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[ E.][Entwicklungsgeschichte der Völker des
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§ 76. Dem altgermanischen Königtume war der Begriff des absoluten Fürsten fremd. Der germanische König konnte „Unrecht“ tun, sein von der Volksversammlung gemißbilligtes Urteil wurde „gescholten“. Der germanische König konnte abgesetzt werden und ward seines Amtes schon zu Lebzeiten ledig, wenn er nicht mehr imstande war, vor versammeltem Kriegsvolk in voller Rüstung aufs Pferd zu steigen. Aus den lehenstaatlichen Anschauungen heraus ist dann die Theorie vertreten worden: Jede Herrschaft und Amtsgewalt ist ein göttliches Lehen, das im Falle einer Verletzung des evangelischen Gesetzes an den himmlischen Lehnsherrn zurückfällt. Damit war aber positives Recht dem göttlichen Rechte und bald auch dem Naturrechte nachgeordnet. Die Politik der Fürsten war verpflichtet, sich nach den Grundsätzen des Christentums zu richten. Auch die Könige konnten zur Rechenschaft gezogen werden und fanden ihren Richter. Begriff und Einrichtung des fürstlichen
Absolutismus sind den Völkern des
christlichen Abendlandes erst durch die engeren
Beziehungen zum Orient, zum byzantinischen und
namentlich zu den arabischen Reichen
zugänglich geworden. Hier war von
Muhammed (622) angefangen bis zu den
Nassrieden von Granada (1492) längst
zu einer vollendeten praktischen Kunst
ausgebildet, was Niccolo Macchiavelli erst
zu Anfang des XVI. Jahrhunderts als
Grundsätze eines Fürsten, welcher
seinen Staat stark und mächtig machen
§ 77. Ganz allmählich, wie die
Geldwirtschaft, hat sich auch das Söldnerwesen
in der abendländischen Geschichte entwickelt.
Schon im Lehensstaate bestand neben dem
Heerbann der Vasallen fast zu allen Zeiten das
Söldnertum. Früh schon hatten die Könige
begonnen, ihren Heeresgenossen besondere stipendia als
Sold oder Unterstützung für den Feldzug zu
zahlen. Was ursprünglich ein Akt königlicher
Freigebigkeit war, wurde bald genug ein Recht des
Kriegers. Unter Kaiser Heinrich IV.
forderten die Truppen nach dem Zuge gegen die Sachsen (i.
J. 1075) stürmisch ihr „praemium“.
Im XII. Jahrhundert war die Zahlung des
Stipendium Das wesentlich unter arabisch-islamischen und byzantinischen Einwirkungen entstandene Normannenreich in Sizilien und Neapel gab für Italien das Vorbild eines geordneten Söldnerwesens mit absoluter Fürstengewalt. Der Hohenstaufische Kaiser Friedrich II. hat dann die politische Organisation dieses Reiches weiter ausgebaut. In einer dem Abendlande bisher unbekannten Weise kam es zu einer Nivellierung der Volksmasse, zu einer Zentralisation der Staatsgewalt mit Hülfe bezahlter Beamten, zu einem geordneten, auf guten Katastern beruhenden Steuersystem, zu einer ausgebildeten Polizei- und Heeresgewalt, deren Kern besoldete Sarazenen waren, für welche der päpstliche Bann wirkungslos blieb. Die Hohenstaufen sind dann definitiv unterlegen (i. J. 1268), weil die reicheren Geldmittel der Päpste gestatteten, viel größere Söldnerheere aufzubringen. § 78. Zu einer allgemeinen
Einführung kam das Söldnertum in
Italien Ende des XIII., Anfang des XIV.
Jahrhunderts. Die Kreuzzüge und der
Levantehandel hatten die Städte reich
und mächtig werden § 79. Es ist klar, daß diese
Kriegsunternehmer sich stets dem
Meistbietenden verkauften. So war Leodrisio
Herzog Werner von Urslingen 1334—1351
wechselweise im Sold der Pisaner, des
Papstes, des § 80. Die Könige haben sich anfangs der
Mietstruppen immer nur mit halbem Herzen bedient. So
lange sie bei vorherrschender
Naturalwirtschaft auf den unsicheren Ertrag ihrer
Domänen angewiesen waren, befanden sie sich den
Söldnern gegenüber meist in der
peinlichsten Verlegenheit. Die unbezahlten Massen
streikten, durchzogen plündernd das Land und
trotzten ihrer Majestät. Sobald aber die
Geldwirtschaft sich allgemeiner eingeführt
hatte und das System der merkantilen
Wirtschaftsgrundsätze erfolgreich bemüht
war, die früher leeren Truhen der
Fürsten mit Nicht heimische Hirten, sondern wohlerfahrene
Söldner haben im XIV. und XV. Jahrhundert das
schweizer Aufgebot über die
habsburger und burgunder Ritterheere
so glänzend siegen lassen. Die in diesen
Schlachten gewonnene reiche Beute ließ
den Schweizern das Kriegshandwerk rentabler
erscheinen, als die friedliche wirtschaftliche
Arbeit zuhause. Reichliche
Bestechungen der heimischen Behörden
durch die benachbarten Könige erleichterten das
Werbegeschäft. So begann ein wildes
„Reislaufen“ der Schweizer, die
zeitweilig bis 60'000 Mann stark in fremden Diensten
gestanden haben sollen. Auch die überraschenden
Erfolge der Hussitenkriege waren vor allem
der Führung kriegserfahrener
Söldner zu verdanken. Auch diese Kriege
brachten den siegenden Truppen reiche Beute,
welche dann die Böhmen
veranlaßte, sich in größerer Zahl
dem Söldnerberuf zu widmen. Das Gleiche gilt
für die Albanesen nach ihrem
Freiheitskampfe gegen die Türken. In
Deutschland lieferte die erschwerte
Zuwanderung nach den Städten bei
gleichzeitiger Verschärfung der
ungünstigen landwirtschaftlichen Lage
das Material der Landsknechte. Schweizer
Reisläufer und deutsche Landsknechte bildeten die
Hauptmasse der Söldner im XV. und XVI. Jahrhundert,
denen Mit dem gesicherten Bezuge der „Lebware“ und dem genügenden Geldvorrat der Könige wurden die Söldnerheere zu ständigen Einrichtungen unter einer strafferen Zucht. Während das dritte Lateran-Konzil (i. J. 1179) zuchtlose Söldner mit dem Kirchenbann bedrohte, ein Strafmittel, dessen Wirksamkeit bald keine durchschlagende mehr war, beaufsichtigte König Ludwig XI. von Frankreich 1470 im Uebungslager von Pont de l’Aarche die Exercitien seiner Söldner mit dem Scharfrichter an seiner Seite. Die Söldner waren durch ihren Mietsvertrag zu Lohnsklaven ihrer Herren geworden und einer rücksichtslosen Ausbeutung preisgegeben. Indes hat die böse Aufführung der Söldner selbst zu solch eisernen Zuchtmaßregeln gezwungen. Ebensowenig ist zu verkennen, daß das Söldnerwesen die Fürsten wesentlich zu Eroberungs- und Beutekriegen anregte. Warum sollten die Könige jetzt nicht mit dem Blute ihrer Söldner wie mit dem ihrer Feinde „spielen“, wenn man beides für „Geld kaufen“ konnte? Die kapitalistische Organisation des
europäischen Söldnerwesens erreichte im
XVI. und XVII. Jahrhundert ihre volle
Durchbildung. Ueber die Lebware
„Söldner“ wurden detaillierte
Lieferungsverträge nach
Qualität und
Quantität der Ware, wie
Ort und Zeit der Erfüllung
abgeschlossen. Während des 30jährigen Krieges
wurden für Kürassiere und Stückknechte die
Tageskurse auf den militärischen
Börsen genau notiert. Wie heute für
Waren verschiedener Art, so wurden damals
Vorverkäufe für Söldner mit
Menschenhändlern abgeschlossen. Der
Oberst war mit
Gewinnbeteiligung an dem Unternehmen
interessiert. Gedenken wir noch der
häufigen Münz Damit dem Sklavenhandel auch der Sklavenraub nicht fehle, haben sogenannte Werbeoffiziere, die zum Abschaum der Menschheit gehörten, in raffiniertester Weise den Bauern vom Pfluge, den Müller aus der Mühle, den Bäcker vom Ofen, den Schmied vom Ambos, ja bisweilen selbst aus den Betten und aus den Kirchen weggeführt, um sie dann mit Hunger und Durst, mit unbeschreiblicher Hitze und allerhand Qualen zur Unterzeichnung und Annahme des Werbevertrages zu bringen. Es war schon gegen das Ende dieser Entwicklungsepoche (XVII. und XVIII. Jahrhundert), als eine ganze Reihe deutscher Kleinfürsten aus Leihverträgen über ihre Soldtruppen mit fremden Staaten ein gutes Stück Geld zu verdienen wußten. Die Beseitigung dieses Söldnerunwesens ist zumeist erst mit der Aufhebung des fürstlichen Absolutismus möglich geworden. Weil aber dieser Prozeß in den verschiedenen Staaten entwicklungsgeschichtlich stark abweichende Eigentümlichkeiten zeigt, kann eine gesonderte Betrachtung der Geschichte des Kapitalismus auf fürstlichem Throne hier nicht umgangen werden. § 81. Wie
Portugal seiner geographischen
Lage nach ein Küstenland
darstellt, dessen Gebirge und große Flüsse im
Wesentlichen nur Fortsetzungen der
Erdoberflächengestaltung Spaniens bilden, so
Ihre verschiedenen Entwicklungswege beginnen mit der politischen Trennung beider Völker, welche vom Jahre 1101 datiert. Die Erhebung des Herrschers von Portugal zum Könige wurde 1142 vom Papste gegen eine jährliche Tributzahlung anerkannt. Die Cortes von Lamego gaben dem Staate seine innere Organisation. 1147 wurde Lissabon mit Hilfe niederrheinischer Kreuzfahrer den Arabern entrissen. 1263 erhielt Portugal im wesentlichen seine heutigen Grenzen. Zu Anfang des XIII. Jahrhunderts versuchte die königliche Gewalt, ihre Macht gegen Kirche und Adel zu steigern, unter gleichzeitiger Begünstigung der Städte und der Bauern; aber der neuerliche Aufsaugungsversuch von spanischer Seite ließ unter der Begeisterung dieses Freiheitskampfes solche Bestrebungen wieder zurücktreten. Im Jahre 1383 erschien die Stellung Johanns I. als König von Portugal gesichert. Von nun an beginnt eine neue, äußerlich glänzende Epoche. § 82. Man hatte die Araber aus Portugal siegreich
verdrängt. Die Annexionsgelüste von Castilien
waren abgewiesen worden. Warum sollte man nicht den
Kampf mit den Arabern in Afrika aufnehmen
können? 1415 wurde Ceuta erobert. Aber da zeigte es
sich schon, daß Die Portugiesen waren damals noch keine
Seefahrer. Heinrich ließ sie deshalb durch
Italiener und Deutsche im Seefahren und Schiffbauen
unterrichten. Er gründete die erste nautische
Schule der Welt und war unausgesetzt bemüht,
die damals höchst primitiven nautischen
Instrumente zu verbessern. Die Araber
verfügten damals über die besten
geographischen Kenntnisse. Die Frage: ob die
Auffindung eines Seeweges um Afrika herum nach Indien
überhaupt möglich sei? konnte von den Arabern
am besten beantwortet werden. König Johann
II. (1481 — 1495) schickte deshalb 1487 zwei
des Arabischen vollkommen kundige Männer nach
Alexandrien, von wo aus sie in der
Verkleidung von Honigkaufleuten § 83. Inzwischen war eine Teilung der
Weltherrschaft zwischen Portugal und Spanien
nötig geworden. Christoph Columbus
hatte 1492 für Rechnung Spaniens Amerika
entdeckt unter der irrigen Annahme, an der Ostküste
von Asien gelandet zu sein und den Seeweg nach Indien
gegen Westen gefunden zu haben. Alle Eroberungen
neuer heidnischer Länder sollten nach der damals
herrschenden Auffassung in erster Linie für
das Christentum im Sinne der römischen Kirche
geschehen. Der Papst erschien deshalb berechtigt, die
noch nicht entdeckte Welt zu vergeben. Papst Martin
V. hatte mit Bulle von 1441 alle Länder
zwischen Kap Bojador an der Westküste
von Afrika und Indien, Portugal
zugesprochen und vollkommenen päpstlichen
Ablaß für alle bei der Eroberung dieser
Gebiete fallenden Leute gewährt. Diese
päpstliche Entscheidung stand damals international
in solchem Ansehen, daß König Eduard IV.
von England § 84. Die gewaltigen
Reichtümer, welche Portugal aus seinen
Kolonien bezogen hat, trafen dieses Volk in einer Zeit,
in welcher seine wirtschaftlichen Verhältnisse
noch nicht den Kinderschuhen der Kupferwährung
entwachsen waren. Die Rechnungseinheit war die
Kupfermünze „real“, etwa
einem kleinen Pfennig entsprechend; „Reis“
ist die Mehrheitsbezeichnung für real. Als der
Kolonialreichtum einströmte, begann man nach je 1000
Kupfermünzen = 1 Milreis zu rechnen,
die heute etwa 4 1⁄2 Mk.
entsprechen. Der neue Reichtum Da Portugal an der westafrikanischen Küste zuerst
Fuß faßte, flossen aus diesen Ländern
die ersten Bezüge. 1444 wurde der portugisischen
Neu-Guinea-Compagnie das
Handelsmonopol für Westafrika
übertragen. Man tauschte von den Beduinen
Sklaven und Gold gegen
Pferde, Seide und Silber und
veranstaltete gelegentlich selbst
Sklavenjagden im Innern des Landes.
König Johann II. zog bereits
ansehnliche Geldeinkünfte aus der Einfuhr von Gold
und Sklaven nach Lissabon. Damit wuchs die absolute
Macht des Königs, welcher jetzt viele von
seinen Vorfahren verschenkte
Krondomänen einzog und eine vom Adel
dagegen gerichtete Verschwörung mit der
Enthauptung der beiden führenden Herzöge
bestrafte. Als nach der ersten Landung Vasco da
Gamas das indische Kolonialreich bald erobert war,
mit Goa an der Westküste von
Vorderindien, Colombo auf Ceylon,
Malakka als Zentrum der
Gewürzinselgruppe der Molukken und
Ormus dem „Edelstein im Ring der
Welt“ am persischen Golf als Stützpunkte, da
überragten rasch die Einnahmen aus diesem Gebiete
den Wert aller übrigen Besitzungen. Die
Krone hatte sich hier den Import an
Perlen und Edelsteinen allein vorbehalten. Bei
Kaufmannseinfuhr von Gewürzen
gehörte die Hälfte dem König.
Andere Waren hatten entsprechende Zölle
zu tragen. Was die portugiesischen
Regierungsschiffe in Indien erwarben und
heimbrachten, gehörte ebenfalls dem
Könige. So wurde der König
von Portugal der größte
Gewürzhändler seiner Zeit. Die
Gewürze hatten damals einen weit höheren
Metallwert als heute: Die Preise, welche in
Lissabon für die aus der ersten Rückkehr
Vasco da Gama’s (1499)
verkauften Gewürze erzielt wurden,
vergleichen sich Lissabon 1499: Hamburg 1904: 1 Pfund Pfeffer . . . . . 1 M. 50 Pfg. 49 Pfg. 1 Pfund Zimmt . . . . . 3 M. 20 Pfg. 45 Pfg. 1 Pfund Gewürznelken . . 3 M. 50 Pfg. 50 Pfg. 1 Pfund Ingwer . . . . . 2 M. — Pfg. 26 Pfg. 1 Pfund Muskatnuß . . . . 5 M. 25 Pfg. 90 Pfg. In der besten Zeit soll Portugal jährlich über 800 Millionen Mark aus Indien gezogen haben. Mit den glänzenden Baudenkmälern, welche aus diesen indischen Schätzen in Portugal erstanden, bildete sich zu Anfang des XVI. Jahrhunderts der berühmte Manuelstil, welcher in charakterischer Weise eine Verschmelzung der späteren Gothik mit arabischen und indischen Motiven darstellt. Ein glänzender üppiger Luxus entwickelte sich am Königshofe. Lissabon wurde für mehr als 100 Jahre der erste Handelsplatz Europas und der erste Stapelplatz für Erzeugnisse des Orients im christlichen Abendlande. Indeß vollzogen sich gerade jetzt jene bedenklichen volkswirtschaftlichen Verschiebungen, an deren unseligen Folgen Portugal heute noch krankt. Den besten Leitfaden für diese Ereignisse bietet die Geschichte der Getreidepolitik Portugals. § 85. Nachdem das Land in der zweiten Hälfte
des XIII. Jahrhunderts seine heutigen Grenzen gewonnen
hatte, folgten im XIV. Jahrhundert ernstliche Versuche
einer besseren volkswirtschaftlichen Organisation. Die
Interessen der Bürger und Bauern wurden
begünstigt, die Macht der Kirche
und des Adels eingeschränkt. Und als
die Klagen des Volkes über Mangel an
Brotgetreide nicht verstummen
wollten, verfügte das Gesetz von 1375, daß
alle Grundbesitzer gehalten seien, ihre
unbebauten, aber ertragsfähigen
Grundstücke zu bestellen, evt. sie mit
Pächtern zu besetzen, für § 86. Schon zur Zeit der noch überwiegenden
Naturalwirtschaft waren Kirchen und Klöster in
Portugal reich, namentlich an
Grundbesitz. Als dann der
Goldstrom aus den Kolonien ins Land sich
ergossen, wurden Kirchen und Klöster noch
reicher. Die überschwellende Begeisterung der
Portugiesen gehörte einmal in erster Linie der
Kirche. Das portugiesische Freiheitsdenkmal nach
glücklicher Abwehr der kastilischen
Annexionsgelüste war das Kloster Santa Maria
da Victoria. Westlich am Hafen von Lissabon
gründete Heinrich der Seefahrer als
Andachtshaus für die Seeleute das Kloster
Belem (Bethlehem), das König
Emanuel dann aus den Schätzen Indiens
wunderbar ausbaute. Und selbst als zu Anfang des XVIII.
Jahrhunderts Die Kirche war reich und bot ihren Angehörigen ein angenehmes, sorgenfreies Leben. Das Volk war arm geblieben. Da konnte der Andrang in die Klöster und in den Kirchendienst nicht überraschen. Ein ganz unverhältnismäßig großer Prozentsatz der Bevölkerung fand Unterschlupf in der Kirche. In Goa sollen gegen Ende des XVI. Jahrhunderts 30'000 Kleriker gewesen sein, während die übrige portugiesische Bevölkerung daselbst kaum mehr als die Hälfte dieser Ziffer erreichte. Bei der schlechten und unregelmäßigen Bezahlung der Söldner sollen wiederholt Hunderte von den nach Indien geschickten Mannschaften bei ihrer Ankunft in Indien direkt ins Kloster gegangen sein. Selbst ein so katholischer Fürst wie Philipp IV. von Spanien hat deshalb 1625, als gleichzeitiger Herrscher über Portugal, die Errichtung neuer Klöster in Indien ausdrücklich verboten und 1635 untersagt, daß die Klöster in Indien ferner Erbschaften annehmen, Ländereien kaufen oder sich an der Perlfischerei beteiligen dürften. Ein weiterer Mißstand des Reichtums der
Kirche folgte aus der damals herrschenden Auffassung vom
Almosen. Die übermäßig
reichen Kirchen gaben auch
übermäßig reiche Almosen.
§ 87. Die kapitalistische Kurzsichtigkeit der Portugiesen hat alles getan, diese Quellen für Portugal abzugraben, während die Vereinigung der Venetianer und Genuesen mit Aegypten und den Arabern, welchen Portugal seit Anfang des XVI. Jahrhunderts den vorher so blühenden Levantehandel bis auf einen unbedeutenden Rest entrissen hat, wenig dagegen vermochte. Der koloniale Gewinn der Portugiesen
setzte sich zusammen aus: Wegnahme und
Plünderung fremder Schiffe, gewaltsamer Festsetzung
der Preise für die Warenverkäufer in Indien,
Sklavenhandel und Sklavenraub,
rücksichtslosester Ausbeute der heimischen
Bevölkerung als rechtlose Arbeiter im
Bergbau und Plantagenbau und
Besteuerung der einheimischen Bevölkerung in
einer Form, die nur zu häufig in eine
direkte Beraubung ausartete. Das alles sind
Erwerbsarten privilegierter Räuber und
Spitzbuben. Nach offizieller Anschauung war den
Portugiesen alles erlaubt, während die
einheimische Bevölkerung als rechtlos
betrachtet wurde. Von einer sittlich zu billigenden
Erwerbsart ist in dieser ganzen kolonialen
Bereicherungstätigkeit der Portugiesen fast
nichts zu erkennen. Das konnte auf diese
Träger europäischer Kultur unmöglich
sittlich fördernd zurück Die schon längere Zeit nicht mehr besoldeten Soldaten waren zu ihrer Erholung ins Spital gegangen. Die Geschütze aus dem königlichen Arsenal hatte man Kaufleuten zur Ausrüstung ihrer Privatschiffe überlassen. Die Regierungskassen waren leer. Die Beamten verfügten über keinerlei Sprachkenntnis und hatten sich gewissenloseste Vernachlässigung ihres Dienstes zu Schulden kommen lassen. Die Finanzbeamten wußten, trotz ihres bescheidenen Gehaltes, binnen wenigen Jahren große Reichtümer zu erwerben. Die Edelleute waren mit ehrlichen und unehrlichen Handelsgeschäften bemüht, sich ihre Taschen zu füllen. Die Waren von schlechtester Qualität wurden für die Krone erworben, die besseren Waren aber anderwärts verkauft. Dies alles konnte die Einnahmen Portugals aus Indien nur mindern. Der ungeheure Druck dieses furchtbaren Regiments der
Habgier auf der einheimischen Bevölkerung
mußte Reaktionen in der Form blutiger
Aufstände wachrufen, welche Portugal etwa von
1505 ab gezwungen haben, eine stehende Flotte in
den indischen Gewässern zu unterhalten, auf
indischem Boden ausgedehnte
Festungsbauten in Angriff zu nehmen und die
Kolonialtruppen entsprechend zu vermehren.
Damit wurden die ordentlichen wie
außerordentlichen Ausgaben nicht unwesentlich
erhöht, was abermals den Reinertrag minderte.
Bei der absoluten Unzuverlässigkeit dieser Leute
aber, die gar kein anderes Ziel der Kolonialpolitik
kannten, als sich in kürzester Zeit tunlichst
§ 88. Auch dieses Ereignis wurde
durch den spanisch – portugiesischen
Absolutismus herbeigeführt. König
Philipp II. wollte die habsburgischen
Weltherrschaftspläne verwirklichen helfen und
führte deshalb gegen Holland und
England Krieg. Die Niederlande hatten
anfangs ihre Handelsgeschäfte in orientalischer Ware
mit Lissabon und Kadix
abgeschlossen. Als aber Philipp 1585 und 1595 alle
holländischen Schiffe in den spanischen und
portugiesischen Gewässern wegnehmen ließ,
waren diese Völker gezwungen, zum
direkten Einkauf in Indien überzugehen.
Der Engländer Franz Drake nahm 1587 den
ersten großen Indienfahrer mit einer Ladung im
Werte von zwei Millionen Mark weg. 1595 ging die
erste holländische, 1600 die
erste englische Flotte nach
Indien. Engländer und Holländer
traten von nun an als neue Konkurrenten in Indien auf.
§ 89. Brasilien wurde von 1534 ab in
einer den Arabern entlehnten Weise an einzelne Personen
oder Körperschaften zu Lehen gegeben. Die
Krone behielt das
Bestätigungsrecht für jeden
Besitzwechsel dieser Lehen, das
Handelsmonopol für die wichtigsten
Kolonialprodukte und bezog außerdem
1⁄5 des
Ertrages an Edelmetallen und
Edelsteinen, 1⁄10 von allen übrigen
Erzeugnissen. Da die Fortschritte der Kolonie
gering Inzwischen haben wiederholt (1586, 1591, 1595) englische Geschwader das Küstenland geplündert. Von 1604 an erschienen auch hier die Holländer. Immer wieder werden von ihnen und den Engländern portugiesische Schiffe und ganze Flotten weggenommen. Nach der Losreißung Portugals von Spanien beliebten die Holländer unter dem Deckmantel der Bundesfreundschaft auch hier möglichst gute Geschäfte für sich zu machen, die erst mit Cromwell’s Hilfe 1654 zu Gunsten Portugals wieder rückgängig wurden. Der Friede von 1661 schenkte den Holländern die Handelsfreiheit in den portugiesischen Kolonien. Nur in Nordbrasilien war man etwas humaner gegen die Eingeborenen, im Süden haben die Menschenjagden vielen Hunderttausenden von Indianern das Leben gekostet. Die Goldquellen aus Indien hatten für
Portugal bald zu fließen aufgehört. Die
Regierung bot § 90. Den portugiesischen Interessen in
Afrika war es inzwischen nur um Weniges besser
ergangen. Man hatte von Anfang an die afrikanische Ost-
und Westküste im wesentlichen nur als
Stützpunkte für die Indienreise
betrachtet und darum wenig für die Befestigung der
portugiesischen Herrschaft im Lande getan.
Englische Seefahrer haben schon
1552—58 gute Geschäfte in
Westafrika von der Goldküste bis zum Kap der
guten Hoffnung gemacht. Die portugiesischen
Stationen fanden sie nur schwach besetzt und
nur in loser Verbindung mit der Heimat. Um die gleiche
Zeit etwa ist hier auch Frankreich als
Konkurrent aufgetreten. Nach der Vereinigung von
Portugal mit Spanien (1580) war das Interesse der
Staatsregierung für Afrika fast erloschen. Die
Königin Elisabeth von England gab
Privilegien für den Handel mit Marokko
(1558), mit Senegal (1588), die
Holländer besetzten 1595 Guinea,
1641 die Goldküste, 1652 das Kapland. Bis Anfang des
XVIII. Jahrhunderts war nur noch wenig von
Westafrika für Portugal
übrig. Schon seit Mitte des XVII.
Jahrhunderts § 91. Wie steht es heute mit der einstigen
Weltmacht Portugals? Der fürstliche
Absolutismus mit seinen
Weltherrschaftsplänen hatte das kleine
Volk hinausgeführt in die neu entdeckten Weltteile
mit dem Auftrage, möglichst große
Reichtümer zu erobern. Ungeheure Summen sind
dann nach Portugal geflossen, aber die Eroberung von
Nordafrika scheiterte. Das Gold der Kolonien
wurde für eine luxuriöse
Hofhaltung, für Geschenke an die
Günstlinge des Königs, zur
Ausstattung überreicher Kirchen und
Klöster verwendet. Die Masse des Volkes
in Portugal ist arm geblieben, wie
sie es war. Rasch hatte die schamlose
Habgier, mit der die Kolonien ausgeplündert
wurden, sich selbst das Grab gegraben. Die
goldbringenden § 92. Im Vergleich zu den beiden anderen
großen Halbinseln Süd-Europas, der
apenninischen und der
griechischen, hat die Natur die
pyrenäische weniger reich ausgestattet.
Sie besitzt nicht entfernt eine so reiche
Küstengliederung wie Griechenland und
Italien. Ihr Klima hat, wenn man von den
südlichen Küstengegenden absieht, nicht die
Vorzüge des griechischen und italienischen. Ihre
Bodenformation ist auf weiten Gebieten der
Landwirtschaft nicht günstig, und dem
Verkehre treten vielfach ernste
Schwierigkeiten entgegen. Die gedrungene, in sich
abgeschlossene Form der Pyrenäischen Halbinsel
verhindert, daß die Vorzüge des Seeklimas
einem großen Teile des Landes zu Gute kommen. Es
herrscht kontinentales Höhenklima vor,
mit all seinen Nachteilen, wie raschem Wechsel der
Jahreszeiten,
extremer Kälte und Hitze, Nachtkälte auch in
den heißen Monaten, austrocknenden Winden und
Dürren — Eigenschaften, welche durch die
starke Entwaldung des Landes seit Zusammenbruch der
Araberherrschaft noch verschärft worden sind.
Höhenklima! Denn Spanien ist zum großen Teile
hohes Tafelland. Die Halbinsel umfaßt
590'068 Quadratkilometer, und nicht weniger als § 93. Es wurde schon im §
81 ausgeführt, welchen Einfluß
notwendigerweise die fast 800jährigen
Kämpfe des spanischen Volkes (711—1492) gegen
die Herrschaft der Araber auf den
Volkscharakter ausüben mußten. In
politischer Hinsicht läßt das
langsam erobernde Vordringen der Christen eine
größere Zahl von Kleinstaaten
entstehen, in denen sich die Mitglieder der
Fürstenhäuser, Königtum und
Adel und die kleinen Reiche
gegenseitig aufs Bitterste bekämpfen.
Häufig genug spielen dabei Bündnisse
christlicher Fürsten mit muhamedanischen Herrschern
gegen christliche Staaten eine Rolle. Das aufstrebende
Bürgertum in den Städten steht in
diesen Kämpfen auch hier in der Regel auf Seiten des
Königs. Diese egoistischen Fehden unter den Christen
erleichterten den Mauren wiederholt ein
Zurückdrängen der Christenherrschaft, bis
schließlich um die Mitte des XV. Jahr Kastilien ist das weitaus größere und angesehenere von beiden. Es reicht von der nördlichen Meeresküste der Halbinsel bis zur südwestlichen, südlichen und südöstlichen hinab, das letzte Maurenreich Granada bis zum Meere umspannend. Neben seinen ungeheuren Hochebenen und seinen zahlreichen Gebirgen beherrschte es auch viele der fruchtbarsten Gegenden der Halbinsel, zahlreiche Städte, wie auch die vortrefflichen Hafenplätze Kadix, Cartagena und Sevilla. Aragonien hat, von seiner wilden unfruchtbaren Bergheimat am Südabhange der Pyrenäen ausgehend, ebenso sehr durch Klugheit und List, als durch Tapferkeit das gewerbsfleißige handelstüchtige Catalonien mit der reichen Handelsstadt Barcelona sich angegliedert und von den Mauren das fruchtbare industriereiche Königreich Valencia erobert, sodaß nun beinahe 4⁄5 der Südostküste von Spanien seinem Szepter unterstellt waren. Außerdem ist Aragonien seit dem XIII. und Anfang des XIV. Jahrhunderts Herr über die fruchtbaren Inseln der Balearen (1232) wie über Sardinien (1326) und Sizilien (1282) und somit wesentlich an der Blüte des internationalen Handels im Mittelmeerbecken interessiert. § 94. Im Jahre 1469 wurden Castilien und
Aragonien durch die Heirat zwischen Ferdinand dem
Katholischen von Aragonien und der Königin Isabella
von Castilien und Leon vereinigt. Die
„Herrschaft der Könige“,
wie die Regierung Ferdinands und Isabellas heute noch
bezeichnet wird, war eine überaus folgenreiche
für Spanien. Staat und Volkswirtschaft hatten damals
unter den schwersten Mißständen zu leiden. Der
Adel war § 95. Diesen Mißständen sind Ferdinand
und Isabella in tatkräftiger Weise entgegengetreten.
Um den Klerus besser in seine Gewalt zu
bekommen, erwarb Ferdinand für sich und
seine Nachfolger vom Papste das Recht der § 96. Es sollte anders kommen.
Gelegentlich jenes glänzenden Schauspiels, das die
Uebergabe Granadas an Ferdinand und Isabella
durch den letzten Maurenkönig auf spanischer Erde
bot, war es endlich dem Genueser Christoph
Columbus gelungen, die materielle
Unterstützung Isabellas zu der von ihm geplanten
Auffindung eines westlichen Seeweges nach
Indien zu erhalten. Die seit Anfang des XV.
Jahrhunderts datierenden Bestrebungen Portugals, um die
Küste von Afrika herum den Seeweg nach Indien zu
finden, hatten naturgemäß die Seefahrer der
Handelsstaaten des Mittelmeeres in großer Erregung
erhalten. Die Wunderländer jener
Reisebeschreibungen, welche die mit den
Kreuzzügen erwachte Reiselust (Marco Polo
1271—1295) Europa geschenkt hatte, sollten
dem europäischen See § 97. Kaum waren aus den neuen
Ländern die ersten Millionen an
die spanische Krone abgeliefert worden, als
auch diese selbst von der für die Völker so
gefährlichen Goldseuche ergriffen
wurde. Die gute Isabella zwar war noch auf
ihrem Sterbebette besorgt, daß auch ihre neuen
Untertanen gerecht behandelt würden.
König Ferdinand aber gab schon seinen
Leuten die kalte geschäftsmäßige
Instruktion moderner Milliardäre: „Sucht Gold,
wenn möglich ohne Grausamkeiten, aber
jedenfalls sucht Gold zu bekommen, hier habt
ihr Vollmachten!“ König Ferdinand
war damit aus einem Führer des Volkes auf der
aufsteigenden Bahn menschheitlicher Entwicklung zu
einem Großkapitalisten auf fürstlichem
Throne geworden, dessen leitender Gedanke die
Profitwut ist. Sein Auftrag wurde
gewissenhaft befolgt. In den Jahren 1493—1600
sollen etwa 4027 Millionen Mark Gold allein,
ohne das Silber, aus den Kolonien nach Spanien geflossen
sein. § 98. Die Herrenstellung der Spanier in den
Kolonien mit den glänzenden Aussichten auf
große Gewinne hat zur Auswanderung
ungemein angeregt und dadurch die dünne
Bevölkerung der Heimat noch mehr
gelichtet. Weil aber in solchen Fällen stets
die energievollen und tatkräftigeren Individuen sich
zur Auswanderung entschließen, mußten in
Spanien Landwirtschaft und
Gewerbe am meisten unter diesem
Bevölkerungsabfluß leiden. Damit wurde das
Angebot von Arbeitskräften
wesentlich kleiner, die Löhne
erhöhten sich entsprechend. Aber auch
der Preis aller Waren, welche für den
Export nach den Kolonien benötigt
wurden, steigerte sich wesentlich auf Grund
einer ähnlichen Verschiebung von Angebot und
Nachfrage. Das einströmende Gold
und Silber konnte von dem erst für die
Kupferwährung reifen allgemeinen Verkehr nicht
aufgenommen und festgehalten werden.
Soweit die Edelmetalle nicht im Inlande zur
Schatzbildung Verwendung fanden,
strömten sie — wie immer unter
gleichen Umständen — bei der ersten sich
bietenden Gelegenheit nach dem Auslande ab.
Nur in wenigen Händen sammelten sich
ungeheure Reichtümer an, welche unter
den gegebenen Umständen zur
Latifundienbildung führten. Bei der
traditionellen hervorragenden Stellung der Kirche
in Spanien mußte auch diese zu
übermäßigem Reichtume
kommen, welcher das arme Volk zum
Eintritt in die Reihe der Kleriker reizte
oder als privilegierte Bettler an den
Früchten dieses Reichtums mitzehren ließ. Der
Schwerpunkt des gesamten volkswirtschaftlichen
Erwerbs verlegte sich aus der Heimat nach
den weiten Kolonialreichen, wo in
rücksichtslosester Weise Boden und § 99. Aus mittleren Verhältnissen heraus war
Rudolf Graf von Habsburg 1273 deutscher
Kaiser geworden. Die von ihm neu geschaffene
Hausmacht Oesterreich, Steiermark und Krain
erlangte für die Habsburger eine um so
größere Bedeutung, als zu Anfang des XIV.
Jahrhunderts ihr Stammland, die Schweiz,
verloren ging. Unter Maximilian I.
(1493 bis 1519) kam durch Aussterben der Habsburger
Nebenlinien der Besitz der gesamten österreichischen
Lande in eine Hand. In dem Kopfe dieses
Fürsten scheint zuerst die Idee und der Plan
einer Weltherrschaft der Habsburger gereift zu
sein. Sein Wahlspruch, mit dem er eine Art
symbolische Abgötterei trieb, an den er fatalistisch
glaubte, und den er in höchst ungewöhnlicher
Weise sogar in sein Majestätssiegel aufnahm, war:
„A. E. J. O. U.“ das ist „Austriae Est
Imperare Orbi Universo“ oder „Alles Erdreich
Ist Oesterreich Untertan“. Und siehe da, vor allem
durch die von Maximilian wesentlich ausgebildete
Heirats- und Vertragspolitik der Habsburger
war schon bei seinem Enkel und Nachfolger auf dem
deutschen Kaiser § 100. Durch kirchliche Mißstände
veranlaßt, waren Luther (1517) in
Deutschland, Zwingli (1518) in der Schweiz
und Calvin (1532) in Frankreich und der
Schweiz als kirchliche Reformatoren aufgetreten. Die
dadurch entfachte Reformationsbewegung führte
vielfach zur Säkularisation der
Kirchengüter zu Gunsten der Staatsgewalt. Die
Habsburger waren durch wesentliche
Interessen zu Gegnern solcher Neuerungen
gestempelt. Noch ein zweites Ereignis trat hinzu.
Auch auf deutschem Boden war mit der Ausbreitung
der Geldwirtschaft überall dort, wo noch
grundherrliche Beziehungen zwischen Adel und
Bauer bestanden haben, eine ungerechte
Bedrückung und Ausbeutung der bäuerlichen
Arbeit eingeleitet. Bald da, bald dort kam es im
deutschen Reiche zu lokalen
Bauernaufständen (1492 Schwaben, 1493
Schlettstadt, 1500 Ochsenhausen, 1502 Bruchsal, 1513
Freiburg, 1514 Württemberg, 1515 Krain, Kärnten
und Steiermark), welche immer unterdrückt wurden und
deshalb wenig an der ökonomischen Lage der Bauern
besserten. Die Unzufriedenheit im Volke wuchs immer mehr
und wurde immer allgemeiner. Da kam die Kunde von der
Wahl des neuen mächtigen deutschen Kaisers
Karls V. (1519). Das Volk erhoffte von ihm
Schutz für sein gutes Recht. So hatte
schon Ende des XIII. Jahrhunderts Graf Florens V.
von Holland, so haben Ende des XV. Jahrhunderts
Ferdinand und Isabella in
Spanien durch Anschluß an die
bäuerliche Aufstandsbewegung ihre
Herrschermacht über den Adel wesentlich
gestärkt. So hat der siegreiche
schwedische Bauernaufstand in den
dreißiger Jahren des XV. Jahrhunderts dem Lande
wieder ein heimisches Königtum
geschenkt. Auch die deutsche Bauernbewegung war jetzt
durchaus loyal dem Kaiser gegen
§ 102. Dieser Friede konnte indes
unmöglich von langer Dauer sein, denn
er enthielt zu viele noch ungeschlichtete
Streitfragen. Wie sollte es mit jenen
Gebieten gehalten werden, welche bei der
ständigen Eroberungslust der deutschen
Fürsten den geistlichen Stiftungen
verschiedenster Art weggenommen wurden?
Brachte die Entscheidung der Waffen in
solchem Falle auch die Entscheidung über das
Religionsbekenntnis dieser Bewohner? Wie war zu
entscheiden, falls zwei Fürsten
verschiedener Religionsbekenntnisse Ansprüche
auf das gleiche Land geltend machten? oder
falls die einander folgenden Fürsten
der gleichen Regentenfamilie einen
verschiedenen Grad von
Abneigung Zu Beginn des Krieges trat wieder die alte
Unklarheit in der Politik der deutschen
Fürsten hervor. Der lutherische Kurfürst
Johann Georg von Sachsen kämpfte auf
Seiten der katholischen Liga und der
Habsburger gegen die
Böhmen und Calvinisten, um
die Lausitz und Schlesien
für sich zu gewinnen. Ebensowenig
kümmerten sich die raubenden und plündernden
Söldnerheere um eine Unterscheidung
zwischen Freundes- und
Feindesland. Als jedoch das Kriegsglück
zu Gunsten der Habsburger sich zu wenden schien, der
kaiserliche Heerführer Wallenstein zum
„Herzog von Mecklemburg und General des
baltischen und ozeanischen Meeres“ ernannt
wurde und sogar kaiserlichen Truppen die
Polen gegen das ebenfalls von Rom bereits
abgefallene Schweden unterstützen,
welches unter Führung seines Königs
Gustav Adolf die Herr Die katholische Republik Venedig unterstützte den Schwedenkönig mit reichen Geldsendungen. Papst Urban VIII. schlug dem Habsburger Herrscherhause die Subvention durch Kreuzzugssteuern ab mit der Motivierung: dieser Krieg sei kein Religionskrieg, denn katholische Mächte ständen auf Seiten der Schweden gegen die Habsburger. Der dreißigjährige Krieg hat dann genau so lange gedauert, bis die erobernde Kraft des spanisch - habsburgischen Weltreiches gebrochen war. Der Westfälische Friede (1648) brachte den Begriff der Landeshoheit der deutschen Kleinstaaten zum Abschluß und zerriß so fast vollständig das Band der Einheit des deutschen Reiches. Die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens wurden auch auf die Reformierten (Calvinisten) ausgedehnt und für den Besitz der Kirchengüter wie für die Anerkennung der Religionsübung wurde der Zustand vom 1. Januar 1624 als maßgebend festgesetzt. Garantiert wurde die Einhaltung dieser Friedensbedingungen nicht durch den deutschen Kaiser aus dem Habsburger Hause, sondern durch Frankreich und Schweden, welches mit den ihm zufallenden Besitzungen in die Reihe der deutschen Reichsstände eintrat und auch dadurch den politischen Einfluß des Hauses Habsburg in Deutschland minderte. § 103. In welcher Weise hatte sich nun inzwischen die Eroberungskraft des spanisch – habsburgischen Weltreiches erschöpft?
Die unter Karl vereinigten 17 Provinzen der
Niederlande, welche als Burgundischer
Kreis seit 1548 wieder zu Deutschland
gehörten, konnten als Glied eines so mächtigen
Reiches zunächst nur gewinnen. Der
niederländische Handel besorgte bald
für Spanien und Portugal den Absatz ihrer Produkte
durch die ganze nördliche Hälfte von
Europa. Und die Vertretung der
niederländischen Interessen an dem Getreidehandel
mit den Ostsseeländern konnte gegen
Dänemark wie gegen die niedergehende
deutsche Hansa von der Regierung eines
Beherrschers der halben Welt natürlich wirksamer
vertreten werden, als von einer der 17
niederländischen Provinzen. Ganz anders lagen die
Verhältnisse für das kastilische
Spanien. Die weiten Kolonialreiche Amerikas
§ 104. Die nächsten Folgen dieses Aufstandes
waren: eine weitere Stärkung des
königlichen Absolutismus und neue
Begünstigungen der Interessen des
Großgrundbesitzes durch die Krone.
Während im XIII. und XIV. Jahrhundert die
Errichtung von Majoraten der
königlichen Genehmigung bedurfte und Ferdinand und
Isabella die Bestimmung hinzugefügt hatten,
daß für alle ehemals königlichen
Domänen im Falle eines Aussterbens der betr. Familie
die Krone das Heimfallsrecht besitze, wurde im Jahre 1505
die Errichtung von Majoraten allgemein freigegeben. Eine
der wichtigsten Nutzungen der Latifundien war bei den
damals steigenden Wollpreisen die
Schafhaltung. Die eigenartigen Verhältnisse
Spaniens hatten auch hier die Haltung großer
Wanderherden begünstigt, welche im Sommer in
den Bergen von Leon, Burgos und
Toledo weideten, im Herbst und Winter in
Estremadura und Andalusien sich
aufhielten. Schon im Jahre 1477 zählten diese
Wanderherden bei Ueberschreitung der kastilischen Grenze
2'694'032 Stück. Strafrechtlich wurden
die einzelnen Tiere wie die
Menschen geschützt. Wer ein solches
Stück Vieh raubte oder tötete, wurde
hingerichtet. In Neukastilien soll es im
XVI. Jahrhundert über 6 Millionen
Merinos gegeben haben. Die Eigentümer dieser
Wanderherden waren der König, die
Bischöfe, der Adel und die
Klöster. Einzelne Klöster hatten
Schafherden von 30'000 Stück und mehr. Die ganze
Einrichtung trug den Namen:
„Mesta“, wozu der spanische
Volkswitz folgende Er § 105. Als die Kriege Karls V. gegen Frankreich,
die Osmanen und die Ketzer begannen, kamen für ihn
neben der Kriegsbeute und den eventuellen
Kriegsentschädigungen als Einnahmen in
Betracht: die Erträge der Kolonien, die
Steuern seiner Länder, die
Anleihen auf der damaligen Weltbörse
Antwerpen wie bei deutschen und italienischen Kaufleuten.
Karl V. konnte deshalb allerdings über gewaltige
Summen verfügen. Dennoch hat er es sehr wenig
verstanden, Ordnung zwischen seinen Einnahmen und
Ausgaben zu halten. Als dieser Fürst zur Zeit
seiner Kaiserwahl in Deutschland weilte,
mußte ihm der Augsburger Fugger 1000 Goldgulden
borgen, weil er sonst nichts zu essen gehabt
§ 106. Da war zunächst der Reichtum der
Kolonien. Von dem Augenblicke ihrer Entdeckung und ihrer
Besitzergreifung an ist alles erreichbare Gold und Silber
geraubt und nach Spanien gebracht worden. 1520 wurden die
mexikanischen Silbergruben erschlossen, 1544
begann Potosi seine Schätze zu liefern.
1571 hat man das Quecksilberverfahren bei der
Goldgewinnung in Amerika eingeführt. In den
Jahren 1493—1600 ist der Noch schädlicher wurde mit dem
eingeborenen Menschenmaterial verfahren. Auf der
Insel San-Domingo waren zur Zeit ihrer
Entdeckung (1492) ca. 3 Millionen Einwohner, 1508 noch
70'000, 1510 etwa 40'000, 1514 noch 13'000. In
Mittelamerika sollen in den ersten 15 Jahren
nach der spanischen Eroberung 5 Millionen Eingeborene
umgekommen sein. Auf Kuba war binnen 30
Jahren nach der Besitzergreifung die einheimische
Bevölkerung von 200'000 auf 2000 gesunken. Man hat
die Menschen schlimmer als das Vieh geschunden und so zu
Massenselbstmorden gezwungen. Wo man die
Edelmetallgewinnung oder den Plantagenbetrieb auf der
Zwangsarbeit der Indianer aufgebaut hatte, drohte mit dem
Aussterben der Indianer dieses Einkommen zu versiegen. Wo
man die Eingeborenen zu Hunderttausenden auf den
Menschenjagden für den Sklavenmarkt
einfing, war mit der Ausbeutung der Jagdgründe die
Einnahme beendet. Wollte man also nicht selbst arbeiten
und dennoch aus den Kolonien weitere Erträge
erzielen, so mußten Arbeitersklaven von
auswärts eingeführt werden. Aus diesem
Bedürfnis ist der gewaltige Negersklavenimport
aus Afrika nach Amerika hervorgewachsen. Aber
diese Neger kosteten Geld, während die Indianer
anfänglich umsonst zugeteilt wurden. So erhielt z.
B. nach der Eroberung von Chile ein Offizier
30'000, andere Beteiligte 8—12'000 Indianer als
Eigentum zugewiesen. Die Neger dagegen mußten vom
Sklavenhändler gekauft werden. Ihre
Trans Durch Einführung der Inquisition, welche auch die Einwanderung überwachte und durch das strenge Verbot eines Verkehrs der Kolonien unter sich, bei sorgsamer staatlicher Kontrolle des kolonialen Verkehrs mit dem Mutterlande wurde allerdings ein Abfall der Kolonien verhindert. Aber die in Europa sich verbreitende Fama von dem ungeheueren Reichtum dieses Landes an Edelmetallen und die aggressive Politik der spanisch-habsburgischen Weltmacht sorgten schon dafür, daß sich bald europäische Konkurrenten in den Kolonialreichen einfanden. Seit dem letzten Viertel des XVI. Jahrhunderts erfolgten unausgesetzte Angriffe englischer, holländischer und französischer Kaperschiffe und Kreuzerflotten namentlich auf Westindien. Die Hafenplätze und Küstengebiete wurden von ihnen ausgeplündert, die spanischen Silberflotten und Goldsendungen unterwegs auf dem Meere abgefangen. Trotz der angedrohten Todesstrafe bürgerte sich ein gewaltiger Schleichhandel mit den spanischen Kolonien ein, welcher aus all den hohen Staatsabgaben, mit welchen die Ausfuhrartikel in Spanien belastet wurden, reiche Gewinne zog. So kamen denn eines Tages die ausgeführten spanischen Tücher aus den Kolonien unverkauft und unverkäuflich wieder zurück. Die Gold- und Silberquellen der spanischen Kolonialreiche ging auf die Neige.
Im Jahre 1556 begann auch hier die Regierung
Philipps II., der die Niederlande nie
gesehen hatte. Das Vorgehen der Inquisition wurde sofort
ganz rücksichtslos. Das Land hatte von
nun an weit höhere Steuerlasten zu
tragen. Schon 1558 schloß die niederländische
Finanzverwaltung mit einem Defizit von 8 Millionen
Mark, bei einer schwebenden Schuld von 56
Millionen Mark. 1564 erging von den Niederlanden
die offizielle Anfrage an Philipp II. nach Spanien:
was mit den Galeerensträflingen angefangen
werden solle? sollte man sie
freilassen oder hinrichten? zu
ihrer Ernährung sei kein Geld
mehr in den Kassen. Dazu standen fremde Truppen im
Lande. Viele Dörfer in den südlichen Provinzen
waren durch den letzten Krieg mit Frankreich
verwüstet. Der spanische Absolutismus kam immer
schonungsloser zur Anwendung. Die Beschlüsse
des Konzils zu Trient wurden als
Staatsgesetz publiziert und die Zahl der
Bischöfe im Lande wesentlich erhöht. Mit dieser
Machtäußerung standen jedoch
die finanziellen Mittel des Staates so wenig
im Einklang, daß die in den Niederlanden stehenden
spanischen Söldner wieder
längere Zeit keinen Sold erhielten und
deshalb unzuverlässig wurden. In diesem Augenblicke
(1566) forderte das Volk mit dem Adel
Religionsfreiheit und seine früheren
politischen Rechte. Die Bittenden wurden
verächtlich als „Geusen“
(Bettler) bezeichnet, welches Wort sogleich als
Parteiname akzeptiert wurde. Die durch Prediger
aufgeregten Volksmassen wurden
Bilderstürmer. 1567 hielt Herzog
Alba mit 20'000 spanischen Soldaten seinen Einzug
in den Niederlanden. Die reichen
Wollfabrikanten und viele der
angesehensten Leute § 108. Die politischen Flüchtlinge sammelten
sich auf Schiffen und wurden deshalb
Wassergeusen genannt. Wilhelm von Oranien
begann sofort durch Kaperschiffe und durch
die Kriegsflotte der Holländer den
spanischen Seehandel zu schädigen. Als
Alba 1573 auf eigenes Bitten nach Spanien
zurückberufen wurde, nahm er große
Reichtümer mit nach Hause, seine Truppen aber
hatten seit 28 Monaten keinen Pfennig Sold
erhalten. 1575 machte Philipp II. zum
zweiten Male bankerott, nachdem der
erste Staatsbankerott im Jahre 1557
vorausgegangen war. Auch die niederländische
Finanzwelt und vor allem der Geldmarkt von
Antwerpen wurde dadurch schwer in Mitleidenschaft
gezogen. Wieder blieben die Soldzahlungen
für das Heer längere Zeit aus. Um
sich dafür schadlos zu halten, plünderten
die spanischen Truppen die
Städte Antwerpen, Mastrich,
Gent und andere. Der Schaden wurde für
Antwerpen allein auf 168 Millionen Mark und 8000
Menschenleben geschätzt. Jetzt wird der
Aufstand der Niederlande gegen die spanische
Herrschaft allgemein (1581). Der
katholisch gebliebene Süden
schloß sich dem bereits abgefallenen
protestantischen § 109. In eben dieser Zeit hatte der
holländische Handel einen tüchtigen Aufschwung
genommen. Was die spanische Kriegsführung und
die spanischen Staatsbankerotte an der Stellung der
spanisch gebliebenen Stadt Antwerpen als
Weltbörse vernichtet haben, ist der
holländischen Hauptstadt Amsterdam
zugewachsen. Hier sammelten sich die reichen
unternehmenden Leute aus den südlichen Provinzen.
Die inzwischen erfolgte Ausbreitung der Reformation
in den Ostseeländern erleichterte dem
reformierten Holland den Handelsverkehr dahin; er ist
dauernd die eigentliche Basis des holländischen
Geschäftsverkehrs geblieben. Das
Vorrücken der türkischen
Herrschaft im Südosten Europas hatte die
christlichen Staaten im Mittelmeer
gezwungen, ihren Getreideeinfuhrbedarf im
nördlichen Europa zu decken. 1591 waren
400 holländische Schiffe mit Getreide nach
Italien unterwegs, welche von hier aus wieder die
Produkte des Levantehandels nach dem Norden
zurückbrachten. Spanien und
Portugal wurden in ihren
Kolonien von den holländischen
Seeleuten erfolgreich niedergerungen.
§ 110. Wie gestalteten sich inzwischen die
Verhältnisse in Spanien und in den noch dazu
gehörigen Ländern? Die amerikanischen
Edelmetallschätze und die Reichtümer Indiens
sind vor allem durch die Kriege verzehrt
worden, welche die spanisch-habsburgische Weltmacht fast
dauernd mit halb Europa geführt hat. Neben diesen
Ausgaben traten die Aufwendungen für die
Hofhaltung zurück, wenn auch berichtet wird,
daß z. B. Philipps II.
Hochzeitsfeierlichkeiten nahezu 6 Millionen Mark
verschlungen und die den Günstlingen gewährten
Gnadengeschenke große Beträge erreicht
hätten. Sehr bedeutend waren auch die
Edelmetallanhäufungen in den Kirchen,
in den Klöstern und in den
Silberkammern des reichen Adels. 1679 soll
der Herzog von Albuquerque 144 Dutzend
Teller von Gold und Silber, 500 große, 700 kleine
Platten in einem silbernen Schranke besessen haben, zu
dem 40 silberne Tritte führten. Auch in Spanien gab
es unter der Herrschaft des Absolutismus keine
Bankorganisation, in welcher man sein
überschüssiges Geld deponierte. Das bare Geld
wurde in Kisten oder auch in primitiveren Gelassen wohl
verwahrt, bis es gebraucht wurde. Eine wirkliche Silber-
und namentlich Gold-Geldzirkulation gab es außer in
den königlichen § 111. Ungeachtet dieses chronischen
Geldmangels in Spanien bei stärkstem
Zufluß der Edelmetalle sind die Preise
fast aller Waren und auch die
Löhne und Gehälter
gestiegen. Von 1503 bis 1600 erhöhten sich
die Roggen- und Weizenpreise um
das 5 1⁄2fache,
die Löhne von 1586 bis 98 um das
Doppelte, ebenso die
Gehälter des königlichen Rats von
1560—1583. Für all diese
Preisveränderungen sind in erster Linie die
bedenklichen volkswirtschaftlichen Maßregeln der
Regierung verantwortlich. Die
Verkehrsstraßen im Lande waren
derartig vernachlässigt, daß auf 20 Meilen
Entfernung die Getreidepreise sich wie
1 : 3 verhielten. Der Ausgleich
zwischen fetten und mageren Jahren war so schlecht
organisiert, daß von Jahr zu Jahr
Preisschwankungen um das 10fache vorgekommen sind.
Bei der ungeheueren Begünstigung der
Weidewirtschaft und der
Majorate mußte der
Getreidebau umsomehr
zurück Eine Steigerung der Getreidepreise um das
5 1⁄2fache in
100 Jahren mußte eine entsprechende
Erhöhung der Unterhaltskosten für die
Arbeiter und damit eine Erhöhung der
Arbeitslöhne hervorrufen. Aber auch in diese
Wirkungsreihen haben bedenkliche volkswirtschaftliche
Maßregeln wieder störend und
verschärfend eingegriffen. Der
ungeheuere Reichtum der Kirchen und
Klöster, welche über das ganze Land
verbreitet waren, hat bei der herrschenden Meinung
über den Wert des Almosens die Ausbreitung des
Bettler- und Vagabundenwesens ausserordentlich
begünstigt. Die spanische
volkswirtschaftliche Literatur zu Anfang des 16.
Jahrhunderts beschäftigt sich namentlich mit diesem
Problem. In den Kirchen wimmelte es von Bettlern. Um das
Mitleid rege zu machen, verstümmelten sie die
eigenen Söhne, mieteten und stahlen sie kleine
Kinder, um sich mit ihnen auf Straßen, Plätzen
und namentlich vor der Kirche aufzustellen. Die
Gesetzgebung mußte hiergegen einschreiten. Um Mitte
des 16. Jahrhunderts wurde der Kinderbettel
verboten. Betteln ohne Licenz wurde bestraft, und
nur die Heimatgemeinde war berechtigt, diese Bettellicenz
auszustellen. Bettler ohne Konzession wurden zur
Arbeit angehalten und die Arbeitszeit
gesetzlich auf die Dauer des Tageslichtes
ausgedehnt. Trotzdem fehlte es,
namentlich auf dem Lande, an den nötigen
Arbeitskräften. Zur Erntezeit kamen aus
dem benachbarten Frankreich landwirtschaftliche
Arbeiter, welche dann mit dem erübrigten
Gelde wieder in ihre Heimat zurückwanderten. Auch
§ 112. Die Grundlage der spanischen
Steuerverfassung war eine aus römischen
Zeiten stammende Handänderungsgebühr
für Mobilien wie Immobilien, welche den
maurischen Namen „Alkabala“
trug. Sie wurde ursprünglich mit 5 und 10 Proz. vom
Wert erhoben. Um die Erhebung zu vereinfachen, haben
einzelne Städte die Zahlung einer
Pauschalsumme mit dem Staate vereinbart.
Adel und Kirche waren von der
Zahlung der Alkabala befreit. Damit aber der Adel auf
Grund dieses Privilegs nicht etwa der Handels- und
Gewerbetätigkeit sich bemächtigte, wurde ihm
die Ausübung dieser Berufe bei Verlust des Adels und
damit bei Verlust des Privilegs der Steuerfreiheit,
verboten. Neben der Alkabala gab es § 113. Wie die Könige hausten, so
hausten natürlich auch die Beamten. Alles war
in Spanien bestechlich und
käuflich. Die Fugger
beschenkten die Beichtväter des Königs Philipp
II. mit 4000 Dukaten, um deren Fürsprache für
Bezahlung ihrer Ausstände beim Könige zu
erhalten. Die berühmtesten
Heerführer haben sich in der
ungerechtesten Weise schwer bereichert. Die
Richter pflegten bei ihrer Urteilsfindung
durch Geldstrafen sich bezahlt zu machen.
Die Verwaltungsbeamten verkauften die
Gemeindewaldungen wie ein Stück ihres
Privateigentums. Die Zollbeamten,
Steuerbeamten und Steuerpächter
erhoben mehrmals die nur einmal
fällige Steuersumme und berechneten dabei so
ungeheuere Erhebungskosten, daß der Krone
häufig nur der zehnte Teil des
Gesamtsteuerertrages § 114. Die systematische Vernichtung des
heimischen Getreidebaues und des
bäuerlichen Wohlstandes hatte einen
Mangel an Brotgetreide bewirkt. Dadurch
waren die Getreidepreise gestiegen. Auch die
Arbeitslöhne mußten dann
erhöht werden, weil die Kosten der
Lebenshaltung entsprechend teurer geworden waren. Dazu
kam noch die ungeheuere Belastung der
Produktion und des Verkehrs durch
die Steuern und durch die
Staatsbeamten. Die Kosten der gewerblichen
Produktion haben sich so nach und nach in Spanien
3- und 4fach höher gestellt, als
beispielsweise in Frankreich, Holland und in Norditalien.
Im Jahre 1549 hatte die spanische Tuchfabrikation schon
eine solche Blüte erreicht, daß einzelne
Unternehmer 200 bis 300 Heimarbeiter beschäftigten.
In dem Maße, als sich unter der Einwirkung der
vorgenannten Einflüsse die Erzeugungskosten in
Spanien steigerten, erhöhten § 115. Indeß deuteten alle Anzeigen
darauf hin, daß die spanisch – habsburgische
Macht rasch ihrer Auflösung entgegengehe. 1596
überfiel eine englische Flotte
den Haupthafen Kadix, plünderte ihn
§ 116. All jene persönlichen
Momente, welche im spanischen Erbfolgekriege
eine mehr oder minder große Rolle gespielt haben,
sind für die Entwickelung der
spanischen Volkswirtschaft ohne Bedeutung.
Es genügt aus den
Friedensschlüssen von
Utrecht (1713) und Rastatt
(1714) festzustellen, daß einem Prinzen aus dem
französischen Königshause der
Bourbonen als Philipp V. die
spanische Königskrone mit den spanischen Kolonien
blieb, daß England von Spanien
Gibraltar und die Insel Minorca
nahm, Savoyen von Spanien die Insel
Sizilien erhielt und die noch
spanischen Niederlande Das von den konkurrierenden Ländern
längst mit Gewalt durchbrochene Handelsmonopol
Spaniens mit seinen Kolonien erhielt jetzt auch
formell von seiten des Staates wesentliche Aenderungen.
1702 wurde der französischen
Guinea-Kompagnie das Recht der Einfuhr von
Negersklaven nach Amerika (sogenannter
Asiento-Vertrag) übertragen, das durch Vertrag von
Heute ist Spanien wieder dort angelangt, wo es im
Jahre 1492 stand. Es ist hinsichtlich seines
Unterhaltes auf seine eigene produktive Arbeit im eigenen
Lande angewiesen. Die inzwischen verflossene Entwicklung
hat die Lösung dieses Problems
außerordentlich erschwert. Die
Verfassung vom Jahre 1812 berief zur
Mitregierung ein Volk, das heute noch zu 65
bis 90% weder lesen noch
schreiben kann. Die unter solchen Umständen
natürliche absolutistische Reaktion hat
Spanien in Parteien zerrissen, zu lange
dauernden Bürgerkriegen geführt
§ 117. Die Entwickelung der
wirtschaftlichen wie der politischen
Verhältnisse in dem insularen England haben durch
das Domesday-Book Wilhelms des Eroberers von
1086 eine ganz eigenartige Richtung
erhalten. Das erste Grundbuch des christlichen
Abendlandes hielt die Rechte des
Königs, seiner Vasallen, deren
Afterbelehnten, wie der wenigen
Vollfreien an Grund und Boden in
schriftlicher Aufzeichnung fest. Das war
zweifelsohne in erster Linie im Interesse der
königlichen Gewalt geschehen. Eine
schrittweise Enteignung der Kronrechte durch
gewohnheitsrechtliche Verschiebungen, wie
sie die deutsche Kaiserkrone namentlich vom
IX. bis zum Ausgang des XIII. Jahrhunderts erfahren hat,
eine allmähliche Aufteilung der
Reichseinheit in viele kleinere und
größere Herrschaftsgebiete, wie
das sonst überall in der Entwickelungsepoche
des Lehensstaates zu beobachten ist, wurde durch
dieses Domesday-Book verhütet. Die
Nachfolger Wilhelms des Eroberers auf dem englischen
Königs Wer von den Großbaronen auf Seiten eines
siegreichen neuen Thronbewerbers stand, durfte sicher
sein, aus den Güterkonfiskationen der unterlegenen
Partei durch seinen König neu belehnt und so
entsprechend reich und mächtig zu werden. Kein
Königsthron im christlichen Europa ist
deshalb so oft vom offenen Aufruhr innerhalb der
Königsfamilien umtobt und so
häufig mit Blut der Königsfamilie befleckt
worden, wie der
englische Thron. Schon Wilhelm der Eroberer
mußte gegen seinen eigenen Erstgeborenen das
Schwert ziehen. Heinrich I., der
jüngste Sohn des Eroberers, kämpfte gegen
seinen Bruder. Von 1135—1144 dauern dann fast
ununterbrochene Kämpfe neuer Bewerber um die
Königskrone. Gegen Heinrich II.
(1154—89) wurden seine Frau und seine Söhne
rebellisch. Richard I., Löwenherz
genannt, wurde während seiner Abwesenheit im
gelobten Lande von seinem Bruder Johann ohne
Land (1199—1216) verdrängt, der wieder
seinen Neffen, So war durch das Domesday Book für 600 Jahre die Krone Englands der Preis für den gewalttätigsten, kühnsten und rücksichtslosesten Thronbewerber geworden. Die englische Königsgeschichte zeigt bis zu Wilhelm dem Oranier unter allen Königreichen des christlichen Abendlandes die weitaus größte Zahl schonungsloser Despoten. Das veranlaßte wieder die Großen des Reiches, ihrerseits eine Verteidigungsstellung den königlichen Tyrannen gegenüber zu gewinnen. Solche Erfolge konnten namentlich dann errungen werden, wenn die Macht des neuen Throninhabers noch wenig im Lande befestigt war, oder wenn finanzielle oder politische Schwierigkeiten den König zu einem Ausgleich mit den Volksrepräsentanten nötigten. So kamen bald immer neue schriftliche Vereinbarungen über die Rechte des Königs und die Rechte der Volksrepräsentanten, zwischen den Magnaten und dem Kronträger zustande, aus denen nach und nach die berühmte englische Verfassung herausgewachsen ist. Das Domesday-Book war der eigentliche Ausgangspunkt derselben. Als Vorlage diente zunächst das vorgeblich zur Zeit der Angelsachsen geltende Recht. § 118. Die Hauptetappen dieses stufenweisen Aufbaues der englischen Verfassung sind folgende: 1. Heinrich I. (1100—1135) vereinigte wieder die Normandie mit England und gab als Dank für die Unterstützung, welche er von der angelsächsischen Bevölkerung erfahren hatte, eine Charta libertatum, in welcher er versprach, sich tyrannischer Ausschreitungen zu enthalten.
3. Johann ohne Land (1199—1216) kam
in Streit mit dem König Philipp II. von
Frankreich und dem Papste Innocenz
III. Er verlor an die französische Krone fast
alle seine Besitzungen in Frankreich bis auf
Guyenne. Vom Papste in den Bann getan und
als abgesetzt erklärt, rettete er für sich die
englische Krone nur dadurch, daß er
dieselbe als päpstliches Lehen annahm
(1213). Das Ansehen des Königs wurde durch
all’ diese Ereignisse natürlich
geschwächt. So benutzten denn die Großen des
Reiches diesen Zeitpunkt, um bewaffnet nach der
Wiese von Runnemede bei Windsor
zu ziehen, um hier in dreitägigen Verhandlungen mit
dem Könige den großen Freiheitsbrief, die
magna charta libertatum (1215) zu erwirken.
Ihr Inhalt ist im wesentlichen folgender: In
Geldsachen wurde die Macht des Königs
eingeschränkt durch Fixierung
des bei Handänderungen fälligen
Lehnsgeldes auf einen
mäßigen Satz, durch
Beschränkung des königlichen
Steuererhebungsrechtes auf die Fälle der
Auslösung des Königs aus der
Gefangenschaft, des Ritterschlages seines
Sohnes und der Verheiratung seiner
Tochter. Alle anderen
außerordentlichen Steuern sollten nur
4. König Heinrich III.
(1216—1272) erregte durch Begünstigung
von Ausländern, durch Zulassung einer
umfassenden päpstlichen Besteuerung,
wie durch seine eigene sinnlose
Verschwendung eine steigende Unzufriedenheit der
Magnaten, welche den König besiegten, gefangen
nahmen und durch ein von den Magnaten 5. Die fortwährenden Kriege Eduards I. (1272 bis 1307) gegen Schottland und Wales ließen die Krone in ernste finanzielle Bedrängnis kommen. Dies benutzten die Barone, um 1297 durch Eduard I. eine Neubestätigung der Magna charta zu erlangen und die Berufung von Grafschaftsrittern und Städtevertretern in das Parlament mit Steuerbewilligungsrecht gesetzlich festzulegen. 6. Unter Eduard III. (1327—1377), welcher 1328 die Magna charta bestätigte und das gesetzliche Zugeständnis machte, daß keiner seiner Untertanen zum Kriegsdienst außer Landes verpflichtet sei, vollzog sich die formelle Trennung von Ober- und Unterhaus. In das Jahr 1339 fällt der erste große englische Staatsbankrott. Heinrich IV. (1399—1413) war bereits bei seinen steten Kämpfen gegen den Adel vom Unterhause zu einer fast modernen parlamentarischen Regierung genötigt. 7. Karl I. (1625—1649) mußte
sich Geldverlegenheiten halber 1628 dazu
verstehen, dem Parlament die „Petition of
right“ (Bitte um Recht), zu genehmigen,
wodurch jede willkürliche Besteuerung
auch in der 8. Karl II. (1660—1685) und das ihm ergebene Ministerium begannen unter dem Einfluß reichlicher Jahresgelder, welche der französische König Ludwig XIV. gewährte, den katholischen Glauben wieder einzuführen, trotz der seit 1533 bereits bestehenden Trennung Englands von Rom. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung wie unter dem Einfluß des großen englischen Staatsbankrottes von 1672 setzte das Parlament 1673 die „Test-Akte“ (Gesetz über den Probeeid) durch, welche jeden Engländer, der ein staatliches Amt bekleiden wollte, zur eidlichen Anerkennung des kirchlichen Supremates des Königs und zu einer eidlichen Erklärung gegen die katholische Abendmahlslehre zwang. 9. Der heftige Streit zwischen Krone und Parlament forderte und erreichte 1679 unter Karl II. (1660—1685) die „Habeas corpus - Akte, “ welche die Haftausdehnung ohne Urteil verhinderte und die Freilassung aus der Haft gegen Bürgschaftszahlung einführte. 10. Als alle Versuche einer Verständigung mit der
katholischen Linie der Stuarts fruchtlos
schienen, trat das Parlament mit dem holländischen
Statthalter Wilhelm von Oranien —
nachmals Wilhelm III. — welcher mit
des Königs protestantischer Tochter
Maria aus erster Ehe
vermählt war, in Unterhandlung wegen
Uebernahme der englischen Königskrone.
Wilhelm wurde von seinem Oheim, dem großen
Kurfürsten von Brandenburg, durch
brandenburgische Truppen unterstützt.
Die Rechte der Krone, wie die des Parlamentes, bildeten
den Inhalt eines besonderen Vertrages, Bill of
rights (Gesetz der Rechte) von 1689. Dieses Gesetz
der Rechte umfaßt alle
Verfassungsbestimmungen, welche bis da 11. Da dieser Wilhelm III. (1689—1702) kinderlos blieb, wurde durch die „Akte of Settlement“ (Heimfallgesetz) von 1701 das Thronfolgerecht auf das protestantische Haus Hannover übertragen. 12. Bei dem Regierungsantritt Georgs III. (1760) wurden von Seiten der Krone die erblichen Einkünfte aus den Erträgnissen der Kron-Domänen, wie auch die Accise auf Salz, Branntwein etc., welche an Stelle der lehensrechtlichen Abgaben getreten waren, der Staatskasse übertragen und dagegen vom Parlament eine bestimmte Geld-Summe, die sogenannte Civilliste, für den König ausgesetzt. Der parlamentarische Charakter der englischen Staatsverfassung war damit im wesentlichen zum Abschluß gekommen. § 119. Welche wirtschaftlichen Veränderungen haben nun diese Verfassungsentwickelung herbeigeführt? Der König von England war durch Wilhelm den
Eroberer ein reicher und
mächtiger Herr geworden. Der
prinzipiellen Rechtsauffassung nach gehörte der
gesamte Grundbesitz des Landes dem König. Eine
Reihe großer Domänen blieben in der Hand des
Herrschers. Der übrige Grund und Boden aber
wurde zu Lehnsrecht vergeben, aber bis zu
dem Grade an die Krone gebunden, daß selbst die
Afterbelehnten dem König persönlich den
Eid der Treue schwören mußten. Der
König von England verfügte über das
Einkommen aus seinen Domänen, über
die lehensrechtlichen Gefälle und
Gerichtsgelder, über die
Zölle der Ein- und
Ausfuhr, worunter Wein und Wolle von Alters her
hervorragten, über außerordentliche
Gelder, wie zum Feste des Ritterschlages eines
seiner Söhne, der Die Getreidepolitik dieser Epoche kannte
nur den Grundsatz der Brodversorgung im eigenen
Lande. Die Getreideausfuhr war prinzipiell
verboten und wurde nur in außerordentlichen
Fällen bei Hungersnot nach den Ländern eines
befreundeten Fürsten gestattet. Selbst von
Grafschaft zu Grafschaft war der Getreideverkehr gehemmt,
was übrigens bei den außerordentlich
schlechten Wegeverhältnissen nur wenig empfunden
wurde. Die Bewegung der Brotpreise war seit 1266 durch
eine Brottaxe in der Weise an den
Getreidepreis gebunden, daß den
Bäckern nur ein Zuschlag von 13% zum Getreidepreis gestattet
wurde, welche Bestimmung bis 1758 in Kraft geblieben ist.
Die Geldverhältnisse wurden 1190 durch Richard
I. (Löwenherz) geordnet, als England begann,
in die europäische Kreuzzugsbewegung
einzutreten, und zwar durch Einführung der
karolingischen Münzordnung. Das Pfund
Silber gab 20 s. gleich 240 Pf. Aus Deutschland bezogene
Münzmeister haben diese Silber Der steigende Luxus am Hofe und die fortwährenden Kriege mit ihren wachsenden Ausgaben für die Söldnerheere haben bald bei den englischen Königen den Mangel an Geld empfindlicher hervortreten lassen. Die Sätze der Geldsteuern wurden daher erhöht, die Umwandlung der Naturalleistungen in Geldleistungen allgemein begünstigt. Die Einnahmen aus dem Schildgelde erlangten eine besondere finanzielle Bedeutung. In gleichem Maße wuchs aber auch die Anteilnahme des Parlaments an den Staatsfinanzen. Es kam zur Trennung des Ober- und Unterhauses, zum Ausbau der Selbstverwaltung im Lande. 1237 wurde die Verwendungskontrolle für die vom König ausgegebenen Staatsgelder eingeführt. Man wollte nicht nur mit entscheiden über die Höhe der Geldsummen, welche dem Könige zur Verfügung standen, man wollte sich auch vergewissern, für welche Zwecke sie Verwendung fanden. Das Jahr 1297 brachte das allgemeine Steuerbewilligungsrecht des Unterhauses, das zunächst selbst die Zölle nur immer auf 2 Jahre bewilligte. § 120. Diese gewaltige
Einschränkung der königlichen
Machtvollkommenheit mußte die Krone in
der Erschließung neuer selbständiger
Geldeinnahmen erfinderisch machen. Da waren die
päpstlichen Kreuzugssteuern, welche aus
dem Volke wie aus dem Klerus große Summen
herauszuziehen verstanden. Je eifriger die Könige
diese Steuererhebung begünstigten, § 121. Namentlich zwei Ereignisse haben in dieser Zeit einen tiefgreifenden Einfluß auf die weitere Entwickelungsgeschichte Englands gewonnen: der mehr als 100jährige Krieg mit Frankreich (1340—1453) und der schwarze Tod in England (1348/49, 1361/62, 1368/69 und folgende Jahre). Seit Wilhelm dem Eroberer herrschte der
König von England auch über ein gutes
Stück von Frankreich
(Normandie). Heinrich II. hatte mehr
als das halbe Frankreich unter seinem Szepter
vereinigt. Unter dem schwachen Johann ohne
Land ging dann fast alles wieder verloren. Es lag
nahe, daß tatkräftige englische Könige
bei sich bietendem Anlaß auf die alten
Traditionen zurückgreifen würden. Eine
solche Gelegenheit bot sich dem energischen Eduard
III., Sohn einer Tochter des französichen
Königs Philipps IV. Das alte
französische Königsgeschlecht der
Capetinger hatte 1328 keine männlichen Erben
mehr. Es folgte deshalb Die hinhaltende Kriegführung des französischen Söldnerführers ließ es zu keiner entscheidenden Schlacht kommen. Trotzdem das Parlament 1377 die allgemeine Wehrsteuer genehmigte, konnten bei der ungünstigen finanziellen Lage der Krone und nach den vorausgegangenen Staatsbankerotten Stockungen in den Soldzahlungen des englischen Heeres nicht ausbleiben. So wurden bis 1388 nach und nach die meisten englischen Eroberungen wieder mit der französischen Krone vereinigt. § 122. Dann folgte abermals eine Wendung zu Gunsten Englands. Der neue französische König Karl VI. (1380—1422) verfiel in Wahnsinn. Es bildeten sich zwei Parteien unter dem französischen Adel, von denen die Feudalpartei des Herzogs von Burgund sich hinreißen ließ, mit dem König von England Beziehungen anzuknüpfen, um mit seiner Hilfe die verhaßten Gegner niederzuschlagen. In England opferte Heinrich V. dem Frieden mit dem Volke und mit der Geistlichkeit die Anhänger Wiclifs. Bei Azincourt stand 1415 abermals den englischen Söldnern ein französisches Feudalheer gegenüber. Unter den 10'000 gefangenen Franzosen fielen 8000 Edelleute in die Hände der Engländer. Heinrich V. von England wurde als Regent und Nachfolger auf dem Thron von Frankreich anerkannt. Dennoch behielt schließlich die
französische Krone den Sieg. Dem mutigen
Heinrich V. war 1422 Heinrich
VI. als ein Knabe von wenig Monaten
gefolgt, an dem sich bald die Spuren geistiger
Umnachtung zeigten. Sofort begann wieder der Kampf
um Krone und Herrschaft § 123. Je
reicher die Beute war, welche die englischen
Heere bei ihren Siegen auf französischer Erde
gewonnen haben, desto eifriger mußte von den
Beteiligten nach dem Verluste der
französischen Besitzungen die Frage nach der
Ursache dieses Rückschlages erörtert werden.
Sie war in einer Zeit, in welcher die
königliche Initiative bei Eroberungen im
Auslande so viel bedeutete, nur zu leicht in dem
wahnsinnigen Könige und damit in
jener Adelsfamilie gefunden, welche
einen solchen König dem englischen
Thron gegeben hatte. Das war die Familie der
Lancaster, die Partei der roten Rose,
einer Nebenlinie des Hauses Plantagenet. Als ihr
Konkurrent für den englischen
Königsthron trat eine andere
Nebenlinie aus dem Hause Plantagenet, das
Haus York auf, das in seinem Wappen
eine weiße Rose führte. Der Adel
im Lande hatte sich dem einen oder dem anderen dieser
beiden Häuser angeschlossen. So entbrannte der
Rosenkrieg in England, als eine
Nachwirkung des 100jährigen § 124. Nach der Rechtsordnung Wilhelms des
Eroberers gab es nur wenige bäuerliche
Freisaßen. Die große Masse der Bauern
und Werkleute stand in einem
Abhängigkeitsverhältnis zu ihren
Grundherren. Das Domesday-Book
enthielt über die Rechte und Pflichten dieser
Volksklasse keinerlei
Aufzeichnung. Die Da kam das große Sterben von 1348/49 und
später. Die starke Abnahme der
Bevölkerung bedeutete natürlich auch
einen entsprechenden Rückgang des Angebots auf
dem Arbeitsmarkte. Weil die Nachfrage hier
zunächst mindestens die gleiche blieb,
stiegen in kurzer Zeit die Löhne
um 50 Proz. Die Arbeiter hatten natürlich
rasch erkannt, daß die
Arbeitseinstellung ein vorzügliches
Mittel sei, um ihre Löhne noch mehr zu
erhöhen. Sie machten von diesem Mittel
einen um so ausgiebigeren Gebrauch,
je reichlicher ihnen ein arbeitsloser
Lebensunterhalt an den Almosenpforten der reichen
Klöster, Kirchen, Stiftungen und
Spitäler gewährt wurde. Rechnen
wir noch die durch die Pest gesteigerte
Zuchtlosigkeit des Volkes hinzu, so wird es
begreiflich, daß unter den besitzenden Klassen sich
in dieser Zeit ein starker Unmut regte über
die unerhörte Arbeitslohnsteigerung,
über die herrschende Arbeiternot,
über das bedenklich sich ausbreitende
Bettlerunwesen und über die
mangelhafte Organisation der
Armenunterstützung, welche in der Hand der zu
§ 125. All diese Veränderungen mußten
auf die Lage und Denkweise der englischen
Bauern zurückwirken. So weit die
überlieferten Nachrichten reichen, läßt
sich eine willkürliche Erhöhung der
ordentlichen Leistungen der Bauern durch ihre Grundherren
nicht nachweisen. Es wird nur darüber
geklagt, daß die Herren bei der geringsten
Ungehörigkeit der Bauern harte Geldstrafen
verhängten. Eine Zeit, in welcher eine solche
Steigerung der Arbeitslöhne eingetreten war,
mußte auch den Wohlstand der bäuerlichen
Familien erhöhen. Gab es doch überall
Gelegenheit für reichlichen Nebenverdienst, und
hatte es doch der Mangel an disponiblen
Arbeitskräften schon so weit gebracht, daß
nach den Pestjahren selbst den Frohnarbeitern ein
reichlicher Imbiß gewährt wurde. Die
jetzt eingeführte ungemein strenge und harte
Arbeiter- und Armen-Gesetzgebung mußte die
Bauern zum Nachdenken über ihre eigene
rechtliche Lage veranlassen. Im
Domesday-Book war nichts über ihre
Rechte und Pflichten verzeichnet. Nach § 126. Zu Anfang des XIV. Jahrhunderts war in den industriereichen Städten Flanderns ein erbitterter Kampf zwischen den kapitalistischen Geschlechtern und den Zünften ausgebrochen, welcher eine größere Zahl von flämischen Webern und Tuchhandwerkern zur Auswanderung gezwungen hat. König Eduard III. gewährte ihnen gern Aufnahme in England, um künftig die englische Wolle in seinem Lande verarbeitet zu sehen und statt des Rohmaterials künftig das fertige Produkt, Wollstoffe, ausführen zu lassen. Die Zolleinnahmen des Königs konnten dadurch nur gewinnen. So wurde jetzt die Wollausfuhr in England verboten, die Ausfuhr an wollenen Tüchern begünstigt, so daß sie bald zunahm. Tuchhändler fanden sich ein, welche die Verbreitung der Tuchweberei als Hausindustrie begünstigten. Mit dieser besseren Verwertung der Wolle im eigenen
Lande stiegen die Wollpreise. Die
Schafzucht wurde im Lande weit
rentabler als der Getreidebau.
Damit begannen im letzten Viertel des XV. Jahrhunderts
jene Einhegungen, welche bis Mitte des XVI.
andauernd vermöge der gesteigerten
Schafhaltung die Bauern verdrängte. Mit
Betrug, Gewalt und Bedrückungen aller Art wurden die
Bauern aus ihrem Besitz verjagt. Den Trotzdem kam in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts diese Bewegung zum Stillstande, weil jetzt der Getreidebau wieder rentabler geworden war. Erst die zweite Periode der Verdrängung der bäuerlichen Besitzer von 1760—1830 unter dem Einfluß ungewöhnlich hoher Getreidepreise hat die heute in England bestehende Herrschaft der kapitalistischen Großbetriebe in der Landwirtschaft und der Latifundien in der Grundbesitzverteilung zum Abschluß gebracht. § 127. Wie hatte sich inzwischen die
englische Getreidepolitik geändert? Die
Politik der generellen Getreideausfuhr-Licenz
für die fremden Kaufleute, welche gegen Ende
des XIII. und im XIV. Jahrhundert von den englischen
Königen befolgt wurde, hat schon während der
Rosenkriege und noch mehr unter
Elisabeth (1558—1603) einer Politik
der Beseitigung der Privilegien für
fremde Kaufleute und bald einer
Begünstigung der englischen Unternehmer
weichen müssen. Soviel war aber immerhin bald
erreicht worden, daß sich die Nach einigen politischen Schwankungen kam 1444 ein
Gesetz zu Stande, wonach die Getreideausfuhr
allgemein freigegeben wurde, so lange der
Weizenpreis pro Qr. nicht auf 6 s. 8. d.
stieg. Bis zu dieser Preisgrenze war die
Getreideeinfuhr verboten. Stiegen die Preise
über diese
Normalhöhe, so wurde die Ausfuhr
verboten und die Einfuhr frei. Es war
die Politik mittlerer Getreidepreise, welche
mit diesem Gesetz eingeschlagen wurde. Das XVI.
Jahrhundert brachte dann mit seinen steigenden
Wollpreisen und seiner fortschreitenden
Vernichtung des Bauernstandes eine Reihe von
Notjahren, in welchen unter dem
autokratischen Regiment Heinrich VII. und
VIII. wieder zum generellen Ausfuhrverbot
und zur königlichen Ausfuhrlicenz
zurückgegriffen wurde. Erst Königin
Elisabeth knüpfte wieder an die Politik des
XV. Jahrhunderts an; ein Gesetz von 1562 bestimmte,
daß die Getreideausfuhr frei sei, wenn
der Preis für Weizen nicht höher als 10
s. pro Qr. (47 Mk. pro 1000 Ko.) und wenn das
Schiff ein englisches und der
Schiffseigentümer englischer Untertan
sei. Dieser gesetzliche Normalpreis, zu dem die Ausfuhr
noch frei, die Einfuhr noch verboten war, konnte jedoch
den damaligen allgemeinen Marktverhältnissen nicht
genügen. Schon im Jahre 1593 war dieser
Preis für die Ausfuhr auf 20 s. (94 Mk. pro 1000
Ko.) 1604 auf 26 s. (122 Mk. pro 1000 Ko.), 1624 auf 32
s. (150 Mk. pro 1000 Ko.), um Mitte des XVII.
Jahrhunderts rasch auf 40, (187 1⁄2 Mk.), 44 (206 Mk.) und 48 s. pro
Qr. (225 Mk. pro 1000 Ko.) erhöht. Daneben traten
wachsende Einfuhrzölle in Kraft, deren
Höhe 1670 einem Einfuhrverbot
gleichkam. Indeß diese Preise und Maßnahmen
gehören bereits dem Zeitalter der eng § 128. Wir haben im §
123 die Gründe kennen gelernt, warum
trotz der bereits gut ausgebildeten
englischen Verfassung mit den Tudors
wieder der Absolutismus den englischen Thron
bestiegen hat. Das englische Parlament war zu einem fast
willenlosen Werkzeug in der Hand der Könige
herabgesunken. Es war Sitte geworden,
die Zölle für Lebzeiten des
Souveräns zu genehmigen. So lange also der
König die Kunst verstand, mit den ihm zur
Verfügung stehenden Hilfsmitteln ohne
die Bewilligung neuer Steuern durch das
Parlament auszukommen, konnten die Herren
Parlamentarier ruhig zu Hause bleiben. Das ist unter
Heinrich VII. (1485—1509) am besten
geglückt. Durch den Abschluß der Rosenkriege
waren ihm umfangreiche Vermögens –
Konfiskationen zugefallen. Die Ausfuhr an
Wollwaren, welche der Zollkasse gute Erträge
lieferte, wuchs immer mehr. Dazu kam die
Einführung königlicher Monopole
auf eine Reihe von Gebrauchsartikeln, welche eine
finanziell ergiebige Handhabung gestatteten. Der bald
erkennbare wirtschaftliche Aufschwung
ließ die übrigen Steuern
regelmäßig zur Ablieferung kommen.
Unter dem launenhaften und wüsten Despoten
Heinrich VIII. (1509—1547) wurde das
finanzielle Gleichgewicht zwischen
Einnahmen und Ausgaben bald gestört
durch zwecklose Kriege gegen das Ausland,
wie durch eine verschwenderische Hofhaltung.
Seine Regierung griff deshalb zu einer Reihe
bedenklicher Finanzkünste, wie
Zwangsanleihen und so weitgehende
Münzverschlechterungen, daß das
Pfund Sterling Silbermünzen bald statt 20 Mark, nur
noch 5 Mark Metallwert hatte. Erst Königin
Elisabeth hat 1560 dem Handel und Verkehr
geordnete Münzverhältnisse
§ 129. Seltsamer Weise wird ziemlich allgemein
als Grund der englischen Reformation die vom
Papst verweigerte Scheidung des
Königs Heinrich VIII. von seiner
ersten Gemahlin angegeben. Aber der
eigentliche Inhalt der englischen Reformationsbewegung
muß doch ein anderer sein, als nur die Laune eines
Despoten. Wäre es nur das gewesen, so
hätte es der Despotin Maria der
Katholischen (1553—1558), der Gemahlin eines
Königs Philipp II. von Spanien,
leichter werden müssen, die
Gegenreformation durchzuführen. Die
antikatholische Politik der Elisabeth
(1558—1603) hätte dann nicht so
begeisterte Zustimmung im Volke finden
können, der wieder die
katholische Anschauung unterstützende
Karl I. (1625—1649) hätte nicht
auf dem Blutgerüst geendet, die
Regierung des wieder katholischen Karl II.
(1660—1685) und des ebenfalls katholischen
Jakob II. (1685—1688) hätte nicht zu
Lebzeiten des Letzteren damit geendet, daß die weit
überwiegende Mehrzahl des Volkes den
protestantischen Wilhelm, den Oranier, zum
König von England erhob mit der gesetzlichen
Nachfolge des protestantischen Hauses
Hannover. Eine Bewegung, welche die englische
Politik durch mehr als 150 Jahre auf das
tiefste erregte, welche neben anderen
ungezählten Blutzeugen einem
Könige und einer Königin
den Kopf, einem anderen englischen
Könige den Thron gekostet hat,
mußte nicht über die Laune eines Despoten,
§ 130. Zu Anfang des XVI. Jahrhunderts war die kapitalistische Entwickelung in England so weit gediehen, daß die mehr lokalen stadtwirtschaftlichen Kreise sich in das nationale Wirtschaftsgebiet aufzulösen begannen. An Stelle der städtischen Wirtschaftspolitik traten landesgesetzliche Bestimmungen über Gewerbe und Handel. Die Zünfte wurden durch das Anwachsen der Hausindustrie verdrängt. Eine schon ziemlich weitgehende Spezialisierung der Massenproduktion begann. An Stelle der abgeschafften Privilegien für fremde Kaufleute traten weitgehende Privilegien der englischen Kaufleute und der englischen Flotte für den ausländischen Handel. 1571 wurde die Londoner Börse gegründet und durch ein Fest von sagenhaftem Glanze, woran sich auch die Königin Elisabeth beteiligte, eingeweiht. Die Städte hatten sich aus einem Sitz des geldwirtschaftlichen Verkehrs in Centren der kapitalistischen Ausbeutung des Volkes und der Völker verwandelt. Hier überall trat die Zunahme der Selbstsucht und des Egoismus hervor. Der englische Satirikar Crowley sagte deshalb für diese Zeit sehr richtig:
Für diese damit beginnende Ausbreitung der
Herrschaft des englischen Kapitalismus war schon
die katholische Kirchenlehre ein Hindernis,
denn nach ihr war das Ausleihen einer
Geldsumme gegen Zinsen Wucher.
Wer an der Börse durch seine Spekulation § 131. Noch mehr! Das große
Programm für die kapitalistisch gewordene
englische Gesellschaft konnte kein anderes sein als:
schärfste Ausbildung des
Industriestaates und Eroberung der
ergiebigsten Kolonien der Erde. Die Industrien des
katholischen Flandern und des katholischen
Frankreich namentlich waren damals der
englischen Industrie noch weit
überlegen. Die sogenannten
Religionskriege, welche um jene Zeit in den
spanischen Niederlanden und in
Frankreich für den katholischen
Glauben geführt wurden, trieben eine
fortwährend wachsende Zahl von
Kapitalisten und industriekundigen
Leuten aus diesen Ländern nach
England. Die industrielle Entwicklung Englands
konnte mithin aus der Fortdauer dieser
Religionskriege nur die reichsten Gewinne ziehen.
Der englischen Politik war in diesem Falle nur die eine
Aufgabe vorgezeichnet: die Gegner der katholischen
Partei in Frankreich wie in den
spanischen Niederlanden zu
unterstützen. Die reichsten Kolonien der
Welt waren damals im Besitze der
katholischen Länder Spanien,
Portugal und Frankreich. Der Kapitalismus in England mußte eben ein Feind der Holländer und gleichzeitig ein Todfeind der römischen Kirche wie der führenden katholischen Länder sein. § 132. Nur die nicht katholischen Regenten
Englands konnten jetzt die innersten
Wirtschaftsbedürfnisse des Volkes
verstehen. Die Königin
Elisabeth hat in diesem Sinne ganz
ausgezeichnet regiert. Ihr Berater
war der Kaufmann Thomas Gresham, welcher
lange Zeit als englischer Finanzagent in
Antwerpen fungierte, als dieser Platz noch
der erste Geldmarkt Europas war. Elisabeth
rief die Auswanderer aus Frankreich und den
spanischen Niederlanden herbei und England
erfreute sich eines besonders starken Zuzuges dieser
geschickten und kapitalskräftigen Leute, als der
Herzog Alba sein Schreckensregiment in den
Niederlanden begann. Die Erzeugung von Flanell,
Arrasgeweben, Manteltuch, Teppichstoffen, Sammet,
halbwollenen Stoffen und Köperstoffen wurde auf
diese Weise nach England übertragen. Gegen Ende des
XVI. Jahrhunderts bestand die englische Ausfuhr zu
2⁄3 bereits aus
Wollstoffen. Seit 1564 wurde der
Handelskrieg und der privilegierte
Seeraub gegen Spanien eröffnet. Die
Königin
Der Oranier Wilhelm III. richtete seine ganze politische Kunst darauf, der Eroberungspolitik Ludwig XIV. in Europa ein Ziel zu setzen und die englischen Eroberungskriege gegen die so wertvollen französischen Kolonialbesitzungen in Nordamerika wie in Ostindien besser zu organisieren. Unter seiner Regierung ist die Bank von England 1694 begründet worden und schon im Jahre 1689 kam das berühmte Ausfuhrprämiengesetz zustande, wonach bei einem Weizenpreise nicht über 48 s. p. Q. (225 Mk. pro 1000 Ko.) unter der Voraussetzung, daß der Schiffseigentümer und mindestens 2⁄3 der Mannschaft englische Untertanen seien, für die Getreideausfuhr eine staatliche Prämie von 5 s. p. Q. (23 1⁄2 Mk. pro 1000 Ko.) gezahlt wurde. Die englische Getreideproduktion ist damit in die Reihe der englischen Exportindustrien eingetreten. Um der Krone die Zahlung dieser Prämien zu ermöglichen, wurde vom Parlament die Einführung der Grundsteuer genehmigt. § 133. Wie haben in dieser Periode die katholischen Regenten Englands gewirtschaftet? Königin Maria (1553—58) befahl
den aus Frankreich und Flandern nach England
eingewanderten Kapitalisten und
Gewerbetreibenden, weil Karl I. (1625—49) wollte in Frankreich die katholische Partei gegen die Hugenotten unterstützen, trotzdem er sich fast immer in Geldverlegenheiten befand und ihm das Parlament nicht für die Dauer seiner Regierung, sondern nur für je ein Jahr die Zölle bewilligte. In der Getreidepolitik griff er, nur aus Gründen seiner größeren finanziellen Unabhängigkeit, zurück zum generellen Ausfuhrverbot mit königlichen Lizenzen für die Getreideausfuhr. Der englische Handel wurde dadurch entschieden geschädigt. Die den Franzosen in Nordamerika von den Engländern entrissenen Gebiete gab er für eine entsprechende persönliche Geldentschädigung an Ludwig XIII. wieder zurück. Um eine neue Einnahme für sich zu erschließen, half er eine neue ostindische Handelskompagnie gründen, welche natürlich das Monopol der alten Kompagnie durchbrochen hat. Die ihres Glaubens halber von ihm bedrückten Puritaner wanderten nach Nordamerika aus und verstärkten so das oppositionelle Element in den dortigen englischen Kolonien. Endlich versuchte er, ohne Parlamentsgenehmigung, durch eine Tyrannisierung der Gerichte Schiffsgelder zu erheben, welche abermals die englischen Schiffahrts- und Handels-Interessen empfindlich schädigen mußten. Karl II. (1660—85) ließ sich
durch reiche Jahresgelder, welche ihm
Ludwig XIV. von Frankreich gewährte,
bestimmen, für die katholische Partei Stellung
zu nehmen und bei den europäischen
Raubzügen Ludwig XIV. neutral zu
bleiben. Außerdem verschenkte dieser
König 1673 an seinen tief verschuldeten
Schwiegervater die englische Kolonie Virginia, was
große Aufregung unter den Kolonisten hervor Auch Jacob II. (1685—88) nahm von Ludwig XIV. reichlich Bestechungsgelder an, schloß mit diesem Herrscher ein Bündnis und versuchte, die katholische Religion und den Absolutismus in England wieder einzuführen. Dazu machte er 1687 den skandalösen Versuch, eine Reihe von englischen Kolonien an Günstlinge zu verschenken, welche das Land in diesen Kolonien als ihr Eigentum beanspruchten und von den Kolonisten plötzlich eine regelmäßige Pachtzahlung verlangten, an deren Ertrag der König zu einem Fünftel beteiligt war. Abenteuerer der schlimmsten Sorte wurden als Gouverneure nach den Kolonien geschickt zur Durchführung dieses königlichen Schenkungsaktes. Willkürliche Rechtsprechungen und Erpressungen der schlimmsten Art haben diese Regierungsmaßnahmen ergänzt. § 134. Man wird im Zusammenhange mit dem
Vorausgeschickten die Energie begreiflich finden, mit
welcher die in England maßgebenden
Gesellschaftskreise gegen die Fortdauer einer
solchen Politik katholischer
Regenten sich gewendet haben. Durch ein ganzes
System von Verfassungsbestimmungen wurde erreicht,
daß der englische König nicht
katholisch sein darf und „kein
Unrecht“ mehr „tun
kann“. Denn jede Rechtshandlung, welche der
König für seine Person allein
vollzieht, ist seitdem rechtsunwirksam. Der
König bedarf eben der Mitwirkung eines dem
Parlamente verantwortlichen Beamten,
welcher durch das
Vertrauen des Parlaments in die Nähe des Königs
rückt und jederzeit durch einen
Majoritätsbeschluß des Parlaments
wieder aus dieser Vertrauenstellung entfernt werden
kann. Nicht mehr der König, Was den englischen Absolutismus betrifft, so muß
trotz aller Mißgriffe im Einzelnen gesagt werden,
daß er die große Aufgabe zu lösen
wußte, das englische Volk zur Selbstregierung
zu erziehen, bis der Augenblick kam, in welchem
die Verfassung vereinbart wurde, und
daß er schon vor diesem Zeitpunkte die
Fundamente für jene Größe gelegt
hatte, welche England heute als erster
Industriestaat und als größtes
Kolo Die im XVII. Jahrhundert zu Stande gekommene englische Verfassung leidet an den gleichen großen Mängeln, wie das Domesday-Book: die englischen Bauern und die englischen Arbeiter sind vergessen worden. Dem englischen Bauernaufstand von 1381 war es nicht vergönnt, diese große Lücke in der englischen Verfassungsentwickelung auszufüllen. Die englischen Bauern sind fast rechtlos geblieben und zumeist vernichtet worden. Der englische Getreidebau ging mehr und mehr zurück. England ist hinsichtlich seiner Brotversorgung im wesentlichen auf das Ausland angewiesen. Zum Glück für England ist in seinen Kolonien ein neuer Bauernstand erstanden. Das Mutterland geht heute bei seinen Kolonien in die Kost. Ob es aber gelingen kann, diesen Zustand dauernd zu erhalten, nachdem auch in Australien, Kanada und Ostindien die industrielle Entwickelung begonnen hat? — Die Lohnarbeiter haben in den letzten hundert Jahren nur sehr allmählich und erst nach Aufdeckung schreiender Misstände einen öffentlichen Rechtsschutz gewonnen, dessen Abschluß noch keineswegs erreicht ist. Ob aber die damit begonnene Rechtsentwickelung in Folge der numerischen Ueberlegenheit der Arbeiter im Industriestaate zum Heile des Ganzen schließen wird? Heute herrscht in England der
gesellschaftliche Kapitalismus. Das kommt am
deutlichsten in der Heeresverfassung, wie in
der Kriegspolitik zum Ausdruck. Der Vertrag
Wilhelms des Oranier mit der englischen
Nation von 1689 erklärt Errichtung und Beibehaltung
eines stehenden Heeres im Königreiche für
unzulässig ohne Bewilligung des
Parlamentes. Seitdem muß dieses Gesetz, auf
welchem die gesamte Diszipli § 135. Das am weitesten nach Westen zwischen dem
mittelländischen Meere und dem Atlantischen Ozean
vorgeschobene Glied des kontinentalen Kerns von
Als ein selbständiger politischer
Körper begann Frankreich erst nach
Auflösung des Karolingerstaates, mit
den Kapetinger Königen
(987—1328), in die Geschichte einzutreten. Auch in
Frankreich bewirkte die unter den Karolingern begonnene
lehensstaatliche Entwicklung, daß die
Einheit des Reiches in eine Vielheit
großer Vasallenherrschaften, Grafschaften und
Herzogtümer sich auflöste.
Die Herzöge und Grafen von der
Normandie, von Burgund, von
Aquitanien, von Flandern
u.s.w. besassen bald
größere Macht als der
König, dem nur formelle
Vorrechte zur Verfügung standen. Aber gerade
diese geringere Macht schützte den König, weil
sie die Beute- und Eroberungssucht der Mächtigen
nicht reizte. Die französische Krone
konnte durch fast 3 1⁄2
Jahrhunderte in der Kapetingerfamilie
vererbt werden, weil das Wahlrecht der
Großen für diese, von ihnen nicht
erstrebte, formelle Machtstellung bald außer
Uebung kam. Das schwache französische
Königtum hat die
lehensstaatliche Entwicklungsepoche
Frankreichs überdauert § 136. In Südgallien hatte die
altrömische Kultur festen Fuß
gefaßt. Als dann das Römerreich sich
auflöste, und bald der Islam den
internationalen Handel mit dem Orient
beherrschte, blieb doch der
südfranzösischen Küste ein ansehnlicher
Anteil am Handelsverkehr im Mittelmeere
erhalten. Nicht nur die
römische Kultur und Wirtschaft, auch die
römische Städteverfassung
wußte in Südfrankreich sich durch
die Stürme der Völkerwanderung hindurch zu
retten. Die lehnsstaatliche Auffassung hat
hier wenig Eingang gefunden. Städte und
Menschen blieben frei. Das
Grundeigentum war zumeist
ungebunden und wurde beliebig
zerstückelt und
veräußert. Der römische
geldwirtschaftliche Verkehr mit ausgedehnter Handels- und
Gewerbetätigkeit ist hier nie verloren gegangen.
Hier hat An diese südfranzösischen
Verhältnisse hat sich die Politik der
Kapetingerkönige bald angelehnt. Dem
beobachtenden Auge konnte es nicht entgehen, daß
Gewerbe, Handel und Geldverkehr ebenso sich
als Stütze für eine einheitliche starke
Staatsgewalt eigneten, wie die lehnsstaatlichen
Verhältnisse einer ausschließlich
Landwirtschaft treibenden Bevölkerung dem
entgegenstanden. Die französische Krone war deshalb
früh schon bemüht, die Gründung
neuer Städte zu begünstigen, bestehende
Stadtprivilegien zu erweitern, den
geldwirtschaftlichen Verkehr zu fördern
und nach dem Vorbilde südfranzösischer
Städte durch besondere Beamte Recht
sprechen, die Finanzen verwalten und
den Staat in Ordnung halten zu lassen. Die
französischen Städte gehörten deshalb bald
zu den treuesten Anhängern der
französischen Könige. Mit den
Kontingenten seiner Städte führte
Philipp II. August (1180—1223) seine
glücklichen Kriege in Nordfrankreich
und Flandern (Schlacht bei Bouvines gegen
den deutschen Kaiser Otto IV.). Im
südlichen Teile von Frankreich machten die
Kapetinger-Könige zu ihrem bescheidenen Krongut um
Paris, Orleans und Sens die
ersten wichtigeren Gebietserwerbungen mit den
Grafschaften Toulouse, Provence und
Poitou. Und, als im Jahre 1297 der Streit
zwischen Philipp IV. und Papst
Bonifazius VIII. begann, da stand dem
franzö Bevor jedoch die damit angebahnte Umbildung des lehnsstaatlichen Frankreichs in ein einheitliches Reich unter der Herrschaft des Absolutismus erfolgen konnte, mußte die Entwickelungsgeschichte noch tief störende Einflüsse vom Norden her verarbeiten. § 137. Kaum 30 Jahre vor dem Beginn der Kreuzzugsbewegung in Südfrankreich eroberte einer der großen Vasallen der französischen Krone, Herzog Wilhelm von der Normandie, das Königreich England. Einer seiner Nachfolger auf dem englischen Throne, Heinrich II. (1154—1189), erwarb durch Erbschaft und Heirat zu dem englischen Königreiche noch mehr als die Hälfte von Frankreich. Einem so übermächtigen Vasallen gegenüber mußte die bescheidene Königsmacht in Frankreich doppelt klug und energisch zu Werke gehen, um der drohenden Vernichtung zu begegnen. Die Kreuzzugswirren kamen auch hierin den Kapetingern zu Hilfe. Dem mit bedenklichen Rechtsverletzungen belasteten König Johann von England (1199—1216) hat Philipp II., August bis 1206 alles Land nördlich der Loire entrissen. Der noch verbleibende Besitz der englischen Krone in Frankreich war jedoch groß genug, um neue Gefahren hervor zu rufen. Nach dem Vertrag zu Verdun (im Jahre
843), durch welchen die drei Söhne Kaiser
Ludwigs des Frommen das Reich Karls des
Großen unter sich teilten,
gehörte zum westfränkischen Reiche
auch die Grafschaft Flandern. Und da in den
flandrischen Städten früh schon
der altberühmte Gewerbefleiß zur
Wohlhabenheit kam, sind hier im
Norden Frankreichs ähnliche mehr
fortgeschrittene wirtschaftliche und § 138. Wie war Frankreich für diesen
Entscheidungskampf gerüstet? Die
wesentliche Schwächung, welche die
Ritterkontingente durch die
Kreuzzüge erfahren haben,
veranlaßten schon zu Anfang des XII. Jahrhunderts
die französischen Könige, in den
Städten Bürgermilizen zu
organisieren, welche ebenso wie die Vasallen zum
Heeresdienste durch die § 139. So beklagenswert diese furchtbare Last der Söldnerbanden für das Land war, sie bot doch Gelegenheit, endlich mit französischen Söldnern gegen die englischen Söldnerheere zu kämpfen. Eine hinhaltende Kriegsführung und die Unterstützung der Bevölkerung gegen die englischen Plünderungen führten sogar einen völligen Wechsel in der Kriegssituation herbei, nachdem in England die Pest wiederholt furchtbar gewütet, von Frankreich aus unterstützt, Aufstände in Schottland die englische Kriegsmacht zersplitterten und neue blutige Kämpfe innerhalb der englischen Königsfamilie, Streitigkeiten mit den Päpsten, die Wiclifsche Reformationsbewegung, der englische Bauernaufstand unter Wat Tyler und häufig Stockungen in den Soldzahlungen an das englische Heer das Uebrige dazu beigetragen hatten. Im Jahre 1388 erlosch der Krieg ohne Friedensschluß, nachdem die Engländer nördlich der Loire all ihre Besitzungen bis auf Calais verloren hatten. Mit dem Tode Karls V. (1364—1380)
hatte jedoch unter seinem kaum 12jährigen
Nachfolger Karl VI. (1380—1422), der dem
Wahnsinn verfiel, das Blatt sich rasch wieder zu
Ungunsten Frankreichs gewendet. Die Parteien des
hohen Adels bekämpften sich in der erbittertsten
Weise. Mit dem Ausbleiben der Soldzahlungen an das Heer
durchzogen wieder die plündernden Söldnerhaufen
das Land. Die große Feudalpartei der
Burgunder knüpfte sogar direkte
Beziehungen zum König § 140. Als König und Adel das Kämpfen
gegen die Herrschaft der Engländer schon aufgegeben
hatten, kam die Rettung aus dem Volke,
vertreten durch das 17jährige
Hirtenmädchen Jeanne d’Arc und den
durch Handel nach dem Orient reich gewordenen
Großkaufmann Jacques Coeur aus
Bourges. Das Gottvertrauen der „Jungfrau von
Orléans“ konnte die Begeisterung des Volkes
zur Vertreibung der Landesfeinde wohl wecken und dadurch
im Jahre 1429 gewisse Erfolge erzielen, um so mehr, als
dem kühnen Heinrich V. in England seit dem Jahre
1422 ein Knabe von wenigen Monaten auf dem
englischen Throne gefolgt war, an dem sich bald die
Spuren geistiger Umnachtung zeigten. Deshalb
loderten die Kämpfe innerhalb der englischen
Königsfamilie um den Thron in alter Heftigkeit auf
und die geordnete Bezahlung der englischen Truppen
blieb aus. Aber den Sold für die
französischen Truppen aufzubringen, das
vermochte eine Jeanne d’Arc nicht.
Und, als diese Zahlungen ausblieben, durchzogen abermals
wilde Kameradien der Söldlinge fortgesetzt das
unglückliche Land. Jetzt schien, den Bauern
namentlich, das Letzte geraubt zu werden. In stummer
Verzweifelung flüchteten sie in Wälder und
Sümpfe, um der bestialischen Behandlung der
„Schinder“,
„Scheerer“ und
„Würger“, wie diese
Dieses Programm bedeutete einen wesentlichen
Schritt vorwärts auf der Entwickelungsbahn
zum kapitalistischen Absolutismus. Es bleibt
deshalb begreiflich, daß neue
Verschwörungen des Adels einsetzten, die
jedoch im Sande verliefen und, mit dem
hussitischen Aufruhr verglichen, den Namen
„Praguerie“ erhielten. Die im
Lande umherziehenden Söldner wurden bald nach der
Ebene von Chalons dirigiert und hier aus
90'000 Mann die Tüchtigsten für ein stehendes
Heer ausgelesen, die weitaus größere Masse in
klug geordneter Weise nach ihrer Heimat
zurückgeschickt. Bald folgte die Organisation
einer Artillerie. Und nun brachte Sieg auf
Sieg die englischen Besitzungen in
Frankreich an die französische Krone,
so daß England im Jahre 1453 in ganz Frankreich nur
noch den Landungsplatz § 141. Der nun folgende König Ludwig
XI. (1461—1483) war die best
geeignete Persönlichkeit, um dem
kapitalistischen Absolutismus mit allen politischen
Künsten eines
orientalischen Herrschers zum Siege zu
verhelfen. Die französische Krone war immer noch von
mächtigen Vasallen umgeben, deren Raubbegierde dem
Könige gefährlich werden konnte. Ludwig XI. hat
unter ihnen mit Gift und Dolch und politischen Intriguen
aller Art wie ein furchtbarer Würgeengel
aufgeräumt. Die Herzöge und Grafen haben die
ihnen drohende Gefahr bald erkannt und sich deshalb im
Jahre 1465 zur Liga des öffentlichen Wohles
(ligue du bien public) gegen den König
zusammengeschlossen, der sich nach einer
Niederlage zunächst zu einem
demütigenden Frieden mit dem hohen Adel verstehen
mußte. Aber das alles hinderte ihn nicht, seines
Amtes als Würgeengel unter den Landesfürsten zu
walten. Da war der fast übermächtige Karl
der Kühne von Burgund, welcher zunächst
die Picardie bedrohte. Ludwig XI. errichtete
im Jahre 1470 ein militärisches
Uebungslager in der Normandie, um
hier sein stehendes Heer unter seiner
persönlichen Beaufsichtigung, den
Scharfrichter stets an seiner Seite, mit
äußerster Genauigkeit für die Aufgaben
einer Besatzung in der Picardie einzuüben. Im Januar
1474 zogen 16 geldbeladene Maulesel in Bern
ein. Es war die Morgengabe Ludwig XI. an die
Schweizer Tapferkeit, an welcher die
Burgundische Macht und der Burgunder
Herzog in den Schlachten bei Grandson,
Murten (1476) und Nancy (im Jahre
1477) zerschellen sollte. § 142. Das lutherische
Glaubensbekenntnis mit seiner grundsätzlichen
Anerkennung der jeweiligen
Staatsgewalt hat in Frankreich nur wenig und
überwiegend nur in den unteren Volksklassen
Anhänger gefunden. Erst die Calvinsche
Lehre, wie sie von der reformierten Republik
Genf aus verbreitet wurde, hat in
Südfrankreich, der alten Geburtsstätte
der Waldenser und Albingenser,
gezündet. Dieses reformierte
Glaubensbekenntnis enthielt zugleich ein
politisches Programm. Wie die
Monarchomachen (Monarchenbekämpfer), so
verkündete auch Calvin den
Grundsatz der Volkssouveränität.
Jedem Mißbrauch der Herrscher Anders lagen auch diesmal die
Verhältnisse in Nordfrankreich. Hier
war fast alles Land noch mit feudalen
Diensten und Reichnissen belastet. Wie hätte man
sich einem Religionsbekenntnis anschließen
können, das § 143. Die lange Dauer der Hugenottenkriege
(1562—1598) hat beide Parteien
Hilfe im Auslande suchen und finden
lassen. Die Hugenotten wurden aus
Deutschland und von England,
die Partei Guise, welche sich erst
später (im Jahre 1576) als heilige Liga
konstituierte, von Spanien namentlich
unterstützt. Zur Feier der Pariser
Bluthochzeit (1572) sind gegen 30'000 Hugenotten
in Frankreich ermordet worden. Zwei Könige von
Frankreich: Heinrich III. († 1589) und
Einen dauernden Frieden konnte dieses
Edikt von Nantes nicht herbeiführen.
Die Waffen der Hugenotten wurden schon im Jahre 1625 zu
einem neuen Adelsaufstande gegen den
König benützt, weshalb der leitende
Minister Frankreichs, Kardinal Richelieu
befahl, § 144. Der französische Absolutismus, wie
er, von Philipp IV., und Ludwig
XI. namentlich begründet, von
Ludwig XIV. zur systematischen
Durchbildung gebracht wurde, folgte in solchem
Maße den Spuren des orientalischen
Absolutismus, daß schließlich selbst der
Harem nicht fehlen durfte. Die
sittliche Vertiefung der Auffassung des
Königstums, wie sie durch eine
verständnisvollere Aufnahme der
Hugenottenbewegung möglich gewesen wäre,
sollte verhindert werden durch die
persönlichen Gegensätze zwischen
den Bourbons und den Guisen und
durch einen formalreligiösen
Fanatismus, der in einem vielhundertjährigen
haßerfüllten Kampfe gegen den Islam auf
spanischem Boden geboren wurde, den aber
besonnene katholische Kirchenfürsten,
wie die Kardinäle Richelieu und
Mazarin, niemals geteilt haben. Was unter
solchen Umständen schließlich als
eigentlicher Inhalt des
französischen Absolutismus übrig
blieb, das war der nackte, kalte Egoismus
der Herrschsucht und der
Genußsucht. Ludwig XI. wollte
allein über ganz Frankreich regieren,
deshalb hat er die einzelnen Landesherren
mit Gift, Richtschwert und politischen Intriguen
beseitigt. Als die königliche
Herrschsucht diesen Teil des Programms erfüllt sah,
begannen die Eroberungen im Auslande: in
Italien, an der niederländischen
Grenze, gegen Deutschland. Soweit es
sich hier um die drohende Habsburger
Welt-Herrschaft gehandelt hat, kann diesen Kriegen
eine gewisse welthistorische Berechtigung nicht
abgesprochen werden, wenn es auch immer eine
seltsame Erscheinung bleiben wird, daß die
„allerchristlichsten
Könige“ in diesen Zeiten mit dem
„Erbfeind § 145. Dieser maßlosen Herrsch- und Ruhmsucht der Könige mußte natürlich der Glanz der Hofhaltung entsprechen. Um aber neben dieser frevelhaften Verschwendung der Hofhaltung die Eroberungspolitik beibehalten zu können, war ein absolut ergebenes großes stehendes Heer, das durch den Henker und durch reichliche Soldzahlungen dem Könige in Treue erhalten blieb, eine Notwendigkeit. Die Riesensummen für Hofhaltung, stehende Heere und Eroberungskriege zahlte nicht der König. Die glückseligen Untertanen mußten dafür aufkommen. Doch auch hier ist wieder eine besondere Unterscheidung notwendig. Der König brauchte zur Hofhaltung
eine Hofgesellschaft, welche die mit
fabelhaftem Glanze ausgestatteten Hoffeste feiern
half. Das kostete den Beteiligten
natürlich abermals viel Geld. Um diesen
die Aufbringung der erforderlichen Geldmittel zu
ermöglichen, wurden von Rechts wegen zwei
Einrichtungen vorgesehen: einmal wurde
diesen Kreisen die Steuerfreiheit bewilligt
§ 146. Die Besteuerungsgrundsätze des
königlichen Absolutismus beschränkten
sich nicht etwa auf die Aneignung des
volkswirtschaftlichen
Produktivitätszuwachses, sie griffen auch
nicht nur bis zu jener Grenze moderner
kapitalistischer Aneignung zu, welche durch die
Tragfähigkeit des Volkes bezeichnet
wird. Der französische Absolutismus folgte den
Spuren des schlechten orientalischen Despotismus,
welcher die Henne
schlachtete, die die goldenen Eier
legte. Der steuermäßige
Anspruch des absoluten Königs in
Frankreich ist unbeschränkt. Er geht
auf das gesamte Vermögen und den
gesamten Arbeitsertrag seiner Untertanen. Ludwig
XIV. schrieb in seiner Instruktion für den
Dauphin: „Alles, was sich im Umfange unserer
Staaten befindet, gehört uns. Sie sollen
davon überzeugt sein, daß die
Könige von Natur das volle und
freie Verfügungsrecht über alle
Güter haben, die im Besitz des Klerus und der
Laien sind, um von denselben zu jeder Zeit nach dem
allgemeinen Bedürfnis ihres Staates Gebrauch zu
machen.“ Nicht nur die Güter, auch die
Menschen blieben nicht verschont. Mit
furchtbarer Willkür wurden unter Ludwig XIV. die
Werbungen für die Armee
durchgeführt, als der Menschenbedarf für die
vielen Kriege immer größer wurde und das Heer
von 180'000 Mann im Jahre 1672 rasch auf 400'000 Mann
erhöht wurde. Einer Laune des
Herrschers halber mußten über 1
Million Hugenotten aus dem Lande flüchten.
Die Bevölkerung Frankreichs ging von 23 Mill. im
Jahre 1685 auf 19 1⁄2
Mill. zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts zurück. Der
Ausspruch Ludwig XIV.: „Der
Staat bin ich“ ist zwar eben § 147. Entwicklungsgeschichtlich bieten folgende Daten aus der Politik des französischen Absolutismus ein besonderes Interesse: Schon Ludwig XI. hatte erkannt, welche
Vorteile der König aus einem
größeren Geldvorrat im Lande
ziehen könne. Da die alten
Börsenplätze der Champagne ihre
Bedeutung verloren hatten und nach Antwerpen
die Genfer Börse mehr und mehr
geschäftlichen Einfluß gewann, wurde —
zur tunlichsten Verhütung der Geldausfuhr aus
Frankreich — 1463 der Besuch der Genfer Messen den
französischen Kaufleuten verboten und
dafür Lyon mit dem Privileg der
Steuerfreiheit für fremde Kaufleute, mit dem
strengen Wechselrecht u.s.w. ausgestattet. Von 1463—1562 war
Lyon der Hauptwerbe- und Sammelplatz
für Söldner zu den großen Kriegen
Franz I. gegen Kaiser Karl V.
Im Jahre 1522 hat Franz I. hier seine
erste verzinsliche Börsenanleihe
aufgenommen. Aber die neue Börsenherrlichkeit
dauerte nicht lange. Der
französische Staatsbankrott vom Jahre
1557 und die Hugenottenkriege
(1562—1598) haben die Lyoneser Messen
vernichtet. 1575 ist Gras auf dem
Börsenplatze von Lyon gewachsen. Die notwendigen
Anleihen wurden jetzt Auch die kolonialen Erwerbungen, welche unter Franz I. schon in Canada begonnen hatten, traten unter dem Einfluß der Habsburger- und Hugenottenkriege wieder zurück. Endlich datiert seit Franz I. die absolutistische Getreidepolitik. Alle mittelalterlichen Beschränkungen zu Gunsten der Städteversorgung blieben mit den lokalen Zöllen und Sperren bestehen, aber die Getreide-Ein- und Ausfuhr über die Landesgrenze wurde zum königlichen Dominialrecht erklärt und nur mit königlicher Erlaubnis und gegen entsprechende Zahlung gestattet. Im Jahre 1560 soll Frankreich etwa 100'000 To. Getreide nach Spanien und Italien ausgeführt haben. Das hörte zur Zeit der Hungersnöten, welche die Hugenottenkriege begleitet haben, wieder auf. Die wohlwollendere Regierung Heinrichs IV. gab die Getreideausfuhr wieder frei, welche den Weg nach Spanien und Portugal bevorzugte. Indeß war dieses verhältnismäßige Gedeihen der französischen Landwirtschaft nicht von langer Dauer. Die Grund- und Personalsteuer (Taille), welche hauptsächlich auf den Schultern der Bauern ruhte und im Jahre 1439 zum Unterhalt des Heeres als feste Summe von 1'200'000 Frcs. eingeführt worden war, hatte unter dem Einfluß des Kriegsbedarfs bis 1589 schon die Höhe von 16 Mill. Frcs. erreicht. Unter Heinrich IV. hielt sich diese Steuerleistung auf gleicher Höhe, was den Bauern ein Fortkommen ermöglichte. Aber von 1610 ab stieg die Taille rasch auf 26 Millionen im Jahre 1634, " 44 " " " 1642, " 53 " " " 1659, " 66 " " " 1715,
§ 148. Von einer eigentlichen
Begünstigung der Landwirtschaft kann bei
Colbert keine Rede sein. Er hat nur einige
Ungeheuerlichkeiten in der Landwirtschaftspolitik seiner
Zeit beseitigt. In jenen Provinzen, in
welchen die Taille die Bauern von ihren Höfen
vertreiben mußte, hat Colbert eine
Ermäßigung dieser Steuer
eintreten lassen soweit, daß die Bauern
bleiben konnten. Der Ertrag dieser Steuer
ist deshalb in den Jahren 1662—1680 von 53 auf 35
Mill. Frcs. zurückgegangen, um nach dem
Tode Colberts bis zum Jahre 1715 rasch auf 66 Millionen
wieder anzusteigen. Colbert hat den Steuerbeamten
verboten, den Bauern das Vieh
wegzupfänden, weil dadurch die
Fleischversorgung des Landes in Gefahr käme. Weil
Frankreich damals häufig im Herbst Getreide nach dem
Auslande verkaufte, das im Frühjahre zu höheren
Preisen für die Volksernährung wieder
zurückgekauft werden mußte, nahm Col § 149. Als im Jahre 1715 der Eroberer
Ludwig XIV. unter den lauten
Verwünschungen seines Volkes gestorben war, hatten
die Staatsschulden, trotz der
häufigen Staatsbankrotte, die Höhe
von 2412 Mill. Frcs. erreicht, welche die
Gesamtsteuereinnahme der Staatskasse von 160 Mill.
Frcs. mit einer Zinsforderung von 80 Mill.
Frcs. belastete. Als dann die einzelnen
Schuldposten auf ihre Berechtigung geprüft wurden,
konnten 200 Mill. von den Forderungen der
Lieferanten und der Finanzbeamten als unberechtigt
gestrichen werden. Bei dem herrschenden System
bereicherte sich eben ein Jeder, wann und wo er konnte.
Die Maitressen der Könige haben der
Staatskasse ungezählte Millionen
gekostet. Der leitende Minister, Kardinal
Mazarin, hat jährlich der Staatskasse
20 bis 30 Mill. — also etwa den
sechsten Teil der gesamten Staatseinnahmen —
für „geheime Ausgaben“
entnommen und sich und seine
Verwandten ungeheuer bereichert. Eine
Staatssteuerverpachtung vom Jahre 1718 für 48
1⁄2 Mill. Frcs. ließ
den Privatunternehmern einen jährlichen Gewinn
von 15 bis 16 Mill. Frcs. Um diese Zeit schrieb
ein Bischof an den Minister: „Unser Landvolk
lebt in furchtbarem Elend. Es fehlt an Betten,
Möbeln, Gersten- und Haferbrot. Sie müssen sich
das Brot vom Munde absparen, um ihre Steuern zahlen
zu können. Unsere überfleißigen
Bauern können nicht Steuern zahlen und zugleich ihr
trockenes Brot verdienen.“ Die elegante
Hofgesellschaft nannte dieses furchtbare Elend des
Landvolkes namentlich „Bon Homme
misère“ — das Elend der guten
Leute. Staatsbankrott,
Münzverschlechte § 150. Unter solchen Umständen mußte
jedes Mittel, Geld zu verschaffen, recht
sein. Als deshalb der Börsenspekulant
Law im Jahre 1716 nach Paris kam und den Plan
entwickelte: durch Ausgabe von Papiergeld
auf der Basis des Staatskredits das Volk und die
Staatskasse reich zu machen, ging die
Regierung gerne darauf ein. Schließlich wurde
diesem Spekulanten zu einer Notenbank der gesamte
ge § 151. In dieser Zeit des schlimmsten
chronischen Geldmangels lernte der Absolutismus
zunächst auf Kriegsruhm verzichten. Es wurde
Mode, eine auswärtige Politik des Friedens zu
pflegen. Die Kriegsflotte ließ
man verfallen. Die Kolonien
wurden sich selbst und ihrem Schicksal
überlassen und die höheren
Offiziersstellen im Landheere als Sinekuren
für die Günstlinge des Hofes behandelt. Im
Jahre 1752 zählte die französische Landarmee
nicht weniger als 1171 Generäle. Der, Ende des
XVIII. Jahrhunderts, gleich starken preußischen
Armee gehörten nur 85 Generäle an. Als jedoch
Maitresseneinfluß den König
dennoch verleitete, sich am 7jährigen Kriege
(1756—1763) gegen Preußen zu
beteiligen, schloß sich England
an Preußen an und eroberte den reichen
französischen Kolonialbesitz in Nordamerika
und Ostindien. In England trat
dann allerdings ein Rückschlag für
Kolonialinteressen ein, als es den
vereinigten 13 Kolonien von Nordamerika
gelang, sich mit Unterstützung von Frankreich und
Spanien (1775—83) von England
unabhängig zu machen. Das
englische § 152. Der französische
Absolutismus hatte von all diesen kommenden
Ereignissen, welche er so eifrig vorbereiten
half, keine Ahnung. Beim Tode Ludwigs
XV. (im Jahre 1774) erreichten die Kosten
der Hofhaltung 42 Mill. Frcs. bei einer
Gesamtstaatseinnahme von 290 Mill. und einer
Staatsschuldenlast von 4 Milliarden.
Sieben Jahre später (im Jahre 1781)
kostete die gesamte Hofhaltung 62 Mill,
Frcs., wovon 28 Mill. Frcs. als Pensionen
und Gnadengelder an die Hofgesellschaft
verschenkt wurden. Bis zum Jahre 1787/88 waren
abermals 1 1⁄2
Milliarden neue Staatsschulden aufgenommen worden;
das jährliche Defizit der Staatskasse
erreichte mit 140 Mill. Frcs. nahezu 50
Proz., der Zinsendienst der
Staatsschulden mit 206 Mill. Frcs. fast 70
Proz. der gesamten Staatseinnahmen, die wieder nur
zu regelmäßig schon auf einige Jahre im
Voraus verpfändet waren. Inzwischen stieg
für das arme Bauernvolk die
Taille von 66 Mill. Frcs. im
Todesjahre Ludwigs XIV. (1715) auf 110
Mill. Frcs. im Jahre 1789! Seit Jahrzehnten
kehrten fast alljährlich Hungersnotrevolten,
Erstürmung der Bäckerläden, Erhebungen des
Volkes gegen die Steuerlast wieder. Trotzdem ist dadurch das französische Volk nicht glücklich geworden. Die furchtbaren Mißstände unter dem Absolutismus wie unter den nachfolgenden Revolutionszeiten haben in Frankreich mehr als in irgend einem anderen Lande den Boden vorbereitet für sozialistische und kommunistische Ideen, welche naturgemäß die Verteidigungskräfte des ökonomischen Liberalismus zu besonderer Leidenschaft anregten. Die tatsächliche Herrschaft des gesellschaftlichen Kapitalismus läßt die ausgleichende Macht eines sozialen Königtums besonders nötig erscheinen. Aber die Erinnerung an die bösen Zeiten des königlichen Absolutismus läßt die Königsidee bis heute nicht zur allgemeinen Anerkennung kommen. So beschränkt sich die Politik Frankreichs auf die Abwehr wirklicher oder vermeintlicher Gefahren, ohne große, produktive, den sozialen Fortschritt fördernde Leistungen. Nur die seit der großen französischen Revolution verhältnismäßig günstige bäuerliche Grundbesitzverteilung gestattet dem französischen Volke den Luxus, die allmähliche Klärung der politischen Ideen der Zeit zu überlassen. § 153. Das Eindringen der
Geldwirtschaft in die naturalwirtschaftliche
Ordnung der lehensstaatlichen Organisation hat die
Einheit des christlichen Abendlandes in eine
Vielheit von Staaten aufgelöst, welche
rasch das nationale Sonderbewußtsein mit wachsender
Schärfe hervortreten ließen. Die ergiebigste
Quelle dieser Nationalitätsideen waren die
Kriege. Und die kriegerischen Konflikte
folgten aus der Tatsache, daß an der Spitze
der sich ausbildenden Staaten kapitalistische Unternehmer
standen, welche vor allem nach einer weiteren
Vergrößerung ihres Reichtums und ihrer Macht
strebten. Mit dieser Auflösung des
Einheitsbewußtseins im christlichen
Abendlande ist auch die Karolingeridee des
fränkischen Kaisertums zu Grabe getragen
worden. Die Kaiserpolitik Maximilians I. und
Karls V. unterschied sich wesentlich von der
Kaiserpolitik Karls des Großen. Wie
die nationalen Könige von Frankreich und England, so
war auch der Kaiser jetzt
Kapitalist geworden, dessen Machtmittel in
erster Linie an der Größe der zur
Verfügung stehenden Geldsummen gemessen
wurden. Die reicheren Geldmittel brachten
in den Kriegen die Entscheidung. Der
spanisch-habsburgische Weltherrschaftsplan folgte dem
kapitalistischen Entwicklungsprozeß der
Expropriation der Expropriateure. Die Unternehmungen der
kleineren Kapitalisten sollten von dem
größten verschlungen werden. Die
Geschichte hat einen anderen Verlauf genommen. Im Kampfe
gegen die erwachten Widerstände § 154. Die volkswirtschaftliche Organisation des
XIII. und XIV. Jahrhunderts ruhte auf dem Prinzip der
Selbsterhaltung und Selbsternährung durch
eigene produktive Arbeit im redlichen Erwerbe. Das
Land erzeugte die Rohprodukte für die
Volksernährung, Getreide und Fleisch mit wichtigen
gewerblichen Rohprodukten, wie Wolle und Häute. Der
Stadt war die weitere Verarbeitung und Veredlung der
Rohstoffe vorbehalten. So bedeutete der Gegensatz
zwischen Stadt und Land eine
sich ergänzende natürliche
Arbeitsteilung, die übrigens keineswegs mit
übertriebener Konsequenz durchgeführt war. Die
Stadtbürger hatten auch innerhalb der Ringmauern ein
gut Teil landwirtschaftlicher Tätigkeit bei Für den Verkehr selbst galten vor allem die Grundsätze der Treue und der Ehrlichkeit. Einseitige Uebervorteilungen und Wucher aller Art sollten nach den Lehren der christlichen Kirche ausgeschlossen bleiben. Für ein Gelddarlehen Zinsen zu verlangen, galt im Prinzip als Wucher. Gewerbsmäßige Wechsler und Geldverleiher wurden von keiner städtischen Korporation als Mitglieder angenommen und in der Kirche zum Abendmahle nicht zugelassen. Der Wucher blieb den Juden vorbehalten, denen Obrigkeit und Volk von Zeit zu Zeit die gewonnenen Schätze wieder abnahmen. Erst um Mitte des XV. Jahrhunderts begann die Errichtung städtischer und wohltätiger Pfandleihanstalten, welche zur Deckung ihrer Unkosten einen billigen Zins berechneten und die Höhe des Einzeldarlehens nach der Größe des meist gestifteten Kapitals und der Zahl der Darlehenssucher zu bemessen pflegten. Das Geld war in dieser städtischen Wirtschaftspolitik noch keine „geronnene Macht“ geworden. Die Gewinne sollten im Güterverkehr
auf keiner Seite ein billiges
Maß überschreiten und den Bürgern
ihr Nahrungsspielraum gesichert bleiben.
Deshalb war eine umfassende Kontrolle des
Verkehrs vorge § 155. Die Landwirte waren gehalten, ihre überschüssigen Produkte nach dem Markte in der Stadt zu bringen und hier innerhalb bestimmter Stunden für die Bürger feilzuhalten. Dann erst durften die Händler zum Wiederverkauf das Uebriggebliebene erwerben. Durch sogenannte „gute Männer“ wurden nach Maßgabe von Vorrat und Bedarf Lebensmitteltaxen aufgestellt, um jedermann über den gangbaren Preis zu unterrichten. War das Getreide billig, so wurden die städtischen Kornmagazine gefüllt. Waren die Kornpreise hoch, so wurde für Bedürftige aus diesen Vorräten zu billigem Preise abgegeben. In Zeiten mit hohen Preisen war die Ausfuhr gesperrt. In billigen Zeiten konnte der über den heimischen Bedarf hinausreichende Ueberschuß ausgeführt werden. Die gewerblichen Zünfte
überwachten die Ausbildung der
Einzelnen vom Lehrling bis zum Meister.
Damit der Eine dem Anderen den Nahrungsspielraum
nicht beenge, war die Zahl der Gehilfen zumeist
auf zwei Gesellen und einen Lehrling fixiert, die
Maximalproduktion, wo es anging,
festgesetzt, und durch
Preistaxen für einen ehrlichen
Arbeitsgewinn wie Damit von auswärts, durch Fremde, diese
wirtschaftliche Ordnung nicht gestört werde, war es
fremden Kaufleuten untersagt, ihre Waren
im Detail zu verkaufen und den
heimischen Bürgern
verboten, mit den Fremden
Kompagniegeschäfte zu machen. Der
Verkauf durch Fremde war an bestimmte Markttage gebunden.
Damit aber durch diese Bestimmungen der Stadt nicht etwa
die förderlichen Anregungen aus der
Fremde und die Vorteile des Durchgangsverkehrs
verloren gingen, zwang das Stapelrecht die
fremden Kaufleute, auf dem Land- wie auf dem
Wasser-Wege ihre Ware anzuhalten, für
eine Zeitlang feilzubieten und eventuell mit neuen
Transportkräften weiter zu verfrachten. Unter dem
Einflusse dieser glücklichen Zustände hat sich
das § 156. Auch im XIII. und XIV. Jahrhundert war der
Grad der Ausbildung des Handels mit den
überschüssigen Produkten und der Grad der
gewerblichen Entwickelung in Deutschland in
verschiedenen Gegenden ein sehr
verschiedener. Aus naheliegenden
Gründen. Das mittelgebirgige
Deutschland von Köln bis zum Bodensee im
Westen, im Osten bis zu den Ausläufern des
Erzgebirges gerechnet, begünstigte durch ein reiches
Netz von Flüssen und Bächen in
den nutzbaren Wasserkräften die
gewerbliche Entwickelung ungemein. Die
Schätze des Bergbaues trugen weiter zur
Bereicherung dieser Gegenden bei. Die vielen
Wasserscheiden begünstigten die Ausbildung von
Kleinstaaten, welche sich mit weit
größerem Verständnis solch
bodenständigen Ausbildungen anschließen, als
das bei großen Staaten möglich ist. Diese
staatlichen, städtischen und gewerblichen
Verhältnisse mußten wieder auf die
landwirtschaftlichen Verhältnisse
zurückwirken. Hier hat die bäuerliche
Arbeit am frühesten ihre
persönliche Freiheit und
Selbständigkeit gewonnen und es dann am
häufigsten zu einer blühenden
Wohlhabenheit gebracht. Im Gegensatze hierzu
begünstigten die Verhältnisse der
norddeutschen Tiefebene mit dem
Küstenlande der Nord- und Ost-See weit mehr
Schiffahrt und Handel als die
gewerbliche Entwickelung. Hier ist deshalb in den
Städten früh schon ein
Kaufmannsstand aufgewachsen, welcher mit den
Produktionsüberschüssen des Landes einen
internationalen Verkehr nach Osten, Westen
und Norden einzurichten bemüht war. Daraus ist
um die Mitte des XIII. Jahrhunderts die deutsche
§ 157. Auch diese Verhältnisse waren
indeß nicht von Dauer. Langsam aber sicher
erstarkte der Eigenhandel in England, in den
skandinavischen Reichen und in Rußland und damit
wandelte sich die Handelspolitik dieser Länder aus
einer Begünstigung der
fremden Kaufleute um in eine
Begünstigung der
heimischen Kaufleute. Die wachsende
Macht der Landesfürsten und die
Ausbildung größerer Staaten in Deutschland
waren ebenfalls der internationalen
Kaufmannsvereinigung der Städte wenig
günstig. 1442 befahl Kurfürst
Friedrich II. von Brandenburg den märkischen
Städten den Austritt aus der Hansa. So zerfiel die
Hansa allmählich. Ihre Hinterlassenschaft in der
Nord- und Ostsee wurde von den
Niederländern angetreten, welche nicht
mehr den Grundsätzen der Mittelstandspolitik
huldigten, sondern bald durch und durch
Kapitalisten geworden waren.
Diese Herrschaft des Kapitalismus
breitete sich auch im Innern Deutschlands
mehr und mehr aus. Jakob Fugger in Augsburg
wurde von seinem Handelsgenossen Jörg Thurzo
in Augsburg, der sich von seinen Geschäften
zurückzog, weil er genug
verdient hatte, aufgefordert, auch vom weiteren
Gelderwerb abzustehen, er habe lange § 158. Kaiser und Reichstag beschäftigten sich mit dieser Frage. Kaiser Maximilian I. machte 1507 den Versuch, diese Handelsgesellschaften zu besteuern. Aber weil Maximilian stets in Geldverlegenheiten war, kam er mit den Gesellschaften überein, daß sie ihm einen entsprechenden Vorschuß auf seine landesherrlichen Kupfer- und Silbereinnahmen gewährten. Für dieses Kreditgeschäft verzichtete der Kaiser für sich und seine Nachkommen auf eine Besteuerung dieser Gesellschaften. Der Reichstag zu Köln beschloß
1512: jede Beherrschung der Preisbildung mit
Güterkonfiskation und Versagung
des obrigkeitlichen Geleits zu bestrafen. Aber
dieser Beschluß blieb unausgeführt. Die Klagen
gegen die Monopolisten erneuerten sich auf dem
Reichstage zu Worms (1521) und
Nürnberg (1522). Der
Reichstags-Ausschuß war der Meinung: das
Hauptkapital dieser Handelsgesellschaften
solle 50'000 Gulden nicht
überschreiten, für alle Waren sollen
amtliche Maximalpreise festgesetzt werden und der
Warenverkehr dieser Gesellschaften mit einem Reichszoll
von 5 Proz. des Wertes belastet werden. Die Denkschrift
mit diesen Vorschlägen ging an den Kaiser. Aber die
Handelsgellschaften wußten die kaiserlichen
Minister mit 200 bezw. 500 Gulden zu bestechen. In
dem Reichstagsabschied vom April 1524 wurden
die geplanten Maßnahmen verworfen. Die
Volksbewegung gegen die Monopolisten war im Sande
verlaufen und unter dem Einfluß der jetzt
ausbrechenden Kriegsstürme bald vergessen.
Die Lehre der Kirche, daß § 159. Indessen führte dieser Sieg des
gesellschaftlichen Kapitalismus zu einer
eigenartigen Verkettung der Ereignisse. Der
städtische Mittelstand, welcher
vergeblich gegen die Herrschaft des
spekulativen Kapitals nach oben
angekämpft hatte, suchte seine Position dadurch noch
einigermaßen zu schützen, daß er
durch den Zunftzwang sich gegen den Andrang
neuer Bewerber von unten abschloß. Das
Aufrücken vom Gesellen zum Meister wurde wesentlich
erschwert. Die Bildung eines städtischen
Proletariats war die natürliche Folge. Weil
aber dadurch die städtische Verwaltung sich rasch
genug mit Sorgen beladen sah, erschwerten die
Städte wieder die Zuwanderung vom
Lande. Dem Proletariat in den Städten folgte
deshalb das Proletariat auf dem Lande. Aus
beiden Reservearmeen rekrutierte sich
hauptsächlich das Angebot auf dem deutschen
Söldnermarkt. Der in den
Städten sichtbar gewordene
Reichtum reizte die Eroberungslust der
kapitalistisch gewordenen
Fürsten. Die Uebernahme und Vermittelung
von Staatsanleihen gehörte bald bei den
Großkapitalisten zu den
beliebtesten Geschäften. Und so trieb
der rasch Der so gründlich entfachte Raub- und
Herrschafts-Krieg der Fürsten aber dauerte,
bis auch die mit der Reformation konfiszierten
Kirchengüter verbraucht und alle Reserven in
Stadt und Land erschöpft waren. Der
dreißigjährige Krieg
(1618—1648), welcher nicht der
Religion halber, sondern des Reichtums und der
Habgier der Menschen halber geführt wurde,
stürzte Deutschland in tiefe Armut.
Seine Bevölkerung ging von 18 auf 6 Millionen
zurück. Württemberg verlor von 1634—41
350'000 Einwohner. Die Pfalz hatte vor dem Kriege
500'000, nach dem Kriege 50'000 Bewohner. Bayern mit
Kurpfalz verlor fast 90 Proz., Augsburg und Nürnberg
50 Proz. seiner Bevölkerung. So hatten Schwert und
Krankheit, Hunger und Kummer unter den Menschen
gewütet. Handel und Bergbau waren verschwunden. Die
Gewerbe lagen danieder. Augsburg beschäftigte vor
dem Kriege 6000 Weber, nach dem Kriege keine 500. Viele
Industrie- und Handelsstädte waren wieder
Bauernstädte geworden. Ueber 18'000 Dörfer
lagen eingeäschert, Felder und Wiesen verödet.
Von dem gesamten Viehstand waren etwa 20 Proz. übrig
geblieben. § 160. Am schwersten lastete der
Sieg des Kapitalismus mit seiner
nachfolgenden Selbstvernichtung auf dem
Bauernstande. Der Geldbedarf der Fürsten,
welcher nur zu allgemein schon Anlaß geboten, die
Königskronen mit der Kaiserkrone gelegentlich dem
Juden als Faustpfand zu übergeben, hat es im XV.
Jahrhundert nach der damaligen juristischen Auffassung
zugelassen, daß die landesherrlichen Rechte
über die Bauern an Adel und Städte
gegen entsprechende Geldbewilligungen im
Norden, östlich der Elbe, wie im Süden
Deutschlands verkauft wurden. Die Bauern
verwandelten sich durch dieses Rechtsgeschäft in
Privatuntertanen jener Personen, welche mit
dem Landesherrn diese Geschäfte
abgeschlossen haben. Adel und
Städte erhielten so das
Vogteirecht mit der Gerichtsbarkeit
über die Bauern und benutzten dieselben
natürlich, um sich zu bereichern. Die
nach römischem Recht gebildeten
Juristen waren dabei vorzügliche
Helfer. Die Abgaben und Dienste der Bauern wurden
fortgesetzt erhöht, mit neuen
Titeln wurden neue Dienste und
Abgaben eingeführt. Durch den
Rutscherzins wurde für die
säumigen Zahler mit jedem Tage
Verspätung der Zins verdoppelt,
sodaß es für den Bauern aus dieser
Schuldenlast überhaupt keine Rettung
mehr gab. Der Gemeindebesitz an
Wald und Weide wurde den
Bauerngemeinden weggenommen und den Bauern
nur noch Nutzungsrechte gegen entsprechende
Anders gestalteten sich die Verhältnisse im Norden Deutschlands östlich der Elbe. Hier waren im XVI. und in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts Adel und Städte in der Lage, ihren Produktenüberschuß an Getreide und Vieh zu steigenden Preisen nach auswärts zu verkaufen. Je größer ihr eigener Wirtschaftsbetrieb war, desto größer ihre Einnahmen. Wer wollte sie hindern, wenn sie ihre erbuntertänigen Bauern verjagten und deren Bauernhöfe mit ihrem Eigenbesitz zusammenlegten? Dieses allgemeine Bestreben zur Latifundienbildung führte dazu, daß die käuflichen Erwerber der landesherrlichen Rechte über die Bauerndörfer sich gegenseitig durch Tausch arrondierten, während im Süden und Westen Deutschlands die landesherrlichen Kapitalisten ihre vielfach zerstreute Obrigkeitsrechte beibehielten. Alle Bauern durften indeß auch im Nordosten nicht von ihrer Scholle verjagt werden, sonst hätten die Arbeitskräfte zur Bebauung der großen Gutsherrschaften gefehlt. Diese noch zurück behaltenen bäuerlichen Familien aber wurden doppelt mit Diensten belastet, ihre Kinder dem Gesindezwang unterstellt und hier und dort die Entwickelung bis zur Leibeigenschaft weiter geführt.
§ 161. Die vielen und tiefen Wunden,
welche die Herrschaft des Kapitalismus im XVI. und
XVII. Jahrhundert dem deutschen Volkswohlstande
geschlagen, pfleglich ausheilen zu lassen, war
Sache der absolutistischen
Fürstenpolitik geworden. Die seit
Colbert (1619—83) hierbei befolgten
politischen Grundsätze werden als
Merkantilismus bezeichnet. Ihre wichtigsten
Regeln lauten bekanntlich: Wiederherstellung eines
geordneten Münzwesens, Begünstigung der Ausfuhr
veredelter Produkte, Verbot oder doch
Erschwerung der Ausfuhr von Rohprodukten,
Verbilligung des Zinsfußes, Begünstigung der
Bevölkerungszunahme und Hebung der
werterzeugenden Kräfte des Volkes durch
Einfuhr gewerblicher und industrieller
Die weitaus größten Fortschritte hat seit
dieser Zeit unter den deutschen Staaten Preußen
erreicht. Nach dem 30jährigen Kriege war dieses Land
an Menschen und Vieh fast ausgestorben, die Domänen
verpfändet oder in Erbpacht gegeben, der
Staatsbankrott nahe, die Armee schlecht und klein.
Friedrich Wilhelm I. (1713—40)
hinterließ eine schuldenfreie
Finanzverwaltung, ein Jahreseinkommen von
über 21 Millionen Mark, einen
Staatsschatz von 24 Millionen Mark und eine
gut exerzierte Armee von 83'000 Mann. Bis
zum Jahre 1700 waren in die Gebiete von Brandenburg
und Magdeburg 20'000 Menschen zugewandert:
von Ludwig XIV. verfolgte Hugenotten, vor
den französischen Armeen flüchtende
Pfälzer, Schweizer und
Böhmen. Dazu kamen 15—20'000
Salzburger Protestanten, welche 1732 von dem
dortigen Erzbischof vertrieben worden waren. Die
bedeutenden industriellen Kenntnisse und Erfahrungen
dieser Einwanderer legten den Grundstein für die
brandenburgische und magdeburgische Industrie. Das Tragen
ausländischer Tuche wurde bei Todesstrafe verboten,
die Ausfuhr heimischer Wolle mit dem Galgen bedroht, das
Schulwesen gefördert, das Eindringen des billigen
ausländischen Getreides vom Osten erschwert.
Friedrich II. der Große
(1740—86), welcher die reiche Provinz Schlesien mit
dem Königreich Preußen vereinte, wußte
den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Landes in
besonderem Maße Rechnung zu tragen. Nicht nur
Gewerbe, Industrie und Handel,
auch die Landwirtschaft wurde
geschützt, die Rechte der Bauern
gebessert. In den mittleren Provinzen mit Seide-
und Tuchindustrie sorgte ein ganzes System
staatlicher Getreidemagazine mit
staatlichem Getreideeinfuhr-Monopol § 162. Der Kapitalismus in der
Gesellschaft hat das Vorwiegen des mobilen
Besitzes und der Geldinteressen zur
Voraussetzung. Weil das Geld bestrebt ist,
möglichst oft aus einer Hand in die andere zu
rollen, drückt die Herrschaft des Kapitalismus in
der Gesellschaft den betreffenden Gemeinwesen den
Charakter eines Handelsstaates auf.
Maßgebend für die Handlungen des
Einzelnen wie des Staates ist der
Profit. Weil der Handel
entwickelungsgeschichtlich in nächster Verwandschaft
zum Raube steht, entspricht der
Handelsstaat am meisten jener bekannten
Definition des heiligen Augustin: „Der Staat
ist eine seßhaft gewordene
Räuberbande.“ Wo sich
Handelsgesellschaften bilden, ziehen sie gemeinsam
auf Beute aus, deren Gewinnung als
Raub oder als Handelsprofit
bezeichnet werden muß, je nachdem mehr
Gewalt oder mehr List und geschäftliche
Klugheit dabei beteiligt waren. Wo ein
Handelsstaat sich gebildet hat, besteht die
Aufgabe der Staatsgewalt darin: die
Bürger in ihrem Besitz zu schützen
und ihnen das Profitmachen zu
erleichtern durch Beschaffung von
Handelsprivilegien, durch Unterwerfung
von Völkern und Volksstämmen zur gefügigen
Ausbeutung und durch Vernichtung der
konkurrierenden Handelsstaaten. Um die
besten Gelegenheiten zur Uebervorteilung,
Ausbeutung und Vergewaltigung der
fremden Gemeinwesen
auszuspüren, hat sich früh schon
in den italienischen Handelsstaaten das Institut der
konsularen Die absolutistische Verfassungsform
verträgt sich mit einer Herrschaft des
Kapitalismus nicht auf die Dauer. Sobald unter dem
Kapitalismus auf dem Fürstenthrone große
Reichtümer in den Händen von
Privaten sichtbar werden, setzt immer das
kapitalistische Entwickelungsgesetz der
Expropriation der Expropriateure ein. Der
Absolutismus pflegt durch Besteuerung,
Zwangsanleihen und
Vermögenskonfiskationen, freiwillige
Anleihen und Staatsbankerotte den
größeren Reichtum seiner Untertanen zu
verbrauchen. Der Geldreichtum hat in
absolut regierten Staaten aus diesen
Gründen das Bestreben, sich verborgen zu
halten. Der Kapitalismus in der
Gesellschaft neigt zur
republikanischen Verfassung. Er
verträgt sich indes ebenso gut mit dem
monarchischen Verfassungsstaat, wie das
Beispiel Englands seit 1689 lehrt. Da jedoch die
Entwickelung der englischen Volkswirtschaft noch nicht
als abgeschlossen bezeichnet werden kann, gehört
dieser Teil der englischen Geschichte mehr zur
praktisch-politischen und weniger zur rein historischen
§ 163. Amalfi ist eine der ältesten Städte Italiens. Wenig südlich von Neapel, am Golfe von Salerno, gelegen, steigen seine Häuser hinter dem engen Hafen-Quai an Felsen empor. In den Felsen eingehauene Treppen stellen die Verbindungen zwischen den Häusern her, deren Dächer als Gärten dienen. Zur Longobardenzeit war Amalfi ein durch Seehandel reiches und mächtiges Gemeinwesen mit republikanischer Verfassung unter einem auf Lebzeiten gewählten Grafen, der bald den Titel Fürst und Herzog führte. Wie Venedig, stand auch Amalfi in losem Untertanenverhältnis zum oströmischen Reiche, was den Handel mit dem Orient wesentlich erleichterte. Amalfi beherrschte im X. und namentlich im XI.
Jahrhundert einen weiten Kreis von
Küstenländern am Mittelmeere. In
Konstantinopel, Antiochia, Jerusalem, Cairo
und Durazzo besaß dieser Handelsstaat
Kolonien. Dazu Niederlassungen auf
Sizilien, namentlich in
Messina. Innerhalb seiner Mauern weilte eine
kleine Kolonie arabischer Kaufleute. Das
Kloster Santa Maria Latina in Jerusalem
wurde mit einem Spital von Amalfiten erbaut, ausgestattet
und unterhalten. Der Johanniterorden
entstand aus der Brüderschaft des Hospitals des
Heiligen Johannes in Jerusalem, welches Kaufleute
aus Amalfi 1048 gestiftet hatten. Vor
den Kreuzzügen war für Rom wie für Italien
Amalfi der Hauptlieferant orientalischer Aber auch die alte römische Kultur hatte in den Mauern dieser Handelsstadt noch die beste Pflege auf italischem Boden gefunden. Auf der alten Rechtsschule in Amalfi hat jenes Seerecht seine Ausbildung erfahren, welches als Tabula amalfitana seit Anfang des XI. Jahrhunderts für den Verkehr auf dem Mittelmeere maßgebend war. Hier blieb die älteste Handschrift des Pandekten erhalten. Zur Zeit ihrer höchsten Blüte soll die Stadt 50'000 Einwohner gezählt haben. Aber mit dem Reichtum und der Handelsherrschaft war auch der Bürgerkrieg in das kleine Gemeinwesen eingezogen. Dazu kamen Kämpfe mit dem benachbarten Salerno. Diese Gelegenheit benutzte der Normannenfürst Robert Guiscard 1077, um Amalfi und Salerno seinen Besitzungen in Apulien und Kalabrien einzuverleiben. Durch diese Umwandlung der Amalfiten aus losen Untertanen von Byzanz zu Untertanen der dem Orient feindlichen Normannen wurden die geschäftlichen Interessen im Levantehandel schwer geschädigt. Die kolonialen Errungenschaften der Amalfiten sind deshalb jetzt vielfach den Venezianern zugefallen. Während des ersten Kreuzzuges (1096—99) beteiligte sich Amalfi noch an der Belagerung von Akkon und gewann dadurch neue koloniale Besitzungen in den Kreuzzugsstaaten. Indes hatte sein Reichtum und Ansehen bereits zu sehr die Eifersucht des stärkeren Handelsstaates Pisa wachgerufen. 1135 überfallen und plündern die Pisaner die Stadt, 1137 wird Amalfi durch Pisa gänzlich vernichtet. Seitdem ist die zu Anfang des XI. Jahrhunderts so mächtige Handelsstadt ein unbedeutender Platz geblieben, der heute kaum mehr als 7500 Einwohner zählt. § 164. Pisa, eine
südöstlich von Genua an der Westküste
Italiens gelegene Stadt, war noch im XI. Jahrhundert der
Gerichtsbarkeit des Markgrafen von Tuscien unterstellt
und erhielt erst kurz vor den Kreuzzügen ihre
kommunale Selbständigkeit.
Früher als Genua und Venedig hatte Pisa
wichtige Handelsprivilegien in Afrika erworben.
Schon vor den Kreuzzügen fanden sich hier
türkische, lybische und afrikanische Kaufleute
zusammen, um ihre Geschäfte abzuschließen.
Damals schon haben sich die Pisaner stark genug
gefühlt, um gemeinsam mit den Genuesern
Sardinien der Herrschaft der Araber zu
entreißen und diese Insel dann für sich zu
behalten. Als 1070 Pisa auch Korsika und
Elba in Besitz genommen hatte, erreichte
dieses Gemeinwesen eine gewaltige
Uebermacht zur See, welche zunächst —
trotz Beginn der Kreuzzugsbewegung — zu einem
erbitterten Kampfe zwischen Genua und Pisa
führte. Papst Innocenz II. hat diesen
Streit 1133 zu Gunsten Genuas geschlichtet, indem er
die Hälfte von Korsika Genua
übertrug. Pisa war seit dieser
Zeit Anhänger der deutschen Kaiser und
Gegner der päpstlichen Partei. 1135
bezw. 1137 wurde die ältere rivalisierende
Handelsstadt Amalfi schonungslos vernichtet.
Die Bevölkerung von Pisa soll jetzt 150'000
Köpfe gezählt haben. Die Beteiligung Pisas an
den christlichen Eroberungen der
Kreuzzugsheere in Syrien,
Palästina und Egypten brachten
dieser Handelsstadt wichtige
Kolonialbesitzungen in Antiochia,
Tyrus, Akkon, Joppe, Jerusalem, Thessalonich, Almyra,
Konstantinopel, Alexandrien usw. ein. Und, als die
Während der Gewinnsucht halber dem Feinde die
wichtigsten Kriegsmaterialien zugeführt wurden,
dauerte seit den ersten Eroberungserfolgen der
Kampf um die Beute zwischen den christlichen
Handelsstaaten mit wechselvollen Bündnissen
fast ununterbrochen weiter. 1205 wurden die
Pisaner durch die Genueser aus
Syracus und Sardinien
vertrieben, das sie vorher gemeinsam den Arabern
entrissen hatten. 1206 schloß dann
Pisa ein Schutzbündnis mit
Venedig gegen Genua. 1256 sehen wir dann wieder
Pisa mit Genua gegen Venedig in
Akkon einen räuberischen
Ueberfall ausführen, dem im folgenden Jahre
wieder ein Schutzbündnis zwischen Pisa
und Venedig gegen Genua sich
anschließt. Den Kampf zwischen den
Hohenstaufen und dem Papste
benützte dann Genua, um nach Untergang
des italienischen Stauferreichs (1268) die Flotte
der Pisaner (1284) vollständig zu
vernichten. Damit gehen alle
auswärtigen Besitzungen Pisas an Genua
verloren und blutige Bürgerkriege geben
dieser Vernichtung der See- und Kolonial-Macht das
Grabgeleite. Die erbitterten
Rivalitäts Pisa war durch den
Warenhandel, durch das
Transportgeschäft während der
Kreuzzüge und durch den Seeraub reich
und mächtig geworden, Florenz verdankte
seinen Reichtum den Geldgeschäften mit
der päpstlichen Kurie Hand in Hand mit
einer blühenden Tuch- und
Seidenweberei. Die Florentinischen Bankfilialen
reichten von der Küste des atlantischen Ozeans bis
zum Nil, zum Schwarzen Meere und nach Asien. Die seit
1552 geprägte Goldmünze von Florenz, der
Florenus, vermittelte in den damaligen
Münzwirren einen sehr großen Teil des
internationalen Zahlungsverkehrs. Die leicht
gewonnene Rechtsnachfolge in den Handelsbeziehungen
der Pisaner kam deshalb für Florenz nicht
ungelegen. Aber die geschmeidigen Geldwechsler dachten
nicht daran, die alte
Kriegsmacht von Pisa wieder aufzurichten. Den
beiden Rivalen Genua und Venedig, und
dem mächtigen Türkenreiche gegenüber
mochte das auch mit besonderen Schwierigkeiten
verknüpft sein. Die Florentiner
machten deshalb aus der Not eine Tugend. Sie
erneuerten überall die alten Handelsbeziehungen der
Pisaner und suchten durch den völligen Mangel
einer eigenen Kriegsflotte im Mittelmeere und
durch den ausdrücklichen Verzicht auf jeden
Kolonialbesitz bei ihren Geschäftsbeziehungen
besonderes Vertrauen zu erwecken. In der Tat
ist es so Pisa-Florenz namentlich bei den Türken
gelungen, ganz besondere Gunst zu § 165. Genua, die alte Hauptstadt
Liguriens, erfreute sich im VIII. Jahrhundert eines
aufblühenden Handels und erlangte 958 ihre
munizipale Unabhängigkeit mit dem Privileg,
durch selbstgewählte Konsuln sich regieren zu
lassen. Das benachbarte Pisa war schon reich und
mächtig geworden. Es lag deshalb für Genua
nahe, sich mit Pisa zur Bekämpfung eines gemeinsamen
Feindes zu vereinigen. So begannen die gemeinsamen
erfolgreichen Kriege gegen die Araberherrschaft
auf den italienischen Inseln Sardinien, Korsika,
Elba und Sizilien. Aber die Pisaner
wollten sehr bald von einem 1261 wurde unter wesentlicher Mithilfe der Genueser Streitkräfte dem lateinischen Kaiserreiche durch den griechischen Kaiser in Nicäa ein Ende gemacht. Zum Dank dafür erhielt Genua vom neuen Herrscher in Byzanz die Vorstadt Galata, die Insel Chios und wichtige Handelsprivilegien im Schwarzen Meere. Speziell das Schwarze Meer betrachteten die Genueser von jetzt ab als ihre Domäne, aus welcher der griechische Handel so vollständig verdrängt wurde, daß selbst die Versorgung von Konstantinopel mit Getreide und Fischen in die Hände der Genueser gekommen ist. Der neuen Geschäftsausdehnung entsprechend wurde die Kriegsflotte wieder verstärkt und nun schien endlich die Zeit gekommen, mit dem gefährlichen Konkurrenten in der nächsten Nachbarschaft, mit Pisa, blutige Abrechnung zu halten. 1284 wurde die Pisaner Flotte völlig vernichtet und alle auswärtigen Besitzungen Pisas Genua einverleibt.
1291 fiel mit Akkon die
letzte christliche Station in Syrien wieder
in die Hände der Mohamedaner
zurück. Die Aufregung in der
christlichen Welt über das Fraternisieren des
Handels mit den Saracenen war groß. Man
wollte endlich dieser geschäftlichen Durchkreuzung
der christlichen Eroberungspolitik gegen den Erbfeind der
Christenheit einen Riegel vorschieben. Die Ausfuhr
von Kriegsmaterial, wozu auch Holz, Teer und
Eisen gehörten, nach Egypten
wurde verboten und zwar unter Androhung der
strengsten kirchlichen und bürgerlichen Strafen.
Damit die Durchführung diesem
Verbote nicht fehle, wurden Wachtschiffe im
Mittelmeere stationiert und Kreuzer vom
Johanniterorden und vom Könige
von Cypern ausgeschickt. So wurde manches reich
beladene Kaufmannsschiff abgefangen und konfisziert. Aber
die Handelsinteressen zwischen dem Abendlande und Egypten
waren doch zu stark, als daß sie jetzt hätten
Immerhin war durch diese Reibungen der Handel nach Egypten wesentlich erschwert worden. Die Handelsstaaten waren deshalb mit doppelter Energie bemüht, Ersatz durch Ausdehnung ihrer Handelsbeziehungen im griechischen Reiche wie namentlich im Schwarzen Meere zu finden. Und damit begann jener mehr als hundertjährige Rivalitätskrieg zwischen Genua und Venedig (1240—1381), welcher die Lebenskraft Genuas verzehrte. § 167. Mit Mord und Plünderung auf
byzantinischem Gebiete ist dieser Streit zwischen
Genua und Venedig ausgebrochen. Die weit verzweigten
Kolonialinteressen zwangen Genua, die Heimat von
Streitkräften zu entblößen. Die
Stockung der Geschäfte ließ
wieder die Unzufriedenheit im Volke
zunehmen. Und diese Gelegenheit benutzten die vorher
vertriebenen „gesättigten“ Bürger,
welche zur Partei der Welfen gehörten, das
Zunftregiment in Genua zu stürzen und das
Konsulamt dem italienischen Welfenführer, König
Robert von Neapel, zu übertragen. Die reichen
genuesischen Kolonien in der Levante, von denen
die Stadt Kaffa damals 100'000 Einwohner
gezählt haben soll, waren mit diesem
Regierungswechsel in der Heimat nicht
einverstanden. Sie wurden in diesem Verhalten
unterstützt durch den Kaiser von
Byzanz, welcher 1261 von § 168. Als Attila 452 n. Chr. die reichen
Städte Aquileja und Padua
zerstörte, sahen sich die Ueberlebenden gezwungen,
auf den von Fischern und Schiffern schon unter der
Römerherrschaft bewohnten Laguneninseln
Zuflucht zu suchen. So entstand ein selbständiges
städtisches Gemeinwesen. Nur ein
schmaler Wasserstreifen trennt diese Inseln
vom Kontinent, aber er erwies sich breit
genug, um die hier lebende Bevölkerung vor den
Verwickelungen in jene Geschichte zu bewahren, denen
Italien vom V.—X. Jahrhundert ausgesetzt war.
Venedig, an dessen Spitze vom Volke
gewählte Tribunen standen, stand unter der Hoheit
von Byzanz. Seit 697 war es Sitte geworden, daß
nach Art der umliegenden Herzogtümer ein Doge (Dux)
erwählt wurde. Die Kommune hatte
eine gemäßigt aristokratische
Verfassung, welche ein Aufsteigen der
Tüchtigen von unten offen ließ und in allen
wichtigen Fragen an die Zustimmung des ganzen
§ 169. Als die Kreuzzüge
begannen, hörte die religiöse
Begeisterung der Handelsstaaten immer dort
auf, wo der Profit in andere Bahnen
einlenkte. Die französische und niederländische
Ritterschaft sammelte sich in
Venedig, um von da aus Egypten anzugreifen.
Venedig unterhielt mit Egypten um so
wichtigere Handelsbeziehungen, je
schwieriger seine Stellung im byzantinischen Reich sich
gestaltete. Die Venetianer lieferten nach Egypten
Schiffbaumaterial, Holz,
§ 172. Diesem politischen Niedergang seit Mitte
des XIII. Jahrhunderts gehen bedeutsame
Veränderungen im venetianischen Handel zur
Seite. Der Verlust von Akkon (1291) brachte eine
päpstliche Handelssperre für Aegypten und
Syrien als Vorbereitung einer neuen
Kreuzzugseroberung. Zwar wußte der Schleichhandel,
auch angeregt durch Einfuhrprämien, welche Aegypten
bezahlte, dieselbe zu umgehen und die Päpste selbst
haben von Mitte des XIV. Jahrhunderts ab gegen
entsprechende Zahlungen besondere Handelserlaubnis
gewährt, welche mit der Aussichtslosigkeit neuer
Kreuzzugsbewegungen diese Handelssperre bald in
Vergessenheit geraten ließ. Dennoch bedeutete diese
Maßnahme eine empfindliche Schädigung der
Handelsinteressen. Im indischen Gewürzhandel
traten bedenkliche Veränderungen ein. Der
Sultan von Aegypten führte 1422 ein
staatliches Handelsmonopol mit indischen
Spezereien und Baumwolle ein und
steigerte die Preise für diese Produkte um das
dreifache. Die fremden Kaufleute mußten ihre
Aufkäufe auf die vom Sultan bezeichneten Plätze
beschränken und alle übrigen
Handelsniederlassungen in seinem Reiche aufgeben.
Gelegentlich gefiel es dem Sultan, alle fremden
Händler gefangen zu nehmen, um sie nur gegen noch
höhere Preisbewilligungen wieder frei zu geben. In
noch größere Bedrängnis geriet der
venetianische Gewürzhandel durch das
Vordringen der Portugiesen in Indien. Die
Republik von San Marco plante deshalb im Bunde mit dem
Sultan von Aegypten, dem Beherrscher der Türken und
den Arabern Portugal aus Indien wieder zu vertreiben. Zu
einem energischen Vorgehen nach dieser Richtung ist es
jedoch nicht gekommen. 1521 hat dann
Portugal Venedig eingeladen, seine indischen
Gewürze Aehnliche Verschiebungen vollzogen sich auf dem Sklavenmarkte. Schon im VIII. Jahrhundert gehörten die Venetianer zu den regelmäßigen Besuchern des Sklavenmarktes in Rom, auf welchem die Grundherren die Kinder ihrer christlichen Hintersassen verkauften, die dann hauptsächlich nach Nordafrika an die Araber weiter verhandelt wurden. Das ganze Mittelalter hindurch bis in’s XVI. Jahrhundert war dann Venedig ein Hauptplatz des internationalen Sklavenhandels, wo Tausende von Sklaven und Sklavinnen zu steigenden Preisen verkauft wurden. Die Zufuhr besorgten zumeist die venetianischen Kolonien, der Absatz ging vielfach nach Katalonien und Roussillon. Im XV. Jahrhundert ist dann durch die Mongolenkriege ein neuer Aufschwung in den Handel mit Sklaven gekommen. Die Entdeckung Amerika’s aber hat auch den Schwerpunkt dieses Handels nach Spanien und nach dem Atlantischen Ozean verlegt. Die Bedeutung des venetianischen Marktes ging dann in diesem Artikel mehr und mehr zurück. Klugerweise war Venedig bald bestrebt, die unsicheren
Quellen der internationalen Handelsgewinne durch
Schaf § 173. Eine der großen ständigen
Sorgen des Handelsstaates betraf die Brotversorgung
des Volkes. Die Laguneninseln produzierten kein
Getreide. Das seit dem Jahre 1000 eroberte
Dalmation war in erster Linie Lieferant von
Holz und Holzprodukten. Das Mittelmeer besaß zwar
reiche Kornländer. Von da konnte aber die
venetianische Handelsflotte kein Getreide zuführen,
wenn die betreffenden Staaten die Getreideausfuhr
nicht ge Die Grundsätze dieser Getreidehandelspolitik des ersten Handelsstaates im Mittelmeere sind leicht erkenntlich. Man war, ohne Rücksicht auf Freihandelstheorien, bemüht, die Brotversorgung des venetianischen Volkes zu sichern. Unpünktlichkeiten in der Ablieferung der fälligen Getreidemengen wurden streng bestraft. Nicht der Staat, sondern die Ritterschaft auf Kreta hatte das Risiko einer Mißernte zu tragen. Als das Jahr 1269 für das ganze Mittelmeer eine ungünstige Ernte brachte, geriet Venedig in eine schwere Hungersnot, welche die Staatsmänner dieser Republik veranlaßte, 1276 mit aller Strenge die Verstaatlichung der Brotversorgung des Volkes durchzuführen. Und diese, jeden Freihandel in Getreide und Brot radikal beseitigende Einrichtung blieb in Venedig durch fünf Jahrhunderte in Geltung. § 174. Diese Verstaatlichung der Brotversorgung
des Volkes war in folgender Weise organisiert: in den
staatlichen Getreidemagazinen sammelten sich
die Naturalleistungen der Staatspächter
und Lehensleute. Alles übrige auf
venetianischem Gebiete erzeugte und für
den Verkauf disponible Getreide mußte
an die Staatsmagazine abgeliefert werden,
welche dieses Getreide nach einer wechselnden
Staatstaxe bezahlten. Die Ausfuhr von
Getreide und Futtermitteln aus venetianischem
Gebiete war nur mit ausdrücklicher
staatlicher Genehmigung erlaubt. Bei einer
durchschnittlichen Bevölkerung von etwa 200'000
Seelen in Venedig sollten die staatlichen
Minimalvorräte in Getreide etwa dem
Brotbedarf für zwei Monate entsprechen.
Es war jedoch eine der wichtigsten Aufgaben der
Brotversorgungs-Behörde (Ufficiali al
fru § 175. Die schwere Bedrängnis, in welche der
Rivalitätskrieg mit Genua im Laufe des
XIV. Jahrhunderts den Staat gebracht hat, kam
naturgemäß in den verschiedensten
Maßnahmen zum Ausdruck. Die staatlichen
Verkaufspreise für Getreide stiegen von 1315
bis 1380 um 400 Proz. Der Metallwert
des venetiani Die Verpflichtung der Ritterschaft, ihren Zins
an den Staat entweder in Natura oder
in Gold zu leisten, hat im Falle
ungünstiger Ernteerträge die Lehensleute zu
Schuldaufnahmen gezwungen. Darlehen waren
nur bei jüdischen Wucherern
erhältlich. Die hohen Zinsen haben die Schuldsumme
rasch anwachsen lassen. Die Ueberschuldung der
Ritter zwang den Staat zu
Abhülfsmaßregeln. Als solche
wählte die Republik zunächst die amtliche
Festsetzung des Zinsfußes auf 12 Proz.,
welcher Satz bald auf 10 und 8 Proz. ermäßigt
wurde. Weil aber die amtliche Getreidetaxe im Interesse
einer billigen Verproviantierung der Schiffe niedrig
blieb, waren die Ritter auch zu dem herabgesetzten
Zinsfuße nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen
zur Schuldablösung nachzukommen. Man hat die
ganze Lebenshaltung tunlichst
eingeschränkt. Man hat von den
Hörigen herausgepreßt, was
möglich war, selbst die Kinder
der Hintersassen wurden wieder als
Sklaven von den Grundherren verkauft.
Doch die unter dem Drucke des stetig wachsenden
Kriegsbedarfs sich fortwährend
erhöhenden Steuerforde Unter Mitwirkung der venetianischen Regierung wurde
schließlich der allgemeinere Uebergang zum
Handelsgewächsbau gewagt. Aber der
Handel brachte bald so billigen Zucker
auf den Markt, daß die meisten
Besitzer der Zuckerplantagen bankerott
wurden, eine immer stärkere
Vermögensverschiebung zu Gunsten weniger sehr
reicher Familien sich bemerkbar machte und den
häufigen Hungersnöten selbst durch
staatliche Getreideanbau-Prämien nicht
vor § 176. In Venedig selbst hatte zu Ausgang des
XIII. Jahrhunderts die Verschiebung der Besitz- und
Vermögensverhältnisse zu einer
geschlossenen aristokratischen Verfassung
geführt. Die gegen diese Neuerung gerichteten
Aufstände wurden unterdrückt. Die herrschende
Klasse war seitdem doppelt bemüht, das Volk durch
billiges Brot und viele Festlichkeiten
in guter Laune zu erhalten. Dabei wuchs das
gegenseitige Mißtrauen und die Angst vor Revolution
so sehr, daß 1539 drei Staatsinquisitoren
eingesetzt wurden, mit dem Auftrage, durch
rücksichtslose rasche Kabinetsjustiz
alle der herrschenden Staatsverfassung
gefährliche Personen aus dem Wege zu
räumen. Die Hand dieser geheimnisvollen
Staatseinrichtung, die dem Volke gegenüber
wieder mit dem heiligen § 177. In dem Paragraphen 107
bis 110 sind die Gründe genannt,
welche Holland gezwungen haben, sich
aus den furchtbaren Fesseln des spanischen
Absolutismus zu befreien, und welche
diesem kleinen Volke gestatteten, diese Freiheit zu
erringen. Das so entstandene Staatsgebilde
zählte die sieben Provinzen
Holland, Seeland, Utrecht, Geldern, Oberyssel,
Friesland und Groningen mit
weitgehenden selbständigen Rechten. Zu
der ungewöhnlich reichen Küstengliederung
gehörte ein nur kleines Landgebiet von
kaum 33'000 qkm; also etwa der
zehnte Teil der vereinigten englischen
Königreiche und fast nur der
siebzehnte Teil des Flächeninhaltes von
Frankreich. Von diesem kleinen Landgebiet
war etwa die Hälfte als natürliche Weide zu
benutzen, was die Viehhaltung ungemein begünstigte,
den Ackerbau aber so zurücktreten ließ,
daß das Volk hinsichtlich seiner
Brotver
§ 179. Indeß war es mit
der Freiheit des Meeres und mit der Freiheit des Handels
der Völker auch bei den Holländern eine
„Freiheit, die sie meinten“. Die
Holländischen Schiffer waren von
früher her in Gilden organisiert. Als
der Handel nach dem fernen Indien begann, rüsteten
diese Gilden ihre Indienfahrer aus. Und nun zeigte es
sich, daß die Holländer sich selbst
Konkurrenz machten und zwar sowohl beim Einkauf in
Indien, wie beim Verkauf in der Heimat. In Indien
steigerten sie sich die Einkaufspreise, in Holland
minderten sie sich die Verkaufspreise. Das lag nicht im
Interesse eines möglichst hohen Profits. Deshalb
wurden alle Indienfahrer 1602 zu einer großen
niederländisch – ostindischen
Handelsgesellschaft verschmolzen, welche mit einem
Kapital von 6,5 Millionen Gulden gegründet wurde und
vom Staate für Holland das
ausschließliche Recht des Handels nach
Ostindien übertragen erhielt. Mit Hilfe ihres
größeren Kapitals baute diese
Handelsgesellschaft weit größere und besser
armierte Schiffe und war dann erfolgreich bemüht,
jede andere Nation am Handel mit Indien zu
hindern. So war anstelle des
portugiesischen Handelsmonopols von
des Sehr ähnlich war der Entwicklungsverlauf der
niederländisch – westindischen
Handelsgesellschaft. Nachdem die ostindische
Gesellschaft so fette Gewinne verteilt
hatte, sollte die 1621 gegründete westindische
Gesellschaft
versuchen, mindestens gleich hohe Gewinne aus den
§ 180. Das Herz der
holländischen Volkswirtschaft war die
Börse zu Amsterdam. Hier fand sich aus
ganz Europa zusammen, was reich war und über einen
gut ausgeprägten Erwerbssinn verfügte. Die
portugiesisischen Juden scheinen auf die
Ausbildung der Börsentechnik einen besonderen
Einfluß ausgeübt zu haben. All
unsere moderen Börsengeschäfte mit dem
Börsenspiel und der
Börsenspekulation in Aktien, Wertpapieren, Wechseln
und Waren der verschiedensten Art sind im XVII.
Jahrhundert an der Amsterdamer Börse erfunden
worden. Zwar war die Gesetzgebung bald
bemüht, diese Mißstände
einzuschränken. Schon 1610 wurde der Verkauf von
Aktien, welche der Verkäufer nicht besaß,
gesetzlich verboten. Aber diese einfachen gesetzlichen
Verbote gegen die Spielwut der Börse wurden schon
damals wenig beachtet. Im Jahre 1634, als in
Deutschland noch der dreißigjährige Krieg
wütete und die hier gemachte Kriegsbeute in Holland
zu Am besten wird die zentrale Stellung der Amsterdamer Börse in dem vom gesellschaftlichen Kapitalismus beherrschten Holland wohl durch die Ereignisse der Jahre 1672—78 illustriert. Ausnahmsweise hatten sich nämlich durch die diplomatischen Künste Ludwigs XIV. Frankreich und England zusammen gefunden, um Holland gemeinsam zu bekriegen. Die Gefahr für den holländischen Staat war eine große. Die Regierung bemühte sich deshalb, durch reiche Subsidienzahlungen an den großen Kurfürsten von Brandenburg und den deutschen Kaiser deren Armeen gegen die holländischen Feinde marschieren zu lassen. Die Holländer aber zahlten ihre Subsidien jetzt nicht in baarem Gelde, sondern in holländischen Staatspapieren, welche, angesichts der großen Gefahr, an der Börse einen sehr niedrigen Kurs notierten. Als nun der deutsche Kaiser und der Kurfürst von Brandenburg an der Börse die empfangenen holländischen Staatspapiere verkaufen wollten, waren beide sehr erstaunt, zu erfahren, daß holländische Staatspapiere bei größerem Angebot selbst zu viel niedrigeren Kursen nur schwer Käufer finden würden, weil eben die zu Gunsten Hollands wenig energische Kriegsführung alle Welt abschrecke. Wenn aber die Armee kräftig vorrücke, werde das Geld alsbald in beliebigen Summen herbeiströmen. Es wäre also Sache des deutschen Kaisers und des Kurfürsten von Brandenburg gewesen, die Feinde der Holländer zu schlagen, die Kursgewinne an der Amsterdamer Börse zu steigern und dann erst für alle Mühe und Opfer sich bezahlt zu machen. Trotzdem ist es diesmal wieder den Holländern geglückt, ohne Land- und Handelsverluste mit Frankreich Frieden zu schließen.
[ == == == Ende Band 2 == == == ]
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