Vorbemerkung und Litteratur. Das Problem
der römischen Geschichte ist heute noch
ungelöst. Die ältere Litteratur — wie z.
B. Edward Gibbon, History of the decline and
fall of the Roman empire, London 1782 bis 1788, 6
Bände — konnte dieses Problem nicht
lösen, weil erst die neuere Zeit, besonders durch
Erschliessung neuer Inschriften, uns tieferen Einblick in
den wirtschaftlichen Entwickelungsgang dieses Volkes
eröffnet hat. Und die neuere Litteratur hat dieses
Problem auch noch nicht gelöst, weil sie noch zu
ausschliesslich mit philologisch-juristischen
Spezial-Untersuchungen beschäftigt ist. Diese zum
Teile höchst mühsamen Spezial-Untersuchungen
bilden freilich die unerlässliche Voraussetzung
für eine glückliche, zusammenfassende
Darstellung der römischen Geschichte.
Die einheitliche Zusammenfassung nicht nur nach den
Fragen des wie? und wo?, sondern vor allem auch nach der
Frage des warum? findet aber gerade bei den Römern
ganz besondere Schwierigkeiten, weil hier die Entwicklung
nicht in so leicht durchsichtiger und durch verschiedene
Epochen scharf begrenzter Weise sich abspiegelt wie etwa
bei den Germanen, Griechen oder Juden, und weil die
römische Volkswirtschaft sich so ganz besonders
lange ausleben konnte. Letzterer Umstand lässt
indessen vermuten, dass gerade die römische
Geschichte für die wissenschaftliche Auffindung des
sozialen Entwicklungs-Gesetzes der Völker von der
allergrössten Bedeutung sei. Die eigenartige
Kompliziertheit des römischen Entwicklungs-Prozesses
aber wird nach meiner Erfahrung wohl auch jede
spätere Gesamt-Darstellung zwingen, dem Vorgange eines Mommsen zu folgen
und nur eine Schnittlinie zu beobachten: vor
und nach Caesar. Im Interesse der Uebersicht ist deshalb
die nachfolgende Darstellung gezwungen, sich des
Hülfsmittel der Paragraphen zu bedienen.
Aus der neueren Litteratur wurden benutzt, und zwar
neben der langen Reihe einschlägiger Spezial-Artikel
in Conrads Handwörterbuch der
Staatswissenschaften: Taly, Cicero, sein
Leben und seine Schriften, Berlin 1891; J.
Beloch, die Bevölkerung der römischen
und griechischen Welt, Leipzig 1886; G.
Billeter, Geschichte des Zinsfusses im
griechischen und römischen Altertume bis auf
Justinian, Leipzig 1898; H. Blümner,
Kommentar zum Maximaltarife des Diocletian, Berlin 1893;
Derselbe, Technologie und Terminologie der
Gewerbe und Künste bei Griechen und Römern, 4
Bände, Leipzig 1874-86; K. Bücher,
Die Aufstände der unfreien Arbeiter 143 bis 129 v.
Chr., Frankfurt a. M. 1874; Th. Corsetti S.
J., Sul prezzo dei grani nell’
antichità classica, fasc. II der Studi di Storia
Antica, herausgegeben von J. Beloch, Rom
1893; H. Dankwardt, Nationalökonomie
und Jurisprudenz, Rostock 1857-59; W.
Drumann, Die Arbeiter und Kommunisten in
Griechenland und Rom, Königsberg 1860; Ersch
& Grubers Encyclopädie, bes. Artikel
„Handwerk“; O. Gierke, Das
deutsche Genossenschaftswesen, III. Band, Staats- und
Korporationslehre des Altertums und des Mittelalters,
Berlin 1891; Friedländer,
Sittengeschichte Roms, Leipzig 1865; Ludo M.
Hartmann, Ursachen des Unterganges des
römischen Reiches in Braun’s Archiv für
soziale Gesetzgebung und Stastistik, 1889;
Helbig, Die Italiker in der Po-Ebene,
Leipzig 1879; Hirschfeld, Die
Getreide-Verwaltung der römischen Kaiserzeit,
Philologus 1869; Derselbe, Untersuchungen
auf dem Gebiete der römischen Verwaltungsgeschichte,
1877; Karl Hoffmeister, Die wirtschaftliche
Entwicklung Roms, Wien 1899; Max Jähns,
Heeresverfassungen und Völkerleben, Berlin 1885;
Kuhn, Die städtische und
bürgerliche Verwaltung des römischen Reiches, 2
Bände, 1864/65; Liebenam, Zur
Geschichte und Organisation des römischen
Vereinswesens, Leipzig 1890; J. v.
Lyskowski, Die Collegia tenuiorum der Römer,
Berlin 1888; Marquardt, Das Privatleben der
Römer, Leipzig 1879-82; Derselbe,
Römische Staatsverwaltung, 3 Bände, 1874-78;
Eduard Meyer, Geschichte des Altertums, 2
Bände, Stuttgart 1884-93; Derselbe,
Untersuchungen zur Geschichte der Gracchen, Halle 1894;
Derselbe, Die
wirtschaftliche Entwicklung des Altertumes, Vortrag,
abgedruckt in Conrads Jahrbüchern 1895;
Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3
Bände, Leipzig 1887, 3. Aufl.;
Derselbe, Conscriptions-Ordnung der
römischen Kaiserzeit, im „Hermes“, Band
XIX; Paul Müller, Die Geldmacht im
alten Rom gegen das Ende der Republik, Bruchsal 1877;
Niebuhr, Römische Geschichte, Berlin
1853; J. Nickel, Sozialpolitik und soziale
Bewegung im Altertume, Paderborn 1892; P.
Oertmann, Die Volkswirtschaftslehre des Corpus
juris civ., Berlin 1891; R. Pöhlmann,
Die Uebervölkerung der antiken Grossstädte,
Leipzig 1884; Derselbe, Geschichte des
antiken Kommunismus und Sozialismus, München 1893;
Derselbe, Aus Altertum und Gegenwart,
gesammelte Aufsätze; L. Preller,
Römische Mythologie, 3. Aufl., 2 Bände, Berlin
1881-83; Ranke, Weltgeschichte, 3. Band,
Leipzig 1895; Rodbertus, Die römischen
Tributsteuern seit Augustus, Hildebrands Jahrbücher,
Band IV ff.; Rossbach, Untersuchungen
über die römische Ehe, Stuttgart 1853; H.
v. Scheel, Die wirtschaftlichen Grundbegriffe im
Corpus juris civ., in Hildebrands Jahrbüchern 1866;
H. Schiller, Geschichte der röm.
Kaiserzeit, 2 Bände, 1883-97;
Schwegler, Römische Geschichte, 3
Bände, Tübingen 1853-58; Seeck,
Geschichte des Unterganges der antiken Welt, I. Band,
Berlin 1895; W. Soltau, Roms Kultur, in
Hellwalds Kulturgeschichte, 2. Aufl., Band II, Leipzig
1898; Stöckel, Die Germanen im
römischen Dienste, Berlin 1880; M.
Voigt, Römische Privat-Altertümer und
Kulturgeschichte; Max Weber, Die
römische Agrar-Geschichte in ihrer Bedeutung
für das Staats- und Privatrecht, Stuttgart 1891;
(dieses Buch sollte seinem Inhalte nach
nur den Titel tragen: Die Agrimensoren-Litteratur in
ihrer Bedeutung für das Staats- und
Privatrecht!)
Speziell zur Beurteilung Labeo’s wurde benutzt:
K. Esmarch, Römische Rechtsgeschichte
1856; O. Karlowa, Römische
Rechtsgeschichte 1885; Joh. Emil Kuntze,
Lehrbuch der Institutionen, 2. Aufl. 1897/98, A.
Pernice, Marcus Antistius Labeo und das
römische Privatrecht im ersten Jahrhunderte der
Kaiserzeit, 1873; Paul
Sokolowski, Die Lehre von der Spezifikation,
Zeitschrift der Savigny-Stiftung, romanistische
Abteilung, Band XXVII, 1896, p. 252 ff.
* * *
§ 1. Auch die Römer sind aus einer
östlichen Urheimat in die italische Halbinsel
eingewandert. Es ist unwahrscheinlich, dass diese
Wanderung gemeinsam mit den Griechen bis zum adriatischen
Meere erfolgte. Jedenfalls aber bestanden einmal in
dieser ältesten Zeit nähere Beziehungen
zwischen Italikern und Griechen. Denn die Sprache beider
Völker hat nahverwandte Bezeichnungen für
Acker, Pflug, Hirse, Gerste, Spelt, mahlen, mähen,
pflügen, säen u.s.w.
bewahrt, und die Konstruktion des Pfluges wie auch die
Brotbereitung und die Ackermasse waren bei den Griechen
und Römern gleich.
Auf dieser Wanderung und wohl auch noch lange nach der
Besiedelung des Landes bestand die wirtschaftliche
Vermögensreserve der Römer in der Hauptsache
aus Viehheerden, während ihre Vorräte an
Waffen, Geräten und Getreide den unmittelbaren
Bedarf kaum wesentlich überschritten haben werden.
Gelegentliche Zahlungen wurden deshalb zumeist in Rindern
geleistet, und daher war gleichzeitig das Rind die
Rechnungs-Einheit in jener allgemein anerkannten
Wertscala, welcher die im Güterverkehre sich
bewegenden mobilen Vermögensobjekte eingereiht
waren. In diesem Sinne war den Römern
„pecunia“ das Geld, von „pecus“,
Vieh, abstammend.
Trotzdem waren die Römer zur Zeit ihrer
Niederlassung in Italien kein sogenanntes Hirtenvolk,
sondern Ackerbauern. Dahin deutet nicht blos die bereits
angeführte Verwandtschaft landwirtschaftlich -
technischer Ausdrücke mit den analogen Bezeichnungen
der Griechen: das bestätigt auch die Gesamtheit
ihrer ältesten Ueberlieferungen, welche immer wieder
das Wachsen des Volkes aus der Mutter Erde durch den
sprossenden Samen der Alles ernährenden Halmfrucht
zum Ausdrucke bringen. Das älteste römische
Gebet in einer Sprache, welche die
spätere Zeit nicht mehr verstand, ist an Mars
— den Marmar — gerichtet und erfleht
Abwendung von Seuchen, die durch das Getreide auf den
Menschen übertragen werden („lues“,
Brotseuche). Das altlateinische Wort für
Unglück, calamitas, heisst eigentlich
„Halmkrankheit“. Die ältesten
lateinischen Bezeichnungen für die Gesamtheit des
Volksstammes sind siculi (Schnitter) oder opsci
(Feldarbeiter). Die drei Stämme Ramnes, Tities und
Luceres, aus denen sich die älteste römische
Bevölkerung gebildet haben soll, waren nach der
Ueberlieferung in zehn Opfer- oder Speisehäuser,
curiae genannt, aufgeteilt und haben bei ihren
Versammlungen ein Mahl aus geröstetem Spelt
genommen. Die Curiatsgenossen sind eigentlich
„Brotgenossen“. Die bei der Ehe zunächst
beteiligten Gottheiten sind Ceres, die Beschützerin
der Halmfrucht, und Tellus, die Erde. Die älteste
römische Form der Ehe, welche heilig gehalten wurde,
trug den Namen „confarreatio“ von far, Spelt,
und farreum, Kuchen; farreo, farreare, backen, heiraten,
Ehe stiften. Braut und Bräutigam pflegten in
feierlicher, öffentlicher Weise Ceres und Tellus
einen gemeinsam gebackenen Speltkuchen zu opfern.
§ 2. Das Land, so wie es von den Römern
gemeinsam erobert wurde, sollte auch möglichst
innerhalb des Stammes und innerhalb der Familie erhalten
werden. Der landwirtschaftliche Grundbesitz
war deshalb ursprünglich
unveräusserlich. Die älteste
römische Form der Eigentums-Uebertragung, die
mancipatio, von manus, Hand, und capere, ergreifen,
bezieht sich schon dem Wortsinne nach nur auf bewegliche
Güter. Und noch die XII Tafeln, das älteste
geschriebene Recht der Römer vom Jahre 451 bezw. 450
v. Chr., stellen das Erbrecht der gens, der Sippe, am
Grundbesitze an dritte Stelle und lassen dadurch
vermuten, dass in einer vorhergehenden Zeit die
Handänderung an Grund und Boden wahrscheinlich ausschliesslich
erbrechtlich geregelt war, und zwar nach der
strengen Agnatenfolge. Wer vor der Schlacht aus
besonderen Gründen seine Privatverhältnisse
ordnen wollte, der trat vor die versammelte Curie und
verkündete laut seinen Willen über Adoption
oder Testament. Und erst durch die Zustimmung der
Curiatsgenossen erhielt diese Willensäusserung
über Veränderung im Grundbesitze rechtliche
Wirksamkeit. Die Töchter wurden noch in
späterer Zeit möglichst innerhalb der Sippe
verheiratet.
Das Volk war patriarchalisch gegliedert. Dem pater
familias gehörten Weib und Kind, wie Knecht und
Magd, wie Vieh und alle übrige Habe. Das Alles war
gleichmässig seiner Gewalt unterstellt und
gehörte zum Gesamtbegriffe „familia“.
Die Zahl der Sklaven, die mit dem Haussohne rechtlich auf
gleicher Stufe standen, war allen Anzeichen nach im
Verhältnisse zur freien Bevölkerung eine
kleine. Und wie das uralte, mit religiösen
Handlungen umwobene Institut des ver sacrum bezeugt,
kannten auch die Römer zu Anfang nicht die Politik
der Ansammlung grösserer Getreidelager. Hatten
Missernten Mangel an Brot zur Folge, so wurde die
Jungmannschaft zur Wanderung ausgerüstet, um sich
auf anderen Fluren eine neue Heimat zu gründen.
§ 3. Nun war das altrömische Bauernvolk von
sehr früher Zeit an den Einwirkungen ganz bestimmter
Faktoren ausgesetzt, die auf seine weitere Entwickelung
einen durchaus massgebenden Einfluss ausüben
mussten.
Die wahrscheinlich von Anfang an dauernde kriegerische
Bedrängnis hat auch im alten Rom das Institut des
Königtums geschaffen. Im Kampfe sich besonders
auszeichnende militärische Personen werden zu
Führern militärischer Abteilungen ernannt und
übernehmen im Frieden richterliche und
verwaltungsrechtliche Funktionen. Der Sohn ist zunächst der natürliche
Gehülfe seines Vaters und später sein
natürlicher Nachfolger. Amt und Würden werden
innerhalb der betreffenden Familien erblich. Bei
Gebietseroberungen werden vom Könige besonders auch
solche Familien mit Grundbesitz ausgestattet.
Ursprünglich freie Bauern begeben sich freiwillig in
ein Abhängigkeitsverhältnis zu solchen
Führern, indem sie von ihnen gegen Naturalleistungen
Grund und Boden erblich übernehmen oder für
Nutzniessung einer bestimmten Ackerfläche die Felder
des Grundherrn bebauen. Kurz: es entsteht das, was wir
als Feudalordnung zu bezeichnen gewohnt sind. Unter der
Oberherrschaft eines Königs finden wir den Adel mit
Grundherrschaft und Hintersassen, deren gegenseitiges
Verhältnis auch im alten Rom als das Verhältnis
zwischen „Patron“ und „Client“
mit einer gewissen religiösen Weihe umgeben war und
bis in die republikanische Epoche hinein rein und
anständig geblieben ist. Daneben war die vollfreie
Bauernschaft wohl immer in der grossen Mehrheit.
Aber diese feudale Entwicklung vollzog sich in Rom
nicht auf der Basis weitgestreckter Ländergebiete,
sondern innerhalb der Grenzen eines
verhältnismässig kleinen Landes. Rom war nach
Aufhebung des Königtumes, zu Anfang der Republik,
kaum 20 Quadratmeilen gross, also noch etwas kleiner als
das heutige Fürstentum Waldeck, und zur Zeit der
Erbauung der Stadt bekanntlich noch viel kleiner. Die
benachbarten Stämme und Völker befanden sich
jedoch nicht alle auf einer verhältnismässig
gleich niedrigen Entwicklungsstufe wie etwa Mitteleuropa
zur Zeit der Karolinger. Die Griechen und
namentlich die Phönikier und
Karthager waren um diese Zeit schon
gewaltige seefahrende und seebeherrschende Nationen
geworden. Und als im 8. Jahrhundert v. Chr. die
Geschichte der Römer gewissermassen mit ihrem
Entdecktwerden durch die Griechen beginnt, da haben sich
die Hellenen längst an Italiens besten
Küstenstrichen
festgesetzt und besonders in der Nähe des heutigen
Neapel die wichtige Stadt Kyme, römisch
Cumae, erbaut. Zwischen diesem Kyme, den anderen
hochentwickelten griechischen Kolonien und Etrurien ist
das altrömische Gebiet eingeschoben, von dem damals
noch schiffbaren Tiber durchflossen und nahe am Meere
gelegen. Es war also ganz unvermeidlich, dass der
damalige Verkehr auf dem mittelländischen Meere mit
dem altrömischen Bauernvolke unter
Königsherrschaft bereits auf sehr früher
Entwicklungsstufe in Berührung kam und ihm die
Elemente einer höheren Kultur vermittelte.
So bringt zu Anfang des 7. Jahrhunderts v. Chr. der
griechische Handel die Schrift nach Italien.
Latiner und Etrusker haben sie von Kyme übernommen.
Auch die Geldprägung soll um das Jahr
600 v. Chr. auf diesem Wege in Etrurien Eingang gefunden
haben, wo sich bald ein reger Exportverkehr mit
gewerblichen Produkten nach Griechenland und Karthago
entwickelte. Von den Etruskern und Griechen lernen die
Römer die Vorteile einer befestigten Stadt und die
Kunst des Städtebauens. Und so entstand
wahrscheinlich schon zu Beginn der feudalen Epoche jene
merkwürdige Stadt Rom, von der die Sage berichtet,
dass ihre Mauern sich aus der Furche der
Pflugschaar erhoben haben, während das
älteste römische Wappen die
Handelsgaleere ist.
§ 4. In dieser eigenartigen Verbindung von
Pflugschaar und Galeere, oder anders gesagt: in dieser
von frühester Zeit an fortgesetzten Einflussnahme
kapitalistisch hochentwickelter Völker auf ein
tüchtiges Bauernvolk unter Königsherrschaft
liegt das Geheimnis und die Erklärung der ganzen
Entwickelung der römischen Geschichte.
Noch auf einer ausschliesslich landwirtschaftlichen
Entwickelungsstufe stehend, sehen sich die Römer
durch das
Herüberspiegeln kapitalistischer Verhältnisse
aus den Nachbarländern veranlasst, schon früh
fremde Götter aufzunehmen und Einflüssen von
aussen immer zugänglich zu sein.
Weil das Bauernvolk sich die Stadt Rom baute, wo die
politisch massgebenden Personen beisammen wohnten, hat
die römische Feudalepoche Formen angenommen, die als
eigenartige Verschmelzung des Feudalstaates mit dem
Stadtstaate bezeichnet werden müssen. Die
altrömischen Patrizier sind die in der
Landeshauptstadt wohnenden und amtirenden Feudalherren.
Die Plebejer sind jene Masse des Volkes, die weder zu den
Sklaven noch zu den Feudalherren gehört und im alten
Rom sich überwiegend aus freien Bauern
zusammensetzt. Weil der Feudalstaat so frühe schon
sich die Stadt gebaut hat, zeigt seine ganze weitere
Entwicklung eine gewisse treibhausartige Frühreife
und Raschheit. Die sogenannte stadtwirtschaftliche
Epoche, die in der germanischen Geschichte Jahrhunderte
ausfüllt, wird in der römischen kaum bemerkbar.
Die freien Gewerbetreibenden der Stadt Rom sind schon zu
einer Zeit zunftmässig organisirt, in der die
Römer das Eisen noch gar nicht kannten und das
Backen und Weben noch in jedem Hause besorgt wurde. Und
als die Römer noch unter der Königsherrschaft
zur modernen Staatsbürger-Verfassung mit
Volks-Abstimmung, allgemeiner Wehrpflicht und Freiheit
der Verschuldung und Veräusserung des Grundbesitzes
übergehen, da beginnen gerade erst in der
römischen Geschichte die einigermassen
zuverlässigen Ueberlieferungen aus dem Bereiche der
Sagen hervorzutreten, und die wirtschaftliche Entwicklung
steht im Ganzen noch auf so niedriger Stufe, dass jetzt
als erste römische Metallwährung die
Kupferwährung eingeführt wird. Als aber etwa 3
Jahrhunderte später Rom schon zur Goldwährung
übergegangen war und grosse Kolonialreiche von
kapitalistischen Gesichtspunkten aus zu beherrschen
begann, da war in Folge dieser
Vermischung der verschiedenen Entwicklungsstufen das
römische Finanzwesen noch in der
Natural-Steuerverfassung hängen geblieben —
ein Umstand der dem römischen Kapitalismus, wie wir
sehen werden, seinen besonders verheerenden Charakter
aufgeprägt hat.
Dieser städtischen Frühreife des
Bauernvolkes verdankt Rom aber auch seine eigenartige
Stärke. Nur dadurch, dass die politisch massgebenden
Personen im täglichen Verkehre miteinander ihre
Meinungen klären und so in die Politik eine
traditionelle Sicherheit einführen konnten, haben
die Römer sich jenes Bollwerk errichtet, mit dessen
Hülfe allein es gelang, im zähen Kampfe das
gewiss nicht minder tüchtige Bauernvolk der Samniter
schliesslich vollständig zu unterwerfen. Und nur
weil die Stadt Rom von einem Bauernvolke erbaut war, ist
alle Kriegskunst und Verschlagenheit des karthagischen
Krämervolkes zu nichte geworden. So ist das Anfangs
gewiss häufiger zur Verteidigung gezwungene
Bauernvolk mit der Zeit ein Eroberungsvolk geworden. So
wurde Mars, der Repräsentant der absoluten
Willenskraft und des Krieges, zum Stammvater und
Schutzpatrone des römischen Volkes, und die
occupatio bellica so sehr zum Grundbegriffe des
römischen Eigentums-Erwerbes, dass noch Gaius sagen
konnte: Maxima sua esse credebant, quae ex hostibus
cepissent. Aber in dem so der Wille und die Macht das
römische Volksleben beherrschten, war auch der Boden
bereitet für die Herrschaft des
Kapitalismus, an dessen unersättlicher
Habgier auch das Römervolk zu Grunde gehen
sollte.
§ 5. Die ersten Anzeichen hierfür bietet
schon die Entwickelung der Dinge seit der sogenannten
servianischen Verfassung. Zwar hat die traditionelle
Geschichtsschreibung die jetzt beginnenden und
Jahrhunderte dauernden Unruhen als den „Kampf
der Patrizier und Plebejer um
Gleichstellung“ bezeichnet, aber mit
Unrecht! Der
patrizischen Familien sollen nach der Sage
ursprünglich nicht über hundert gewesen sein.
Nach den ältesten uns überkommenen
Aufzeichnungen sind es nur etwas über fünfzig.
Und bis zum punischen Kriege ist ihre Zahl bis auf
achtzehn herabgesunken. Dass diesen alten Adelsfamilien
in einer vom Könige gegebenen
Staatsbürger-Verfassung gewisse Vorrechte nach Art
eines Oberhauses gewährt werden, ist
selbstverständlich. Ebenso gewiss ist, dass ein
Bauernvolk an einer solchen Sonderstellung der Patrizier
nichts Anstössiges findet, wenn keine
Amtsmissbräuche und keine Uebergriffe damit
verknüpft werden. Nur die Reichsten unter den
Nichtadligen haben zu allen Zeiten jede
Zurücksetzung dem Adel gegenüber schwer
empfunden. Und es ist deshalb ein Prozess, der nur bei
dem weitaus kleinsten Teile des römischen Volkes
Interesse erweckt haben kann, als etwa um die Mitte des
5. Jahrhunderts v. Chr. (lex Camilla de connubio, 445 v.
Chr.) die Verschmelzung des alten Feudal-Adels mit der
neuen Geld-Aristokratie sich vollzog. Für die grosse
Masse des Volkes handelte es sich in diesen unruhigen
Zeiten um einen ganz anderen Gegensatz und um ein weit
ernsteres Streitobjekt. Es handelte sich um den Kampf des
bäuerlichen und gewerblichen Mittelstandes gegen das
ausbeutende Kapital und um den Preis der wirtschaftlichen
und persönlichen Freiheit; mit anderen Worten: es
handelte sich um den Kampf gegen das nexum
oder allgemeiner gesprochen: es handelte sich hier um
die Periode der römischen
Bauernkriege.
§ 6. Die Raschheit, mit der die Einwirkungen der
kapitalistisch hochentwickelten Nachbarvölker das
altrömische Bauernvolk die verschiedenen
wirtschaftlichen Entwicklungsstadien durchlaufen liessen,
hat es verschuldet, dass die allgemeine
Staatsbürger-Verfassung des Servius Tullius auf
volkswirtschaftliche Verhältnisse mit der
Kupferwährung
aufgepfropft wurde. Da kann es denn nicht
überraschen, dass die damalige Zeit von einem wahren
Hunger nach Metallgeld getragen war, und dass eben diese
ganz ausserordentliche Ueberschätzung des Geldes
ihren rechtlichen Ausdruck fand in jenem furchtbaren
Kredit- und Schuldrecht für Geld-Darlehen, das die
Römer als nexum bezeichnen.
Dieses nexum bedeutete ursprünglich die
unbeschränkte Vertrags- und Wucherfreiheit für
den Darlehensverkehr mit möglichst abgekürztem
Exekutionsverfahren zu Gunsten des Gläubigers. In
Gegenwart von fünf Zeugen und unter Zuziehung eines
gelernten libripens wurde das Darlehen in Baar dem
Schuldner zugewogen, worauf sich dieser für
Einhaltung der Rück- und Zinszahlungs-Bedingungen
mit seiner Person in feierlicher Weise verpfändete.
Wurden bis zum Verfalltage die Verpflichtungen nicht
erfüllt und waren dann auch noch die 30 dies iusti
unbenützt verstrichen, so legte der Gläubiger
einfach Hand an den säumigen Schuldner und erwarb
ihn damit als Schuldsklaven (nexus) mit der Wirkung, dass
der Betroffene nicht einmal mehr einen begründeten
Einspruch zu Gunsten seiner Freiheit vor dem Richter
erheben konnte. In diesem Falle musste ein anderer
römischer Bürger als vindex die Klage auf
Freilassung erheben. Und auch dieses uneigennützige
Eintreten für einen unglücklichen Schuldner war
nicht ohne Gefahr. Denn wurde die Klage abgewiesen, so
musste der vindex die doppelte Schuldsumme als Strafe
erlegen.
Nun war dieses furchtbare Kredit- und Schuldrecht in
ruhigen, geordneten Zeiten wohl deshalb von weniger
einschneidender Bedeutung, weil kein dringender Anlass
zur Aufnahme von Gelddarlehen vorlag. Aber ruhig und
geordnet waren die Zeiten im alten Rom nicht immer. Die
häufigen Kriege und feindlichen Einfälle
zerstörten die Fluren und
führten zur Vernachlässigung des Ackerbaues und
damit zu Mangel an Brotgetreide und zu Hungersnot. Die
Beziehungen zu den Handelsvölkern des
mittelländischen Meeres erfassten nach guten Ernten
das einzige für den Export disponible und von den
Handelsvölkern immer begehrte Gut der römischen
Volkswirtschaft: das Getreide. Die
allgemeine Ueberschätzung des Geldes hat nur zu
leicht einen grösseren Prozentsatz der Ernte
verkaufen lassen, als ratsam war. Und kam ein
ungünstiges Jahr hinterher, dann waren abermals
Teuerungszeiten unvermeidlich. Mit der Erbauung der Stadt
Rom ging die Zeit bald zu Ende, in der Mangel an Getreide
kurzer Hand durch Auswanderung der Jungmannschaft
ausgeglichen werden konnte. Die Stadt hatte ein ganz
anderes Interesse an der Erhaltung ihrer Bürgerzahl,
und die Bürger selbst waren mit dem Wachstume der
immobilen Werte sesshafter geworden. Deshalb greift, wie
die Ueberlieferung schon für das Jahr 491 v. Chr.
bestätigt, auch der altrömische Staat zur
Politik der öffentlichen
Getreide-Magazinierung und der staatlichen
Getreideaufkäufe in Sizilien und
Umbrien, womit besondere Beamte, Aedilen
genannt, betraut wurden. Der Weg vom ver sacrum zu den
staatlichen Getreide-Magazinen unter verantwortlicher
Leitung der Aedilen war indes mit Notjahren bepflastert.
Die staatlichen Getreidetransporte sind gewiss auch im
alten Rom nicht vor der Zeit der Not
eingetroffen. Inzwischen musste das hungernde Volk leben
und also Getreide kaufen, und wenn es das eigene
Vermögen bereits hingegeben hatte, Schulden machen.
Und das sind die Zeiten, wo die Vertrags- und
Wucherfreiheit mit dem abgekürzten
Exekutionsverfahren des nexum unter dem bäuerlichen
und gewerblichen Mittelstande verheerend wie die Cholera
gewirkt haben muss.
Die römischen Kapitalisten
würden sich um die dadurch nur zu sehr
begründeten Klagen des Volkes über das nexum
gewiss kein Jota gekümmert haben, wenn die
fortwährenden ernsten Kriege mit mächtigen
Feinden nicht das Zusammenwirken von Volk und
Kapitalisten unentbehrlich gemacht und der Fall eines
Unterliegens nicht gerade die Kapitalisten am schwersten
bedroht hätte. Das wusste natürlich auch das
Volk. Und da die ehemals freien römischen
Bürger als Schuldsklaven im Kriegsfalle doch immer
in die Legionen eintraten, ward das versammelte Heer zum
Forum, vor dem das geknechtete Volk mit seinen sonst
unerbittlichen Gläubigern und ihrem Schuldrechte
Abrechnung hielt: die Zeiten der römischen
Kriege wurden die Zeiten der römischen
Mittelstandsgesetzgebung.
§ 7. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass auch
die römischen Bauern und Gewerbetreibenden
zunächst mit Versprechungen sich zufriedenstellen
liessen. Die Gläubiger werden damit in der Zeit der
Kriegsnot nicht gekargt haben. Als aber der Krieg
glücklich beendet war, kümmerten sich die
patrizischen Richter wenig um die vorher gegebenen
Versprechen. Ein geschriebenes Recht gab es nicht. Man
urteilte nach dem Herkommen, dessen Auslegung der
Willkür der Richter Thür und Thor öffnete.
Und bald wurde das nexum wieder in der alten,
vernichtenden Strenge angewandt.
Das enttäuschte Volk forderte deshalb beim
nächsten Kriegsfalle bessere Garantien als leere
Versprechen. Man forderte und erhielt besondere
selbstgewählte Staatsbeamte, um die Schuldner gegen
jene furchtbare Gewalt, welche das nexum den
Gläubigern verlieh, persönlich zu
schützen. Zu diesem Zwecke war die Person jenes
Beamten unverletzlich und sein Veto genügte, jeden
wie immer gearteten Akt der Verwaltung oder
Rechtsvollstreckung aufzuhalten. So
entstand Amt und Würde der
Volkstribunen, der tribuni plebis. Und weil
die Hilferufe der bedrängten Schuldner nach
Intervention des Tribunen so häufig gewesen sein
mögen, wie der Ruf nach dem Arzte bei grossen
Epidemien, so wurde die Zahl der Volkstribunen bald von
zwei auf zehn erhöht. Und weiter forderten und
erhielten die Plebejer zwei Volksaedilen
(aediles plebis), die den Tribunen als Gehülfen zur
Seite standen und besonders den Marktverkehr zu
überwachen und dem Treiben der
Getreide-Wucherer entgegenzutreten hatten. Ferner
forderte der Mittelstand zur Abstellung der richterlichen
Willkür ein geschriebenes Recht, in dem
seine Wünsche über Kredit- und Exekutionsrecht
in unzweideutiger Weise Ausdruck finden sollten. Zu
diesem Zwecke wurde im Jahre 451 v. Chr. eine Kommission
von zehn Männern (Decemviri) erwählt, die nur
aus Patriziern bestand, die Geschäfte des Staates
übernahm und beauftragt war, ein allgemeines
Gesetzbuch auszuarbeiten und zu erlassen. Als ihre auf
zehn Tafeln eingegrabenen Gesetzesbestimmungen dem Volke
und dessen Wünschen nicht entsprachen, wurden im
folgenden Jahre 450 v. Chr. noch einmal Decemvirn
ernannt, denen diesmal drei Plebejer angehörten.
Aber auch diese Kommission brachte nur ein Kompromiss zu
Stande. Das im Jahre 450 v. Chr. abgeschlossene XII
Tafelgesetz behielt das nexum bei und führte
nur ein Zins-Maximum von 8 1⁄3%
mit der Bestimmung ein, dass jede diese
Grenze überschreitende Zinsforderung als Wucher mit
der vierfachen Summe bestraft werde. Das römische
Bauernvolk sah sich deshalb auch in seiner gemischten
Zehner-Kommission getäuscht und jagte sie bei erster
Gelegenheit aus dem Amte.
§ 8. Um der Unzufriedenheit der Masse des Volkes
weitere Konzessionen zu machen, kam im Jahre 317 v. Chr.
ein Gesetz zu Stande, welches das
Zinsmaximum auf 4 1⁄6%
ermässigte. Aber die Bauern wollten
nicht bei den unklaren Konzessionen stehen bleiben. Ihr
Ziel war die Beseitigung des nexum. Und weil hier, unter
der geltenden servianischen Verfassung, die Senatoren und
Kapitalisten ganz ausserordentlichen Widerstand
entgegenzusetzen wussten, ging das Streben des Volkes
gleichzeitig darauf aus, den bestehenden weitgehenden
Einfluss seiner Gläubiger auf Gesetzgebung und
Rechtsprechung möglichst zu vernichten.
Schon während des Latinerkrieges
(340 bis 338 v. Chr.) ist es gelungen, das
Bestätigungsrecht des Senates für die
Beschlüsse und Wahlen des Volkes aufzuheben.
Zum vorläufigen Abschlusse aber kam diese
urwüchsige Mittelstandsgesetzgebung erst in den Roms
Existenz auf das äusserste bedrohenden letzten
Samniter-Kriegen (326 bis 275 v. Chr.). Die
lex Poetelia Papiria von 326 v. Chr. hebt
die Schuldknechtschaft auf. Niemand konnte fortan
Schulden halber seine persönliche Freiheit
verlieren. Die lex Genucia von 303 v. Chr.
verbot das Zinsnehmen überhaupt. Die
Zinsen, welche gezahlt waren, wurden als bereits erfolgte
Abzahlung dem Schuldner gut geschrieben. Das
valerische Gesetz von 300 v. Chr. hat den
patrizischen Richtern die Entscheidung über Leib und
Leben der römischen Bürger genommen und einem
Volksgerichte überwiesen. Das Hortensische
Gesetz vom Jahre 287 v. Chr. bestimmte endlich,
dass die Beschlüsse der Volksversammlung
(Plebiscite) für den ganzen Staat
bindend sein sollten.
Der gesetzgeberische Einfluss der Patrizier und
Ritter, denen die servianische Verfassung die absolute
Stimmenmehrheit in den Centuriats-Komitien zugeteilt
hatte, war damit formell beseitigt. Der römische
Mittelstand schien der gesetzgebende Faktor des Staates
geworden zu sein. Und doch
waren gerade von jetzt an die Tage des freien
Bauernstandes gezählt. Der Weg aber, welcher anderen
Faktoren gestattete, die römische Entwickelung jetzt
noch zu diesem Ende zu führen, beginnt mit der
freien Verschuldung und freien Veräusserung
des landwirtschaftlichen Grundbesitzes.
§ 9. Schon die servianische Verfassung hat den
privaten Ackerbesitz durch eine juristische Fiction zur
beliebig veräusserlichen und beliebig
verpfändbaren Ware gemacht. Ein Teil der freien
Bauernschaft in der unmittelbaren Nähe der
römischen Stadtmauern mag seinen Ackerbesitz zu
guten Preisen losgeschlagen haben, um anderwärts,
vielleicht als Client, sein Glück zu versuchen. In
der grossen Mehrzahl der Fälle aber hat gewiss die
unheilvolle Macht des nexum die Bauern von ihrem ererbten
Besitze verjagt und in Schuldsklaven auf den Besitzungen
ihrer Gläubiger verwandelt. Da die senatorischen
Familien von Anfang an das ausschliessliche
Recht der Occupation von Staatsländereien für
sich in Anspruch genommen zu haben scheinen, kam das
verarmte Volk in eine doppelt missliche Lage: zu den
Schulden und zum Verluste seiner Habe trat die
Unmöglichkeit, neue Aecker billig zu erwerben. Und
deshalb ist früh schon in der römischen
Geschichte mit dem Rufe nach Schuldentlastung auch der
Ruf nach Antheil an den Staatsländereien laut
geworden. Die sogenannte licinisch-sextische
Gesetzgebung vom Jahre 376 v. Chr. (leges Liciniae
Sextiae) hat dieser Forderung Rechnung getragen. Den
Schuldnern wurde gestattet, die bezahlten Zinsen
vom Kapitale abzuziehen mit der Verpflichtung, den
Rest binnen drei Jahren in drei Raten zu bezahlen. Und
ferner wurde bestimmt, dass Niemand mehr als 500
Morgen Staatsland in Besitz haben, darauf
nicht mehr als 100 Stück Grossvieh oder 500 Stück Kleinvieh
halten dürfe und unter seinen Knechten einen
bestimmten Teil freier Leute beschäftigen
müsse.
Die hier vorgesehene Schuldentlastung konnte schon
ihrem Wortlaute nach nur eine einmalige sein und deshalb
nur eine vorübergehende Wirkung haben. Die anderen
Bestimmungen, besonders über das
Grundbesitz-Maximum, scheinen kaum eine konsequente
Anwendung erfahren zu haben. Wohl aber ist nicht zu
verkennen, dass von jetzt an mit einer gewissen
Liberalität aus den neuerworbenen Gebieten Aecker an
die römischen Bürger abgegeben wurden. C.
Flaminius bringt 232 v. Chr. das Gebiet der
senonischen Gallier zur Aufteilung. Der latinischen
Meeresküste entlang ziehen sich schon vorher
römische Bürger-Colonien, die in bestimmter
Verbindung mit Rom stehen, während die sogenannten
latinischen Kolonien die Eroberungen in Etrurien und den
Apenninen sichern mussten. Aber damit wuchs die
Entfernung zwischen den römischen Bauern und der
Stadt Rom immer mehr. Ihre rechtliche und politische
Zusammengehörigkeit wurde bald als eine Last
empfunden, die durch ganz bestimmte Massregeln gemildert
werden musste. Schon im Jahre 317 v. Chr. werden
besondere Beamte (Praefecti iuri dicundo)
nach den Kolonien entsendet. Im Jahre 287 v. Chr. wurde
bestimmt, dass an den Markttagen (nundinae)
in Rom Recht gesprochen werde, damit die
Bauern bei ihren Ein- und Verkäufen in der Stadt
gleichzeitig auch ihre Rechtsgeschäfte abwickeln
konnten. Bis dahin waren an diesen Markttagen als
Feiertagen die Gerichte geschlossen. Und im Laufe des 2.
Jahrhunderts erhalten die Kolonien ihre
selbstgewählten Praetores.
§ 10. Das Alles war für den freien
Bauernstand unzweifelhaft eine höchst gefahrvolle
Entwickelung. Die sonst so konsequente
Mittelstands-Gesetzgebung der Samniter-Kriege ist anscheinend ohne ernstere
Bedenken an der Thatsache vorübergegangen, dass die
servianische Verfassung den ursprünglich
unveräusserlichen landwirtschaftlichen
Grundbesitz in eine beliebig
veräusserliche und beliebig
verpfändbare Ware verwandelt hat. In diese
Lücke der Gesetzgebung ist die Macht des Kapitals
hineingewachsen und hat mit einem fortwährend sich
verbreiternden Ringe von Latifundien die Stadt Rom
umschlossen, um langsam aber sicher den Kern der
römischen Bauernschaft aus der allmächtigen
römischen Volksversammlung zu verdrängen. Mit
dem Verschwinden der Bauern aus den regelmässigen
römischen Volksversammlungen verschwand auch ihr
politischer Einfluss in Rom. Und damit waren ihre
Interessen der rechtlichen Missachtung verfallen. Die
Stadt Rom aber wurde durch diesen Ring der
kapitalistischen Latifundien isoliert. Da die
römischen freien Gewerbetreibenden durch massenhafte
Freilassung technisch überlegener griechischer
Gewerbesklaven bald zu überwiegendem Teile
proletarisiert waren, bestand die in Rom
zurückgebliebene gesetzgebende Volksversammlung
eines Tages zumeist aus verarmten Bürgern, welche
durch Hunger und Geschenke gehalten wurden, der
Kapitalistenpartei völlig zu willen zu sein. So hat,
nach Verdrängung der Bauern aus der römischen
Volksversammlung durch Verschiebung ihrer Wohnsitze nach
immer grösserer Entfernung von Rom mit Hülfe
des Hortensischen Gesetzes vom Jahre 287 v. Chr.,
das Kapital im römischen Staate die
Alleinherrschaft erlangt. —
Indes war jetzt nicht die Zeit, um über diese
Dinge und ihre notwendigen Folgen nachzudenken.
Namentlich der zweite punische Krieg (218 bis 201 v.
Chr.) brachte den Staat an den Rand des Verderbens. Nur
mit Einsetzung aller Kräfte ist es gelungen, den
gefährlichen Gegner in der
Schlacht bei Zama (202 v. Chr.) endlich zu
überwinden und mit reicher Siegesbeute nach der
Heimat zurückzukehren. Schon mit der bei der
Eroberung von Tarent (272 v. Chr.) gewonnenen Beute
konnte Rom im Jahre 269 v. Chr. die
Silberprägung beginnen. Im Jahre 207 v.
Chr. folgte die Einführung der
Goldwährung. Um das Jahr 200 v. Chr. brachten
die Friedensverträge mit Karthago (202 v. Chr.), mit
Philipp von Makedonien (197 v. Chr.) und mit Antiochus
III. von Syrien (190 v. Chr.) 115 Millionen Mark
Kriegsentschädigung nach Rom. Im Jahre 168 v. Chr.
wird die Erorberung der Mittelmeer-Länder in der
Hauptsache vollendet. Rom ist ein Weltreich geworden.
Unter so viel Siegesjubel wurde die Frage nach der
Erhaltung des Bauernstandes vergessen. Wer seinen Hof
verloren hatte, konnte jetzt überdies in friedlichen
Zeiten leicht Arbeit finden. Denn überall wurden mit
den erbeuteten Schätzen auf Staatskosten grosse
Bauten aufgeführt. Die allgemeine Konsumkraft des
Volkes ist in dieser Zeit gewiss gestiegen. Vor Allem ist
aber jetzt die Zeit, wo das römische Grosskapital
beginnt, seine gewonnene Herrschaftsposition in
schamlosester Weise auszunützen.
§ 11. Die Staatsdomänen (ager publicus) auf
italischem Boden werden mit thunlichster Eile occupiert.
Um die gesetzliche Abgabe an den Staat von 1⁄10 der Halmfrucht
und 1⁄5 der
Baumfrucht kümmert man sich wenig. Und wo
Grundstücke im Besitze unterworfener Volksgenossen
oder auch römischer Bauern dieser Latifundienbildung
im Wege liegen, da werden sie entweder aufgekauft mit
Zustimmung des Besitzers, nachdem derselbe der
fortgesetzten schweren Schädigungen durch die
grossen Viehherden des Nachbarn müde geworden, oder
sie werden gewaltsam annektiert. Während die
römischen Bauern vor dem Feinde die Siege für
das Vaterland erkämpfen, werden ihre
zurückgebliebenen
Angehörigen von Haus und Hof verjagt. Bis der
Krieger nach Friedensschluss in die Heimat
zurückkehrt, sind Weib und Kind im Elend verdorben
und gestorben. So haben die römischen
Grosskapitalisten mit der unüberwindlichen
römischen Bauernschaft auf italischem Boden
aufgeräumt, die noch in den furchtbaren Kriegen
gegen Hannibal (218 bis 201 v. Chr.) jährlich 70'000
Mann in’s Feld stellen konnte. Kaum 60 Jahre
später findet Tiberius Gracchus in ganz
Etrurien fast nur mehr Viehherden und
Sklaven aus Barbaren-Ländern. — Wenn aber
schon auf italischem Boden so frech Alles zusammengeraubt
wurde, dann kannte die Unersättlichkeit des Kapitals
in den überseeischen Provinzen natürlich noch
weniger eine Grenze. Latifundien wurden an Latifundien
gereiht und mit Sklaven besetzt, die früher
hauptsächlich das nexum und die Kriege, jetzt die
Kriege, die Sklavenmärkte und der Menschenraub
lieferten. Auf dem berühmten Sklavenmarkte der Insel
Delos wurden Morgens bis zu 10'000 Sklaven aufgetrieben,
um bis zum Abende leicht verkauft zu sein. Und als die
Kriege nicht mehr genug Sklavenmaterial lieferten,
erlangte unter dem stillschweigenden
Einverständnisse der römischen Kapitalisten der
Menschenraub durch die Piraten eine grossartige,
staatsähnliche Organisation. Auf Sizilien wurden von
den römischen Herren so viel freie Bürger
gewaltsam in die Reihen ihrer Sklaven eingestellt, dass
die Klage darüber bis nach Rom drang und ein
besonderer Gerichtshof zur Untersuchung dieser
Verhältnisse eingesetzt wurde. Als aber dieses
Gericht binnen kurzer Zeit bei 800 gewaltsam als Sklaven
eingefangenen Freien die Fesseln lösen musste, wurde
seine Thätigkeit von Rom aus unterdrückt. Um
das Jahr 100 v. Chr. berichtet der König von
Bithynien nach Rom: er sei ausser Stande, den geforderten
Zuzug von Hilfstruppen zu leisten, weil die
römischen Kapitalisten alle waffenfähige
Mannschaft in die Sklaverei weggeführt haben.
So wuchs natürlich mit der
Grösse der Latifundien auch die Zahl der Sklaven.
Während nach der Ueberlieferung der erste
römische König Romulus nur zwei Morgen
Ackerland als volles Eigentum an jeden Bürger
verteilt haben soll, und noch zur Zeit der servianischen
Verfassung unter den 188 Centurien, in welche die
römischen Grundbesitzer eingeteilt wurden, 80
Centurien Vollhufner mit fünf Hektaren Grundbesitz
gezählt werden, waren gegen Ende des 2. Jahrhunderts
v. Chr. auf der leontinischen Feldmark nur 84 Besitzer
mit durchschnittlich 100'000 Hektaren urbaren Landes. Aus
dem 1. Jahrhundert v. Chr. wird von dem Freigelassenen G.
Caecilius berichtet, dass er auf seinen Besitzungen 4116
Sklaven mit 3600 Joch Ochsen und 257'000 Stück
sonstigen Viehes hinterlassen habe. An dem
Sklaven-Aufstande auf Sizilien im Jahre 104 v. Chr.
sollen 70'000 Sklaven beteiligt gewesen sein.
Endlich verschärfte sich mit der Zahl der Sklaven
in der Hand der einzelnen Herren auch die
rücksichtslose Ausbeutung derselben. Nach den
ältesten Ueberlieferungen, welche auf einen Sklaven
drei Herren zählten, hatte der römische Sklave
rechtlich und thatsächlich die gleiche Stellung wie
der Haussohn. Beide gehörten zur Familie. Und noch
des älteren Cato Frau hat in der ersten Hälfte
des 2. Jahrhunderts v. Chr. als Vertreterin der guten
alten Sitten Sklavenkinder an der eigenen Brust gestillt,
um ihre Zuneigung für die Herrenfamilie zu gewinnen.
Als aber die Römer auf Sizilien die punischen
Plantagen-Wirtschaften übernahmen, behielten sie
auch das System der strenge bewachten und mit Ketten
gefesselten Ackersklaven bei, welche die Nächte in
unterirdischen Zwingern verbringen mussten und mit dem
stimulus, dem Stachelstocke des Treibers, dem Ackerstiere
gleich, zu rascherem Tempo bei der Arbeit angetrieben
wurden. Dies System übertrugen die Römer sogar
noch auf italischen Boden.
§ 12. Wohl von allem Anfange an
haben diese Latifundien die Viehhaltung dem Getreidebaue
vorgezogen. Das bezeugen schon die vielen Verurteilungen
der grossen Herdenbesitzer (pecuarii) wegen
Schädigung der Bauern, welche die römischen
Annalen erwähnen. Getreide wurde nur so viel gebaut,
als zur Deckung des eigenen Bedarfes nötig war. Und
höchstens innerhalb der grösseren Nähe der
Stadt rentierte es sich noch, Getreide für den Markt
zu produzieren, obwohl schon in der zweiten Hälfte
des 3. Jahrhunderts v. Chr. sowohl die Aedilen als auch
Private gelegentlich zur Linderung der durch den zweiten
punischen Krieg bewirkten Not Getreide zu billigeren
Preisen und ab und zu auch umsonst an das Volk abgegeben
haben, was naturgemäss den Getreidemarkt unsicher
machen musste. Mit der Vernichtung des römischen
Getreidebauern durch die fortschreitende Ausdehnung der
Latifundien hat deshalb schon im Laufe des 3.
Jahrhunderts die Verdrängung des Getreidebaues durch
Viehwirtschaft, Oel- und Weinbau begonnen, um nach dem
Anfalle Siziliens an Rom, unter der Einwirkung des
reichen sizilianischen Getreide-Zehents in
erschreckend kurzer Zeit so vollständig
durchgeführt zu werden, dass Rom aufgehört hat,
sich mit auf italischem Boden gewachsenem Getreide zu
versorgen.
Aber auch Sizilien ist nicht lange die römische
Kornkammer geblieben. Es mussten ja auch Sardinien,
Spanien und Afrika ihren Getreidezehent nach Rom
schicken. Und da jede anderweitige Getreideausfuhr aus
den Provinzen verboten war, strömten immer
grössere Getreidemassen in Rom zusammen, so dass bei
einem Durchschnittspreise auf dem freien Markte von 107
bis 133 Mk. pro Tonne Weizen der Preis für die
staatlichen Getreideabgaben im Laufe des 2. Jahrhunderts
auf 42 Mk. 84 Pf. herabgesetzt und sogar mit 5 Mk. 66 Pf.
pro Tonne beantragt werden konnte. So war
denn auf Sizilien der Weizen bald beinahe
unverkäuflich, bald bei vorübergehender
Knappheit in Folge spekulativer Preistreiberei auf 535
Mk. 50 Pf. pro Tonne gestiegen. Der Getreidebau hatte
damit für Sizilien aufgehört, eine
einigermassen sichere Einnahme zu bilden. So ging man
auch auf Sizilien im Laufe des 2. Jahrhunderts vom
Getreidebaue zur Viehzucht und zwar hauptsächlich
zur Pferdezucht über. Die Kornkammer Roms wanderte
weiter nach Spanien und Afrika und später nach
Aegypten und dem Pontus. Die Bevölkerung Roms wurde
aus immer grösseren Entfernungen mit Brotgetreide
versorgt.
Neben dieser rein landwirtschaftlichen Produktion
hatten die Latifundien hauptsächlich noch
Sandsteingruben, Ziegelwerke, Filzfabriken,
Töpfereien und in günstigen Fällen auch
bergmännische Betriebe. Ebenso war die Deckung des
eigenen Bedarfes an den einfacheren gewerblichen
Produkten durch Eigenproduktion früh schon Sitte
geworden.
§ 13. Aber warum haben die römischen
Kapitalisten die Latifundienwirtschaft mit Sklavenbetrieb
mit so unerbittlicher Energie zu solch unheilvoller
Ausdehnung gebracht? Der Landhunger, der zur
ältesten Zeit schon den Römern so sehr eigen
war, kann für diese so äusserst gierige
Ausbildung der Latifundien unmöglich zu einer Zeit
noch als zureichende Erklärung dienen, in der die
geldwirtschaftliche Entwickelung bereits zur reinen
Goldwährung vorgeschritten war. Aber auch die
Gewinne, die im Laufe des 2. Jahrhunderts aus dem
landwirtschaftlichen Grossbetriebe gezogen wurden,
können nicht das wahre Motiv dieser furchtbaren
Umgestaltungen sein. Denn selbst die berühmtesten
Muster-Landwirte dieser Zeit sind als Landwirte nicht
mehr wirklich reich geworden. Die Gefahren und
Unannehmlichkeiten, welche mit den
Sklaven-Aufständen verbunden waren, müssen
gelegentlich die Erträge einer Reihe guter Jahre
binnen kurzer Zeit verschlungen haben. Dennoch hingen die römischen
Grosskapitalisten, wie besonders die Geschichte der
Gracchen zeigt, mit einer Zähigkeit und mit einer
Leidenschaft an ihren Latifundien, die selbst vor dem
Morde ihrer nächsten Verwandten mit den
berühmtesten Namen nicht zurückschreckte, wenn
es galt, die zusammengeraubten Aecker zu verteidigen.
Warum? Die Antwort auf diese Frage liegt auf dem Gebiete
der Entstehung des römischen Grosskapitals und
deshalb auf dem Gebiete der Ausbeutung der eroberten
Völker und Länder durch die römischen
Kapitalisten.
War schon von Anfang an die occupatio bellica der
Grundbegriff des römischen Eigentumserwerbes, und
suchte man deshalb selbst auf italischem Boden alles
zusammenzurauben, was irgendwo noch nicht in festen,
kapitalkräftigen Händen war, so galt für
die eroberten Länder, Provinzen und Völker
glattweg die Auffassung, dass sie die Kriegsbeute des
römischen Volkes seien. Kaum war deshalb im Jahre
168 v. Chr. die Eroberung der Mittelmeerländer in
der Hauptsache vollendet, als auch schon durch ein
besonderes Gesetz vom Jahre 167 v. Chr. die Besteuerung
der römischen Bürger aufgehoben und alle
Steuern den Provinzen aufgebürdet wurden. Aber damit
waren die römischen Bürger nur entlastet. Um
sich auch zu bereichern, dazu waren 3 Wege gegeben:
entweder als Statthalter in die Provinzen zu
gehen, oder als Steuerpächter die
Einkünfte der Provinzen zu pachten, oder als
römischer Kaufmann und Geldverleiher in
den Provinzen zu arbeiten.
§ 14. Um als Statthalter in eine Provinz zu
gehen, musste man vorher eine der höchsten
Staatswürden in Rom als Konsul oder Prätor
erlangt haben. Diese höchsten Würden hatten
ihre amtlichen Vorstufen wie das Censoren- und Aedilenamt
u.s.w. Alle diese Aemter wurden
durch Wahl der römischen Volksversammlung besetzt.
Und gewählt wurde, wer den
Wählern die grösseren Geschenke machte. Hierzu
waren schon seit dem 3. Jahrhundert v. Chr.
Getreidespenden ganz besonders beliebt. Wer
aber grössere Mengen Getreides für diesen Zweck
zur Verfügung haben wollte, durfte als Regel nicht
an Kaufen auf dem römischen Markte denken. Denn
dadurch wäre fast unvermeidlich eine Preissteigerung
bewirkt worden, was nicht nur die Baarausgaben in’s
Ungemessene gesteigert hätte, sondern obendrein
anstatt der Zuneigung den Zorn des Volkes erwecken
musste. Jeder Bewerber um höhere Staatsämter
war deshalb darauf angewiesen, Latifundien mit Sklaven zu
besitzen, um selbst das Getreide zu bauen, mit dem er
seine Wahlstimmen zu kaufen versuchte.
Neben den Getreidespenden waren die römischen
Wähler bald auch die Zuwendung von Geld und
Spielen gewohnt, die wieder viel Geld kosteten.
Dieses Geld wurde, soweit der Vorrat reichte, aus der
eigenen Tasche genommen. War aber die Konkurrenz der
Bewerber gross, dann mussten von den Wahlgesellschaften
(sodalicia) bei den römischen Bankiers noch
Wahlanleihen aufgenommen werden, die gelegentlich wie z.
B. am 15. Juli des Jahres 54 v. Chr. — den
römischen Geldmarkt so stark in Anspruch nahmen, das
der Zinsfuss plötzlich von 4 auf 8% stieg. Diese Anleihen mussten
natürlich sichergestellt werden. Und die für
grössere Beträge einzig gangbare Sicherstellung
war zuletzt die Hypothek auf Grundbesitz. So
hatten also die üblichen Spiele, Getreide- und
Geldspenden bei der Bewerbung um die höheren und
höchsten Staatsämter gleich sehr zur
Voraussetzung den Besitz von Latifundien mit Sklaven.
Der dadurch stark verschuldete Konsul oder Prätor
zog dann nach Beendigung seines Amtsjahres als
Statthalter in eine Provinz, in der er sich als Besitzer,
als possessor einer Staatsdomäne fühlte, auf
welcher er der kurz bemessenen Amtsdauer
wegen Raubbau treiben musste. Die ungeheueren Summen, die
er für Wahlbestechungen ausgegeben hatte,
betrachtete er als Anlagekapital. Um diesen Betrag binnen
kurzem mit Gewinn herauszuwirtschaften, konnte der
Einzelne kaum enthaltsam sein. Der Statthalter
verfügte völlig eigenmächtig über die
Steuerkraft der Provinz, namentlich über die
Kopfsteuer, und erlaubte sich auch sonst alle
möglichen Erpressungen. Typisch
für diese Art von Berufsausübung ist
bekanntlich die Laufbahn des Verres. Nachdem
er im Bürgerkriege 82 v. Chr. die Kriegskasse
unterschlagen und durch Uebergang zur sullanischen Partei
sich Straflosigkeit erwirkt hatte, begann er als quaestor
seine Laufbahn. Als solcher hat er Erbschleichereien,
Diebstahl, Unzucht, Raub- und Gewaltthat in allen
Variationen verübt. Mit seinen derart
zusammengescharrten Schätzen wusste er nicht nur
einen Prozess wegen Erpressung abzuwenden, sondern sich
auch die Prätur zu erwerben. Als Stadtprätor
sprach er Recht, je nachdem man ihn oder seine Geliebte
bezahlt hatte. Dann erhielt er die Verwaltung der reichen
Provinz Sicilien. Und hier hat er als Statthalter so
gehaust, dass die Verlesung des von Cicero gegen ihn
beigebrachten Beweismaterials 9 Tage ihn Anspruch nahm.
Darin konnte nachgerechnet werden, dass er in
einem Jahre die Provinz um 7 Millionen Mark
ärmer gemacht habe. Nicht nur Wohlhabende hat er
gebrandschatzt, er hat auch die Landwirte so ausgeraubt,
dass viele von ihnen die Ackerbestellung aufgaben, weil
unter diesem Raubsystem der Acker doch nichts
einbrachte.
Und so allgemein verbreitet war diese Art der
Ausplünderung der Provinzen, dass selbst der
„ehrenwerte“ Brutus in Asien sich der
schändlichsten Volksausbeutung schuldig machte, und
der Philosoph Seneca, der so schön von Tugend und
Menschenwürde zu schreiben wusste, in Britannien den
schamlosesten Wucherer spielte.
§ 15. Um als römischer
Steuerpächter, publicanus genannt, an der
Verpachtung der Steuern, Zölle, Abgaben, Bergwerke
u.s.w. teilnehmen zu können,
musste Kaution gestellt werden. Diese hohen
Kautionsbeträge konnten unmöglich aus barem
Gelde bestehen. Wertpapiere und Wechsel in unserem Sinne
sind bei der Hast, welche die römische
Wirtschaftsentwicklung auszeichnet, nicht zur Ausbildung
gekommen. Deshalb war der römische Kapitalismus hier
gewissermassen in der Hülse der auf der Basis des
Grundbesitzes organisierten Naturalwirtschaft stecken
geblieben. Die der Staatskasse zu gewährenden
Sicherstellungen mussten in der Hauptsache in Grundbesitz
geleistet werden. Diese Realkaution wurde ferner auch um
deswillen bevorzugt, weil ein wesentlicher Teil der
Provinzialsteuern in natura entrichtet wurde. Also
mussten auch die römischen Steuerpächter nach
Latifundien mit Sklavenarbeit trachten.
Hatte der Einzelne bei der öffentlichen Vergebung
der Staatsgefälle den Zuschlag erhalten, so ging er
hinaus in seine Provinz, um die Steuererhebung in einer
so gewissenlosen Weise geschäftsmässig
auszubeuten, dass jeder Einheimische, der sich irgendwie
daran beteiligte, unter seinen Landsleuten für
ehrlos galt. Sobald die an sich schon hoch gegriffenen
Gefälle nicht pünktlichst entrichtet wurden,
kamen wucherische Verzugszinsen in Anwendung, für
deren Begleichung die publicani das Vermögen
ebensowenig wie die Menschen schonten. Suchte aber der
Steuerzahler dieser Gefahr dadurch zu entrinnen, dass er
den betreffenden Betrag als Kredit bei einem Geldleiher
flüssig machte, so kam er aus dem Regen in die
Traufe. Denn in den Provinzen galt dem römischen
Geldverleiher das nexum, das durch die Gesetzgebung der
Samniterkriege nur für die römischen
Bürger und durch das Gesetz von 193 v. Chr. nur
für die italischen Bundesgenossen aufgehoben wurde.
So war es denn möglich, dass in
ungünstigen Jahren die römischen
Steuerpächter und Kaufleute fast die ganze
wehrfähige Mannschaft eines Landes als Schuldsklaven
wegführen konnten, wie der oben erwähnte
Bericht des Königs von Bithynien bestätigt.
Fast scheint es, als ob man planmässig darauf
ausgegangen sei, die Bevölkerung der unterjochten
Länder durch rücksichtslose Ausbeutung zum
Aeussersten zu treiben, um dann entweder
— wie bei den Juden — das ganze Volk mit
seinem Vermögen als Kriegsbeute wegzuschleppen, oder
durch Kriegskontributionen beinahe das Gleiche zu
vollziehen.
Besonders charakteristisch war die ausgiebige
Verwendung der Machtmittel des römischen
Staates zur Realisierung der privaten
Geschäftsgewinne der römischen Kapitalisten:
Pompejus hatte dem kappadozischen
Prinzen Ariobarzanes grosse Darlehne
gemacht. Wollte sein Client nicht weiter zahlen, so
drohte Pompejus: er werde baldigt selbst dorthin kommen
und gegen die Parther ziehen, und das half. Gegen
denselben Fürsten liess Cicero
während seiner Statthalterschaft von Cilicien
militärisch einschreiten, um seinem Freunde M.
Junius Brutus zu seinem Gelde zu verhelfen. Als
die Salaminier (auf Cypern) in Rom ein
Anlehen machen wollten, was das Gabinische Gesetz verbot,
liess ihnen Brutus durch seine Agenten die
Summe zusagen, allerdings nur für die Kleinigkeit
von 48% Zinsen. Dafür
setzte Brutus ein Gesetz durch, welches die Klausel des
hindernden Gesetzes aufhob. Bald aber ging dem edlen
Brutus die Zinszahlung nicht flott genug ein, und der ihm
befreundete Statthalter Appius half ihm
mittelst Dragonade die Zinsen eintreiben. Zum Glück
für die Salaminier begann bald darauf die
Statthalterschaft Ciceros, und dieser besass
doch beinahe ebensoviel Ehrenhaftigkeit wie
Freundschaft gegen Brutus; er sistierte das
Verfahren wenigstens zeitweise.
So kam denn gelegentlich der Hass der
unterdrückten Völker gegen ihre römischen
Ausbeuter in blutiger Weise zum Ausbruche. Im
Mithridatischen Kriege sollen im Jahre 88 v. Chr. an
einem Tage mit Hülfe der
kleinasiatischen Griechen 80'000, und im Jahre 61 v. Chr.
in Britannien 70'000 Römer erschlagen worden sein.
Als dann Sulla im Jahre 84 v. Chr. Kleinasien eine
Kriegssteuer von 102 Millionen Mark auferlegte, die von
römischen Kapitalisten vorgestrekt wurden, weil das
Volk nicht selbst bezahlen konnte, da war binnen 14
Jahren die Schuldsumme auf das Sechsfache gewachsen, so
dass die Gemeinden ihre öffentlichen Gebäude,
die Eltern ihre Kinder verkaufen mussten, um den
unerbittlichen Gläubigern gerecht zu werden.
Griechischen Städten haben im
gleichen Jahre zur Bezahlung der ihnen auferlegten
Kriegssteuer römische Bankiers ein grösseres
Darlehen gewährt zu einem Zinsfusse von
48% —
„weil sonst Niemand leihen wollte.“
Solch einträgliche Geschäfte konnte mit
Hülfe seiner Freunde nur machen, wer reich war. Wer
aber reich werden wollte, der musste vor allem bestrebt
sein, Latifundien mit Sklaven zu erwerben, ohne welche
die Anteilnahme an den besten Geschäften
unmöglich war. So kam es, dass im republikanischen
Rom nicht nur jeder Bewerber um die höchsten
Staatsämter, jeder Steuerpächter und jeder
reiche Kaufmann, sondern auch jeder Parvenu mit um so
grösserer Gier nach Grundbesitz trachtete, je
reichlicher die Geldgewinne aus dem kapitalistischen
Erwerbe flossen, und dass dieselbe Klasse von Personen im
kaiserlichen Rom einen grossen Teil ihrer Latifundien mit
Sklaven wie wertlose Sachen aufgelassen hat in demselben
Augenblicke, wo durch die kaiserliche Rechtsordnung das
bisher übliche Ausbeutungs-System der Provinzen
durchschnitten wurde.
§ 16. Indessen ist so viel
gewiss: dieses Räubergewerbe der römischen
Kapitalisten hatte die völlige Proletarisierung der
gesetzgebenden römischen Volksversammlung zur
unerlässlichen Voraussetzung. Als durch die
licinisch-sextische Gesetzgebung vom
Jahre 376 v. Chr. das Monopol der senatorischen Familien
auf die Staatsdomänen gebrochen werden sollte zu
Gunsten einer liberalen Verteilung der eroberten
Ländereien an die römischen Bürger,
bestand der Kern der römischen Volksversammlung noch
aus altrömischen Bauern. Und diese hatten ein
Interesse nicht nur an den gemeinsamen
Koloniengründungen, sondern auch an den
Viritanassignationen zu quiritarischem Eigentum. Denn
beide boten Gelegenheit, die überzähligen
Söhne mit geringen Kosten als Landwirte zu
verselbständigen. Als aber dann durch den immer mehr
sich verbreiternden Latifundiengürtel der
Grosskapitalisten um die Stadt Rom herum die freien
Bauern aus der römischen Volksversammlung
verdrängt wurden, und die allein
zurückgebliebene hauptstädtische
Bevölkerung rasch verarmt und auf das Gnadenbrot der
Reichen angewiesen war, da stand nach dem
unausbleiblichen Fiasko der Gracchischen
Bewegung im Jahre 121 v. Chr. niemand
in den Reihen der gesetzgebenden
Volksversammlung, der nicht Kapitalist gewesen wäre
oder von kapitalistischem Brote gelebt hätte. Und
deshalb kam damals die Aufhebung der
Veräusserungsverbote für das Land der
gracchischen Bauerngründungen, wie für das
ungeteilte Gemeindeland zur Annahme. Wenn das
römische Volk im Jahre 118 v. Chr. bestimmte, dass
fortan die allgemeinen Landesverteilungen an die
römischen Bürger aufhören sollten, um die
eroberten Feldmarken ganz der Occupation durch die
Kapitalisten zuzuführen, mit dem charakteristischen
Zusatze, dass die Occupationsgebühren für diese
Ländereien unter die bedürftigen römischen
Bürger verteilt
werden sollten, so war das nur die gesetzliche Sanktion
einer bereits allgemein eingebürgerten Sitte. Die an
ein müh- und arbeitsloses Dasein gewöhnten
Proletarierbürger hatten schon vorher immer das
durch Viritanassignationen ihnen zugefallene Land an den
nächsten kauflustigen Kapitalisten um billigen Preis
verkauft. Die Lust, im Schweisse ihres Angesichtes als
Bauern zu leben, war ihnen längst abhanden gekommen.
Als aber im Jahre 111 v. Chr. ein Gesetz zur Annahme kam,
welches das von Bürgern in Besitz genommene
Gemeindeland in abgabenfreies Privateigentum der
augenblicklichen Besitzer verwandelte, da handelte es
sich gewiss weniger um einen Willensausdruck des
besitzlosen Proletariates, als vielmehr um einen
gesetzmässigen Ausdruck für die
unumschränkte Herrschergewalt, welche das Kapital in
Rom erlangt hatte.
§ 17. Was waren die Folgen dieser
Alleinherrschaft des Kapitalismus in Rom? Der alte
unabhängige Mittelstand wurde vernichtet, und
Reichtum und Armut sind in die Thore der ewigen Stadt Rom
eingezogen. Die servianische Verfassung schätzt aus
der Gesamtzahl von 193 Centurien nach den 18 Centurien
der Wohlhabenden noch 80 Centurien Vollhufener mit einer
Vermögensgrenze nach unten im Werte von 7000 Mark.
Im Jahre 104 v. Chr. konnte der Tribun Philippus in
öffentlicher Rede erklären, dass es in Rom
nicht mehr 2000 Personen gebe, welche ein Vermögen
hätten. Diese Verarmung des Volkes durch
Bereicherung der oberen Zweitausend hat sich anscheinend
in erschreckend kurzer Zeit vollzogen. Als um das Jahr
200 v. Chr. die Gesandten Karthagos von Rom nach ihrer
Heimat zurückkehrten, erzählten sie
spöttelnd, dass für sämtliche
römische Senatoren ein einziges silbernes
Tafelgeschirr ausreiche, dem sie bei ihren Einladungen
überall begegnet seien. Quintilius Fabius, der Neffe
des Scipio Africanus, der im Jahre 121 v. Chr. Konsul
war, brachte es schon auf 1000 Pfd.
Silberzeug. Und Marcus Drusus, Volkstribun von 91 v.
Chr., soll 10'000 Pfd. Silberzeug besessen haben.
Aemilius Paulus, der Sieger von Pydna (150 v. Chr.),
hatte nur ein Vermögen von 300'000 Mark und galt
deshalb nicht für einen reichen Senator. Nur 30
Jahre später wurden 684'000 Mark als ein
mässiges Senatorenvermögen bezeichnet. Und um
das Jahr 50 v. Chr. hinterliess Pompeius 16 Millionen,
sein Freigelassener Demetrius 18 1⁄2 Millionen Mark, während
Crassus, der Freund Caesars, trotz seiner ungeheuren
Spenden an das Volk bei seinem Tode noch ein
Vermögen von 39 Millionen Mark sein Eigen
nannte.
Dieser wachsenden Anhäufung des Reichtums in den
Händen der oberen Zweitausend steht die Verarmung
der Massen direkt proportional zur Seite. Die
servianische Verfassung hat die Dienstleistung im Heere
an den Besitz eines Minimalvermögens von 770 Mark
geknüpft. Im Jahre 146 v. Chr. musste dieser
Minimalcensus von 770 auf 300 M. herabgesetzt und
gleichzeitig die Dienstzeit verlängert werden, um
noch genügend Soldaten für die Armee zu
erhalten. Als aber dann die römischen Heere
Niederlage auf Niederlage erlitten, hat Marius im Jahre
107 v. Chr. den Vermögenscensus für den
Heeresdienst ganz aufgehoben und seine römischen
Legionen aus Besitzlosen, aus Proletariern gebildet. Die
Schuldgesetze mit dem Zinsverbot, welche ein starker,
kerniger Mittelstand während der Samniterkriege (327
bis 275 v. Chr.) den Kapitalisten abgetrotzt hatte, waren
jetzt längst in Vergessenheit geraten. Und als in
der schweren wirtschaftlichen Krisis des italischen
Bundesgenossenkrieges (91 bis 88 v. Chr.) A. Sempronius
Asellio im Jahre 89 v. Chr. dieses niemals aufgehobene
Schuldgesetz wieder zur Anwendung bringen wollte, wurde
er von Gläubigern auf dem Forum erschlagen, ohne
dass sich das römische Volk viel darum gekümmert hätte. Die
Proletarier hatten keinen Kredit mehr in Anspruch zu
nehmen, deshalb waren ihnen die Schuldgesetze
gleichgültig geworden.
§ 18. Weil die grosse Masse des Volkes in Rom
jetzt völlig verarmt war, war sie auf Geschenke und
Bestechungen angewiesen, wenn sie nicht verhungern
wollte. In grossen Wirtshäusern speisend, in
armseligen Schlafstellen wohnend, fehlte dem
römischen Bürgerproletariat fast jede
Gelegenheit, sich auf ehrliche Weise etwas zu verdienen,
nachdem die Grosskapitalisten alle Produktionsmittel an
sich gerissen und überall die billigere
Sklavenarbeit verwendeten. Man war deshalb namentlich
bestrebt, als Client in den Dienst eines vornehmen Herrn
zu kommen, aber nicht, um wie früher, dessen Felder
zu bebauen, sondern um morgens schön
untertänigst Aufwartung im Hause des Herrn zu
machen, dann zum Forum und zum Campus Martius zu gehen,
um Neuigkeiten zu erfahren und den Herrn ehrerbietigst
bei seinem öffentlichen Auftreten zu begleiten.
Dafür erhielt der Client als Lohn Geld und Speise.
Der Herr wurde jetzt auch nicht mehr
„Patronus“, sondern „Dominus“
angeredet. Das alte, mit religiösen Gebräuchen
umwobene feudale Clientenverhältnis hatte die
kapitalistisch – proletarische Entartungsformen
angenommen.
Weil aber unmöglich alle Proletarierbürger
bei den oberen Zweitausend als Clienten unterkommen
konnten und ferner die regelmässigen, jährlich
wiederkehrenden Wahlen die Gewinnung der
stimmberechtigten Massen für Einzelne bedingten, sah
man sich bereits gegen Ende des dritten Jahrhunderts
veranlasst, regelmässiger zu dem Mittel
privater Getreidespenden an das Volk zu
greifen. Als dann Sizilien, Spanien und Afrika an Rom
gefallen waren und damit den Reichen in den höchsten
Staatsämtern die vollen Naturalzehnten dieser
Provinzen zur Verfügung standen, ging man mit diesen
Staatsmitteln sofort
natürlich weit verschwenderischer um. Während
vorher der Durchschnittspreis für Weizen in Rom etwa
107 bis 133 Mk. per Tonne war, wurde schon im Jahre 203
und 201 v. Chr. Staatsweizen an bedürftige
römische Bürger um 27 Mk. 54 Pfg. und im Jahre
196 v. Chr. sogar um nur 13 Mk. 46 Pfg. abgegeben. Als
dann Gaius Gracchus im Jahre 123 v. Chr. durch seine
lex frumentaria das Recht der verarmten
Bürger auf staatliche Getreidelieferung
einführte, hat er wenigstens den Preis auf 42 Mk. 84
Pfg. pro Tonne hinaufgesetzt. Die Konkurrenz der
Machthaber war indes schon um das Jahr 58 v. Chr.
bei der kostenlosen Verteilung des staatlichen
Getreides angelangt.
War so durch Getreidespenden und durch den
Schmeichlerlohn der Clienten der Hunger gestillt, so war
doch bei der herrschenden Arbeitslosigkeit die Langeweile
damit noch nicht überwunden, die unter
Umständen den Machthabern hätte gefährlich
werden können. Also wurde durch Spiele das Volk
kurzweilig unterhalten. Aber das waren nicht etwa
sittlich veredelnde scenische Darstellungen. Nein! auch
die römischen Kapitalisten spekulierten auf die
niedrigen Empfindungen der Volksmassen und gaben blutige
Gladiatorenkämpfe, Tierhetzen, Seeschlachten,
Satiren mit Witzen gemeinster Art und Pantomimen mit
Tänzerinnen im blossen Hemde. Und der Luxus bei
diesen Spielen ist rasch immer mehr ausgeartet. Im Jahre
103 v. Chr. wurden zum ersten Male einige Löwen
vorgeführt. Im Jahre 93 v. Chr. liess Sulla schon
100 Löwen in der Arena auftreten; Pompeius
überbot diese Leistung mit 500 Löwen und
ebensoviel anderen wilden Tieren aus Afrika. Zu den
Gladiatorenspielen wurden ganze Fechterkasernen gehalten.
Caesar lässt im Jahre 65 v. Chr. 320 Fechterpaare in
silberner Rüstung auftreten und überbietet
damit alle seine Mitbewerber für den nachfolgenden
Wahltag. So wollte sich denn
gelegentlich im ersten Jahrhundert v. Chr. niemand mehr
finden, der sich für das Aedilenamt, das für
diese Spiele zu sorgen hatte, persönlich reich genug
hielt.
§ 19. Die rücksichtslose Latifundienbildung
auf dem Lande mit Brot und Spielen für das
Proletariat in der Stadt führte natürlich zur
Entvölkerung des Landes und zur Uebervölkerung
der Hauptstadt namentlich, in die sich alles hinein
drängte. Der Rohheit der Volksspiele stand die
allgemeine sittliche Verkommenheit des Volkes
ebenbürtig zur Seite.
In der Ausbildung einer schamlosen Gewissenlosigkeit
waren auch in Rom die Reichen vorausgegangen. Was irgend
möglich war, das war von dieser Seite in
Bauernlegen, Auswucherung, Erbschleicherei, Erpressen und
Rauben geleistet worden. Aus der Richterbestechung hat
man ein Gewerbe gemacht, und selbst der Feldherr vor dem
Feinde war der Bestechung zugänglich.
Die Ehe war in der ältesten Zeit als confarreatio
heilig gehalten und als unauflösbar betrachtet
worden. Nach dem ersten punischen Krieg ist in Rom die
erste Ehescheidung vorgekommen. Später
war die Ehe selbst in den Augen der besten ihrer Zeit auf
das Niveau einer nur losen gegenseitigen Verbindung
herabgesunken. Der „ehrenwerte“ Cato der
Jüngere zögerte nicht, auf die Bitten eines
heiratslustigen Freundes diesem seine Gattin zu geben und
dieselbe wieder zu heiraten, nachdem sein Freund
gestorben war. Die Pest der Lustsklaven nahm so
Überhand, dass ihr durch hohe Steuern gewehrt werden
musste. Die geheimen nächtlichen Orgien des
Bachuskult hatten so sehr sich verbreitet und waren so
ausgeartet, dass bei einer Untersuchung durch den Staat
10'000 Schuldige wegen Verbrechen aller Art mit dem Tode
bestraft werden mussten. Neben den Massenquartieren der
verarmten Schlafstellenbewohner
standen die Bordelle, deren Inhaber auf die
öffentliche Meinung so grossen Einfluss ausüben
konnten, dass die Bewerber um die höchsten
Staatsämter es gelegentlich für gut fanden, zu
ihnen in Beziehung zu treten. Und die Hebammen hatten in
der Fruchtabtreibung eine solche Virtuosität
erlangt, dass ihre Technik selbst der modernen
medizinischen Wissenschaft noch dunkel geblieben ist.
Die Masse der arm gewordenen Bürger konnte sich
den Luxus einer Ehe nicht mehr leisten. Den Reichen war
die Ehe eine Last, die sie wenigstens etwas hinderte, in
wechselvoller Laune zu geniessen, was geschäftige
Hände von der weiten Erde an Abwechslung zu bieten
vermochten. Sie heirateten deshalb spät und hatten
auch dann nicht Lust, durch eine grössere Kinderzahl
zu einer Zersplitterung ihrer grossen Vermögen die
Hand zu bieten. Es kam zu einer förmlichen Eheflucht
der Bevölkerung. Die verheirateten Frauen suchten in
der Ehe ihr Vermögen selbstständig zu erhalten.
Die emanzipierten Frauen belagern den Marktplatz und
wissen die Aufhebung von unerwünschten
Gesetzesbestimmungen durchzusetzen. Die Zahl der
römischen Bürger geht schon gegen Mitte des 2.
Jahrhunderts zurück. Im Jahre 164 v. Chr.
zählte der römische Census in Italien noch
337'000 römische Bürger über 17 Jahre. Im
Jahre 141 v. Chr. waren es nur mehr 327'000 und im Jahre
135 v. Chr. nur noch 317'000!
Das also waren die Folgen der Alleinherrschaft des
Kapitalismus: wachsender Reichtum und immer massloserer
Luxus in der Hand der oberen Zweitausend neben
völliger Verarmung der Masse des Volkes, die
gezwungen ist, von den Geschenken der Reichen zu leben,
entartete Clientel mit Brot und Spielen für das
Volk, Entvölkerung des platten Landes,
Uebervölkerung der Städte, tiefste Verderbtheit
der Sitten, allgemeine Bestechlichkeit, Erbschleicherei
und Unzucht, Ehescheidungen, Eheflucht,
Frauenemanzipation und
stetiger Rückgang der Bevölkerung. Staat und
Gesellschaft mussten auf diesem Wege zu Grunde gehen,
wenn nicht endlich durchgreifende Reformen in Anwendung
kamen. Was geschah jetzt nach dieser Richtung im
republikanischen Rom?
§ 20. Das Studium der römischen Geschichte
bietet hier der nationalökonomischen Betrachtung
nichts als ein Wüten gegen Symptome. Wo
immer eine äussere Erscheinung der tief innerlichen
Erkrankung sich ausbildete, da glaubte die
oberflächliche Welt von damals auch immer eine
selbständige Frage, eine selbständige Krankheit
vor sich zu haben, denen gegenüber die kleinen
Mittel ihrer unzureichenden Apotheke zur Anwendung kamen.
Als mit dem Fortschreiten des Kapitals auch der Luxus
überhand nahm, die Vernichtung der mittleren
Vermögen beschleunigte und die allgemeine
Corrumpiertheit steigerte, da kam es zum Erlass von
Speise- und Luxusgesetzen. Gegen den allgemeinen Verfall
der Sitten gefiel man sich in Deklamationen über die
alten Bürgertugenden und in Klagen über den
Verlust des alten senatorischen Regimentes. Die Ursache
der zügellosen Ausschweifung glaubte man in dem
griechischen Götterdienste entdeckt zu haben,
weshalb 186 v. Chr. mit Strenge insbesondere gegen den
Bachuskult vorgegangen wurde. Weil bei der Bewerbung um
die höchsten Staatsämter zu immer
verwerflicheren Mitteln gegriffen wurde, hat man im Jahre
180 v. Chr. die Zahl der Bewerber dadurch zu
beschränken versucht, dass gesetzlich bestimmt
wurde, jeder Bewerber für das Aedilenamt solle 37,
für die Prätur 40, für das Konsulat 43
Jahre mindestens alt sein und 10 Jahre im Heere gedient
oder doch zehn Mal zur Jahresaushebung sich gestellt
haben. Der allgemeinen Eheflucht und dem so bedenklichen
Rückgang der Bevölkerung gegenüber suchte
man durch besondere Begünstigungen der mit Kindern
gesegneten Eheleute und durch
Reden über die Notwendigkeit, im Interesse des
Staates die Last der Ehe zu übernehmen,
entgegenzutreten. Weil mit der allgemeinen
Latifundienbildung der Bauernstand verschwunden war,
sollte ein Grundbesitzmaximum eingeführt werden mit
Neuverteilung der occupierten Staatsländereien zu
unveräusserlicher Erbpacht an die Kolonisten. Weil
die Viehwirtschaft den Getreidebau fast völlig
verdrängte, sollte neben dem Grundbesitzmaximum auch
ein Maximum der Viehhaltung in Anwendung kommen. Weil auf
den Latifundien die Sklavenarbeit die freie Arbeit ganz
hatte verschwinden lassen, sollte jedermann gehalten
sein, mindestens ein Drittel seiner Arbeiter aus freien
Leuten zu wählen. Weil die Masse der Bürger in
Rom verarmt war, keine Beschäftigung fand und nichts
zu essen hatte, hat man staatliche Getreidelieferungen zu
billigsten Preisen eingeführt. Und um die eventuell
gefährlich werdende Langeweile des
Bürgerproletariats zu verscheuchen, wurden
„öffentliche Spiele“ gewährt. So
hielt man im republikanischen Rom für jeden Schmerz
und für jede Schwellung sein besonderes
Säftchen bereit. Aber merkwürdiger Weise dachte
niemand daran, einmal die Frage aufzuwerfen:
ob denn in diesen Einzelproblemen nicht etwa nur die
Symptome, nur die äusseren Erscheinungen einer
einzigen tieferliegenden Krankheit zu erblicken seien,
und ob es sich eben deshalb nicht vielmehr darum handele,
all diese Einzelfragen zusammenzufassen — statt sie
getrennt zu behandeln — um aus der
Vereinheitlichung des Krankheitsbildes auf die
eigentliche Krankheitsursache zu schliessen, die alsdann
durch ein rationelles Programm von Grund aus zu
beseitigen gewesen wäre? Und doch hätten solche
Erwägungen gerade in Rom nicht einmal besondere
Schwierigkeiten gefunden.
§ 21. Von allem Anfang an zeigt ja in der
römischen Geschichte das Geldkapital sein
rücksichtsloses Streben nach Alleinherrschaft. Es
beginnt seine Thätigkeit als
Leihkapital. Und nachdem es in den Schuldsklaven sich die
Arbeitskräfte erworben, erfasst es monopolartig auch
den landwirtschaftlichen Grundbesitz, um seine
Schuldsklaven für sich arbeiten lassen zu
können. Während auf diese Weise die Bauern aus
der gesetzgebenden römischen Volksversammlung
verdrängt werden, führt gleichzeitig die
rentabel gewordene Freilassung griechischer
Gewerbesklaven durch das Kapital zur Proletarisierung des
städtischen Mittelstandes und damit zur
völligen Abhängigkeit der Mehrzahl der in Rom
anwesenden Bürger von den Kapitalisten. Und da in
eben dieser Zeit, in welcher das Kapital so die
unumschränkte Alleinherrschaft in Rom erlangt, die
letzten römischen Bauernheere die
Mittelmeerländer erobern, gehören diese
Provinzen jetzt thatsächlich den römischen
Kapitalisten, die denn auch bei rücksichtsloser
Ausbeutung hier die eigentliche und fast
unerschöpfliche Quelle ihres Reichtums finden. Aber
weil die Hast der kapitalistischen Entwicklung in Rom in
naturalwirtschaftlichen Formen stecken geblieben ist,
bleibt der Besitz von Latifundien mit Sklaven die
Voraussetzung der Anteilnahme an der Ausplünderung
der eroberten Provinzen. Und deshalb wendet sich das
römische Kapital von jetzt ab mit verdoppelter
Energie gegen die Bauern, um immer neue Latifundien zu
gewinnen. Weil es republikanische Verfassungsformen sind,
unter denen hier der Kapitalismus seine Alleinherrschaft
ausübt, werden dem hauptstädtischen Proletariat
Getreide und Spiele gewährt für seine formale
Sanktion der kapitalistischen Beutezüge in Italien
und den Provinzen. Und das ist das eigentliche und
tiefere Wesen dessen, was in dem republikanischen Rom mit
dem Worte „annona“ bezeichnet
wird.
Was sich von da ab an schreienden Misständen in
Rom einstellt, sind in noch auffälligerer Weise
alles nur
Folgeerscheinungen der Alleinherrschaft des Kapitals. Die
kapitalistische Latifundienbildung auf dem Lande musste
selbstverständlich die Menschen in die Stadt
hineindrängen. Mit dem wachsenden Reichtume und dem
zunehmenden Luxus fanden sich selbstverständlich
immer mehr geschäftige Leute, welche den Launen und
Sinneslüsten der kapitalistischen Herrscher zu
Diensten waren. Mit der fast völligen Vernichtung
des redlichen Erwerbs des freien Mittelstandes durch das
Grosskapital mussten selbstverständlich die
unredlichen Erwerbsarten, wie Annahme von
Bestechungsgeldern, Erbschleicherei u.s.w. überhand nehmen. Mit dem
Herabsickern des masslosen Luxus der oberen Zweitausend
in das Volk musste selbstverständlich bei
gleichzeitigem Mangel eines redlichen Verdienstes die
Ehegründung immer schwieriger und immer seltener
werden. Eine grosse Zahl unverheirateter Leute in
heiratsfähigem Alter bei Mangel an redlichem
Verdienste, masslosem Luxus und Zügellosigkeit der
Reichen musste selbstverständlich zur sittlichen
Verderbnis des Volkes, zur Frauenemanzipation, zum
Rückgang der Bevölkerung u.s.w. führen. Wer also hier reformieren
und heilen wollte, der musste die eigentliche und letzte
Ursache all dieser Uebelstände, nämlich die
Alleinherrschaft des Kapitals beseitigen
durch eine ebenso konsequente als zielbewusste
Mittelstandspolitik und musste nach dieser prinzipiellen
Feststellung der Kursrichtung als praktischer Politiker
sich alsdann fragen: auf welchem Wege lässt sich
dieses Ziel erreichen?
§ 22. Leider haben selbst die zwei bekanntesten
Wirtschaftspolitiker des republikanischen Rom, die
beiden Gracchen, für eine solch weitblickende
Auffassung der sozialen Frage ihrer Zeit kein
Verständnis gehabt. Auch sie sind ganz in den
wirtschaftspolitischen Oberflächlichkeiten ihrer
Zeitgenossen hängen geblieben. Von jugendlichem
Idealismus getragen und von der Gabe der Rede geführt, hat der ältere
der beiden Brüder Tiberius Gracchus im
Jahre 134 v. Chr. als Volkstribun versucht, was jeder
ruhig denkende und mehr erfahrene Mann sofort als
unmöglich bezeichnen musste — nämlich mit
Hülfe des verlumpten grossstädtischen
Proletariats unter Wiederaufnahme der
licinisch-sextischen Ackergesetze den herrschenden
Grosskapitalisten einen Teil ihrer zusammengeraubten
Latifundien zu entreissen, um unveräusserliche
Bauernhöfe daraus zu machen. Tiberius Gracchus
hätte wahrscheinlich schon das Beginnen dieses
Reformplanes mit dem Leben bezahlen müssen, wenn
nicht in diesem einen Fall wenigstens
— zum letzten Male! — die römische
Bauernschaft aus ganz Italien nach Rom
zusammengeströmt wäre, um dem Ackergesetze des
Tiberius Gracchus zur Annahme zu verhelfen. Aber dann
eilten sie sofort nach Hause zurück, wohin die
Feldarbeiten dringend riefen. Und als Tiberius Gracchus
nach Ablauf seines Amtsjahres den Versuch machte, sich
seine tribunicische Gewalt erneuern zu lassen, da fehlten
zu seinem Schutze die römischen Bauernfäuste.
Mit der kleinen Zahl seiner Anhänger wird er von der
Kapitalistenpartei auf offener Strasse erschlagen. Die
auf Grund seines Ackergesetzes eingesetzte
Aufteilungskommission soll von 131 bis 125 v. Chr. die
Zahl der waffenfähigen Bürger um 75'000
erhöht haben.
Dem jüngeren Gaius Gracchus war es
vor allem um Rache für seinen Bruder an der
Senatorenpartei zu thun. Auf Grund der gemachten
Erfahrungen stützt er sich schon gar nicht mehr auf
die weitabwesende Bauernschaft. Er sucht seinen Anhang in
der Stadt Rom bei den Proletariern und bei den
kapitalistischen Parvenus, die noch keine grossen
Latifundien hatten. Die Proletarier versuchte er als
Volkstribun (123 v. Chr.) zu gewinnen durch Zusicherung
einer grösseren persönlichen Freiheit
(lex Sempronia de civibus Romanis), durch
Erleichterung des Kriegsdienstes
(lex militaris) und durch sein lex
frumentaria, wonach jeder römische Hausvater
das Recht hat, monatlich 5 modien (33,03 Kilo) Weizen aus
den staatlichen Magazinen gegen Zahlung von 1 Mk. 40 Pf.
(also 42 Mk. 84 Pf. pro Tonne) zu fordern. Und die
angehenden Kapitalisten (Ritterpartei) suchte er dadurch
für sich zu gewinnen, dass er durch die lex
iudiciaria die Besetzung der stehenden
Gerichtshöfe (quaestiones perpetuae), die vor allem
über die Erpressungen abzuurteilen hatten, den
Senatoren entzog und den jüngeren, noch nicht
senatorischen Kapitalisten auslieferte, indem er ferner
dem Senat das Recht der Besetzung der Statthalterposten
in den Provinzen nahm und endlich die reiche Provinz
Asien der Ausbeutung durch die Ritterpartei
auslieferte.
Soweit Gaius Gracchus damit die Senatorenpartei direkt
schädigen wollte, soweit hat er sein Ziel erreicht.
Namentlich durch die gesetzliche Getreideabgabe an die
bedürftigen Bürger zu etwa einem Drittel des
damaligen Durchschnittspreises hat er die Einflussnahme
der Reichen durch private Getreidespenden auf die
Volksversammlung wesentlich beschränkt und
gleichzeitig die staatlichen Getreidevorräte vor
einer missbräuchlichen Verwendung zu Bestechungen
bewahrt. Die kurz vorher (139 bzw. 131 v. Chr.) zur
Einführung gelangte geheime Abstimmung bei
Volksversammlungen über Wahlen wie über Gesetze
wird jetzt die Senatoren ganz besonders in der gewohnten
Sicherheit ihrer Herrschaftsausübung gestört
haben. Auch war es ihnen gewiss im höchsten Masse
peinlich, dass durch die neuesten Gesetze die
kapitalistischen Emporkömmlinge auf ihre Kosten so
sehr begünstigt wurden.
Aber eine neue Grundbesitzverteilung war auf diesem
Wege nicht zu erlangen, denn die kapitalistischen
Parvenus hatten ein mit jedem Tage wachsendes Interesse
daran, auch ihrerseits neue Latifundien zu bilden. Auf
dieser Seite musste also die Begeisterung
für Gracchus mit jedem Tage mehr erkalten, um bald
in offene Gegnerschaft zu einem Ackergesetze
umzuschlagen. Und die Proletarier hatten gerade durch ihr
neues Recht auf billige Lieferung einer Getreidemenge aus
staatlichen Magazinen, welche leicht den Brotbedarf von 2
Personen decken konnte, das wesentliche Interesse an
einer neuen Grundbesitzverteilung verloren. Denn warum
sollten sie sich draussen auf dem Lande im Schweisse
ihres Angesichts ihr Brot verdienen, wenn ihnen der Staat
das Getreide in der Stadt sehr billig lieferte? Als aber
Gracchus zum Ersatz für die einst
kolonisationslustigen römischen Bürger die
italienischen Bundesgenossen für seine Kolonien
heranziehen wollte, beging er in der That eine, den
Interessen des römischen Plebs direkt feindliche
Handlung, die zunächst für das Jahr 121 v. Chr.
seine Wiederwahl zum Volkstribun unmöglich machte
und bald darauf auch sein Leben seinen Todfeinden
preisgab.
§ 23. In diesem Zusammenhange kann es keinem
Zweifel unterliegen, dass die gracchische Bewegung
an ihrer prinzipiellen Unklarheit verderben
musste. Sie wusste nichts von einer wahrhaft
organischen Auffassung des Volkskörpers, nichts von
dem tiefgehenden Unterschiede zwischen den Elementen der
äusseren Erscheinung und den Elementen der Ursache
und des Grundes. Auch sie nahm die Krankheitssymptome
für die Krankheit selbst. Sie wusste nichts von dem
organischen Wesen der sogenannten
reflektorischen Symptome, welche — im
Gegensatze zu den positiven
Symptomen — bei einer rationellen Behandlung der
Krankkeit von selbst verschwinden, ohne dass irgend
welche Massregeln an ihre Erscheinung sich anlehnen. Der
Brotmangel bei dem arbeitslosen hauptstädtischen
Proletariat war ein solches reflektorisches Symptom, das
von selbst verschwunden wäre, sobald eine rationelle
Politik diese Leute mit
Produktionsmitteln ausgestattet hätte, um sich
selbst ihr Brot zu verdienen. Indem aber G. Gracchus
auch diesen Brotmangel als selbständiges Problem
behandelte und deshalb staatliche Getreidestipendien
durchsetzte, konservierte er geradezu die Krankheit,
welche er heilen wollte. Denn er nahm damit der Masse der
Bevölkerung den natürlichen Trieb, sich selbst
zu ernähren und söhnte sie mit der so
ungleichen grosskapitalistischen Besitzverteilung aus,
anstatt ihren Hunger als Sturmbock gegen den
Kapitalistenring zu verwenden.
Wenn aber G. Gracchus bei dieser letzteren
Erwägung befürchten durfte, dass seine
Sturmkolonnen durch Geschenke von der feindlichen Seite
leicht in Ueberläufer verwandelt
werden konnten, so war eben jetzt, nach der Vernichtung
des Mittelstandes, die Zeit vorbei, die auf geradem und
ehrlichem Wege auf eine Wiedergesundung der sozialen
Verhältnisse hoffen durfte. Bei Alleinherrschaft des
Kapitals kann nur auf kapitalistischem Entwicklungswege
der soziale Körper noch einmal geheilt werden, und
dieser Weg ist in einer ganz bestimmten Weise
vorgezeichnet. Das leichtflüssige Kapital zielt ja
von Hause aus auf Konzentration und Vereinheitlichung.
Zunächst haben die oberen Zweitausend die
Besitzenden fast des ganzen Weltreiches expropriiert. Und
jetzt kam die Zeit, in der einer unter diesen 2000 die
andern 1999 für sich und seine Freunde
expropriierte. Die Methode war in beiden Fällen
ziemlich die gleiche. Und dieser Eine war
dann endlich in der Lage, den sozialen Organismus mit
neuen gesunden Mittelstandszellen systematisch
auszubauen.
Wenn freilich G. Gracchus mit edlem Selbstbewusstsein
öffentlich von sich erzählte, dass er seine
Beutel, welche er als Quästor gefüllt mit nach
Sicilien gebracht, leer wieder zurückgetragen habe,
während andere selbst noch ihre Krüge, welche
sie mit Wein gefüllt mitnahmen, voll Silber nach ihrer Heimat
zurückschleppten, — so bezeugt er damit
eigentlich nur, dass er ein viel zu naiver und viel zu
anständiger und ehrlicher Mann war, um als grosser
wirtschaftspolitischer Reformator zu seiner
Zeit auftreten zu können. Wenn die andern ihre
Weingefässe mit Silber gefüllt aus den
Provinzen zurückbrachten, so hätte G. Gracchus
als praktischer Reformator seine Gefässe mit Gold
gefüllt zurückbringen müssen. Wenn die
andern einen grossen Teil ihres Vermögens für
Wahlbestechungen hingegeben haben, so musste er zu diesem
Zwecke sein ganzes Vermögen und seinen ganzen Kredit
erschöpfen. Und wenn die andern bestrebt waren, auf
die übliche räuberische Weise 5 bis 7 Millionen
zusammen zu scharren, so hätte sein Streben darauf
gerichtet sein müssen, das ganze römische
Weltreich mit den oberen Zweitausend in seine Gewalt zu
bekommen, gleichviel mit welchen Mitteln und mit welchen
Opfern an Menschenleben. Nur dann wäre
er der rechte Mann gewesen für die materialistischen
Entwickelungstendenzen der sinkenden Republik Rom.
§ 24. Die römische Geschichte ist
bekanntlich mit eherner Konsequenz diesen logisch
vorgezeichneten Weg gegangen. Und wie weit die
Männer der Politik mit praktisch einschneidenden
Erfolgen jetzt von dem Charakter eines politisierenden
Idealisten entfernt waren, das sehen wir am besten an
Crassus und Caesar.
Der aus senatorischem Geschlechte stammende M.
L. Crassus war bei dem Güterverkauf der unter
Marius geächteten Senatoren zur Hand, betrieb dann
das Geschäft des Güterschlächters und des
Landspekulanten, war Besitzer grosser Mietskasernen in
Rom und wusste sein Bankgeschäft in so raffinierter
Weise zu leiten, dass er sich in den Provinzen die
höchsten Wucherzinsen zahlen liess, während er
seinen senatorischen Freunden Geld ohne Zinsen borgte, aber allerdings mit dem
Rechte beliebiger Rückforderung. Natürlich
wagte keiner dieser Schuldner dem
„römischen Rothschild“
einmal nicht zu Willen zu sein! Caeser übte die
Bestechung der römischen Volksversammlung in so
grossartigem Massstabe, dass er diesem Zwecke gleich bei
seinem ersten öffentlichen Auftreten in der
Wahlbewegung nicht nur sein ganzes Vermögen, sondern
auch seinen ganzen Kredit opferte, der ihm von seinem
Freunde Crassus gewährt worden war. Und dann gelingt
es ihm wieder, binnen zwölf Monaten als Statthalter
in Spanien Anno 61 v. Chr. nicht nur seine riesigen
Schulden abzutragen, sondern auch noch ein Vermögen
nach Rom zurückzubringen. Und dieses Prinzip der
Bestechung der Volksmasse ohne Gleichen behielt Caesar
bei. Als er im Jahre 46 v. Chr. seine vier Triumphe
feierte, wurde das römische Volk an 22'000 Tischen
bewirtet, mit prächtigen Festspielen ergötzt
und ausserdem noch mit Geld und Getreide beschenkt.
Dafür liess er sich dann die Diktatur auf
Lebensdauer, den Titel Imperator, die Censur, das Amt des
Pontifex maximus, die tribunicische Gewalt mit dem
Vorschlagsrecht der Gesetze und mit der persönlichen
Unverletzlichkeit und endlich auch noch die oberste
richterliche Gewalt übertragen. Sein Grossneffe und
Adoptivsohn Octavianus, später als
Augustus erster römischer Kaiser, hat nach seinen
eigenen Angaben 700 Millionen Mark „geerbt“
und damit den Gipfel des Kapitalreichtums im griechischen
und römischen Altertume erreicht.
Es würde durchaus ungerecht sein, an diese
Personen und Charaktere den geraden ehrlichen Massstab
der Mittelstandsmoral anzulegen. Die Crassus, Caesar und
Octavianus waren Grosskapitalisten in einer durchaus
grosskapitalistischen Periode, mit einer natürlich
grosskapitalistischen Moral, die insbesondere bei Caesar
und Octavianus gepaart war mit der berechtigten
Ueberzeugung, dass sie als die unzweifelhaft Tüchtigsten unter Allen
dazu berufen seien, in die durch und durch verlotterte
Gesellschaft endlich einmal Ordnung zu bringen.
§ 25. Ebenso ist es entwickelungsgeschichtlich
ganz unrichtig, in den römischen Bürgerkriegen
immer den Kampf der Optimaten mit der Volkspartei zu
sehen. Das Volk, d. h. insbesondere die
proletarisch-römische Volksversammlung, stand
keineswegs nur auf der einen Seite. Sie
wurde abwechselnd von beiden Seiten benutzt. Nachdem der
Kapitalismus alles zu verkäuflicher Ware degradiert
hatte, folgte auch das verarmte Volk demjenigen, der den
höheren Preis zahlte. Die römischen
Bürgerkriege waren nichts anders, als ein Kampf
unter den oberen Zweitausend. Die Kühnsten der
Grosskapitalisten beginnen ihre Erwerbspolitik gegen ihre
bisherigen Kollegen und damit auf das ganze Reich, das
man bislang als gemeinsames Ausbeutungsobjekt betrachtet
hatte, zu richten. Und da diese Grossunternehmer
selbstverständlich ihren Mitarbeitern glänzende
Honorare zahlten, fanden sie nicht nur unter den
Proletariern, sondern selbst unter den durch Luxus und
Verschwendung stark verschuldeten Patriziern
Helfershelfer genug, die zu jeder Schandthat auch gegen
Römer bereit waren, wenn sich die Aussicht bot, sich
die leeren Taschen dabei zu füllen. Es trägt
deshalb nur zur Verdunkelung des eigentlichen
Thatbestandes bei, die Catilinarische
Verschwörung z. B. als eine speziell
anarchistische Verschwörung zu isolieren. Das war
nur eine der Hilfstruppen, welche die
Zeitverhältnisse selbst dem kühnsten
kapitalistischen Unternehmer zur Verfügung stellten,
und die anscheinend den rechten Zeitpunkt zum Losschlagen
nicht abwarten konnte. — Was deshalb über die
Frage der Beendigung der Bürgerkriege entscheiden
musste, das war nicht die Zahl der Hinrichtungen von
Angehörigen des armen Volkes, das war die Zahl der
geächteten Optimaten, deren
Leben und Vermögen genommen wurde. Die Ermordung
Caesars zeigte, dass Marius hierin im Jahre 87 v. Chr.
nicht gründlich genug gearbeitet hatte. Deshalb
setzt das zweite Triumvirat im Jahre 43 v. Chr. abermals
130 Senatoren und 2000 andere Grosskapitalisten auf die
Proscriptionsliste. Damit war erst mit jener
Optimatengesellschaft aufgeräumt, welche ihre
gewohnten Jagdgründe absolut nicht aufgeben wollte.
Die Expropriation der Expropriateure durch den
Kühnsten und Tüchtigsten unter ihnen schien
jetzt wenigstens soweit beendet zu sein, als die
persönliche Sicherheit dieses Letzteren es
erforderte.
Aber auch der Anfang dieses blutigen
Enteignungsverfahrens mit der ganzen Hauptrichtung seines
Verlaufs wird von ökonomischen Verhältnissen
beherrscht. Die römischen Grosskapitalisten sind ja
von Anfang an mit solcher Energie auf die völlige
Ausraubung der Provinzen losgegangen, dass hier in
bestimmter Zeit nichts mehr zu holen sein konnte. Und
damit war der Zeitpunkt gegeben, in dem die bisherigen
Genossen sich gegenseitig zerfleischten. Die historische
Entwickelung ist nicht ganz bis zu diesem Punkte
gediehen, denn die ebenso rücksichtslose Ausraubung
der römischen Bürger hatte schon im Jahre 101
v. Chr. das Schwert des Staates den
Mittelstandshänden mit konservativem Empfinden
entrissen und den Besitzlosen und selbst fremden
Söldnern anvertraut. Die Soldaten kämpften von
jetzt ab nicht mehr um die Erhaltung der bestehenden
Verhältnisse, sondern um ihre eigene,
wirtschaftliche Versorgung. Der Kriegsdienst war ein
Gewerbe geworden. Die Beziehungen zwischen dem Soldaten
und dem Feldherrn waren jetzt gleich den Beziehungen von
Erwerbsgenossen zu dem Leiter des Unternehmens. Je
tüchtiger dieser Feldherr war, je grösser seine
Pläne und Ziele, desto ergebener waren ihm seine
Soldaten. Und so war
denn auch von dieser Seite alles vorbereitet, um einen
Caesar die Stufen des Thrones beschreiten zu lassen.
Bis dahin reicht der rein kapitalistische
Entwickelungsprozess mit Kapitalistenmoral und
Kapitalistentechnik. Erst von hier ab beginnen Caesar und
sein ihm würdiger Nachfolger Augustus ihre Mission
als sozialpolitische Reformatoren grössten
Stiles.
§ 26. Um den Verlauf der geschichtlichen
Entwickelung vor und nach Caesar in
ihrem tieferen Zusammenhange richtig zu verstehen, ist es
unerlässlich, auf jene Erscheinungen
zurückzugreifen, die man als Circulationsprozess des
Kapitals bezeichnen darf.
Im letzten Jahrhundert vor Christus beschränkte
sich die Güterproduktion in Rom im wesentlichen auf
das Luxusgewerbe. Da gab es Ciseleure, Gold- und
Silberarbeiter, Modelleure, Goldschläger, Vergolder,
Bildhauer, Perlarbeiter, Edelsteinschleifer,
Edelsteinschneider u.s.w., fast
durchweg freigelassene griechische Gewerbesklaven, welche
die Grosskapitalisten nach Rom importiert hatten. Die
grosse Masse derer aber, welche sich in Rom dem
wirtschaftlichen Erwerbe widmeten, waren keine
Gewerbetreibende, sondern Händler, welche ihre
Verkaufsläden zu Tausenden so zudringlich zu beiden
Seiten der Strassen Roms aufgeschlagen hatten, dass der
Verkehr viel darunter leiden musste. Und unter diesen
Kaufleuten waren wieder insbesondere die rede- und
handelsgewandten Hellenen, Syrer, Phönizier und
Juden in solchen Massen vertreten, dass
Juvenal ausrufen konnte: „Es ist, als
ob der Orontes (Hauptfluss in Syrien) sich in den Tiber
ergossen hätte.“ Da gab es den Bernstein des
Nordens, indische Perlen und Edelsteine, arabischen
Purpur und Wohlgerüche, spanische Wolle,
ägyptisches Linnen, griechische Weine, afrikanisches
Oel, chinesische Seide, britannische Austern, Pelzwaren
vom Don u.s.w. Kurz die Produkte der
ganzen Welt wurden in Rom gehandelt und konsumiert.
So ging alljährlich eine Wareneinfuhr von ganz
bedeutendem Werte nach Rom, während die italische
Ausfuhr sich auf wenige Metallwaren und Oel und Wein
beschränkte. Der
weitaus grösste Teil der Einfuhr musste
also in barem Gelde beglichen werden. Das republikanische
Rom hatte auf italischem Boden eine passive Handelsbilanz
von erschreckendem Umfange, die wahrscheinlich schon im
2. Jahrhundert v. Chr. den Staatsbankerott
herbeigeführt haben würde, wenn die
Statthalter, die Steuerpächter, die Bankiers und
Kaufleute mit ihren Freunden nicht das Recht
rücksichtslosester Ausraubung der Provinzen besessen
hätten. Der Cirkulationsprozess des Kapitals im
republikanischen Rom enthält also die Beute der
römischen Grosskapitalisten in den Provinzen als
einen sehr wesentlichen Faktor zur Herstellung des
finanziellen Gleichgewichtes für Italien. Das Geld
und die Werte, welche auf Grund der passiven
Handelsbilanz aus Rom ungedeckt abfliessen mussten,
wurden draussen in den Provinzen von der herrschenden
Römerkaste wieder zusammengeraubt und nach Rom
zurückgebracht. Ueberall freilich konnte dieses
Missverhältnis des ordentlichen Verkehrs nicht auf
solch gewaltsame Weise korrigiert werden. So namentlich
nicht jenseits der Nord- und Ostgrenze des Reiches,
weshalb das republikanische Rom schon früh ein
Ausfuhrverbot für Edelmetalle erliess und in
ziemlich rigoroser Weise die abgehenden Schiffe auf
Münzen durchsuchte. Indes zeigte der gewiss immer
bestandene thatsächliche Verlust an römischen
Münzen so lange nicht seine verhängnisvolle
Wirkung, als aus den römischen Provinzen auch dieser
Wert noch herausgepresst werden konnte.
§ 27. In diesen so gearteten Cirkulationsprozess
des Kapitals führten Caesar und Augustus als
Alleinherrscher einen scharfen Schnitt. Die bisher
übliche Ausbeutung der Provinzen wurde eingestellt.
Nach den noch nicht beruhigten Provinzen wurden besoldete
kaiserliche Beamte als Statthalter mit strengen
Instruktionen entsendet. In den beruhigten Provinzen
wurden die senatorischen Statthalter durch kaiserliche Beamte in ihrer
Amtsführung scharf kontrolliert. Die
Steuerverpachtung an Privatunternehmer wurde beseitigt
und durch direkte staatliche Steuererhebung ersetzt. Auch
für den Kredit und Handelsverkehr wurden durch
kaiserliche Richter die Gesetze gewissenhaft gehandhabt.
Die Provinzen atmeten erleichtert auf. Früher
„Kriegsbeute des römischen Volkes“ waren
sie jetzt ein Bestandteil des Reiches geworden, dessen
Grenzen nicht mehr die Grenzen der Feldmark der Stadt
Rom, sondern die Grenzen der Welt sind. Die
römischen Grosskapitalisten aber hatten auf diese
Weise ihre weitaus wichtigste Erwerbsquelle verloren.
Kaum waren so die fetten Pfründen der
unkontrollierten Statthalter, der Steuerpächter und
Wucherer aller Art durch die Neuordnung der
Verhältnisse aufgehoben, als auch die römischen
Grosskapitalisten ihren bisher gar nicht zu stillenden
Hunger nach Latifundien und Sklaven nicht nur auf einmal
ganz verloren hatten, sondern sogar ihren
Latifundienbesitz zu revidieren begannen, um all jene
Besitzungen, welche nicht ihrer Lage oder ihrer
Steingruben und Bergwerke wegen einen besonderen Wert
für sie hatten, und deren Bestand an Sklaven als
herrenloses Gut einfach liegen und laufen zu lassen. Die
Regierungsmassregeln, welche in rationeller Weise gleich
gegen die reichsten Einnahmequellen des Grosskapitals
gerichtet waren und die Wahlbestechungen mit
Realkautionen überflüssig machten, hatten so
auf einen Schlag, weit wirksamer als alles Wüten der
gracchischen Bewegung gegen Symptome, weite Flächen
von Staatsländereien der Kolonisation disponibel
gemacht und die Freilassung der Sklaven in solcher Zahl
bewirkt, dass mit besonderen Gesetzen dagegen
eingeschritten werden musste. Der berühmte
Sklavenmarkt auf Delos war in der Kaiserzeit bald
verfallen und vergessen.
Dieses freiwillige Auflassen von
Staatsländereien traf zusammen mit einer von Caesar
begonnenen und von Augustus fortgesetzten Kolonisation
grössten Stiles auf Staatsländereien, welche
durch die Proscriptionen frei wurden. Caesar allein soll
80'000 römische Bürger in den Provinzen
angesiedelt haben, um systematisch die Verschmelzung der
Nichtrömer mit den Römern zu fördern. Aber
Caesar begann auch sofort, den in der römischen
Geschichte eine so unheilvolle Rolle spielenden
Latifundienring um die Stadt Rom herum in
unveräusserliche Bauerngüter aufzuteilen. Er
wollte seine Kolonisten, abermals im Gegensatze zu den
beiden Gracchen, nicht nur in weiter Ferne, sondern auch
vor den Thoren Roms auf den campanischen Feldern
angesiedelt wissen, damit die römische
Volksversammlung wieder freie Bauern in ihrer Mitte sehe.
Und Caesar griff bei dieser Neuschaffung von
Bauernstellen nicht, wie der wenig erfahrene G. Gracchus,
gleichzeitig zu einer Erweiterung der Getreidespenden an
das römische Proletariat. Nein! er verminderte sogar
die Zahl der Getreideempfänger in der Stadt Rom. Von
320'000 staatlichen Kostgängern, die er vorgefunden,
hat er 170'000 gestrichen und sie dadurch gezwungen, sich
im Zweifel seinen kolonisatorischen Neugründungen
zuzuwenden. Damit das grossstädtische Leben nicht
etwa auf die Zahl der Nachkommen seiner Kolonisten leicht
einen ungünstigen Einfluss ausübe, wurden bei
der Besiedelung der campanischen Mark solche Bewerber
bevorzugt, die drei und mehr Kinder hatten.
Augustus ging in dieser antikapitalistischen
Bevölkerungspolitik noch einen wesentlichen Schritt
weiter und stellte in der lex Julia et Papia Poppaea vom
Jahre 9 v. Chr. den Grundsatz auf: wer im
heiratsfähigen Alter unverheiratet und kinderlos
ist, ist auch nicht fähig, durch Testament oder
Vermächtnis zu erben. Rechnen wir hier noch die
ausserordentliche Förderung hinzu, welche der
römische Gewerbefleiss durch
die vielen und grossen kaiserlichen Bauten erfuhr, so
haben wir das Bild jener frischen und kühn
angelegten wirtschaftspolitischen Reformen vor uns,
welche den Beginn der römischen Kaiserzeit so
vorteilhaft auszeichnen. Und all diese Reformen
sind in der unzweideutigsten Weise darauf gerichtet, an
die Stelle der abgehausten, grosskapitalistischen
Wirtschaft einen freien, selbständigen Mittelstand
zu rücken, dessen Fundament in einem
unabhängigen Bauernstande ruht.
§ 28. Wenn diese prinzipielle Auffassung der
Politik der beiden ersten Caesaren noch irgend einer
Bestätigung bedarf, so findet sich dieselbe in jenen
vortrefflichen Ansätzen zu einem Privatrecht des
Mittelstandes, die der weitaus begabteste der
gleichzeitig lebenden römischen Juristen und
Gründer der Prokulianerschule Marcus Antistius
Labeo uns hinterlassen hat.
Durch seine Ausscheidung der locatio conductio
operis von der locatio conductio operarum trennt
Labeo den ökonomisch selbstständigen und jedem
Dritten gegenüber voll verantwortlichen Arbeiter von
dem Nur-Hilfs- oder Lohnarbeiter und giebt
damit die erste und beste juristische Definition des
Mittelstandes. Nach Labeos Lehre von der Specification
ist dieser Mittelstand nicht nur Eigentümer seiner
Produktionsmittel, ihm gehört auch sein
Arbeitsprodukt als Arbeitslohn, selbst dann,
wenn er einmal einen fremden Stoff
mit verarbeitet hat. Durch Labeos Lehre vom
Handelspeculium wird die kapitalistisch
verschärfte Gewalt des altrömischen
Familienvaters über den Haussohn und den Sklaven,
sobald denselben mit Wissen ihrer Gewalthaber ein
Handelsgeschäft überlassen ist,
eingeschränkt zunächst zu Gunsten der anderen
ihnen kreditierenden Geschäftsleute — und dann
zu Gunsten ihrer eigenen wirtschaftlichen Freiheit,
mithin zu Gunsten einer weiteren Ausbreitung des
selbständigen Mittelstandes. Der jetzt viel regere freie
Wirtschaftsverkehr wurde durch Labeos Grundlegung des
Inominat-Kontrakts wesentlich
begünstigt, weil damit auch formlose, auf
gegenseitige Leistung abzielende Verträge bindend
wurden, sobald sie von der einen Seite erfüllt
waren. Durch Labeos Erweiterung des Kreises der res
nec mancipi wurde das Gelegenheitsgebiet der
einfachen, verkehrsbequemen traditio auch auf Pferde,
Ochsen, Esel und Maultiere ausgedehnt, solange dieselben
noch nicht dressiert bezw. eingefahren waren oder das
dementsprechende Alter noch nicht erreicht hatten. Die
Absicht auch dieser Bestimmung liegt nahe. Die neuen
bäuerlichen Kolonisten sollten sich jüngere
Tiere leichter kaufen können, um
sie nach richtiger Pflege und Dressur entweder zu
behalten oder mit reichem Gewinn als res mancipi jetzt zu
verkaufen. Durch die Lehre der Prokulianer, eine
verlassene (derelinquierte) Sache könne
erst mit der Besitznahme durch einen dritten
aufhören, dem bisherigen Eigentümer zu sein,
sollten die römischen Grosskapitalisten dazu
verhalten werden, entweder für ihre Latifundien mit
Sklaven einen Besitznachfolger zu finden oder die Sklaven
auf den Latifundien mit Zugabe des erforderlichen
Betriebskapitals anzusiedeln, nicht aber in der jetzt
üblichen Weise die nicht mehr beliebten Latifundien
einfach liegen und die Sklaven einfach laufen zu lassen.
Auch hier sucht also Labeo durch die Anfügung von
Pflichten zu dem Eigentumsrecht
den Mittelstand zu fördern und zu mehren.
Leider haben sich die allgemeinen Anschauungen Labeos
und seiner Schüler aus den Maschen der damals
herrschend gewesenen unfruchtbaren griechischen
Philosophie nicht zu lösen verstanden. Und was wohl
von noch ernsteren Folgen sein musste: Caesar und
Augustus sind in ihrer Mittelstandspolitik vor dem
letzten Rest der Aufgabe auf einmal stehen
geblieben.
§ 29. Caesar soll von 320'000
Getreideempfängern Roms 150'000 zurückgelassen
haben. Hätte er auch noch diese letzten 150'000
arbeitslosen Kostgänger des Staates ökonomisch
verselbständigt und in der Bestreitung ihres
Lebensunterhaltes auf ihre Selbsthülfe angewiesen,
so hätte er allerdings noch mehr Produktionsmittel
den Renten verzehrenden Optimaten nehmen und unter die
Besitzlosen aufteilen müssen. Damit wäre auch
gleichzeitig der Luxuskonsum in Rom noch mehr
zurückgegangen, die Ausgaben für staatliche
Getreidelieferungen an das Proletariat wären
verschwunden, es wäre für Rom endlich einmal
wieder die Zeit der freien Getreidepreisbildung mit
steigenden mittleren Getreidepreisen gekommen, der
Getreidebau wäre in ganz Italien wieder lohnend
geworden, die bäuerlichen Wirtschaften wären
nicht nur in nächster Nähe von Rom, sondern im
ganzen Reiche gerettet gewesen, und das kaiserliche Rom
auf italischem Boden hätte eine aktive Handelsbilanz
gehabt an Stelle der so bedenklichen passiven
Handelsbilanz der Republik.
Sachliche Hinderungsgründe hat es bei diesem
Einhalten in der antikapitalistischen Mittelstandspolitik
vor dem letzten Schritte für Caesar kaum gegeben;
denn das Bedürfnis nach einer formalen Sanktion der
Beutezüge in Italien und den Provinzen durch die
römische Volksversammlung, welches im
republikanischen Rom die Annona geschaffen hatte, war
jetzt nicht mehr vorhanden. Es müssen also doch mehr
persönliche Gründe entscheidend gewesen sein
dafür, dass Caesar diesen höchst bedenklichen
Rest der Erbschaft aus der republikanischen Zeit
behalten. Sei es, dass er persönlich bereits zu sehr
gewöhnt war, der Masse gegenüber den reichen
Almosenspender zu spielen, sei es, dass die
Rücksicht auf vermeintliche Anhänger die
Weiterführung des Enteignungsprozesses unter den
Kapitalisten aufgehalten hat, jedenfalls hat Caesar 150'000 Empfänger
staatlicher Getreidealmosen in Rom zurückbehalten.
Und Augustus hat die republikanische Annona
in eine kaiserliche Annona verwandelt,
welche anfänglich namentlich als staatliches
Almosen an das Proletariat zu dessen
Lebensunterhalt sich charakterisiert; denn jetzt bedurfte
man der Getreidespenden nicht mehr, um von der
Volksversammlung die formale Sanktion für
kapitalistische Beutezüge zu erlangen. Dieser damals
vielleicht ganz unbedenklich erschienene Rest der
Kapitalistenwirtschaft aus republikanischer Zeit wirkte
innerhalb der sonst so glücklich reformierten
Volkswirtschaft wie der Eiterrest in einer nicht
vollständig gereinigten und frisch verbundenen
Wunde.
Die 150'000 Proletarier, welche unter Caesar in Rom
von der Annona ernährt und mit öffentlichen
Spielen unterhalten wurden, sind schon unter Augustus
wieder auf 250'000 angewachsen. Die Getreidepreise wurden
deshalb nach wie vor in der Stadt Rom künstlich
nieder gehalten. Der Getreidebau blieb in Italien
unrentabel. Und nur auf den Feldern in der grösseren
Nähe von Rom konnte sich jetzt durch Gemüsebau,
Geflügelzucht, Obstbau, Blumenzucht, Fischzucht,
Bienenzucht u.s.w. ein wohlhabender
Bauernstand entfalten. Der gewaltige Konsum von
Luxusprodukten in Rom dauerte weiter. Das Problem der
passiven italischen Handelsbilanz blieb ungelöst.
Das Edelmetall- und Münzausfuhrverbot blieb auch in
der Kaiserzeit ohne Wirkung. Ungezählte Millionen
sind an Münzen aus Rom abgeflossen, um jetzt aber
nicht mehr, wie zur Zeit der Republik, zurück
geraubt zu werden. An diesem Defizit und
nicht an den Ausgaben für das stehende Heer von
300'000 Mann und für die Besoldungen der
kaiserlichen Beamten hat sich das römische
Kaiserreich langsam aber sicher verblutet.
§ 30. Um von der Grösse jener Wertsummen,
welche dieser Rest von kapitalistisch-proletarischer
Wirtschaft schon
während der 45jährigen Regierungszeit des
Kaisers Augustus verschlungen hat, eine allgemeine
Vorstellung zu erlangen, bieten sich folgende
Anhaltspunkte:
Augustus schuf mit glücklicher Hand eine Ordnung
des Reichssteuerwesens. Die schwankenden Zehntabgaben der
Provinzen wurden in feste Grundsteuerbeträge
verwandelt. Die seit 167 v. Chr. bestehende
Steuerfreiheit der römischen Bürger wurde
aufgehoben und eine 5%ige
Erbschaftssteuer mit einer Verkehrssteuer von etwa
1% des Wertes der Sachen und
4% des Wertes der Sklaven und
endlich eine Prostituiertensteuer eingeführt. In den
staatlichen Bergwerken Spaniens waren 40'000 Mann mit der
Silbergewinnung beschäftigt. Und nicht viel geringer
war die Zahl der Bergleute, welche in Dacien, dem
gebirgigen Teil des heutigen Siebenbürgen, Gold zu
gewinnen suchten. Die Reichseinnahmen waren also jetzt
gewiss beträchtlich grösser als zur
republikanischen Zeit.
Freilich waren auch die Ausgaben gewachsen. Das
stehende Heer von 300'000 Mann erforderte Sold und
Unterhalt. Die grosse Zahl der kaiserlichen Beamten
kostete gewiss ebenfalls alljährlich eine
hübsche Summe. Doch da es sich hier um ständige
und feste Abgaben handelte, kann der Reichshaushalt nach
seiner systematischen Ordnung durch Augustus kaum von
dieser Seite überrascht worden sein. Die
eigentliche Schwäche auch des Augusteischen
Reichsbudgets lag in den schwankenden und progressiv
wachsenden Ausgaben für die Erhaltung einer
zureichenden Münzcirculation, für grosse Bauten
aller Art, die gewiss ebensoviel zur
Beschäftigung des arbeitslosen Proletariats wie der
Prachtliebe des Kaisers gedient haben, für
öffentliche Spiele, die schon zur Annona
gehören, und zuletzt namentlich in den
Ausgaben für die Annona im engeren
Sinne des Wortes. Von diesen Ausgabenposten wissen
wir, dass Augustus neben dem grossen steinernen
Amphitheater mit 150'000 Zuschauerplätzen noch eine
so grosse Reihe anderer Paläste gebaut hat, dass er
sich vor seinem Tode rühmen konnte, das alte,
backsteinerne Rom in ein marmornes Rom verwandelt zu
haben. Seine Spiele, die er dem Volke gegeben, waren von
solcher Pracht und wurden so stark besucht, dass
besondere Wächter während derselben das fast
verlassene Rom gegen Diebe bewachen mussten. Von den
Kosten der staatlichen Getreidelieferungen an das
Proletariat wird berichtet, dass sie in den Jahren
73 v. Chr. 1 ¾ Millionen Mark
62 " " 5 ¼ " "
56 " " 7 ¼ " "
46 " " 13 ½ " "
betragen haben, und dass im Jahre 21
v. Chr., als eine Hungersnot mit Unruhen die Hauptstadt
Rom heimsuchte, Augustus die cura annonae übernahm,
der im Jahre 19 v. Chr. die Leitung des Strassenbaues
(cura viarum), 10 v. Chr. die Aufsicht über die
Wasserleitungen (cura aquarum) und schliesslich die
Leitung des gesamten hauptstädtischen Bauwesens
(cura operum locorumque publicorum) folgte. Als Herr des
getreidereichen Aegypten schien ja auch Augustus zur
Uebernahme der Sorge für genügende
Getreidevorräte in Rom besonders geeignet. Aegypten
soll jetzt jährlich 1 3⁄4 Millionen
Hektoliter Weizen nach Rom geliefert haben, was etwa auf
4 Monate reichte. Für den Transport dieser
Getreidemengen wurde eine besondere kaiserliche Flotte
(Classis Alexandrina) gebaut. Dem Praefectus annonae war
ein ganzes Heer von Beamten und Dienern untergeordnet. In
den Provinzen gab es besondere Amtsstellen als Vertretung
der Annona mit spezieller Gerichtsbarkeit über alle
Klagen aus dem Getreidegeschäft. Trotzdem soll in
den Jahren 6 und 7 v. Chr. eine
Hungersnot, schlimmer denn je in Rom ausgebrochen sein.
Und für das Jahr 10 v. Chr. wird berichtet, dass der
Weizenpreis in Rom auf 590 Mk. 58 Pf. pro Tonne gestiegen
sei, obwohl für dieses nicht einmal eine Hungersnot
gemeldet wird. Jeder Ueberschuss aus der Verwaltung der
senatorischen Provinzen wurde an die Annona
abgeführt. Die Verwaltung der Annona muss also ganz
gewaltige Summen verschlungen haben. Trotzdem scheint
unter Augustus Ordnung im Reichshaushalt gewesen zu sein,
freilich auf Kosten seines eigenen Vermögens. Von
den 700 Millionen Mark, welche er zu Lebzeiten geerbt,
hat er bei seinem Tode nur 25 Millionen Mark
hinterlassen, 675 Millionen Mark hat er weit
überwiegend für öffentliche Zwecke
ausgegeben.
§ 31. Wenn so die finanziellen Schwierigkeiten
sich schon zu Anfang der Kaiserzeit unter einem
unzweifelhaft hoch begabten Regenten auftürmten, wie
sollte es später werden unter unfähigen und
verschwenderischen Monarchen? Die Antwort der Geschichte
auf diese Frage ist eigentlich recht einfach und
naheliegend und sie klingt sogar modern, wenn wir davon
absehen, dass die damalige Zeit das Institut der
Staatsschuldenscheine noch nicht kannte. Man ging
nämlich ganz rücksichtslos von der
Notwendigkeit der Deckung des Staatsbedarfs aus und nahm
— ohne alle Sorge um theoretische Prinzipien
— das Geld und die Güter, wo man sie kriegen
konnte.
Schon den Nachfolger des Augustus,
Tiberius (14 bis 37 n. Chr.), hat ein
Gefühl des Unbehagens dazu geführt, mit der
Anklage de maiestate unter den reichen Senatorenfamilien,
welche die Raubfreiheit der republikanischen Zeiten nicht
ganz vergessen konnten, durch den Henker
aufzuräumen, um deren Vermögen zu konfiszieren.
Der Nachfolger des Tiberius, Caligula (37
bis 41 n. Chr.), hat bei einer Geldverlegenheit in
Gallien sich die Censusliste
vorlegen lassen, um darnach die Namen der Reichsten zu
bezeichnen, welche mit ihrem Vermögen seine Schulden
zahlen mussten, nachdem sie vorher ihr Leben geopfert
hatten. Nero (54 bis 68 n. Chr.) grinste bei
der Entdeckung, dass die halbe Provinz Nordafrika sechs
Grundbesitzern gehörte. Bald darauf war über
die Leichen dieser sechs Grossgrundbesitzer Nero
Privateigentümer dieser halben Provinz geworden. So
durchzieht eine lange Reihe von Grausamkeiten speziell
gegen die Reichen die römische Kaisergeschichte fast
von Anfang an. Die Reaktion blieb natürlich nicht
aus. Von den sieben ersten Nachfolgern des Kaisers
Augustus sind fünf eines gewaltsamen Todes
gestorben. Nationalökonomisch aber haben wir es hier
mit der Fortsetzung des Prozesses der Expropriation
der Expropriateure zu thun, welcher nach der fast
vollständigen Ausplünderung der Masse des
Volkes mit den Bürgerkriegen beginnt, von Caesar und
Augustus nicht reinlich genug durchgeführt wurde und
deshalb jetzt fortdauert unter dem Zwange finanzieller
Verlegenheiten, welche der zurückgebliebene Rest
grosskapitalistischer Raubwirtschaft dem Reiche bereitet.
Aber jetzt führt diese planlose Expropriation nicht
mehr zur Gesundung des Volkskörpers, sie verlangsamt
nur etwas den Auflösungsprozess, welcher denselben
befallen hat.
Ein anderes, naheliegendes Mittel zur Deckung des
Staatsbedarfs bot die
Münzverschlechterung. Die römische
Goldmünze (aureus) wurde unter Caesar mit 8,185
Gramm Gold geprägt. Nero liess nur noch 7,28 Gramm
Gold verwenden. Marc Aurel (161 bis 180 n. Chr.) hatte
die Prägung von Goldmünzen ganz eingestellt.
Unter Septimius Severus (193 bis 211 n. Chr.) war ihr
Goldgehalt auf 6,55 Gramm, unter Diocletian
(284 bis 305 n. Chr.) auf 5,453 Gramm
zurückgegangen. Auch die Silbermünzen hat
bereits Nero zu verschlechtern begonnen. Trajan (98 bis 170 n. Chr.) lässt sie
mit 20% Kupfer ausprägen,
Caracalla (211 bis 217 n. Chr.) verwendet 50
bis 60%, Elagabal (218 bis
222 n. Chr.) 95% Kupfer, so dass
in dieser sogenannten Silbermünze nur mehr
5% Silber enthalten waren. Weil
gleichzeitig die Goldmünzen fast ganz verschwunden
waren, war Rom thatsächlich etwa 400 Jahre nach
Einführung der Goldwährung wieder zur
Kupferwährung zurück gekommen.
§ 32. In engster Verbindung mit der
Vermögenskonfiskation und der
Münzverschlechterung stand natürlich die
rücksichtsloseste Anspannung der
Steuerschraube. Mit dem Privileg der
Steuerfreiheit der römischen Bürger hatte schon
Augustus gebrochen. Doch blieben auf italischem Boden
vorläufig nur die indirekten Steuern in Anwendung,
die hier bis auf die Pissoirsteuer ausgedehnt wurden.
Erst Diocletian (284 bis 305 n. Chr.) hat diesen letzten
Unterschied zwischen Italien und den Provinzen beseitigt
und ganz allgemein im Reiche die direkten Staatssteuern
eingeführt. Wie weit schon zu Anfang des 2.
Jahrhunderts die Steuerschraube über die Grenze der
Leistungsfähigkeit der Steuerzahler hinausgegangen
war, bezeugt die Thatsache, dass der Reisekaiser Hadrian
(117 bis 138) über 200 Millionen Mark
Steuerrückstände in den Provinzen erlassen hat.
Der bisher betretene Weg der Deckung des Staatsbedarfs
konnte also unmöglich beibehalten werden. Es
mussten hier sich neue Wege eröffnen.
Und welcher Art waren dieselben?
Die Entwicklung, welche auf diese Frage Antwort giebt,
wird von verschiedener Seite verschieden beantwortet. Die
Einen sprechen von einer gewaltsamen Rückbildung in
die Naturalwirtschaft, Andere sehen hier einen
gewaltigen, bis ins Kleinste mit bureaukratischem Zwang
geregelten Verwaltungsmechanismus. Wieder andere
erblicken darin die Wirkung des absoluten antiken
Staatsbegriffes, der dem
Einzelindividuum gegenüber keine Herrschaftsgrenzen
kennt. Indessen treffen all diese Bezeichnungen immer nur
eine Seite des organischen Gebildes, um das
es sich hier handelt. Sie dringen nicht in das
eigentliche Wesen desselben ein. Soll das geschehen, so
kann es sich hier um nichts anderes handeln, als um
die Ausbildung des Staatssozialismus auf
berufsgenossenschaftlicher Basis.
Wir haben hier den Sozialismus vor uns,
weil es sich um die Vernichtung der wirtschaftlichen
Freiheit der Einzelnen handelt durch Massregeln, welche
auf die Beseitigung der Notlage der Arbeitslosen abzielen
und nach materialistischer Entwicklungstendenz an die
Stelle der ausgelebten Formen der kapitalistischen
Gesellschaftsordnung getreten sind. Wir haben hier den
Staatssozialismus vor uns, weil diese
Reorganisation der Gesellschaft nicht auf einmal und
für und durch die ganze Gesellschaft, sondern nur
schrittweise nach Massgabe des drängenden
Bedürfnisses durch den Staat erfolgt ist. Und wir
haben hier den Staatssozialismus auf
berufsgenossenschaftlicher Basis vor uns, weil die
von der Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Freiheit
betroffenen Individuen nicht in Staatsbeamte schlechtweg,
sondern in Quasi-Beamte, im Rahmen obligatorischer
Berufsgenossenschaften, verwandelt wurden. Die
historische Darstellung dieses höchst modernen
Entwickelungsprozesses aber muss wieder beginnen mit
dem Getreide und der
Getreidepolitik gegen Ende der republikanischen
Epoche.
§ 33. Es ist oben bereits gesagt worden, wie die
Konkurrenz der beutegierigen römischen Kapitalisten
schon vor dem Ende der Republik bei der
kostenlosen Verteilung von staatlichem
Getreide an die arbeitslosen Bürger in Rom
angekommen war. Trotzdem wurden von den Kapitalisten auch
jetzt noch private Getreidespenden zu
Wahlbestechungen verwandt, deren Mengen niemals auf dem
römischen Markte gekauft werden durften, weil das
eine preissteigernde Wirkung gehabt hätte, die von
dem Volke recht übel aufgenommen worden wäre.
Das Getreide für private Spenden wurde deshalb
überwiegend von den eigenen Latifundien genommen
oder auswärts gekauft. In beiden Fällen war ein
Wassertransport nötig. Und so kam es, dass im
republikanischen Rom das Gewerbe der
Getreideschiffer (navicularii) auch noch zur Zeit
der kostenfreien Abgabe von Staatsgetreide prosperierte.
Das Kaiserreich hat dann die kostenfreie Abgabe von
staatlichem Getreide, die Frumentation, zwar beibehalten,
aber gleichzeitig das kapitalistische Interesse an
Wahlbestechungen beseitigt, weil es die bis dahin
übliche Ausbeutung der Provinzen aufgehoben hat.
Damit waren für die navicularii die wichtigsten
regelmässigen Auftraggeber und Abnehmer
verschwunden. Diese Umwandlung erfolgte natürlich
nicht plötzlich und an einem Tage. Auch wollten die
navicularii ihre Schiffe nicht auf einmal im Hafen
unbenutzt liegen lassen. Aber die Marksteine für den
stetigen Niedergang des Privatgewerbes der
Getreideschiffer sind deutlich gegeben.
Augustus hatte die Classis Alexandrina
gebaut, die gelegentlich gewiss auch von anderen
Plätzen als von Aegypten das staatliche Getreide
nach Rom verfrachtet hat. Damit war also den navicularii
wohl die ganze Verfrachtung des staatlichen Getreides
entzogen. Die staatliche Getreideflotte erlangte für
Rom eine solche Bedeutung, dass Vespasian, als er 69 n.
Chr. die Waffen gegen Vitellius erhob, nach Aegypten
eilte, sich der kaiserlichen Kornflotte bemächtigte
und damit Rom und den Kaiser in seiner Hand hatte. Die
navicularii werden wohl jetzt ihre alt gewordenen Schiffe
nicht mehr durch neue ergänzt haben. Die gesamte
Getreidezufuhr fiel deshalb nach und nach ganz der staatlichen Getreideflotte zu,
die dieser Aufgabe nicht gewachsen sein konnte. Es kam
deshalb zu Hungersnöten in Rom in den
Jahren 19, 32, 41 und besonders 52 n. Chr. mit
solch ausgedehnten Strassenunruhen, dass der Kaiser
Claudius (51 bis 54 n. Chr.) nur mit Mühe sein Leben
durch die Flucht retten konnte. Da musste also zur
Verbesserung der Getreidezufuhr nach Rom etwas geschehen.
Claudius hat den Tiber als Zufuhrstrasse dadurch
wesentlich verbessert, dass er seine Mündung durch
die Anlage eines etwa 5 Kilometer langen schiffbaren
Kanales regulierte, an dessen Ende den neuen besseren
Hafen Fiumicino anlegte und die navicularii insbesondere
auch dadurch begünstigte, dass er ihnen vollen
Ersatz aller Havarien aus der Staatskasse zusicherte.
§ 34. Trotzdem brachte das Jahr 69 n. Chr.
schon wieder eine schwere Hungersnot. Zwar war man
bemüht, den Getreidebau auf italischem Grunde zu
fördern; Domitian (81 bis 96 n. Chr.) z. B.
verbietet ausdrücklich die Anlage neuer
Weinpflanzungen zum Schutze des Getreidebaues. Von
solchen Massregeln jedoch wird kaum jemand einen
besonderen Erfolg erwartet haben. Die Hauptsorge der
kaiserlichen Annonaverwaltung war deshalb immer auf
Ansammlung möglichst grosser Getreidevorräte
gerichtet. Nur deshalb konnte Trajan (98 bis 117 n. Chr.)
durch Getreideabgabe aus den Vorräten in Rom eine
Hungersnot in Aegypten verhüten. Und von Septimius
Severus (193 bis 211 n. Chr.) wird
berichtet, dass er bei seinem Tode einen
Weizenvorrat von 15 3⁄4
Millionen Hektoliter hinterlassen habe,
ein Quantum, welches einer guten Weizenernte des heutigen
Kanada oder von Australien gleich kommt und nahezu die
Hälfte ist von jenen sichtbaren Vorräten,
über welche der morderne, internationale
Getreidehandel am 1. August 1898 auf der ganzen Erde
verfügen konnte.
Angesichts solcher Getreidelager
konnte natürlich von einer Besserung der
Getreidepreise in Rom gar keine Rede sein. Der
Getreidebau und der Wohlstand der Getreidebauern ging
dauernd zurück. Ebenso ist damit jede Anregung
für Privatunternehmer, von auswärts Getreide
nach Rom zu bringen, ausgeschlossen gewesen. Die
Thätigkeit der navicularii musste im Ganzen ins
Stocken geraten. Weil aber Rom immer wieder von
furchtbaren Hungersnöten heimgesucht wurde und die
kaiserliche Getreideflotte der ihr unter solchen
Umständen zufallenden Aufgabe nicht gewachsen
schien, trotzdem Commodus (180 bis 192 n. Chr.) zu der
Classis Alexandrina des Augustus noch die Classis
Africana hatte bauen lassen, blieb als ultima
ratio nur noch die Gewalt und der Zwang übrig, der
vor allem auf jene ausgedehnt wurde, welche zur
Ergänzung der kaiserlichen Getreideflotten für
die Verproviantierung Roms zunächst in Betracht
kamen: die Getreideschiffergilde.
Die navicularii wurden durch Gesetz
in eine obligatorische Berufsgenossenschaft
zusammengeschlossen, welcher die Mitglieder auf
Lebensdauer angehörten und zwar in so
ausschliesslicher Weise, dass ihnen die gleichzeitige
Zugehörigkeit zu einer andern Vereinigung
ausdrücklich verboten wurde, und dass sie neben
ihrer Berufsarbeit von jeder wie immer gearteten Leistung
an den Staat, also auch von Steuern und
Kriegsdienstleistungen, befreit waren. Ihr
selbstgewählter Vorstand wurde vom Staate
bestätigt und erhielt von der kaiserlichen
Annonaverwaltung die Befehle, aus welchen Provinzen und
Häfen und binnen welcher Frist bestimmte
Quantitäten von Getreide da und dahin zu verfrachten
seien. Für die richtige Ausführung dieser
Befehle war die Genossenschaft solidarisch haftbar. Die
Genossenschaft hatte deshalb auch ein solidarisches
Erbrecht an dem Vermögen ihrer Genossen. Als Lohn
gewährte der Staat der Genossenschaft für 100 modii (à
8,75 Liter) Getreide vom Orient oder von Alexandrien nach
Rom verfrachtet 1⁄10
aureus in Gold und 4% der transportierten Ware, von der
Provinz Africa nach Rom verfrachtet 1% der Ware. Die gerechte Verteilung
dieses Lohnes an die einzelnen Mitglieder war dem
Genossenschaftsvorstand überlassen. Und weil aus
naheliegenden Gründen der freiwillige Eintritt in
diese Zwangsgenossenschaft nicht beliebt sein konnte,
wurden Vagabunden und Bettler auf Grund krimineller
Verurteilung unter die navicularii eingereiht und zur
Verhütung ihrer Flucht mit einem Brandmal
versehen.
Dieser Organisation der navicularii als eine den
Dispositionen des Staates ganz zur Verfügung
stehenden Zwangsberufsgenossenschaft folgte
naturgemäss die analoge Organisation der
mensores frumentarii, welche in Rom,
Fiumicino und Ostia das Getreide zu vermessen hatten, der
Codicarii, welche das Getreide in Barken den
Tiber hinauffuhren, der Katabolenses, welche
das Getreide in die öffentlichen Magazine schleppten
und schliesslich auch der Pistores, welche
täglich mindestens 100 modii Getreide zu vermahlen
hatten.
§ 35. Durch diese staatliche Zwangsorganisation
der Getreideschiffergilde und der andern mit dieser Hand
in Hand arbeitenden Gewerbe wurde gewiss die
Leistungsfähigkeit der Getreidezufuhr nach Rom
erhöht. Aber die Getreidepreise wurden durch dieses
immer weiter um sich greifende System der zwangsweisen
Naturalversorgung gewiss nur noch mehr gedrückt. Die
Getreidebauern und kleinen Pächter, deren Zahl seit
Caesar und Augustus sich glücklicherweise so sehr
vermehrt hatte, und für welche der Getreidebau der
wichtigste Produktionszweig war und bleiben musste, kamen
damit immer mehr in eine unhaltbare Lage. Schon vor
Hadrian’s Zeiten (117 bis 138 n. Chr.) waren sie
der niedrigen Preise ihrer Produkte halber mit ihren fixierten Geldleistungen und
Abgaben so sehr im Rückstand geblieben, dass man
übel oder wohl ihre Geldleistungen in
Naturalleistungen verwandeln musste. So
wurden aus den Bauern und Pächtern Teilpächter,
welche die Hälfte des Rohertrages in natura
abzuliefern hatten. Weil aber nach damals geltendem Recht
der Staat wie auch der Grundherr für
rückständige Zahlungen den Bauern bezw.
Pächter auf seiner Scholle zurückhalten konnte
und jetzt nach den Vertragsbestimmungen der Teilpacht
(colonia partiaria) Staat und Grundeigentümer an der
Grösse des Rohertrages direkt interessiert waren,
entwickelte sich daraus um so leichter das Recht der
Beaufsichtigung des bäuerlichen Betriebs, als der
Staat mit dem Zusammenbruch seiner Münzordnung neben
der Ausdehnung der Annona immer allgemeiner zum
Naturalsteuersystem übergehen musste und die
Munizipalverwaltungen, wie auch die separierten
Grundherrschaften für den Eingang der von den Bauern
geforderten staatlichen Lieferungen haftbar waren.
Dieser allmählich von Italien
aus sich verbreitende Uebergang aus dem vollfreien Pacht-
und Grundbesitzverhältnisse mit festen Geldabgaben
in das Teilpachtverhältnis mit schwankenden
Naturalerträgen hat bei den niedrigen
Getreidepreisen notwendiger Weise eine starke Entwertung
des landwirtschaftlichen Grundbesitzes zur Folge gehabt.
Und nachdem der Staat selbst grössere Summen in der
Form von Darlehen dabei verloren, wurde für eine
bestimmte Zeit verboten, fortan Mündelgelder in
landwirtschaftlichem Grundbesitz anzulegen, sie sollten
anderwärts auf Zinsen ausgeliehen werden. Und da
ausserdem in Folge der mit diesen Umwandlungen
verbundenen Freiheitsbeschränkungen viele Bauern von
ihren Besitzungen geflüchtet waren, wurde im
Interesse der Brotversorgung des Volkes im Jahre 193 n.
Chr. verordnet, dass Jedermann, dem es
beliebe, verlassene Aecker zu occupieren und zu bebauen,
Eigentümer des Landes werde.
Mitten unter diesen Umgestaltungen traf zur Zeit des
Kaisers Marc Aurel (161 bis 180 n. Chr.) der Ansturm der
Germanen das Reich und brachte es in noch grössere
Bedrängnis. Die Reihe der Soldatenkaiser beginnt mit
Septimius Severus (193 bis 211 n. Chr.), der seinem Sohne
den Rat giebt, das Heer zu bereichern und im übrigen
aller Welt zu spotten! Da war denn wenig Aussicht, dass
private Rechte und die wirtschaftliche Freiheit der
Einzelnen angesichts der Not geachtet würden. Unter
den Beruhigungsmitteln für den gefährlichen
arbeitslosen Pöbel der Grossstädte war das
Getreide am unentbehrlichsten. Also wurden gegen Ende des
zweiten Jahrhunderts die
Teilpachtverträge der Bauern auf dem
Wege verwaltungsrechtlicher Verordnungen, auch soweit es
Privatverträge waren, in das
Rechtsinstitut des Kolonats verwandelt. An
die Stelle der alten Zeitpacht war damit die
lebenslängliche Gebundenheit der Bauern getreten,
und der Erbe folgte dem Vater. Im Laufe des dritten
Jahrhunderts wurde dann durch kaiserliche Gesetze der
letzte Rest der Freizügigkeit für die Kolonen
aufgehoben. Die Kinder traten durch die Geburt ohne ihren
Willen in das für die Kolonen geltende Recht ein und
gehören bald so sehr zum Gute, dass sie mit dem Gute
verkauft werden, dass ihre Flucht als Verbrechen bestraft
wird, und dass es den Kolonen verboten ist, eine
Nichtkolonin zu heiraten.
§ 36. Mit dieser furchtbaren Krisis in der
Landwirtschaft, die den ländlichen Grundbesitz
völlig entwertete, und mit dem Rückgang des
Privathandels nach der staatssozialistischen Organisation
der Schiffergilde sind aber in der Hauptstadt Rom
notwendiger Weise die Preise für alle andern
Produkte des täglichen Bedarfs mit Ausnahme von
Getreide, das staatlich geliefert wurde, so sehr
gestiegen, dass jetzt eine
Fleisch-, Holz- und Weinnot
wachsende Unzufriedenheit unter der Bevölkerung
hervorruft. So musste denn die Annonaverwaltung, die mit
der Lieferung von Getreide begonnen hatte, nach und nach
auch die Lieferung der übrigen Bedürfnisse des
täglichen Lebens wohl oder übel
übernehmen. Der Weg, welcher hierbei in Frage kam,
war durch die staatssozialistischen Organisationen der
Getreidelieferung bereits vorgezeichnet. Die zwangsweise
Ausbildung des Kolonats, wie die Notwendigkeit nach
Zusammenbruch der Münzordnung Heer und Beamte ganz
in Naturalien zu entlohnen, begünstigten und
drängten die Entwickelung ganz nach der gleichen
Richtung. So wurde denn unter Aurelianus (270 bis 275 n.
Chr.) zur staatssozialistischen Organisation der
Schweinemetzger (corpus suariorum)
geschritten. Den Provinzen wurde die Lieferung einer
bestimmten Menge von Schweinen als Steuer auferlegt, und
die obligatorische Berufsgenossenschaft der
Schweinemetzger war für rechtzeitige Verbringung,
Aufspeicherung und Verbreitung solidarisch haftbar,
für welche Leistungen z. B. im Jahre 365 in Rom der
Berufsgenossenschaft 17'000 Amphoren Wein und 5% des gelieferten Fleisches gewährt
wurden. Dieses Fleisch wurde dann in Rom an die
bedürftigen Bürger zur Hälfte des
Marktpreises und noch billiger abgegeben. Den
Schweinemetzgern folgte die analoge Organisation der
Hammel- und Rindsmetzger, der
Weinlieferanten, der Holz- und
Kohlenlieferanten, der Maurer- und
Zimmerleute, der Kalklieferanten
u.s.w., so dass in der
diokletianisch- konstantinischen Epoche alle Gewerbe,
welche mit der Herstellung und Beschaffung der Güter
des täglichen Bedarfs in den wichtigsten
Städten des Reiches beschäftigt waren, der
staatssozialistischen Organisation auf
berufsgenossenschaftlicher Basis angehörten.
§ 37. Diese zunächst
für die Stadt Rom zum Austrag gekommene
Entwickelung ist für weite Gebiete des Reiches
vorbildlich geworden. Schon der Bundesgenossenkrieg hatte
den freien Italikern das römische Bürgerrecht
gegeben und den Lokalrichter beseitigt. Mit dieser
Verleihung des römischen Bürgerrechtes wurde in
der Kaiserzeit immer liberaler vorgegangen, bis endlich
Kaiser Caracalla (211 bis 217) dasselbe allen freien
Provinzialen verliehen hat. Den Gegensatz zwischen
städtischen und ländlichen Bezirken hat das
alte Rom nicht gekannt. Das Reich wurde nach Analogie der
römischen Mark in Stadtbezirke aufgeteilt, und was
in Rom die Senatoren waren, das waren in diesen
provinzialen Stadtbezirken die Decurionen.
Sie führten die Verwaltung des Bezirks unter
Kontrolle und Aufsicht besonderer kaiserlicher
Beamten.
Wie die Reichshauptstadt, so hatte auch bald die
grössere Provinzstadt ihre Politik des
Panis et Circenses. Die Naturalleistungen,
welche von der Reichsverwaltung für die einzelnen
Provinzen ausgeschrieben wurden, kamen innerhalb der
Provinzen nach Stadtbezirken zur Aufteilung, und die
Decurionen waren für dieselben haftbar gemacht.
Grundstücke, welche innerhalb der Bezirke verlassen
wurden, fielen mit der Steuerpflicht der Gemeinde anheim,
und die Decurionen waren gehalten, dieselben
möglichst bald wieder zu verpachten. Mit der
Ausbildung des Kolonats wurde innerhalb der Bezirke die
Betriebsaufsicht der Kolonen den Decurionen
übertragen. Ebenso hatten sie die Aufsicht über
die Zwangsorganisation der lokalen Gewerbe. Und als all
ihre Haftpflichten mit den Lasten der lokalen
Annonaverwaltung diese ehrenamtlichen Lokalbeamte mit dem
Verluste ihres Vermögens bedrohten und deshalb ihre
Flucht aus den Städten begann, wurden auch sie von
der staatssozialistischen Gesetzgebung erfasst und zu
berufsgenossenschaftlichen
Zwangsorganisationen nach Art der navicularii
zusammengeschlossen. Sie gehörten ihrem Amte
lebenslänglich an. Ihre Kinder und Erben wurden als
ihre Amtsnachfolger geboren. Sie waren für ihre
Verpflichtungen solidarisch haftbar. Und jeder
Fluchtversuch aus der Stadt und aus ihrem Amte wurde mit
Vermögensconfiscation und gewaltsamer
Zurückführung bestraft.
So vollständig war der staatssozialistische
Gedanke zu Ende des dritten Jahrhunderts zur Herrschaft
gekommen, dass Diocletian „auf Grund
des schädlichen Treibens der Habgier, welche ohne
Rücksicht auf den Ernteausfall die Preise der
Lebensmittel auf das vier- bis achtfache der gewohnten
Preishöhe anhaltend zu treiben verstehe“
im Jahre 301 n. Chr. sein berühmtes
Edikt erlässt, das fast alle Waren nach
Massgabe der gewohnten Durchschnittspreise in eine
amtliche Wertskala einreiht, deren Einhaltung im Verkehr
bei Todesstrafe geboten wird. Fast war also
jetzt im Geltungsbereiche dieser staatssozialistischen
Gesetze vom freien geldwirtschaftlichen Verkehr nichts
mehr übrig geblieben als die Erinnerung an
Durchschnittspreise.
§ 38. Der jetzt noch vorhandene Rest
wirtschaftlicher und persönlicher Freiheit hatte
sich in vereinzelte Oasen auf das Land hinaus gerettet.
Den Senatorenfamilien und den Reichsten in den Provinzen
war es nämlich gelungen die Exemtion aus dem
Munizipalverbande für ihre noch
zurückbehaltenen grossen Grundbesitzungen zu
erlangen. Ihre Häuser und Paläste in den
Städten haben sie dauernd verlassen und sogar
abgebrochen, um der furchtbaren Gefahr zu entgehen, samt
Kindeskindern in irgend eine Zwangsgenossenschaft
eingereiht zu werden. Und diese ihre
Grundherrschaften haben sich die der Stadt
mit kaiserlicher Genehmigung glücklich
entronnenen Reichen jetzt so eingerichtet, dass sie alles
selbst erzeugten, was sie brauchten. Auf
den entfernt gelegenen Feldern hatten die Kolonen das
Getreide zu bauen. Mit Sklaven und freien Arbeitern
wurden die übrigen Rohprodukte dem Boden abgewonnen
und bis zu der luxuriösesten Vervollkommnung in der
eigenen Wirtschaft veredelt. Es war ja auch höchst
gefährlich, auf den Bezug wichtiger
Bedarfsgegenstände von aussen angewiesen zu sein.
Daher das bei diesen Grundherrschaften so scharf
ausgeprägte Streben wirtschaftlich ganz auf
eigenen Füssen zu stehen. Weil hierher
wenigstens die eiserne Schablone der kaiserlichen
Zwangsverordnungen nicht reichte, deshalb schien es schon
im dritten Jahrhundert den Städtern so besonders
verlockend, sich auf eine der separierten freien
Grundherrschaften zu flüchten — als
Gegenstück zu der Flucht vom Lande in die Stadt
fünf Jahrhunderte früher. Aber die Staatsgewalt
war mit dieser Rückwanderung der Bevölkerung
von der Stadt nach dem Lande nicht einverstanden. Deshalb
wurde dieselbe verboten unter Mindestandrohung der
Vermögenskonfiskation mit gewaltsamer
Rückführung nach der Stadt.
§ 39. Das ist in grossen Zügen die
Entwicklungsgeschichte der römischen Welt.
Die glänzend aufsteigende Linie wird getragen von
dem markigen altrömischen Bauernstande, der unter
einheitlicher zielbewusster Führung zu der kleinen
römischen Mark von der Ausdehnung des heutigen
Fürstentum Waldeck bis zu dem Jahre 168 v. Chr. alle
Mittelmeerländer als Provinzen Roms eroberte. Aber
während die römischen Bauern in fernen
Ländern die feindlichen Armeen vernichteten, hatte
der Kapitalismus in der Heimat die Alleinherrschaft
errungen. Von da ab geht unverkennbar die Entwicklung mit
eilenden Schritten abwärts. In wenigen
Jahrzehnten ist der altrömische Bauernstand
vernichtet. Die eroberten Provinzen sind den herrschenden Kapitalisten
nichts als Objekte zügelloser Ausbeutung. Damit die
in der überwiegenden Mehrzahl aus proletarisierten
Bürgern bestehende römische Volksversammlung zu
diesen Akten rein privater Ausplünderung des Reiches
ihre formale Zustimmung erteile, wurde das
republikanische Institut der
Annona geschaffen.
Aber diese Herrschaft der oberen Zweitausend trug
schon von Anfang an den Keim der
Auflösung im Herzen. Denn auch das römische
Weltreich musste bei der beliebten Raubwirtschaft
innerhalb bestimmter Zeit wirtschaftlich erschöpft
sein. Dann wandte sich die raubtierartige
grosskapitalistische Unersättlichkeit der
Tüchtigsten naturgemäss gegen die bisherigen
Kollegen. Es war nicht ganz zur völligen Verarmung
des Reiches gekommen, als schon der Prozess der
Ausraubung der Räuber mit den Bürgerkriegen
begann unter thatkräftigster Mitwirkung des Heeres,
aus dem mit der Vernichtung des selbständigen
Mittelstandes durch den Kapitalismus die konservativen
Elemente verschwunden waren. Die Feldherrn mit den
Soldaten betrachteten jetzt ihre Stellung und ihre
Aufgaben vom kapitalistischen Unternehmerstandpunkte aus
und eroberten sich das Reich, wobei die überwiegende
Mehrzahl der Grosskapitalisten die Kosten des Ueberganges
zur neuen Verfassungsform mit ihrem Leben und ihrem
Vermögen zahlen musste. Die Expropriation der
Expropriateure führte zur Alleinherrschaft
Caesars.
Caesar und Augustus vernichten die verlotterte
Kapitalistenwirtschaft und gründen nach grossen
Gesichtspunkten von neuem einen selbständigen
Mittelstand mit dem Vermögen, das sie der
überwiegenden Mehrzahl der oberen Zweitausend
abgenommen. In fröhlichem Aufschwung erglänzen
deshalb die ersten Jahrzehnte der römischen
Kaiserzeit. Aber dann folgen Krisen auf Krisen. Caesar
und Augustus hatten einen, Anfangs vielleicht unbedeutend
erscheinenden Rest der alten
Kapitalistenwirtschaft in der Annona und in
der passiven italischen Handelsbilanz
zurückbehalten. Und dieser Rest frisst um sich wie
ein gefährliches Gift und reisst mit der elementaren
Gewalt der Not der Zeiten das Römerreich hinab in
den Staatssozialismus auf
berufsgenossenschaftlicher Basis.
War jetzt der Sozialismus etwa eine Erlösung und
Errettung des Volkes? Die Geschichte der Kaiserzeit lehrt
uns, dass der, unter der Alleinherrschaft des
Kapitalismus begonnene, bedenkliche Rückgang der
Bevölkerungsziffer trotz aller Bemühungen der
Kaiser ein dauernder war. Der lex Julia et Papia Poppaea
vom Jahre 9 n. Chr. folgte unter Nerva (96 bis 98 n.
Chr.) die staatliche Alimentation der Knaben. Sein
Nachfolger Trajan nimmt 5000 Knaben in die Zahl der
Empfänger staatlicher Getreidespenden auf. Und
Antoninus Pius (138 bis 161) dehnt diese
Begünstigungen durch besondere Stiftungen auch auf
die Mädchen aus. Von da an verzichtet man auf
Versuche, den Bevölkerungsrückgang aufzuhalten.
Das römische und bald auch das italische Element
scheidet deshalb mehr und mehr aus dem Heere aus.
Die Provinzen liefern mit dem Getreide auch die
Rekruten und die Kaiser. Schon im Jahre 98 n. Chr.
trägt mit Trajan der erste Nichtitaliker die
römische Kaiserkrone. Die Einstellung germanischer
— also „fremdländischer“ —
Söldner in das Heer wird immer häufiger. Im
Laufe des zweiten Jahrhunderts werden die römischen
Legionen so vollständig germanisiert, dass Septimius
Severus (193 bis 211) die altrömische Garde, die
Prätorianer, — welche den Kaiser ermordet und
den Kaiserthron öffentlich meistbietend
verauktioniert hatten! — auflösen und aus
Illyriern und Thrakern bilden kann. Nachdem jetzt selbst
die römische Garde aus fremdländischen Söldnern bestand, bestieg auch
mit Maximinus dem Thraker im Jahre 235 der
erste Barbar den römischen Kaiserthron. Kaiser
Probus (276 bis 282) greift zu dem Mittel, 100'000
Germanen zum Schutze des Reiches an dessen Nordgrenze
anzusiedeln, die unter Konstantin (323 bis 337) als
limitanei den Kern der römischen
Truppen bildeten. Theodosius (379 bis 395) aber ist schon
genötigt, ganze Germanenstämme in den
Reichsverband aufzunehmen, um den andrängenden
Germanen Truppen entgegen stellen zu können.
Unmöglich kann also unter der Herrschaft des
Staatssozialismus eine besondere Lebensfreudigkeit in der
Bevölkerung geherrscht haben. Sonst hätte man
sich nicht so allgemein gescheut, Nachkommen in die Welt
zu setzen, und nicht so häufig zum Selbstmord
gegriffen, um dieser Welt rascher den Rücken zu
kehren.
Das römische Volk ist unter der Herrschaft des
Sozialismus fast ausgestorben. Als die Stürme der
Völkerwanderung einherbrausten, war nicht ein
Römer mit römischen Soldaten, sondern der
Vandale Stilico mit germanischen Söldnern der
gefährlichste Feind der Germanen. Es war deshalb
eigentlich nur der natürliche Ausdruck einer
längst vorhergegangenen
Bevölkerungsverschiebung, wenn im Jahre 476 n. Chr.
der Anführer der germanischen Söldner,
Odoaker nämlich, den schwachen letzten
römischen Kaiser Romulus Augustulus vom Thron jagte,
um dessen Position in Rom selbst einzunehmen.
Aber auch die Spaltung des Reiches hat
der Staatssozialismus vor allem verschuldet. Denn seine
lawinenartig anwachsenden Regierungsaufgaben konnten
schliesslich selbst die besten römischen Juristen
von einer Stelle aus nicht mehr
bewältigen. Deshalb fällt genau mit der
organisatorischen Ausgestaltung des Staatssozialismus in
der diokletianisch - konstantinischen Epoche das
unabweisbare
Bedürfnis zusammen, die Einheit des Reiches
aufzuteilen. Und wenn auch das oströmische Reich
unter günstigen Nebenumständen noch bis zum
Jahre 1453 eine Scheinexistenz bewahren konnte, so hat
doch die ihrer wirtschaftlichen und persönlichen
Freiheit völlig beraubte Bevölkerung seinem
Untergange ebenso absolut teilnahmlos gegenüber
gestanden, wie fast tausend Jahre früher die
Bevölkerung des weströmischen Reiches der
Vernichtung desselben.
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