den Zersetzungsprozeß
des Chalifats frei geworden war.
§ 49. Die Geldnot in der
Chalifenkasse wurde immer größer. Die
selbständigen oder fast selbständig gewordenen
Statthalterdynastien zahlten natürlich nichts oder
nur wenig an die Zentralkasse nach Bagdad. Die
Staatseinnahmen sind deshalb von 411 Millionen Franken in
den Jahren 775—786 n. Chr. auf 24 Millionen in den
Jahren 915/16 n. Chr. zurückgegangen. Mit Mühe
und Not hatte sich der Chalif Mutamid im
Jahre 873 n. Chr. aus der Prätorianerstadt Ssamarra
nach Bagdad zurückgerettet. Seine traurige Lage
wurde damit nicht wesentlich gebessert. Die
Soldrückstände erreichten
gelegentlich einen solchen Umfang, daß die
Schmuckgegenstände und ein Teil der Einrichtung des
Chalifenpalastes versteigert werden mußten, um die
drohende Militärrevolte zu beschwichtigen. Findige
Minister aber wußten selbst aus diesen unbezahlten
Gehältern reiche Gewinne zu ziehen. Sie ließen
nach der bei unseren Großbanken für exotische
Anleihen beliebten Methode durch besondere Agenten die
Quittungen für rückständige
Gehaltsforderungen zur Hälfte des Nominalbetrages
aufkaufen und rechneten dieselben dann zum Vollbetrage
mit der Staatskasse ab. Der Chalife fühlte sich der
wachsenden Sorge und Unsicherheit seines Berufes nicht
mehr gewachsen. So kam es zum politischen
Selbstmord des Chalifats. AI Radhi (934 bis 941 n.
Chr.) schuf das Amt des Emir al Muara,
welcher die ganze Herrschaft „im Namen des
Chalifen“ zu führen hatte und betraut damit
935 n. Chr. den Generalissimus seiner Söldner. Sein
Nachfolger Mustakfi (944 bis 945 n. Chr.)
warf sich den Bujiden in die Arme, welche
seit 925 in Persien zur Herrschaft gekommen waren. Dem
Chalifen blieben die religiösen Ehrenämter mit
der Münze, während die gesamte
übrige Regierungsgewalt von den Bujiden
unumschränkt, wenn auch im Namen des Chalifen
ausgeübt wurden. Der einfachen Rechnung halber
zahlten die Bujiden dem Chalifen eine
Zivilliste, die oft so bescheiden ausfiel,
daß es dem Fürsten der Gläubigen an dem
Nötigsten fehlte. Seit dieser Zeit war die
Redensart: sich mit der Predigt und der Münze
begnügen! aufgekommen für ein
Vertragsverhältnis, nach dessen Inhalt der Eine fast
alles, der Andere fast nichts behielt. Damit hatte die
weltliche Herrschaft der Nachfolger des Propheten nach
300 Jahren ihr Ende erreicht. Die Bujiden wurden schon
993 n. Chr. von den Sedschuken
abgelöst.
§ 50. Der finanzielle Bankrott des Chalifats, dem
der politische Bankrott auf dem Fuße folgte,
mußte notwendiger Weise jene charakteristischen
Erscheinungen hervorrufen, die wir schon in der
Geschichte des niedergehenden römischen
Kaiserreiches als die gewaltsame Rückbildung
aus der Geldwirtschaft in die Naturalwirtschaft
kennen gelernt haben. Die Verstaatlichung des
Getreidehandels zu Anfang der Abbasidenherrschaft
bedeutete bereits die Einleitung dieses
Entwicklungsprozesses. Die Aufteilung des
Reiches in größere mehr oder minder
selbständige Einzelregierungen ist
ebenfalls ein hierher gehörendes Symptom. Ein
gleiches gilt von der fortgesetzten
Münzverschlechterung und von der wieder
rückläufigen Bewegung von der
Goldwährung zur Silberwährung,
deren Wiedereinführung mit dem Ende der weltlichen
Herrschaft des Chalifats (944 n. Chr.)
zusammenfällt. Hierher gehört aber insbesondere
die Ausbildung des Soldatenlehens und damit
eine ziemlich allgemeine Einführung einer Abart
lehensstaatlicher Verfassung.
Der Ausgangspunkt für diese Entwicklung waren die
Rückstände in den Soldzahlungen. Infolge der
fortgesetzten
Vermögenskonfiskationen hielt die Staatskasse
fortwährend öffentliche
Grundstücksversteigerungen ab. Bei diesen traten die
Soldaten als Käufer auf und zahlten mit Belegen
für rückständigen Sold. Die Soldaten
wurden so Eigentümer von Grundstücken,
auf welchen sich Bauern als Erbpächter
abmühten, um neben ihren Steuern noch den
entsprechenden Pachtertrag für den jeweiligen
Grundherrn heraus zu wirtschaften. Truppenführer
kamen auf solche Weise in den Besitz ganzer Ortschaften,
für deren wirtschaftliches Gedeihen sie in der Regel
ein gewisses Verständnis zeigten. Den plötzlich
zu Grundherren avancierten Soldaten aber scheint diese
Rangerhöhung etwas in den Kopf gestiegen zu sein.
Wir hören oft von persönlichen Erpressungen und
bösen Chicanen, welche sich die Soldaten den Bauern
gegenüber haben zu Schulden kommen lassen. Die
Bewässerungskanäle wurden vernachlässigt,
die Straßen nicht mehr ausgebessert, die Dämme
der Kanäle eingerissen und nicht mehr hergestellt,
das Land versumpft und versandet. Die Bauern verlassen
die Höfe. Waren aber infolge all dieser Sünden
die Soldatenländer verödet, dann stellten die
Soldaten diese dem Staate wieder zurück und
verlangten bessere, neue. Auch diese Soldatenländer
hätten den Zehent an die Steuerkasse entrichten
sollen, es geschah nur in der Regel nicht.
Was so für die Soldaten und Offiziere recht war,
das schien bald für Jedermann, der Anspruch auf
Staatsgehälter erheben konnte, billig zu sein. So
erhielt denn jedes Mitglied der herrschenden Familie,
jeder Emir, eine Stadt oder eine
Landschaft als Lehen, über welches der
Lehensträger unumschränkt gebot,
die Patrimonialgerichtsbarkeit ausübte,
die Bauern mit Frohndiensten
belastet und herauszupressen versuchten, was möglich
war. Die konsequente Ausbildung dieser eigenartigen
Lehensverfassung fällt etwa in die Zeit von 925—993 n. Chr. Namentlich die
Landbevölkerung ist durch diese Verhältnisse
förmlich zur Verzweiflung getrieben worden. Aber
auch die Städte verfielen und verödeten jetzt
rasch. Es kann deshalb kaum überraschen, wenn
für das Jahr 987 n. Chr. berichtet wird, daß
ein arabischer Volksstamm, welcher 12'000 Mann
zählte, geschlossen nach byzantinischem Gebiet
ausgewandert sei, um hier freiwillig vom Islam zum
Christentum überzutreten und dann von ihrer neuen
Heimat aus an ihren früheren Peinigern durch
periodische Raubzüge sich zu rächen. Die
Verderben bringenden wirtschaftlichen
Begleiterscheinungen der Religion des Muhammed haben
diese Menschen aus der Gemeinde der Gläubigen
verjagt.
§ 51. Die so weitgehende Aufteilung des
arabisch-islamischen Weltreiches in selbständige
Einzelgebiete führte zu einem fortdauernden
Kriege aller gegen alle. Es ist der nimmer
rastende Kampf der Bestien in Menschengestalt um die
gewonnene Beute, über welchen der
Geschichtsschreiber für diese Epoche zu berichten
hat. All jene traurigen
Entwicklungserscheinungen, welche wir bei der
Auflösung des Weltreiches kennen gelernt haben,
wiederholen sich jetzt in den Einzelreichen
in kleineren Verhältnissen und deshalb oft in noch
abstossenderen Formen. Wo ein kräftigerer Haudegen
mit etwas zuverlässigeren Truppen die Regierung
führt, fällt er über seine Nachbarn her,
um ihre Besitzungen als gute Beute zu erwerben. Die
Eroberungen bringen ein grösseres Einkommen und
damit einen größeren Luxus des Herrschers, der
bald kein Mass mehr zu halten weiß. Um die
Staatskasse zu füllen, greift man zu
Vermögenskonfiskationen und Hinrichtungen. Ein
anderes Recht, als das der Gewalt ist unbekannt. Die
Sultane nehmen den Kaufleuten ohne Entschädigung
ihre Ware weg, und zwingen dann die Bevölkerung, die
Ware zu möglichst hohen Preisen dem
Staate wieder abzukaufen. Das nannte man Einführung
eines Staatsmonopols. Oder der Staat beteiligte sich an
den Spekulationen einzelner Kaufleute, zu deren
erfolgreicher Ausführung den Konsumenten
gegenüber die Machtmittel des Staates zur
Verfügung gestellt wurden. Auch die Minister haben
wieder wie die Raben gestohlen, wurden dafür
allerdings auch wie die Raben behandelt. Von dem 5.
Nachfolger des Sultan Beibars in Aegypten berichtet
hierzu der Chronist wörtlich:
„Sultan Nassir (1293—1294 n.
Chr.) mästete seine Emire, bis sie recht fett
waren, dann schlachtete er sie und alles von ihnen
Verschlungene kehrte zu ihm wieder
zurück.“ Mit der wachsenden
Unzufriedenheit der Untertanen greift auch in den
Einzelstaaten der Herrscher zu fremden Soldtruppen,
welche das Land noch mehr bedrücken und sich rasch
zu echten Prätorianern entwickeln. Das alles dauert
so lange, bis ein Stärkerer sich das betreffende
Land aneignet.
Wesentlich erhöht wird diese fast endlose Zahl
der Raub- und Bürgerkriege durch die Polygamie
der Herrscher. Die Mütter der verschiedenen
Thronkandidaten sind in der Regel Sklavinnen aus den
verschiedensten und fernsten Ländern. Jede Mutter
war nur darauf bedacht, daß ihr Sohn Sultan
würde. Und so führten dann gelegentlich vier
verschiedene Sultanswitwen jede zu Gunsten ihres Sohnes,
welche alle unmündige Kinder im Alter von 5 bis 15
Jahren waren, gegen einander Krieg. Die Klagen über
die Kebsweiber und die Mischlinge waren denn auch
ziemlich verbreitet. Da es an einer festen
Erbfolgeordnung fehlte, kamen die konsequenteren
osmanischen Türken auf das Abhilfsmittel,
sämtliche Brüder des nominierten
Thronkandidaten sofort zu töten. In anderen
Fällen entwickeln sich zwischen der Sultanin und ihrem Heerführer
intimere Verhältnisse, denen dann der Sohn und
Thronerbe geopfert wird u.s.w.
Bei dem fortdauernden Kriegszustand hatte die Zucht
der Soldaten außerordentlich gelitten. Fast
allgemein war das Militär der Bestechung durch
den Feind zugänglich. Die Soldaten liefen oft
mitten in der siegreichen Schlacht auf einmal davon. Oder
der Sultan sah sich am Tage nach einer siegreichen
Schlacht auf einmal von seinen Soldaten verlassen. Oder
die Laune eines mächtigen Emir gab ihm nach einer
Niederlage den Sieg. So wurde jetzt um
Königreiche Hazard gespielt und alle
Augenblicke ein neues Staatswesen aus beliebigen
Länderfetzen zusammengeschweißt, wenn nicht
der Dolch der Assassinen plötzlich wieder die besten
Spielerchancen vernichtete.
§ 52 Mitten in diesen tollen Hexensabbath hinein
fallen die Kreuzzüge der europäischen
Christenheit. (1096—1270 n. Chr.)
Hätten sich dieselben nicht gerade auf
Jerusalem versteift, das auch den
Muhammedanern eine heilige Stadt ist, so wären bei
der gewaltigen Ausdehnung des islamischen Reiches die
Kreuzzugskriege nicht über den Rahmen
unbedeutender Grenzstreitigkeiten hinausgegangen.
Zu einer allgemeineren Einigung der Muslime gegen die
Kreuzzugsbewegung ist es selbst in Vorderasien nie
gekommen. Der Chalife in Bagdad schien sogar diese
Verschärfung des allgemeinen Durcheinander nicht
ungern zu sehen. War es doch inzwischen ihm möglich
geworden, ein kleineres weltliches Herrschaftsgebiet
wieder an sich zu reißen. Dem ersten
einigermaßen kriegerisch geordneten Angriffe von
europäischer Seite mußte also Jerusalem
erliegen. Die dann auf bisher islamischem Boden
gegründeten christlichen Reiche haben
freilich die schlechten politischen
Zustände, welche sie in Vorderasien
vorgefunden haben, nur zu getreulich
nachgeahmt. Dem Vertreter
der Einheit der christlichen Eroberung, dem Könige
von Jerusalem, wurden nach Analogie des Chalifats in
Bagdad nur ganz bescheidene Machtbefugnisse reserviert.
Die eigentliche weltliche Macht lag hier in den
Händen der Grafen, wie dort in den Händen der
Sultane. Und die Herren Raimund, Boemund, Tankret,
Balduin und wie sie alle heißen, haben sich um
recht kümmerliche Fetzen Landes herumgeschlagen und
nicht selten dabei auf Seiten der Ungläubigen gegen
ihre Glaubensbrüder gekämpft. Nicht minder
eifrig waren diese christlichen Herren im Kopieren der
sittlichen und ökonomischen Verderbtheit der
Muslime. Als deshalb ein Sultan Nurredin
(1146 bis 1174 n. Chr.) ein streng rechtlicher kluger
Herrscher sich für die islamische Welt zeigte,
genügte die Begeisterung, mit welcher die
gläubigen Muslime diesem Führer folgten, dem
dann in Saladdin ein würdiger
Nachfolger erstanden war, um die Kreuzzugsritter aus
Jerusalem dauernd zu vertreiben. Die europäische
Kreuzzugsbewegung spielt deshalb in der islamischen
Geschichte nur eine kleine Rolle.
§ 53. Auch das arabisch-islamische Weltreich ist
an seinem Reichtume und an seinen
eigenen Fehlern zu Grunde gegangen.
Die ungeheuren Werte, welche die Raubzüge und die
ihnen folgende systematische Ausplünderung der
unterjochten Völker durch Jahrhunderte in den
Händen der islamischen Herrscher vereinigt haben,
hatten sich längst zu fabelhaften Märchen
verdichtet, die ihren Weg selbst durch
den ganzen weiten Kontinent von Asien gefunden hatten.
Nicht minder war gewiß all denen, die sich
hierfür interessierten, bekannt geworden, daß
das einst so gewaltige Herrschaftsgebiet der Araber mit
den fabelhaften Reichtümern sich in einige Dutzend
Räuberdynastien aufgelöst hatte, und deshalb
innerlich viel zu schwach geworden war, um einem
energischen Ansturm widerstehen zu
können. Das alles mußte in der ganzen Welt die
Eroberungslust anreizen, die zu Beginn der Kreuzzüge
deutlich genug aus der geschäftigen Bereitwilligkeit
der Normannen und der führenden italienischen
Handelsstaaten hervorgetreten ist. Für
Eroberer mit islamischem Glauben lag es
besonders nahe, die wichtige Lehre aus der
Gründungsgeschichte des arabisch-islamischen Reiches
nicht außer acht zu lassen und die
religiöse Begeisterung ihrem Unternehmen zu
sichern. So wurden auch diese
Eroberungskriege zu
Religionskriegen.
Zunächst überschwemmten von 933 n. Chr. ab
die Türken jenseits des Oxus in zwei
großen Wogen Westasien, Südeuropa und Indien.
Ihr erster Ansturm war vorgeblich der
Vernichtung der ketzerischen ismaelitischen
Propaganda in Persien gewidmet. Aber nur
vereinzelt ist aus diesen Türken etwas Besseres
geworden als Reiter und Kopfabschneider. Zweihundert
Jahre lang wurden ihre Züge durch Menschenleichen,
verbrannte Dörfer und Städte bezeichnet. Ueber
Nordafrika und Spanien verbreiteten sich im XI. und XII.
Jahrhundert die sich ablösenden
Plünderungshorden der fanatischen
Almoraviden und Almohaden,
welch letztere von einem der größten
Schwindler organisiert worden waren. Mit dem XIII.
Jahrhundert endlich heben jene furchtbaren
Mongolenstürme an, deren Geschichte
die Todeskunde des Islam und der
Muslime bedeutet.
§ 54. Als der große Mongolenherrscher
Dschingis-Chan auf seinem Eroberungszuge
(1216—1223 n. Chr.) in die Nähe des ersten
Grenzstaates des islamischen Reiches kam, schickte er dem
regierenden Sultan einen Brief, welcher lautete:
„Ich betrachte Dich als meinen liebsten Sohn und
werde Dich in nächster Zeit besuchen.“ In
einfaches Deutsch übertragen, bedeutete das: Ich
betrachte Dich als meinen Vasall und wenn Du nicht
damit einverstanden bist, dann hast
Du Dich auf Leben und Tod zu verteidigen.
Dschingis-Chan nannte sich selbst „Gottes
Geißel“, wie einst sein Vorgänger
Attila. Er war vorgeblich
gekommen, um im Auftrage Gottes die Menschen für
ihre schweren Sünden schwer zu bestrafen. Eine mehr
nüchterne historische Auffassung wird aber zugeben
müssen, daß auch einen Dschingis-Chan die
Sünden der Menschen in fremden Staaten nicht zu
einem militärischen Eingreifen gereizt hätten,
wenn diese sündigen Menschen arm
gewesen wären. Er ließ Herat
zerstören und alle Menschen, deren man habhaft
wurde, ermorden. Nachdem das Heer schon einige
Tagesreisen von den brennenden Ruinen entfernt war, kam
man auf den Einfall, umzukehren und nachzusehen, ob sich
nicht doch wieder Menschen eingefunden hätten.
Richtig faßte man 2 bis 3000 ab, die abermals
hingeschlachtet wurden. Von den vorher 100'000 Einwohnern
von Herat waren noch 16 übrig geblieben, die sich
auf unzugängliche Felsen gerettet hatten. Als in der
Stadt Merw alles zerstört und gemordet
war, kam man auf den Gedanken, von der Moschee den
Gebetruf erschallen zu lassen. Wirklich fanden sich
darauf die Uebriggebliebenen zum Gebete zusammen, um den
Tod zu finden. So wurden auch Buchara, Samarkand,
Chiwa und Balch erobert. Zehntausende
hat man als Gefangene zur Schanzarbeit vor den belagerten
Städten gezwungen, wo sie den Pfeilen und
Wurfspeeren der Belagerten zum Opfer fielen, wenn sie
nicht schon vorher an Entbehrungen zu Grunde gegangen
waren. Frauen, Kinder und Handwerker schleppte man mit
den eroberten Schätzen tief nach Asien hinein. Was
Dschingis-Chan zurückließ, war eine
Wüste, wo vorher auf hoch kultiviertem Lande
Millionen fleißiger Menschen sich betätigten.
Eine furchtbare Panik vor den Mongolen hatte sich der
Bevölkerung allgemein bemächtigt.
§ 55. Von 1253 bis 1265 n. Chr.
besuchte ein Enkel des Dschingis-Chan, der
gewaltige Hulagu die weiter nach Westen gelegenen
Teile der islamischen Reiche und gründete die
mongolische Dynastie in Persien. Sein Zug galt
vorgeblich der Vernichtung der Assassinen,
welche er konsequent durchführte. Als er in Bagdad
eingetroffen war, versammelten sich die islamischen
Fürsten, um ihm Untertänigst zu huldigen. Einer
dieser Sultane überreichte Hulagu dabei ein Paar
kostbare Pantoffeln, auf deren Sohlen das Bildnis des
Sultans kunstvoll eingestickt war, mit den Worten:
„Es ist die Hoffnung des Sklaven, daß der
Padischah mit seinem segenspendenden Fuße den
Sklaven erhöhen möge.“ Der Chalife wurde
in seinem Palaste besucht und aufgefordert seine
Gäste in würdiger Weise zu bewirten. Nachdem er
all seine Schätze ausgeliefert hatte, wurde er
ergriffen und mit seiner ganzen Familie hingerichtet.
Das Chalifat der Abbasiden in Bagdad erreichte so
mit dem 38. Chalifen sein Ende.
§ 56. Was Dschingis-Chan und Hulagu noch
übrig gelassen hatten, holte in den Jahren 1380 bis
1405 der eiserne Timur-Leng. Mit ihm war ein
Mann ins Land gekommen, dessen Name wie der jenes
Königs von Assur: Raubebald Eilebeute lautete. Timur
bedeutet „Eisen“, leng „lahm“,
der große Organisator der Siege hinkte. Sein
Wahlspruch auf seinem Ringe eingegraben: rústi
rasti muß sinngemäß mit
„Gewaltrecht“ übersetzt
werden. Man ersieht aus all dem: Dieser Mongole war
seiner historischen Rolle als „Expropriateur der
Expropriateure“ sich klar bewußt. Sein
Auftreten bedeutet die Vollendung des Ruins der
islamischen Länder. Eine seiner Liebhabereien
bestand darin, nach der Eroberung großer
Städte aus ganzen Menschenleibern und
Menschenköpfen Pyramiden bauen zu lassen.
Gelegentlich benutzte er einmal ca. 2000 lebende Menschen
als Baumaterial zwischen
Stein und Mörtel. Auch Timur-Leng war ein Vertreter
der orthodoxen Richtung. Seine Eroberungen
erstreckten sich von der chinesischen Mauer bis nach
Moskau, südwestlich bis zur kleinasiatischen
Meeresküste und nach Aegypten, südöstlich
bis zum Indus und zur Mündung des Ganges. Nach
Timur-Leng herrschte in den arabisch-islamischen Reichen,
die er durchzogen, die Ruhe des Kirchhofs. Die
muhammedanische Geschichte ist von nun ab eine Geschichte
der Türken.
§ 57. Der große einheitliche
Zug, welcher die Entwicklungsgeschichte des
arabisch-islamischen Weltreiches beherrscht, bildet den
eigentlichen Inhalt des ökonomischen Gesetzes
von der Expropriation der Expropriateure.
Zu Anfang sehen wir das Volk der Araber als
Räuberhorde organisiert, um möglichst
viele Völker zu erobern und auszuplündern. Das
Volk der Araber wird dann in dem dadurch gewonnenen
Einkommen expropriiert durch den Chalifen.
Die ersten Beamten und die geschickten
Unternehmer, welche sich an dem Raub des
Chalifen beteiligten, werden, wenn sie genügend
Reichtum zusammengescharrt haben, wieder
expropriiert durch den Chalifen. Der damit
wachsenden Verfeindung mit dem Volke sucht der Fürst
der Gläubigen durch Einstellung fremder Soldtruppen
zu begegnen, die sich jedoch rasch in die Rolle der
Prätorianer finden und als solche mit
der Expropriation des Chalifen beginnen, die
durch die selbständig gewordenen Statthalter
vollendet wird. Das damit eingeleitete allgemeine
Hazardieren um Königreiche weckt den
Türken- und Mongolensturm
und führt damit zur Expropriation aller bisher
zusammengeraubten Schätze.