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Entwickelungsgeschichte der Griechen.(Dr. Karl Hoffmeister-Wien.) |
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Vorbemerkung und Litteratur. Von der
einschlägigen Litteratur wurden benutzt: G.
Adler, Geschichte des Sozialismus und Kommunismus
von Plato bis zur Gegenwart, 1899. Julius
Beloch, Griechische Geschichte, 1. und 2. Band
1893 und 1897. Derselbe, Die
Bevölkerung der griechischen und römischen
Welt, 1886. Boeckh, Staatshaushalt der
Athener, 2. Auflage 1851.
Büchsenschütz, Besitz und Erwerb
im griechischen Altertume, 1869. Derselbe,
Die Hauptstätten des Gewerbfleisses im klassischen
Altertume, 1869. Blümner, Die
gewerbliche Thätigkeit der Völker des
klassischen Altertums, 1869. E. Cicotti, Il
Tremento della Schiavitu, 1899. Conrads
Handwörterbuch der Staatswissenschaften 2. Auflage
1898 bis 1901, die verschiedenen einschlägigen
Artikel. Ernst Curtius, Griechische
Geschichte, 6. Auflage 3 Bände. W.
Drumann, Die Arbeiter und Kommunisten in
Griechenland und Rom, 1860. Max Dunker,
Geschichte des Altertums, Band 5 bis 9 1881/86.
Eleutheropulos, Die Philosophie und die
Lebensauffassung des Griechentums, 2. Auflage 1900.
Guhl und Koner, Leben der
Griechen und Römer, 6. Auflage 1893. Adolf
Holm, Griechische Geschichte bis zum Untergange
der Selbständigkeit des griechischen Volkes, 4
Bände 1885/94. Derselbe, Die Griechen,
in der 4. Auflage von Hellwald’s
Kulturgeschichte 1896. Helmolt’s
Weltgeschichte, 4. Band: Die Randländer des
Mittelmeeres, 1900. G. F. Hertzberg,
Geschichte Griechenlands unter der Herrschaft der
Römer, 3 Bände
* * *
Die Schicksalslose, welche den griechischen
Völkern in die Wiege gelegt waren, bildeten sich aus
den Wechselbeziehungen der Oberflächengestaltung
ihres Landes und jenen Anregungen, welche die Griechen
aus den Zuständen und Verhältnissen der
höher entwickelten Völker in Kleinasien und
Aegypten geschöpft haben. Das Land der alten
Griechen beschränkt sich auf den südlichen
Vorsprung der Balkanhalbinsel zwischen dem
ägäischen und ionischen
Meere, welcher etwa durch den 40. Breitengrad nach Norden
abgegrenzt wird. Dieses Gebiet umfasst etwa 70 bis 75'000
Quadratkilometer, ist also annähernd so gross, wie
das Königreich Bayern, circa doppelt so gross, wie
die Schweiz oder Schlesien, mithin — ohne die
zugehörenden Inseln — etwa siebzig Mal
grösser, als jenes Gebiet, auf dem die Geschichte
des Römerreiches begonnen hat. Aber dieses
Griechenland ist ein Gebirgsland, das in schroffer
Erhebung aus der Flut des Mittelmeeres aufsteigt; sein
höchster Gipfel erreicht fast 3000 Meter, zahlreiche
andere Spitzen ragen bis weit über 2000 Meter empor.
Zwischen den Bergketten bleibt meist nur Raum für
enge Thäler oder schmales Flachland an den
Mündungen der Flüsse. Die einzige grössere
Ebene auf der ganzen Halbinsel ist Zu der rauhen Gliederung der Küste mit ihren vielen natürlichen Häfen kommen namentlich gegen Osten zahllose Inseln, die überall im Angesicht des Festlandes aus der Flut emporsteigen und als eine Kette von Landungsplätzen bis zu den Gestaden Kleinasiens hinüberreichen. Der Schiffer verliert hier niemals das Land aus dem Gesicht. Rechnen wir die Regelmässigkeit der Windströmungen noch hinzu, so waren damit gewiss die Griechen unverkennbar auf das Meer und zwar vor allem in der Richtung nach Kleinasien gewiesen. In dieses Land sind die griechischen Völker von
Norden her eingewandert. Sie waren schon damals
Ackerbauer, die auf ihren Wanderungen einen grossen
Herdenbesitz mit sich führten. Unter Königen
mit Vorkämpfern, aus denen der Adel hervorgegangen,
waren sie in Geschlechtsverbände (Phratrien)
eingeteilt. Eine gewisse Zahl von Geschlechtern bilden
durch ihre Zusammengehörigkeit Stämme, Phylen
genannt. Wer als Einzelner ausserhalb solcher
Verbände stand, war rechtlos, und Homer
vermochte sich ihn nur als ein verkommenes Subjekt
vorzustellen. Die Frau war Herrin im Hause. Das Land, das
Dieses Volk trifft an der Küste des
asiatisch-afrikanischen Festlandes mit den
Phöniziern, Syriern, Babyloniern und Aegyptern
zusammen. Es lernt von ihnen die Schrift, Mass und
Gewicht, das Geld, aber auch Handel und Industrie, die
Sucht nach Gold und Reichtum, die Sklaverei als
günstige Kapitalsanlage mit all jener
Verschmitztheit, Verschlagenheit und Unmoral kennen,
welche den Orientalen schon damals eigen war. Die
Griechen haben sich diese Lehren so vollständig
angeeignet, dass Hermes, ihr Gott für Handel und
Verkehr, der die Sprache und die Buchstabenschrift
gegeben hatte, gleichzeitig auch der Gott der Spitzbuben
war. Von Odysseus mütterlichem
Grossvater Autolykos rühmt das Epos,
dass er ausgezeichnet war vor allen Menschen in Diebstahl
und Meineid. Meineide waren bald so gebräuchlich
geworden, dass Pythagoras auf Samos den Eid
überhaupt verbieten wollte. Für Geld Zu all dem kommt hinzu, dass die Griechen dem orientalischen Absolutismus die Idee entnommen haben, dass der Einzelne dem Staate „schlechthin“ Untertan sei. Für jene Interessenkreise, welche sich der Staatsgewalt bemächtigten, war dann dieselbe ein ausgezeichnetes Instrument zum Dienste ihrer privaten Erwerbssucht. Weil hierbei das Königtum dem bald kapitalistisch gewordenen Adel im Wege stand, wurde das Königtum beseitigt. Man kümmerte sich zu Anfang wenig um die Kehrseite dieser Medaille, auf welcher bei der jetzt notwendigen Entwickelung zur demokratischen Verfassung der selbstverständliche Anspruch an den allmächtigen Staat erhoben wird, für den Lebensunterhalt seiner verarmten Bürger zu sorgen — ein Problem, an dessen Unerfüllbarkeit auch die griechische Kulturwelt sich verblutete. Diese höchst bedenkliche Kehrseite der Medaille
tritt zunächst weniger hervor, weil in den ersten
griechischen Entwickelungsperioden der Wanderung und
Kolonisation die Erwerbssucht des Kapitalismus mit der
Versorgung der Bürgermassen zusammenfällt, und
die Geschäftspläne des mobilen Besitzes sich
anscheinend mit einer weiteren Ausdehnung der agrarischen
Basis der Volkswirtschaft vereinigen. Aber der von den
Handels- und Industriestaaten unzertrennliche
Konkurrenzneid musste mit dem Augenblicke Was aber diesen Zusammenbruch der Handelsherrschaft
auf dem Meere immer in so furchtbarer Weise auf die
volkswirtschaftlichen Verhältnisse des Landes
zurückwirken liess, das war der jetzt sofort
beginnende Prozess „der Expropriation der
Expropriateure“. Die Masse der verarmten
Bürger, die bis dahin für die Interessen des
internationalen Handels und der Exportindustrie
gekämpft und geblutet hatte und für diese
Dienstleistungen als Mitregent im Staate
selbstverständlich eine bestimmte Vergütung aus
dem Staatssäckel erhielt, begann jetzt in den
Notstandszeiten, als die Staatskasse rasch leer
geschöpft war, mit Hülfe des allmächtigen
Staates ganz logisch den zusammengeraubten Privatreichtum
der Kapi Das vaterlandslose Geldkapital aber ist in all diesen Wandlungen immer dem Sieger und damit dem Getreide nachgewandert, bis es an den Kornkammern von Aegypten und Kleinasien, in Alexandrien und Antiochia am Orontes besser gesicherte Siedlungen gefunden hatte, die auch durch die Vorherrschaft Roms nicht ins Wanken kamen und unter dem römischen Kaiser Augustus eine Einwohnerzahl von 500'000 und 600'000 erreichten. Das ist in grossen Zügen die Entwickelungsgeschichte der Griechen, wie sie aus den gegebenen Entwickelungselementen sich logisch verstehen lässt. Es wird die Aufgabe der nachfolgenden Ausführungen sein, diese Konstruktion durch die Aufeinanderfolge der thatsächlichen Ereignisse zu erläutern und zu bestätigen. Schon im dritten Jahrtausend vor Christi scheinen griechische Stämme in die Balkanhalbinsel eingewandert zu sein, die als sogenannte „mykenische Kultur“ ihre Blütezeit etwa um 1500 vor Christi erreichten. Durch Ausgrabungen wurden imposante Zeugen dieser Epoche gefunden, die sich nicht blos über die fünf an der Ostküste Griechenlands gelegenen Buchten von Amyklä bis zum pagasäischen Meerbusen, sondern auch über Kreta, Rhodos, Cypern, Kleinasien, Aegypten und Sizilien ausbreitete. Die Fundstücke lassen eine üppige Kultur erkennen, welche über grosse abhängige Volksmassen, sehr ausgedehnten Güterbesitz, Reichtum an Edelmetallen, umfassende Handelsbeziehungen und gute technische Leistungen verfügt haben muss. Die glanzvollste Entwickelung der Bronzezeit tritt uns hier entgegen. Die Erinnerungen an den trojanischen Krieg und an den mächtigen König Minos, der von seinem Herrschersitze Knossos aus gebot und als „Redegenosse des grossen Zeus“, wie ihn das Epos nennt, vorbildlicher Gesetzgeber und Richter wurde — sie gewinnen durch diese Ausgrabungen festere Gestalt. All diese Kulturgebilde sind unter den Stürmen jener grossen Völkerwanderung des ausgehenden XII. Jahrhunderts vor Christi, die als die „Dorische Wanderung“ bezeichnet wird, in den Staub gesunken. Die historische Ueberlieferung berichtet von drei
griechischen Volksstämmen: den Aeolern,
Ioniern und Doriern. Was nicht
ionischen oder dorischen Stammes war, fasste man unter
dem Sammelnamen Aeoler zusammen. Im engeren
Sinne wurde die Bezeichnung Aiolis auf die
Kolonien der Nordwestküste Kleinasiens An diese äolische Gruppe lehnt sich die Bevölkerung von Attika und Euböa an, die sich wohl erst allmählich von Böotien losgelöst hat, dann das gegenüberliegende grössere mittlere Stück der asiatischen Küste mit den dazwischen gelegenen Inseln wie Andros, Tenos, Naxos, Ikaros, Samos, Chios u. a. besiedelte und sich als „Ionier“ bezeichnete und dann mit den Böotern sich nicht mehr verwandt fühlte. Schon aus verschiedenen griechischen Volksteilen zusammengesetzt, haben die Ionier auch kleinasiatisches Blut in sich aufgenommen. Sie waren so besonders dazu vorbereitet, asiatische Kultur aufzunehmen und nach griechischem Geschmacke zu verarbeiten und auszubilden. Die sogenannten Dorier, welche durch ihre Einwanderung nach Griechenland im 12. und 11. Jahrhundert v. Chr. den Anstoss zur Neugruppierung von Völkerschaften bei Beginn der historischen Zeit gegeben haben, waren ein Teil der nordwestgriechischen Gruppe. Auf ihrer Wanderung setzten sie über die engste Strecke des Meerbusens von Korinth, und besiedeln die nördlichste Landschaft des Peleponnesos. Ihr Vordringen bricht sich an den arkadischen Bergen. Sie teilen sich nach Westen, wo Elis besetzt wird, nach Osten, wo die Bewohner von Argolis mit ihrer sich schon zersetzenden Kultur erobert und unterjocht werden. Dann flutete die dorische Welle über Kreta, Melos, Pera, Rhodos, Kos nach den kleinasiatischen Küsten, wo sie südlich von den Ioniern einen wesentlich schmäleren Teil desselben besetzen.
Italien und Sizilien hatten einen ausgezeichneten
Boden mit verschwenderischer Fruchtbarkeit und
prächtige Wälder mit vortrefflichem Material
für den Schiffsbau. Der Weg über die schmale
Meerenge von Otranto war leicht gefunden.
Und so ist denn im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. die
Ostküste des heutigen Kalabrien in
Besitz genommen worden. Der Golf von Taranto war bald mit
einem Kranz blühender Kolonien besetzt: im Norden
Metapontion, das die Kornähre im Wappen
führte, dann Syris, Den Kolonisten aus Achaia folgten bald Kolonisten aus Lokris, welche unweit der heutigen Strasse von Messina ein neues Lokroi gründeten, das bald die Tochterkolonien Hipponion und Medma an der Westküste der Halbinsel anlegte. Inzwischen hatten auch die Bewohner von Chalkis begonnen, ihre Blicke nach dem Westen zu richten. Sie segelten wahrscheinlich noch im 8. Jahrhundert nach Sizilien und gründeten Naxos, Katana, Leontinoi, Kalipolis, Euböa, Zankle und gegenüber auf dem Festlande Rhegion. Bald wagte man sich auf der italienischen Halbinsel weiter nach Norden und gründete Kyme und dann später, etwa 600 v. Chr., die „Neustadt“ Neapolis. Das von Chalkis gegebene Beispiel fand noch im 8.
Jahrhundert Nachahmung durch die Korinther,
welche die reiche Insel Korkyra (heute
Korfu) besetzten und sich dann gleichfalls nach Sizilien
wandten, um hier vor allem das nachmals so mächtige
Syrakus mit Akrae, Kasmenae und
Kamarina ins Leben zu rufen. Im übrigen
blieb die Kolonisationsthätigkeit Korinths
hauptsächlich dem Nordwesten der griechischen
Halbinsel zugewendet. Hier entstanden
Chalkis und Molykreia am
Eingang in den korinthischen Meer Sogar die asiatischen Griechen beteiligten sich an dieser Kolonisation im Westen. So gründete Rhodos im Verein mit den Kretern zu Anfang des 7. Jahrhunderts Gela an der Südküste Siziliens. Um das Jahr 600 soll ein Schiffer aus Samos an das reiche Silberland Südspanien verschlagen worden sein. Um die gleiche Zeit gründete der kleinasiatische Handelsstaat Phokäa die wichtige Kolonie Massalia (Marseille), die bald ihren Einfluss bis tief in das Keltenland ausdehnte und viele Tochterkolonien an der benachbarten Meeresküste anlegte. Für dieses Kolonialgebiet westlich des ionischen Meeres kam im 6. Jahrhundert die Bezeichnung „Grosshellas“ auf. Etwa gleichzeitig mit den Anfängen dieser
Bewegung im Westen hatte die Ausbreitung der Hellenen
nach dem Norden, Osten und
Südosten begonnen. In erster Reihe
standen auch hier die Chalkidier. Unter
ihrer Leitung wuchsen eine Reihe von Pflanzstädten
auf jener nördlich von Euböa
gelegenen Halbinsel, welche den Namen
Chalkydike erhielt. Auch hier folgten ihnen
die Korinther und gründeten auf dem schmalen Isthmus
der Halbinsel Pallene die Kolonie Potidaea.
Die Lesbier besetzten mit der Kolonie
Sestos das europäische Ufer des
Hellespont. Milet gründete
diesem Sestos gegenüber Abydos, dann
Kyzikos, Parion, Priapos, Kios an der
Südküste der Propontis, Limnae und
Kardia am thrakischen Chersonnes. Dann
drangen die Milesier in das schwarze Meer vor und
gründeten hier an der Küste der wichtigsten
Kornkammer Griechenlands Kolonien in solcher Zahl, dass
der Gesamtbesitz von Milet an den hellespontischen und
pontischen So waren im Laufe des 8. und 7. Jahrhunderts v. Chr. durch Kolonien der griechischen Handelsstaaten das ionische Meer, die Propontis und der Pontos zu griechischen Seen geworden, in Aegypten wie in Lybien, an der Westküste Italiens und im Keltenlande bis nach dem fernen Iberien hin waren griechische Niederlassungen entstanden. Griechischer Einfluss war fortan massgebend im ganzen Umkreise des Mittelmeeres. Die Rückwirkung auf alle Gebiete des griechischen Lebens konnte nicht ausbleiben (Beloch). Nachdem der Besitz der neuen Heimat gesichert war, ruhte auch bei den griechischen Völkern die volkswirtschaftliche Organisation ausschliesslich auf der Basis von Grund und Boden. Die öffentliche Gewalt lag in den Händen des Königs, des Adels und der Volksversammlung. An Gewerbetreibenden (Demiurgen) gab es bereits Metallarbeiter, Thonarbeiter, Steinarbeiter, Zimmerleute, denen auch die Aerzte und Ausrufer zugerechnet wurden, für welche die Sprache der Griechen zum Ausdruck brachte, dass sie nicht für sich selbst, sondern für Angehörige der Gemeinde arbeiteten. Ihre Entlohnung erfolgte zumeist in Naturalien. Schiffseigentümer und Händler, welche nur „für Ladung sorgten und nach den Waren und raschem Gewinn schauten“, wurden ursprünglich nicht als ebenbürtig angesehen. Gerade auf diesem Punkte trat bald eine Aenderung ein. Der Adel begann die Macht des Geldes
schätzen zu lernen. Der Seehandel, welcher mit der
vorstehend geschilderten Kolonisationsbewegung seit dem
8. Jahrhundert einen immer mächtigeren Aufschwung
genommen, bot hierzu reichliche Gelegenheit. Namentlich
die phönizischen Händler kamen und
offerierten die Industrieprodukte des Orients gegen
Getreide und andere landwirtschaftliche
Produkte. An Unterweisungen, wie die Grossgrundbesitzer
durch Lug, Trug und Gewaltthat dabei leicht reich werden
könnten, wird es auch nicht gefehlt haben. Sie
fielen auf einen dankbaren Boden. Hinderlich schien dabei
nur die Rechtsprechung des Königs, der jetzt
überdies nach Abschluss der grossen
Wanderungsbewegung als Heerführer weit weniger
nötig war. Entartungen der königlichen Familien
trugen das Uebrige dazu bei, so dass es im Laufe des 8.
und 7. Jahrhunderts v. Chr. in fast allen griechischen
Bald begannen in der griechischen Welt Industriestaaten sich zu bilden, welche ihre Ueberschüsse an gewerblichen Produkten bei den Agrarstaaten gegen landwirtschaftliche Produkte umtauschten. Milet, Kios und Samos exportierten Wollstoffe, Purpurgewänder und Teppiche; Korinth und Chalkis brachten Metallwaren, Waffen, Thonwaren und Schmuckgegenstände auf den Markt. Aus Kyrene, Theben und Sizilien kamen die besten Wagen; Aegina lieferte Klein- und Galanteriewaren. Dafür bezog man ausser Getreide, Oel und Silber aus Attika, Wein aus Naxos, Lesbos, Thasos, Purpur aus Kythera, Kupfer aus Euböa und Kypern, Eisen aus Lakonien, Thunfisch aus Byzanz u. s. w. Bei einem so ausgedehnten Marktverkehr waren natürlich Münz- und Masssysteme unentbehrlich; man hatte beide deshalb seit Anfang des 7. Jahrhunderts in Griechenland eingeführt. Mit dem Eintritt des Geldes in die
griechische Volkswirtschaft beginnen sofort jene
charakteristischen Missstände sich einzufinden,
welche wir heute mit dem Worte
„Kapitalismus“ bezeichnen. Mit
dem Gelde war Begünstigt wurde diese unheilvolle
Entwickelung durch die gleichzeitige Ausbreitung
der Sklaverei für gewerbliche Zwecke in
Griechenland. Hemmend trat ihr der Umstand
in den Weg, dass die inzwischen erfolgten Fortschritte in
der Metallurgie es auch dem Mittelstande
ermöglichten, in schwerer Metallrüstung
auszurücken, wodurch die Periode der Vorkämpfer
(Adel) von der geschlossenen Masse der Schwerbewaffneten
abgelöst wird. Und weil die Bürger, welche
Schuldsklaven geworden waren, beim Aufgebot in Reih und
Glied standen, da Waffen nicht gepfändet werden
konnten, so bot sich hier Gelegenheit, die herrschenden
Missstände zu beseitigen. Die Gewerbetreibenden in
den Städten vereinigten sich mit den Bauern gegen
den herrschenden Adel. Und es kam so im 7. und 6.
Jahrhundert in Griechenland ziemlich allgemein zu jenen
charakteristischen Volkskämpfen, die am
zutreffendsten wohl mit dem Worte
„Bauernkriege“ bezeichnet
werden. Hinrichtungen, Verbannungen, Einziehung der
Güter des Adels mit allgemeinem Schulderlass und
Neu Wo freilich grosse Königsfamilien selbst die meisten Staatsämter durch Mitglieder der eigenen Familie besetzen konnten, da herrschten sie noch weit über diese Zeit hinaus: so die Bakchiaten in Korinth, die Pentheleiden in Mytilene, die Basileiden in Ephesus. Wo der Adel früh schon sich dem Handel, dem Rhedereigewerbe und der Industrie zugewendet hatte, da blieb auch ihm noch lange die Herrschaft im Lande, so in Aegina. In anderen Gegenden, wie z. B. in der weiten thessalischen Ebene, ist es dem Adel thatsächlich gelungen, die Bauern in der Epoche des Handels- und des Leihkapitals zu Leibeigenen (Penesten) herabzudrücken, um dann ebenso wie in Messenien dauernd ein Getreideexportland zu bleiben und nie zur industriellen Entwickelung mit Grossstädten überzugehen. Die Gesetzgebung aber, welche der
glücklichen Erhebung der Bauern und
Gewerbetreibenden in dieser Periode gefolgt ist,
trägt einen ganz bestimmten Charakter.
Den in Schuldknechtschaft sich befindenden Bürgern
wurde die persönliche Freiheit wiedergegeben und
für alle Zukunft den Gläubigern das Man hat aus all diesen Massnahmen folgern zu sollen
geglaubt, dass damit der
„Besitz“ an die Stelle der
„Geburt“ getreten sei.
Thatsächlich handelt es sich indess hier um den
Kampf des Volkes gegen die erste Entwickelungsstufe
des Kapitalismus, nämlich gegen das sog.
„Handels- und Leihkapital“. Nicht gegen den
Adel und die Geburt an sich, sondern gegen diese
spezifische Art der kapitalistischen Ausbeutung des
Volkes durch Personen, welche allerdings auch adlige
Grundbesitzer waren, ist diese Reformbewegung gerichtet
gewesen. Und es erhebt sich hier die naheliegende Frage,
ob es den griechischen Völkern ge Die Geschichte beantwortet diese Frage mit einem entschiedenen „Nein“. Man scheint lediglich diese spezifische Art der Aufsaugung des freien Bauernstandes durch den Grossgrundbesitzer mit Hülfe eines ungeheuerlichen Kreditrechtes vielfach verhütet zu haben. In der Verschuldung des Volkes selbst wurde nur für wenige Jahrzehnte eine Linderung erreicht. Der Kapitalismus aber konnte von jetzt ab bald um so üppiger wuchern, je vollständiger die Ausbeutungsverhältnisse sich geändert haben unter der Herrschaft des „industriellen Produktionskapitals“, dem sich das „Bank- und Börsenkapital“ immer unmittelbar anschloss. Die griechischen Völker waren über die ihnen jetzt bevorstehende Entwickelung so wenig unterrichtet, dass selbst die Militärmonarchien, welche doch zum Schutze des Volkes gegen den Kapitalismus sich gebildet hatten — trotzdem sie einer Uebersiedlung der Bauern nach der Stadt und der Ausbreitung der industriellen Sklaverei entgegengetreten sind — mit allen Kräften die neue kapitalistische Aera vorzubereiten begannen. Die neue Heeresorganisation mit den partikularistischen Leidenschaften des Volkes und der absoluten Staatsidee schienen wie dazu geschaffen, dieser neuen Form des Kapitalismus in geradezu selbstmörderischer Weise Alles zum Opfer zu bringen. Die weitere Darstellung aber wendet sich damit zur Einführung der Sklaverei in Griechenland und zu den Wanderungen der Handelshegemonie in der Reihe der griechischen Staaten. Die Einführung der eigentlichen
Sklaverei ist von der Entstehung und Ausbildung
der Industriestaaten in Griechenland
unzertrennbar. Die Sklaven,
Dieses Hindrängen der Interessen der
Bürgermassen zum permanenten Kriegszustand kam dem
industriellen Kapitalismus sehr gelegen. Man brauchte ja
Absatzgebiete für den Ueberschuss der industriellen
Produkte. Dazu reichten die internationalen
Konsulats- und Freundschaftsverträge der
Staaten, welche seit dem 6. Jahrhundert in Uebung
gekommen waren, nicht aus. Gesichert war der Absatz nur
dort, wo ein gewisses
Abhängigkeitsverhältnis zwischen
Absatzgebiet und
Industriestaat bestanden hat. Nachdem die
noch freien Ländergebiete am Mittelmeer besetzt
waren, blieb nichts anderes übrig als das
Absatzgebiet der schwächeren Industriestaaten
zumeist mit ihnen zu erobern. Nicht minder wichtig war
die Erwerbung jener Gebiete, von denen für die
übermässig industrielle Bevölkerung das so
Je mehr Taschen dieser durch die griechischen Staaten hindurchgehende kapitalistische Raubzug geleert hatte, desto grösser war naturgemäss der angesammelte Reichtum, desto umfassender waren die nationalen wie internationalen volkswirtschaftlichen Beziehungen. Als die Handelshegemonie von Griechenland bereits
ihren Sitz in Athen hatte, waren folgende
ganz moderne Zustände erreicht worden: Der alte Adel
war zumeist verarmt und ohne Einfluss. Herren im Staate
waren die Grossindustriellen und Bankiers, welch’
Letztere sich durch kluge Freigiebigkeit vom Sklaven zum
einflussreichsten Vollbürger mit grossem
Vermögen und fast unbegrenztem Kredit in allen
Mittelmeerländern emporgearbeitet hatten. Man begann
sein Geld aus der weniger rentablen Landwirtschaft
herauszuziehen und in Handel und Industrie und in den
Banken mit wesentlich höheren Gewinnen anzulegen.
Die Lichtseite des zunehmenden Reichtums
zeigt sich darin, dass eine wachsende Zahl von Personen
jetzt der Kunst und der Wissenschaft sich zuwenden
konnte, und so aus der Masse des Volkes viele ganz
hervorragende Talente auf diesen Gebieten hervortraten
— kurz vor dem Untergang der griechischen Kultur im
Mutterlande; denn wie zu Anfang des 6.
Jahrhunderts die phönizische
Industrie und der phönizische Handel
von dem Handel und der Industrie der griechischen
Städte an der kleinasiatischen
Westküste hauptsächlich abgelöst
worden waren, und wie dann kaum 50 Jahre
später die Küstenstädte ihre
Wir wissen von den griechischen Einzelstaaten mit Ausnahme von Athen zwar nur wenig; aber dieses Wenige ist für die Entwickelungsgeschichte der Industrie- und Handelsstaaten einerseits und der Agrarstaaten andererseits so charakteristisch, dass die Zusammenstellung einer Auslese gewiss gerechtfertigt erscheint. Wir teilen dabei die Industrie- und Handelsstaaten ein in a) kleinasiatische Küstenstaaten, b) in sog. ionische Inselstaaten, und c) in Staaten des Mutterlandes. Von den Agrarstaaten berücksichtigen wir Sparta und Makedonien. α) Milet war die mächtigste und reichste
unter den ionischen Städten Kleinasiens. Sie soll im
Jahre 1000 v. Chr. von Attika aus
gegründet worden sein. An der Kolonisationsbewegung
des 8. und 7. Jahrhunderts beteiligte sie sich in solchem
Umfange, dass ihr die Gründung von 80 bis 90 der
nachmals wichtigsten Städte zugeschrieben wurde,
welche an den Gestaden des Marmarameeres, des schwarzen
Meeres bis zur Mündung des Don, in Italien und
Aegypten zerstreut lagen. Milet, in seiner Blütezeit
die bevölkertste Stadt der griechischen Welt, hatte
sehr bedeutende Wollstoff-, Möbel- und
Kleiderfabriken, in denen fast ausschliesslich Sklaven
verwendet wurden. Die Konkurrenz der ionischen Inseln und
der Industriestaaten auf der griechischen Halbinsel
schädigte vor allem den Absatz β) Teos, ebenfalls früh schon ein handels-
und industriereicher Stadtstaat, gründete im 7.
Jahrhundert Elaeus am Eingange des
Hellespont auf dem Wege nach der Kornkammer
Griechenlands und Phanagoreia am
kimmerischen Bosporus, welcher den Pontus
mit dem manolischen See verbindet. Als gegenüber den
Einheitsbestrebungen im kleinasiatischen Binnenlande die
Uneinigkeit der ionischen Küstenstädte in
Kleinasien sich für ihre Interessen nur
schädigend zeigte, soll Thales von
Milet — einer der sieben Weltweisen —
ganz Ionien vorgeschlagen haben, sich unter Teos als
Hauptstadt zu einem Staate zu vereinigen. Diese Einigung
kam nicht zu Stande. Als die persischen Heere siegreich
vordrangen, fürchtete Teos ein böses Ende
seiner Herrlichkeit. Der weit γ) Phokaea war der nördlichste der alten ionischen Stadtstaaten an der kleinasiatischen Küste und spielte nach Milet die erste Rolle in der Kolonisationsepoche des 7. Jahrhunderts. Von hier wurde 651 v. Chr. Lampsakos gegründet, später die bedeutendste Stadt am Hellespont, welche 446 bis 439 v. Chr. von dem attischen Seebunde mit einer Tributleistung von 12 Talenten eingeschätzt war. Um 600 v. Chr. besiedelten die Phokaeer Massalia, — das heutige Marseille — das bald der Mittelpunkt des ganzen Handels in dieser Gegend ward, und gründeten Faktoreien in Antipolis, Nikaea (Nizza), Agathe, Emporiae und Maenakae, dem äussersten Besitzpunkte der Hellenen nach Westen hin. Auch auf Kyrnos (Korsika) fassten sie Fuss und erbauten an der Ostküste Alalia, sodass sie wohl den grössten Teil des griechischen Handels mit dem fernen Westen des Mittelmeeres in ihrer Hand vereinigten. Selbst in Naukratis in Aegypten besassen sie eine Handelsfaktorei. Wahrscheinlich wurden hier in Phokaea im 7. Jahrhundert die ersten griechischen Münzen geprägt. Als sich jedoch Phokaea im Jahre 545 v. Chr. den
Persern unterwerfen musste, hielt bei der
Gefährdung der Zufuhr- und Absatzwege die grosse
Mehrzahl der Bevölkerung es für ratsam, nach
ihrer Faktorei Alalia auf Korsika
auszuwandern, die jetzt bald zu einer
Auf der an der Ostküste von Mittelhellas gelegenen Insel Euböa, die sich bei einer Breite von nur 40 Kilometer auf eine Länge von 138 Kilometer ausdehnt und 3592 Quadratkilometer umfasst, mit etwa 60'000 Einwohnern im Jahre 432 v. Chr., lagen Böotien und Attika gegenüber die beiden Nachbarstädte Chalkis und Eretria. Chalkis, das nach einem alten Spruche die tapfersten
Männer in Griechenland gehabt haben soll, hat
vielleicht noch im 8. Jahrhundert v. Chr. mit der
Gründung seiner sizilianischen Kolonien
Katane, Leontinoi, Kallipolis, Euböa,
Zankle und Rhegion auf dem Festlande
begonnen, denen dann weiter nördlich auf der
italienischen Halbinsel noch Kyme und
Neapolis folgten. Die Gründung der
wichtigen westlichen Kolonien der Halbinsel
Chalkidike erfolgt mit Eretria
gemeinsam. Eretria soll eine Zeit lang auch die ionischen
Inseln Andros, Tenos und Keos
beherrscht haben und schickte zur Unterstützung des
ionischen Aufstandes in Kleinasien (500 bis 494 v. Chr.)
dem befreundeten Aber schon mitten in dieser anscheinend aufsteigenden
Entwickelung verzehren die beiden Nachbarstädte
Chalkis und Eretria gegenseitig ihre besten Kräfte
im Kampfe um das fruchtbare lelantinische
Kornfeld, das am Euripos nach den Vorhöhen
des Dirphys sich hinzieht. Um das Jahr 600 schien eine
solche Grenzfehde den Charakter eines ausgedehnten
Krieges annehmen zu wollen. Eretria kam
Milet zu Hülfe, auf Chalkis Seite
standen die Rivalen von Milet, die Samier
und ferner die Thessalier. Auch Korinth soll
an dem Streite teilgenommen haben. Den Ausschlag gab die
γ) Aegina, eine kleine etwa 33 Quadratkilometer
umfassende Insel im saronischen Meerbusen, kaum 20
Kilometer südwestlich vom Piraeus, der
Hafenstadt Athens, gelegen, hat gebirgiges Terrain und
nur wenig fruchtbaren Boden. Sie beteiligte sich zwar
nicht an den grossen Kolonisationen im 8. und 7.
Jahrhundert. Nur in Naukratis in Aegypten
hat auch Aegina eine Handelsfaktorei besessen. Aber
früh schon begann dieser Staat ein eigenes
Münz- und Masssystem einzuführen,
welches als Ausdruck der äginatischen
Handelsherrschaft überall im Peloponnes, auf den
Kykladen und in einigen Städten an der
kleinasiatischen Küste eingeführt wurde. Man
hat die Aeginaten mit den „Nürnbergern
des Zwanzig Kilometer vor der Einfahrt in den Hafen
von Athen konnte ein so mächtiger Handels-
und Industriestaat nicht sein, ohne das Aufblühen
Athens auszuschliessen. In der That war
ursprünglich auch der Handel von Athen in der Hand
der Aeginaten. Und als man die kapitalistische
Entwickelung auf attischer Seite selbst ins Auge zu
fassen begann, musste vor allem die α. Korinth: Wo die Halbinsel Peloponnes sich nur durch einen kaum 6 Kilometer breiten Landstreifen mit dem Kontinent verbindet, liegt auf steilen Kalkfelsen die alte feste Königsburg Akrokorinth, um die schon eine phönikische Handelskolonie angesiedelt war, mit welcher sich die Griechen dann zu dem Typus der Korinther verschmolzen haben. Hier war die günstigste Verkehrsbrücke zwischen dem ägäischen und ionischen Meere. Korinth hatte nach beiden Meeren Häfen, nämlich Lechaeon am korinthischen Busen, Kenchreae und Schoenos am saronischen Busen. Bis 747 v. Chr. herrschte das Königsgeschlecht der Bakchiaden durch 8 Generationen, das alle wichtigen Aemter im Staate durch seine Familienmitglieder besetzt hielt. Auch in dem dann folgenden aristokratischen Regiment spielten die Bakchiaden immer noch eine bedeutende Rolle. Rücksichtslose Willkürherrschaft erregte Unzufriedenheit im Volke, weshalb es 657 v. Chr. Hypselos gelang, eine Militärmonarchie zu gründen. Ihm folgte sein Sohn Periander (627 bis 585), einer der sog. sieben Weisen. Dessen Sohn wird 578 gestürzt und eine gemässigte oligarchische Verfassung eingeführt. Die Thatsache, dass in Korinth die Tyrannis hundert Jahre früher entstehen konnte als in Athen, lässt erkennen, wie sehr Korinth in der Entwickelung vorausgeeilt war. Namentlich unter Periander war Korinth das
mächtigste Kolonialreich der griechischen Welt
geworden. Eine Kette von Handelsstationen waren an den
Küsten von Aetolien, Akarnanien, Epirus und Illyrien
entstanden und sicherten die Alleinherrschaft im
westlichen Meere. Dazu kamen direkte Handelsbeziehungen
nach dem Osten zu den griechischen Städten in
Kleinasien und den Königen von Lydien und Aegypten.
Gewerbe, Künste und Handel blühten. In der
Thonplastik waren die Arbeiten der Korinther Sofort hat dieses Ereignis recht ungünstig auf die Verhältnisse in Korinth zurück gewirkt. Die Kolonien machten sich frei vom Mutterlande, und die wichtigste Kolonie Korkyra (Korfu) hat ihre Selbständigkeit bewahrt und sollte bald ein recht gefährlicher Konkurrent für Korinth im westlichen Meere werden. Die Stadt musste sogar die Oberherrschaft des argolischen Königs Pheidon anerkennen und war damit gezwungen, sich Sparta in die Arme zu werfen.
Damit war die Entwickelung der Dinge im
europäischen Griechenland zu dem Punkte gekommen, wo
zwischen den beiden führenden Handels- und
Industriestaaten Athen und
Korinth der Entscheidungskampf gekämpft
werden musste, den man als peloponnesischen
Krieg (431 bis 404 v. Chr.) zu
bezeichnen pflegt. Athen, das jetzt 300 seetüchtige
Trieren hatte, während Korinth nur mit Anstrengung
aller Kräfte 90 Trieren in Dienst stellen konnte,
sperrte den korinthischen Handel durch Blockade. Beide
Parteien wussten genau, um welchen Preis sie
kämpften. Dem Nikiasfrieden (421), welchen Sparta
mit Athen abgeschlossen hatte und der die
geschäftlichen Interessen von Korinth ganz
unberücksichtigt gelassen, wurde von Korinth die
Zustimmung versagt. Und als im Jahre 404
v. Chr. der peloponnesische
Heerführer Athen die Friedensbedingungen diktieren
konnte, da verlangte Korinth selbstverständlich,
dass Athen zerstört und die Einwohner in die Sklaverei verkauft
würden. Dem Agrarstaate Sparta verdankte damals
Athen die Erhaltung seiner wirtschaftlichen Existenz.
Auch Korinth hatte durch den peloponnesischen
Krieg schwer gelitten. Der Kampf der
„Armen“ gegen die „Reichen“ kommt
deshalb jetzt zum blutigen Austrage. Für die Jahre
392 und 364 v. Chr. wird von Bürgerkriegen berichtet
mit Hinrichtungen, Vermögenskonfiskationen und
Verbannungen. Zum Glück für den ohnmächtig
gewordenen Staat kam er nicht in die Gewalt der Athener.
Seine verschiedenen Oberherren waren zunächst
Agrarstaaten, die nicht daran dachten, den Industrie- und
Handelsstaat zu zertreten. Als freilich die
römischen Kapitalisten Herren von Korinth geworden
waren (146 v. Chr.), da lautete der β) Athen. Während das Gebiet von Aegina nur 83 Quadratkilometer, jenes von Korinth nicht ganz 1000 Quadratkilometer erreichte, umfasste das attische Landgebiet 2647 Quadratkilometer. Dasselbe zerfiel in drei Landschaften: den nördlichen mehr gebirgigen Teil Diakria, in welchem die bäuerliche Bevölkerung vorherrschte, den südwestlichen Teil mit breiten fruchtbaren Ebenen Pedias, in welchem der grössere Grundbesitz überwog, und endlich den südöstlichen Teil Paralia, welcher eine Landzunge bildet und so naturgemäss der Sitz von Handel und Gewerbe war. Die Stadt Athen liegt dort, wo die Grenzen dieser drei Landschaften zusammenstossen. Attika war schon aus diesen Gründen ursprünglich ein Agrarstaat, in welchem Tendenzen zur Ausbildung eines Industrie- und Handelsstaates vorhanden waren. Sein Königtum soll schon in den Stürmen der
dorischen Wanderung (1000 v. Chr.) verloren gegangen
sein. Die Verfassung war dann eine aristokratische. Der
Adel (Eupatriden) vereinigte alle politischen Rechte in
seiner Hand. Als er den Versuch machte, die Bauern
(Geomoren) und Gewerbetreibenden (Demiurgen) ihres
Grundbesitzes und ihrer persönlichen Freiheit mit
Hülfe des geltenden ungeheuerlichen Kreditrechtes zu
berauben, kam es zu jenen politischen Bewegungen, welche
durchaus den Charakter der Bauernkriege
tragen. Kylon’s Versuch, eine Tyrannis
zu errichten, scheiterte an dem rücksichtslosen
Entgegentreten des Adels, als dessen Sühne das Volk
wieder die Verbannung eines der mächtigsten
Adelsgeschlechter durchsetzte. Die unmittelbar folgende
Gesetzgebung des Drakon (624 v. Chr.)
brachte Die bisher streng aristokratische Verfassung wurde von
Solon in der Weise abgeändert, dass er das Volk in
vier Klassen teilte und zwar nach dem
Ertrage seines Grundbesitzes. Zur ersten Klasse
gehörten alle diejenigen, welche 500 Scheffel und
mehr Getreide ernteten (Pentakosiomedimnen), zur zweiten
die Personen mit einem jährlichen Getreideertrage
von 300 bis 500 Scheffel (Hippeis), zur dritten die
Personen, welche in der Regel mit einem Maultiergespann
arbeiteten und mindestens 200 Scheffel ernteten
(Zeugiten). Alle jene, welche einen Acker von geringerem
Ertrage oder gar keinen Grundbesitz hatten, gehörten
zur vierten Klasse der Theten. Die erste Klasse hatte
Kriegsschiffe zu stellen. Die zwei ersten Klassen dienten
als Reiter, die drei ersten Klassen gehörten zu den
Schwerbewaffneten. Die Theten sollten nur zur
Verteidigung des Landes als Leichtbewaffnete oder zur
Be Man wird Solon die Anerkennung nicht versagen
können, dass er sich Fachmann genug fühlte, um
einen tieferen Schnitt in die volkswirtschaftlichen
Verhältnisse zu wagen und bestimmten vorhandenen
unheilvollen Entwickelungstendenzen mit Entschiedenheit
entgegenzutreten. Aber eine reinliche
Ausscheidung des Kapitalismus hat er nicht gewagt. Seine
Aufhebung der Hypothekenschulden hat nicht daran
gehindert, neue Schulden wieder zuzulassen. Die
Einführung eines Besitzmaximum war kein Mittel, um
den Wucher überhaupt zu beseitigen. Und die
Ermässigung der Personalschulden um 27% bot noch keine Garantie dafür,
dass die bleibenden 73% auch
immer zurückgezahlt werden konnten. Ja es scheint
sogar, als ob sich Solon von den in der damaligen
griechischen Welt gegebenen Beispielen eines Handels- und
Industriestaates hatte verleiten lassen, die Entwickelung
seines Vaterlandes nach dieser Richtung Dieser Inkonsequenzen halber hat die solonische Reform auf die Dauer keine der Parteien befriedigt. Kaum 30 Jahre später wird deshalb der Staat von neuen politischen Unruhen erschüttert. Die Bewohner der drei Landschaften: die Diakrier, die Pediäer und die Paralier liegen miteinander im Streit. Damit bestand die Gefahr einer Dreispaltung für Attika. Da errichtete Pisistratus (560 bis 527 v. Ch.) mit Hüllfe der Bauern aus Diakria eine Militärmonarchie. Er begünstigte die Bauern durch die Einsetzung
von Ortsrichtern, durch Befreiung von Naturalabgaben,
Neuaufteilung von Ländereien, welche den
Grossgrundbesitzern konfisziert wurden u.s.w. Im übrigen zeitigt der jetzt schon
beginnende Zusammenbruch der Handels- und
Industriestaaten an der kleinasiatischen Küste seine
ganz bestimmten Einwirkungen. Auch
Pisistratus will von den damit frei
werdenden Geschäften einen ganz bestimmten Teil
für Attika gewinnen. Er ist deshalb bemüht, in
dem damaligen internationalen Handelsverkehr
möglichst allseitige Beziehungen anzuknüpfen,
Handel und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft in seiner
Hauptstadt zu pflegen und die Kriegsflotte zu
vergrössern. Ja er ist sogar offen Schon im folgenden Jahre (509) wird die Gesetzgebung des Kleisthenes notwendig, welcher die solonische Verfassung in demokratischem Sinne weiterbildet. Es wird eine politische Neueinteilung des Volkes in der Weise durchgeführt, dass jeder Gemeindeverband zu gleichen Teilen Bevölkerungsanteile aus Diakria, Pedias und Paralia erhält — eine Aenderung, welche die drohende Dreispaltung für Attika verhüten, die Macht des Adels brechen sollte, und deren Durchführung durch die zentrale Lage der Hauptstadt Athen wesentlich erleichtert worden ist. Um persönliche Einflussnahme bei Besetzung der Aemter thunlichst zu verhüten, kam die Erwählung durch das Loos umfassend zur Anwendung. Und um auch ärmeren Bürgern die Mitgliedschaft an dem ständigen Rechtsausschuss zu ermöglichen, wurde ihr Unterhalt auf Staatskosten im Rathause bestimmt. Der längst kapitalistisch gewordene Adel war mit
dieser Neuordnung der politischen Verhältnisse wenig
einverstanden. Er rief die Spartaner zu Hülfe. Es
kam zum Bürgerkriege, welcher damit endigte, dass
die Führer der Aristokratenpartei hingerichtet, ihre
Güter an arme Bürger verteilt werden und dass
das siegreiche attische Heer zur Bestrafung für die
Teilnahme am Bürgerkriege Chalkis Inzwischen haben weitere wichtige Ereignisse Attika auf der nun einmal schon betretenen Bahn zum Industrie- und Handelsstaat gewaltsam weiter geschoben. Die kleinasiatischen Griechen glaubten
aus ganz bestimmten Gründen die Zeit gekommen, um
die Fesseln der Perserherrschaft abzuwerfen.
Athen war dabei in einer ganz bestimmten Weise
interessiert. Aus dem bisherigen Niedergang der
kleinasiatischen Industriestaaten hatte es viel gewonnen.
Händler und Industrielle waren zu Tausenden bereits
aus Kleinasien nach Athen gezogen, wo man ihnen in
liberaler Weise das Bürgerrecht verliehen hatte.
Daraus waren naturgemäss ganz bestimmte
Freundschaftsbeziehungen erwachsen, denen man jetzt um so
mehr Ausdruck geben musste, je grösser die
ökonomischen Vorteile waren, welche man daraus in
Zukunft noch zu ziehen hoffte. Es ist das alte Prinzip
des Handels, bei keiner Gelegenheit zu fehlen, in der man
aus der Notlage des Anderen leicht reiche Gewinne zu
ziehen in der Lage ist. So schickte denn Athen zur
Unterstützung der kleinasiatischen Griechen 20
Trieren (500 v. Chr.), um so wenigstens seinen guten
Willen zum Ausdruck zu bringen, und benutzte gleichzeitig
die allgemeine Verwirrung dazu, die beiden wichtigen
Inseln Lemnos und Imbros auf
In der gleichen Zeit hatte Athen den Versuch gemacht,
die so nahe gelegene mächtige Insel
Aegina zu erobern. Der Plan glückte
nicht ganz (488 bis 481). Wohl aber schritt die
mächtige äginatische Flotte jetzt zur Blockade
der attischen Küste und schädigte so den jungen
aufblühenden Handel von Athen sehr empfindlich. Auch
damit war ein ganz unhaltbarer Zustand aufgedeckt worden.
Die grosse Flotte der Aeginaten konnte nur durch eine
mächtigere Flotte unschädlich gemacht werden,
wobei in Aussicht stand, sie durch die Aufsaugung der
feindlichen Flotte noch mehr zu vergrössern.
Vielleicht war diese Flottenvermehrung mit Anstrengung
aller Kräfte auch die beste Vorbereitung für
den drohenden Kampf mit den Persern? Die staatlichen
Silbergruben in Laurion brachten jetzt 20 bis 30 Talente
per Jahr, die bisher zur Unterstützung armer
Bürger verwendet wurden. Mit diesen Mitteln liess
sich in einigen Jahren eine imposante Kriegsflotte bauen.
Aber freilich — auf die Besetzung und Verteidigung
des Landes musste dann verzichtet werden. Dazu reichten
die disponiblen Mannschaften des Staates nicht aus. Die
Entschädigung für diese Verluste musste das
Volk nach glücklichem Ausgang des Krieges in jenen
Gewinnen finden, welche aus der herrschenden Stellung
einer Seemacht zu ziehen waren. Wie aber, wenn der
Seekrieg ungünstig für Athen enden würde?
— Ganz offenbar: Athen war jetzt bereits in der
Position eines Spielers, der nicht mehr aufhören
kann zu spielen, ohne sich selbst zu ruinieren. Das Spiel glückte. Das im Kern noch gut agrarische Volk schlug mit seinen Verbündeten das Perserheer zu Lande und zu Wasser. Mitten im Siegesjubel und zur Zeit der noch drohenden Gefahr neuer Perserangriffe kam es im Jahre 477 v. Chr. unter der Führung von Athen zur Gründung des ersten attischen Seebundes, dem bald die meisten Küsten- und Inselstaaten des ägäischen Meeres angehörten. Als religiöser Mittelpunkt wurde der Apollotempel in Delos bestimmt, wo auch die Bundeskasse sich befand. Die kleineren Bundesstaaten überliessen ihre Schiffe und Truppen Athen und zahlten nur Geldbeiträge, während die grösseren ihre bestimmten Kontingente stellten. Ueber alle wichtigeren Angelegenheiten wurde auf der Bundesversammlung in Delos entschieden. Kaum war jedoch die Gefahr eines Perserangriffes weiter zurückgetreten, als auch einzelne Bundesmitglieder anfingen, ihre Verpflichtungen nicht mehr zu erfüllen. Athen ging dagegen mit aller Strenge vor. Die Abtrünnigen wurden völlig Athen unterworfen und in ihren Gebieten attische Bauern angesiedelt. So 466 in Naxos, 463 in Thasos u.s.w. Nach solchen Erfahrungen schienen die Bundesschätze in Delos nicht mehr sicher, weshalb die Bundeskasse nach Athen gebracht wurde. Und weil mit den kriegerischen Erfolgen naturgemäss auch das Selbstbewusstsein der attischen Bürger gewachsen war, traten jetzt alle jene Aenderungen ein, durch welche der attische Seebund mit dem Vorort Athen sich in ein attisches Reich verwandelte, dessen Regenten die Bürger von Athen geworden waren.
Wo so viel öffentliche Pflichten von fast der
Gesamtheit der Bürger zu erfüllen waren, da
mussten notwendigerweise Besoldungen
eingeführt werden. So wurde denn das Prinzip der
kostenlosen Leistungen für den Staat aufgegeben und
Besoldungen für den Militärdienst, das
Richteramt und sogar für Besuch und Teilnahme an der
Wo so viel Schlachten gewonnen und so viel Beute zusammengetragen wurde, da musste Reichtum sich ansammeln, der all diese freigiebigen Besoldungen gestattete. Unter der Verwaltung des Perikles (444 bis 429) wird das Jahreseinkommen des attischen Staates auf 3 1⁄2 Millionen Mark angegeben. Diese Einnahmen sind aus dem Tribute der Bundesstaaten, aus den im Hafen erhobenen Ein- und Ausfuhrzöllen, aus Stempelabgaben für Verkäufe und aus dem Ertrage der Bergwerke und Domänen geflossen. Dazu kam ein Staatsschatz von 33 1⁄2 Millionen Mark. Athen war seit dem 5. Jahrhundert der Mittelpunkt der griechischen Bankwelt geworden. Die silberne attische Tetradrachme war um Mitte des 5. Jahrhunderts herrschende Kurantmünze in der ganzen griechischen Welt. Auch Goldmünzen wurden in grösserer Menge jetzt in Athen geprägt. Das Bankhaus des Pasion, ursprünglich ein Sklave, war im Jahre 394 das bedeutendste der damaligen Welt und arbeitete fast ausschliesslich mit Depositengeldern. Dabei war die moderne Arbeitsteilung bereits in
umfassender Weise durchgeführt. Während
ursprünglich fast alle gewerbliche Produkte in der
Hauswirtschaft erzeugt und selbst das Brotgetreide in der
Morgendämmerung von Frauen gemahlen wurde, sodass
von dem Geräusch ihrer Arbeit das Dorf widerhallt,
ist jetzt längst das Brot in verschiedenster
Feinheit in den Bäckerläden zu kaufen. Ebenso
hat man auf dem Markte reichste Auswahl in Stoffen
Mit dem ökonomischen Reichtum kam auch die Pflege von Wissenschaft und Kunst, die gerade hier ganz Hervorragendes geleistet haben. Athen war nicht nur die erste Seemacht und der bedeutendste Handels- und Industriestaat seiner Zeit und damit selbstverständlich auch das Zentrum der Bankwelt und des Geldverkehrs, Athen war gleichzeitig auch der Sitz der Intelligenz und das Schmuckkästchen von Griechenland. Ein Zeitgenosse des Perikles fasste — nach der Uebersetzung von Beloch — dies in die Worte zusammen:
Trotz all dieser glänzenden Erscheinungen nach
aussen hin waren jetzt die volkswirtschaftlichen
Verhältnisse von Athen bereits durch und durch
krank. Das Wesen dieser höchst
gefährlichen Krankheit aber ist leicht zu erkennen:
das attische Volk lebte aus dem
Staatssäckel und von
Um die Brotversorgung des attischen
Volkes durch den internationalen Getreidehandel zu
sichern, wurden folgende Massregeln getroffen: Attische
Bürger, welche Getreide importierten, schienen so
sehr im Dienste des Staates zu handeln, dass sie deshalb
vom Kriegsdienste befreit wurden und zeitweise auch
keinerlei Steuern zu zahlen hatten. Gleichzeitig war
jedem attischen Bürger bei Todesstrafe geboten,
Getreide immer nur nach Athen zu verfrachten. Den Banken
war es verboten, Schiffe zu beleihen, welche Getreide
geladen hatten, das Um bei Gelegenheit der Volksfeste Getreide an die Bürger verteilen zu können, wurde im attischen Seebunde der Getreidezehnt an die eleusinischen Göttinnen eingeführt. Dazu kamen häufige Getreideschenkungen fremder Fürsten an das attische Volk. Und auch einzelne reiche Athener haben sich durch solche Mittel ein besonderes Ansehen bei der allmächtigen Volksversammlung erworben. Selbst bei der Produktion im Auslande suchte diese
Getreidepolitik direkten Anschluss zu finden, indem sie
staatlich erworbene Felder im Auslande an attische
Bürger verschenkte, die vielfach in Athen blieben,
ihren Grundbesitz womöglich an seinen früheren
Besitzer verpachteten und den Naturalpacht in Athen in
Empfang nahmen. Infolge der weitgehenden Verpflichtung
der attischen Schiffe, als Rückfracht stets Getreide
einzunehmen, wird dieser Vor dem Ausbruch des peloponnesischen Krieges (431 v. Chr.) hat Perikles die pontischen Getreidezufuhrstrassen befestigen lassen und jede Getreideausfuhr aus dem Pontus und aus Byzanz in andere Städte als solche, denen Athen die Erlaubnis der Einfuhr ausdrücklich erteilte, verhindert. Und es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass die waghalsigen und so wenig geglückten Unternehmungen der Athener gegen Aegypten (460 v. Chr.) wie gegen Sizilien (415 bis 413 v. Chr.) im wesentlichen von der Absicht getragen waren, sich neue Kornkammern zu erschliessen. Indes — auch dieses so mühsam aufgebaute künstliche System zur Sicherung und Erhaltung einer Volkswirtschaft, deren natürlicher Entwickelungsschwerpunkt vom Inlande nach dem Auslande verlegt worden war, musste bald zusammenbrechen. Zunächst führte der internationale Handelsverkehr die Pest nach Athen (429 v. Chr.), welche 50'000 Menschen hinweggerafft haben soll. Perikles selbst ist ihr zum Opfer gefallen. Der Kriegsdienst in den Söldnerheeren wird
immermehr zur Erwerbsart der erwachsenen
Bevölkerung. In den 85 Jahren vom Anfang des
peloponnesischen Krieges bis zum Einzug des König
Philipp von Makedonien in Delphi zählt man 55
Kriegsjahre. Unter solchen Umständen war nicht zu
erwarten, dass Getreide in Ueberfluss vorhanden gewesen.
Die Weizenpreise stiegen in Athen von 20 Mk. 50 Pfg. per 1000 Kg im Jahre 600 v. Chr. auf 41 " - " " " " " 480 " " 61 " 50 " " " " " 390 " " 102 bis 123 Mk. " " " " 330 "Noch mehr waren die Fleischpreise gestiegen. Ein Schaf kostete im Jahre 600 v.Chr. 80 Pfg. " " 400 " 8 bis 16 Mk. Die Arbeitslöhne hatten sich vom 5. bis 4. Jahrhundert verdreifacht. Da mussten auch die Staatspensionen, die Staatssoldzahlung und die längst unentbehrlich gewordenen staatlichen Geldgeschenke entsprechend erhöht werden. Nach dem Tode des Perikles war die Leitung des Staates in die Hände der Grossindustriellen und Bankiers gekommen, die naturgemäss für solche Veränderungen ein geübtes Auge hatten. Der „Gerber“ Kleon, der es so gut verstanden hat, sich während des peloponnesischen Krieges noch mehr zu bereichern, erhöhte deshalb sofort den Soldatensold von 40 auf 52 Pfennige, den Reitersold auf 1,05 Mk. bis 2,10 Mk. Die ersten 10 Jahre des peloponnesischen Krieges hatten dem athenischen Staate 65 Millionen Mark gekostet. Diesen grossen Staatsausgaben gegenüber mussten neue Einnahmen erschlossen werden. Die fortschreitenden Erhöhungen der Tributleistungen der Bundesstaaten wurden von einem gewissen Punkte ab unrentabel, weil die Beitreibungskosten immer grösser wurden. Man versuchte es deshalb mit Staatsanleihen bei den reichen Tempelkassen, mit Zwangsanleihen, mit Ausgabe von Kreditgeld, mit Vermögenskonfiskationen; nur zu dem Mittel der Münzverschlechterung hat der Handels- und Industriestaat Athen auch in der grössten Finanznot nie gegriffen. Wesentlich deshalb wohl erreichte der Warenverkehr im Hafen von Athen auch nach dem peloponnesischen Kriege in Ein- und Ausfuhr immer noch die Werthöhe von 11 Millionen Mark.
Die Lage nach Abschluss des peloponnesichen Krieges
war daher auch in Athen eine höchst traurige. Die
Staatskassen waren leer. Um Einnahmen zu haben, liess die
neue oligarchische Regierung 1500 der reichsten
Demokraten hinrichten und ihr Vermögen zu Gunsten
der Staatskasse konfiszieren. Aber der auf solche Weise
flüssig werdende Betrag blieb hinter den Erwartungen
zurück, denn für Grundstücke wollte sich
kein Käufer mehr finden. Athen hat damals bei Sparta
100 Talente geborgt und bald darauf an die Böoter 2
Talente nicht zahlen können. Die Einkünfte aus
den Kolonialfeldern waren verschwunden, weil die Feinde
sie in Besitz genommen. Aus den Mietshäusern in der
Stadt war keine Rente zu ziehen, denn die Stadt war
menschenleer geworden. Hausgeräte kaufte niemand.
Geld wollte niemand mehr leihen. So fingen denn selbst
frei geborene Frauen an, sich als Ammen oder
Handarbeiterinnen zu verdingen, um ihren Lebensunterhalt
zu verdienen. Die Die vielen Kriege hatten nur zu häufig Sklaven in Freie und Bürger in Sklaven verwandelt. Das hat den ursprünglichen Begriff der Sklaverei wesentlich gemildert. In Athen gingen die ärmeren Bürger und die Sklaven gleich gekleidet. Das Steigen der Getreidepreise erhöhte die Kosten ihres Unterhaltes. Gleichzeitig bot sich auch freie Arbeit zu billigem Lohne genügend an. So konnte man sich jetzt um so leichter dazu entschliessen, die Sklaven frei zu geben, als der Freikauf mit den bisherigen Sklaven zu einem höheren Preise abgeschlossen wurde, als sein vorheriger Kaufpreis war. Diese Freilassungen erreichten denn auch eine solche Ausdehnung, dass es ausdrücklich verboten wurde, zu diesem Zwecke das Theater zu benutzen. Die Zahl der Sklaven in Athen ging zurück, bis die kapitalistische Entwickelung von Neuem ihre Zunahme begünstigte. Trotz der allgemeinen Not ist nämlich der
Reichtum der Einzelnen in dieser Zeit immermehr
gestiegen. Der schon erwähnte Bankier
Pasion in Athen, der auch Besitzer von
Mietskasernen und ausgedehnten Waffenfabriken war, hat
das von ihm gegründete Welthaus im Jahre 371 v. Chr.
seinem Freigelassenen Phormion
übergeben. Das in diesem Geschäft verwendete
Kapital soll 300'000 Mark betragen haben. Von dem
Bergwerksbesitzer Diphilos, dessen
Vermögen zur Zeit Alexanders des Grossen (336 bis
323) konfisziert worden ist, wird berichtet, dass sein
Besitz 960'000 Mark erreicht habe. Zur richtigen
Beurteilung dieser Summen ist es notwendig, sich zu
erinnern, dass damals die Häuser des Mittelstandes
zwischen 270 und 450 Mark kosteten, dass eine grosse
Mietskaserne des Bankier Pasion auf 9000 Mark
geschätzt Die empfindlichste Seite der attischen Verhältnisse aber blieb der Mangel an einer gesicherten Brotversorgung im eigenen Lande. Kleomenes, Alexanders Satrap in Alexandrien, machte gute Geschäfte aus der systematischen Auswucherung der hellenischen Staaten, welche damals auf die Getreidezufuhren aus Aegypten angewiesen waren. Handel und Industrie wanderten nach den kleinasiatischen Städten aus. Bald zeugten nur noch Ruinen von der einstigen Grösse Athens, die nicht im eigenen Lande verankert war. α) Sparta. Bis etwa um die Mitte des 8.
Jahrhunderts war es den Spartanern gelungen, das untere
Eurotasthal zu erobern und von hier aus noch Messenien
und Teile von Arkadien und Argolis zu gewinnen. Mitten in
dieser kriegerischen Eroberungszeit haben die Spartaner
sich ihre Staatsverfassung gegeben. Die Bevölkerung
war in drei streng geschiedene Klassen eingeteilt: die
Spartiaten, die Periöken und Heloten. Die Spartiaten
erhielten als Eroberer den fruchtbarsten Teil des Landes,
welches in 4500 und später in 9000 gleich grosse
Ackerlose aufgeteilt wurde. Dieser Grundbesitz war
unveräusserlich, unverpfändbar und ging
geschlossen vom Vater auf den ältesten Sohn
über. Es war offenbar etwas Widernatürliches, durch die
Verfassung das Land in der Naturalwirtschaft und in dem
Ständestaat mit ehernen Klammern festhalten zu
wollen, während ringsherum neue Veränderungen
sich zeigten. β) Makedonien. Die Einigung
des makedonischen Reiches ging von der fruchtbaren
Ebene des unteren Axios aus. Es war ein Bauernvolk
mit mächtigem Adel, der ausgedehnten Grundbesitz
hatte, mit einem Könige an der Spitze, und das erst
seit dem Ausgange des 5. Jahrhundert begonnen hatte, die
Errungenschaften einer fortgeschrittenen Kultur aus
Griechenland herüber zu nehmen. Zu einer Zeit, in
der der peloponnesische Krieg schon bald zu Ende ging,
begann man hier damit, die reichen Bergwerke des Landes
zu erschliessen, Kunststrassen zu bauen, Städte zu
befestigen, die Heeresmacht zu reorganisieren, die
Finanzen des Landes zu ordnen und Kunst und
Wissen Nichts ist nach Eintritt der Geldwirtschaft in die Geschichte der griechischen Völker schärfer hervorgetreten, als das Rennen und Jagen nach dem Gelde. Die Aufgabe der Politik der Staaten war von da ab selbstverständlich ausnahmslos auf eine Mehrung des Reichtums an Gütern gerichtet. Als in den ionischen Staaten es sich zuerst zeigte, wie diese Sucht nach Reichtum viel Unglück und Unheil im Gefolge habe, da war die sogenannte ionische Moral bestrebt, das Unglück ohne einen Versuch zur Besserung, so gut es eben ging, zu ertragen und das Glück, wo es sich fand, zu geniessen. Die Proletarier aber wollten von jetzt ab lieber im Kampfe gegen die Reichen sterben, als in der Armut verhungern. Mit dem wachsenden Notstande der Volksmassen geht das Verschwinden der Achtung vor dem Ueberlieferten Hand in Hand. Die Griechen plündern jetzt die Heiligtümer ihrer Götter und betteln selbst von den Persern Gold. Während der Vaterlandsverrat die Väter zittern machte, wurde den Söhnen bange, von Vaterlandsliebe zu hören. Nach der Unmöglichkeit, eine friedliche und wirksame Politik in der Heimat zu betreiben, gewöhnte man sich daran, die Welt als Ganzes, als Heimat zu bezeichnen. Die praktische Moral der Reichen lautete inzwischen: sich im Genusse nicht zu verwöhnen. Man müsse den Purpurmantel ebenso geschickt wie den Bettlermantel zu tragen verstehen. Es sei unklug für die Reichen, kein Handwerk zu erlernen, denn leicht könne man durch Verlust seines Vermögens darauf angewiesen sein, sich seinen Unterhalt selbst zu verdienen, und dann würde ein solches Erlernen in der Jugend später gute Dienste leisten.
Das Unheil im Staate und in der Gesellschaft beginnt
mit jenem zersetzenden, die sozialen Bande
auflösenden Egoismus und mit der „Jagd nach
dem Golde“, welche zunächst wenigstens
für einen Teil der Gesellschaft die allgewaltige
Triebfeder des Handelns geworden ist. Diese Wandlung
erzeugt eine Klasse von Menschen, deren Götze das
Geld ist, das sie insgeheim mit roher Leidenschaft
verehren. Ihre Hauptsorge gilt ihren Geldschränken
und Der goldgefüllte Geldschrank der Reichen beginnt nun aber sehr bald seine Anziehungskraft auf die Allgemeinheit auszuüben. Es wird unter diesen selbst ein förmlicher Wettkampf um den materiellen Besitz entfesselt, der die Erwerbsgier stetig steigert, während andererseits die übrigen Güter in der öffentlichen Wertschätzung sinken. Eine Entwickelung, die auf den Volksgeist notwendig entsittlichend wirken muss. Das grösste aller Uebel ist dabei die dem Geiste der Wirtschaft entsprechende absolute Freiheit der Veräusserung und des Erwerbes der Güter (Freihandel). Es entsteht dadurch jene ungesunde Anhäufung des Kapitals, welche Einzelne überreich macht, während Andere in einen Zustand hoffnungsloser Armut herabsinken. Es ist zweifelsohne, dass der zügellose Kapitalismus die Tendenz in sich schliesst, den Abstand der kleinen Leute von der Aristokratie des Besitzes stetig zu steigern. Dazu kommt die durch den Mammonismus grossgezogene
Klasse der Müssiggänger und Verschwender, die
Platon als „Drohnen“ bezeichnet. Dieses
Drohnentum ist ein Krebsschaden der Gesellschaft. Aus ihm
rekrutiert sich besonders das in der plutokratischen
Gesellschaft so zahlreiche Kontingent der Diebe,
Beutelschneider, Tempelräuber und Anstifter aller
sonstigen Unbill, deren die Staatsgewalt nur mit
Mühe Herr werden kann. Neben diesem Drohnentum tritt
uns als typische Charakter Das Prinzip der Kapitalwirtschaft arbeitet diesem
Spekulantentum ausserordentlich in die Hand. Der
Unersätt Diese Handelsfreiheit bringt vor allem denjenigen den Ruin, welche der Tendenz des kapitalistischen Zeitalters zum unwirtschaftlichen Konsum und zum Luxus erliegend den Geldmännern in die Hände fallen. Geduckt sieht man diese Geldmänner umherschleichen wie das leibhaftige böse Gewissen und, ohne sich etwas um ihre Opfer zu kümmern, den unheilvollen Pfeil der Kapitalgewinne auf die Gesellschaft schleudern und dadurch Drohnen und Bettler die Menge im Staate erzeugen. Nicht die Begünstigung der Ansammlung eines
möglichst grossen Nationalreichtums, sondern der
Kampf gegen Armut und Reichtum ist die weitaus wichtigste
Aufgabe aller Gesetzgebung, bei welcher der Staatsmann
gar nicht rasch und entschieden genug zu Werke gehen
kann. Denn der wahre Staatsmann erstrebt nach der Ansicht
von Platon das Glück der Bürger und, da
wirkliches Glück nicht ohne Tugend erreichbar ist,
auch die Sittlichkeit der Bürger. Steigerung des
Reichtums bedeutet an sich noch keine Steigerung des
Glücks, wenn die, welche ihn besitzen, die erste
Bedingung dazu nicht leisten und erfüllen. Ist aber
gerade vom Reichen die Erfüllung dieser Bedingung zu
erwarten? Platon glaubt diese Frage überall da
verneinen zu müssen, wo der in einer Hand vereinte
Besitz ein gewisses Mass überschreitet.
Nach seiner Meinung kann der Besitzer ausserordentlichen
Reichtums kaum ein sittlicher Mensch sein. Denn wer
einerseits Bei aller Verschiedenheit im einzelnen sind die bedeutendsten griechischen Denker darüber einig, dass der die Völker vernichtende Kapitalismus aus der Gesellschaft nur dann beseitigt werden könne, wenn der Zins vom Gelde verschwindet und die Politik auf den so sehr vernachlässigten Ackerbau wieder zurückgreift, um von agrarischer Basis ausgehend die nationale Volkswirtschaft in harmonischer Weise aufzubauen. Sokrates fasst deshalb seine Anschauung dahin zusammen, dass er sagt: „Wenn der Ackerbau gedeiht, so gedeihen mit ihm alle anderen Künste, geht er aber zurück, so verfallen mit ihm auch alle übrigen Erwerbszweige, sei es zu Lande, sei es zu Wasser.“ Pythagoras auf Samos legt ganz besonderen Wert darauf, dass der Ackerbau mit Handel und Industrie in harmonischer Proportion stehe. Aristoteles, welcher die Grundsätze
seiner Politik aus der Entwickelungsgeschichte von 158
Einzelstaaten abgeleitet hat, ist der Ueberzeugung, dass
für einen politisch gut geleiteten Staat alles
darauf ankomme, dass er „sich selbst genug
sei“ in allen wichtigen Dingen des
täglichen Bedarfs. Kommt aber die einseitige
Entwickelung zum Handels- und Industriestaat zur
Herrschaft, so erhöht sich mit der steigenden
Abhängigkeit des Volkes vom Ausland naturgemäss
die Gefahr einer Vernichtung der Volkswirtschaft
fortschreitend. Mehr konkret gesprochen kann diese
Aufgabe: die Autarkie der Volkswirtschaft möglichst
Nun giebt es in allen Staaten drei Klassen von Bürgern: sehr reiche, sehr arme und solche, die in der Mitte zwischen diesen beiden stehen. Der mittlere Besitz von Gütern ist der beste von allen, denn diese Bürger folgen am leichtesten der Vernunft, aber die allzu Reichen werden leicht übermütig und in grossen Dingen schlecht und die allzu Armen Bösewichter und in kleinen Dingen schlecht. Ein Staat, der nur aus Reichen und Armen gebildet wird, ist ein Staat von Neidern und Verächtern, die sich immer gegenseitig feindlich gesinnt sind und leicht zum Bürgerkriege kommen. In einem Staate aber, in welchem der Mittelstand vorherrscht, herrscht auch die Freundschaft, die zu jeder Gemeinschaft, wie zum dauernden sozialen Frieden gehört. Die besten Gesetzgeber sind immer aus dem Mittelstande hervorgegangen, wie Solon, Lykurg, Charondas und die meisten übrigen. Das etwa sind in grossen Zügen die wichtigsten Konsequenzen, welche die bedeutendsten griechischen Denker aus dem trüben Zusammenbruch der griechischen Welt gezogen haben. |
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