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Das Getreide als Ausgangspunkt des Systems. |
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Unsere nationalökonomische Litteratur hat bekanntlich damit begonnen, jene Massregeln zusammenzustellen, durch welche eine möglichste Steigerung des Geldreichtums im einzelnen Lande bewirkt werden konnte. Es ist deshalb aus historischen Gründen gewiss verständlich, dass die Nationalökonomen fast bis zur Gegenwart häufig die Erscheinungen und Funktionen des Geldes im Volkskörper der grössten Sorgfalt würdigten und mehr als einmal versprochen haben, durch ausschliesslich geldwirtschaftliche Massnahmen alle Leiden dieser Welt zu heilen. Man wird indes gewiss zugeben, dass das Getreide, das Brot, das weitaus unentbehrlichere für den Menschen ist. Ohne Metallgeld hat die Wirtschaft der Menschen wahrscheinlich Jahrtausende hindurch bestanden. Ohne Getreide ist das Leben der Menschen undenkbar. Wenn also die Wirtschaftslehre überhaupt einseitig aufgebaut werden könnte, so wäre das als Lehre vom Getreide, nicht aber als Lehre vom Gelde möglich. Die heute so oft noch ausschliesslich geldwirtschaftliche Auffassung der politischen Oekonomie gleicht einer Bautechnik, welche die Lehre von den Fundamenten vergessen hat. Die unter spezieller Leitung von Professor Schmoller stehenden Veröffentlichungen der Akademie der Wissenschaften in Berlin über die Geschichte der Getreidehandelspolitik beginnen ihre Darstellungen mit der Geschichte der städtischen Lagerhauspolitik. Es lässt sich indes eine, dem noch vorausgehende, ganz bestimmte Epoche der Getreidepolitik unterscheiden, die in der deutschen Geschichte zum Teil bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts hineinreicht und die wir als „die Periode der Wanderungspolitik“ bezeichnen möchten. So lange noch keine grösseren Städte gebaut waren, und die Völker nur mit leichter Habe sich trugen, dachte man nicht daran, durch Ansammlung von grösseren Vorräten den Einwirkungen ungünstiger Erntejahre vorzubeugen. Kamen sie dennoch, so wurde nach solchen Gegenden und Ländern gewandert, die genügend Getreide hatten. Jene gewaltigen historischen Ereignisse, welche wir mit dem Worte „Völkerwanderungen“ zusammenfassen, waren im Grunde getreidepolitische Massnahmen. Die historisch – dogmatische Spezialgeschichtsschreibung hat zwar annehmen zu müssen geglaubt, dass die germanische Völkerwanderung nicht aus einem Mangel an Getreide, sondern aus einem Mangel an Weideplätzen hervorgegangen sei. Eine Reihe von höchst wichtigen Gründen zwingen uns indes, die einschlägigen Stellen bei Strabo, Cäsar, Tacitus und Plinius umzudeuten. Die Ernährungsphysiologie lehrt nach Voigt, dass eine Ernährung des Menschen mit ausschliesslich animalischer Kost unmöglich sei, dass aber ganze Völker schon mit Vorteil nur von Getreidekost gelebt haben, weil das Getreide die zur Ernährung des Menschen notwendigen Grundstoffe in der rationellsten Mischung enthält. Die indogermanische Sprachforschung zeigt, dass das Wort „Milch“ kein gemeingermanisches Wort ist. Die neuesten Untersuchungen von Eduard Hahn „Ueber die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des Menschen“ (1896) bestätigen, dass die Milch in der That keineswegs ein ursprüngliches Nahrungsmittel der Menschen war, und dass der Ackerbau wenn auch nicht mit dem Pfluge, so doch mit der Hacke früher ist, als die Viehwirtschaft. Nach den Mitteilungen von Franz von Schwarz über „Turkestan“ (1900) und der von ihm weiter angeführten Reiselitteratur ist ganz Centralasien vom Kaukasus im Westen bis zur Mandschurei im Osten ein einziges ungeheueres Ruinenfeld von grossen Stadt- und vertrockneten Kanalanlagen, die an Grossartigkeit selbst den Suezkanal, den Stolz des letzten Jahrhunderts, übertreffen. Es ist also doch wohl ausgeschlossen, dass jene Völker, welche einst hier gehaust haben und mit der langsamen aber stetigen Veränderung der klimatischen Verhältnisse durch die Austrocknung des Bodens aus ihren alten Wohnsitzen hinausgeworfen wurden, auf einer so niedrigen Kulturstufe gestanden wären, wie sie in unseren Studierstuben für „Nomadenhorden“ zusammengestellt worden ist. Schliesslich bieten sich für diese Periode der Wanderungserscheinungen als getreidepolitische Massnahmen noch weitere direkte Ueberlieferungen. Die Wanderungen der Israeliten, von denen Moses in seinem ersten Buche erzählt und die sich auf Abraham, Isaak und Jakob beziehen, haben ausnahmslos den Mangel an Getreide zur Veranlassung, und der Zug richtet sich stets nach einer Gegend „wo Getreide und Wein genug war“. Was die ältesten römischen Ueberlieferungen uns als ver sacrum erhalten haben, zeigt uns nach ungünstigen Erntejahren die Ausrüstung der Jungmannschaft, die sich in anderen Gegenden eine neue Heimat suchen. Für die sogenannten Siebenbürgischen Sachsen in Ungarn ist es aktenmässig nachgewiesen, dass sie in den beiden Jahren 1144 und 1151 infolge von Hungersnöten aus der Moselgegend ausgewandert sind. Das 13. Jahrhundert der deutschen Geschichte ist das Jahrhundert mit der grössten Zahl von Hungersnöten, mit der grössten Zahl der Wanderungen und mit der ausgedehntesten Neubesiedlung von Ländereien. Ihren formellen Abschluss findet diese Periode der Getreidepolitik der Wanderungen gewissermassen erst im Jahre 1362 durch das Gebot des Kaisers Karl IV. an Städte und Klöster, Kornspeicher anzulegen. Wie leicht den weniger genau unterrichteten Zeitgenossen diese wandernden Getreidebauern als Viehhirten erscheinen, wird wohl nirgends besser als im 1. Buche Moses 46. Kapitel 1. bis 34. Vers belegt. Jakob wandert in den Zeiten der Teuerung aus Kanaan mit seiner ganzen Familie und mit allem, was sie mitnehmen konnten, nach Aegypten, und Joseph zieht ihnen entgegen, um ihnen zu raten, dass sie zu Pharao sagen, sie und ihre Väter seien immer Viehhirten gewesen — dann würden sie im Lande Gessen wohnen dürfen! Der Segen Isaaks für Jakob aber beginnt mit dem Satze: „Gott gebe dir vom Thau des Himmels und von der Fettigkeit der Erde einen Ueberfluss an Getreide und Wein.“ Die an diese Periode der Getreidepolitik der Wanderungen sich anschliessende Epoche der Politik der Getreideläger kommt mit dem Fortschreiten des Verkehrs und dem immer stärkeren Ueberwiegen der geldwirtschaftlichen Verhältnisse leicht zu Zuständen, in welchen die fundamentale Bedeutung einer richtigen Getreidepolitik verkannt und vergessen wird. Wie hart und empfindlich sich indes eine solche Vernachlässigung der Getreidepolitik bei dem Niedergange der Völker rächt, tritt vielleicht nirgends so scharf uns entgegen, als in der Geschichte des gewaltigen römischen Weltreiches. Nach einer rasch verlebten Blütezeit der Geldherrschaft von kaum anderthalb Jahrhunderten verblutet sich hier die ganze Münzordnung mit der gesamten Geldwirtschaft des Volkes — an dem Mangel an Getreide. Ohne ernstere Bedenken greifen die römischen Kaiser zur Münzverschlechterung, zur Konfiskation der grossen Privatvermögen, zum Staatsbankerott, zur Ein- und Durchführung des Staatssozialismus auf berufsgenossenschaftlicher Basis, wenn es sich darum handelt, der drohenden Gefahr einer Hungersnot vorzubeugen. Als schliesslich die Lösung dieser Verwaltungsaufgabe immer schwieriger wurde, das kaiserliche Leben infolge der Hungersnotrevolten in wachsende Gefahr kam, verliessen die Kaiser die alte Residenz Rom und zogen nach Konstantinopel, das infolge der grösseren Nähe der beiden römischen Kornkammern Aegypten und Pontus leicht mit Getreide zu versorgen war, und das auch weniger als Rom der Gefahr ausgesetzt zu sein schien, durch die Strömungen der Völkerwanderung von seinen Getreidebezugsländern abgeschnitten zu werden. Aber nicht nur die römischen Kaiser, auch die römischen Götter sind dem Getreide nachgewandert. Ceres gehörte in dem alten Rom zu den höchsten Gottheiten und wurde insbesondere verehrt als Beschützerin der Halmfrucht und der Ehe. Als aber der Getreidebau auf der italischen Halbinsel mehr und mehr zurückgegangen war, erscheint auf den gelegentlich geprägten Denkmünzen auf einmal Ceres nicht mehr allein, sondern in Begleitung der Göttin Annona, welche an einem Schiffsvorderteil lehnt und gewissermassen als Abgesandte der Ceres jene Getreidemenge repräsentiert, welche von fremden Ländern über das Meer zur Ergänzung der heimischen Getreideernten nach Rom zugeführt wurde. Als aber die überseeischen Getreidezufuhren bald immer ausschliesslicher das römische Volk mit Brot versorgten, erschien auf einmal die Göttin Annona allein auf den Münzen. Die Ceres ist verschwunden und in Vergessenheit geraten. Bald darauf ist das tausendjährige Römerreich zu Grunde gegangen. Im Verlaufe der Geschichte eines Volkes bietet vielleicht nichts so sehr den bezeichnendsten Ausdruck der auf einander folgenden Ereignisse und der gesamten kulturellen Entwickelung, als die Bewegungslinie der Getreidepreise. In der beiliegenden Kurve finden sich die Weizenpreise in Strassburg für die letzten 500 Jahre in Jahresdurchschnitten wie in 31jährigen Durchschnitten aufgezeichnet. Die 31jährigen Durchschnitte wurden hier für jedes Jahr berechnet und dann auf das 16. Jahr der Reihe eingetragen. Zu Anfang und zu Ende fallen diese 31jährigen Durchschnitte mit den 29jährigen, 27jährigen, 25jährigen . . . . bis 3jährigen Durchschnitten für die letzten drei Jahre ab. Die der Bewegung der Jahresdurchschnitte in Fällen ausserordentlicher Zickzackschwankungen beigegebenen Erläuterungen bezeugen, wie in allen diesen Fällen in der That jede solche Zickzackschwankung mit ganz bestimmten einschneidenden Ereignissen in innigster Verbindung steht. So folgen in der Reihe dieser Linie als besondere Ereignisse die Hugenottenkriege, der dreissigjährige Krieg, die Eroberungskriege Ludwigs XIV., der pfälzische Erbschaftskrieg, der spanische Erbfolgekrieg, die französische Revolution, die napoleonischen Kriege, die Julirevolution, die 48er Revolutionsbewegung, der Krimkrieg und die Gründerjahre 1870 bis 73. Die mittlere Kurve der 31jährigen Durchschnitte zeigt zunächst ein langsam stetiges Ansteigen bis zum 30jährigen Kriege, währenddessen sich diese Steigung verschärft, um dann in dem nachfolgenden tiefen Rückgange der Preise die traurige ökonomische Nachwirkung der langen Kriegsjahre deutlich zum Ausdruck zu bringen. Nachdem die Nachwirkung der dann folgenden unruhigen Zeiten bis zum Abschluss des spanischen Erbfolgekrieges gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts abermals überwunden war, hält das langsam stetige Ansteigen der Preise an bis in die Gründerjahre 1870/73, um von da aus, unter dem Einfluss der sogenannten internationalen landwirtschaftlichen Konkurrenz, mit einer Intensität sich nach abwärts zu neigen, welche in dem ganzen Verlaufe der letzten 500 Jahre nur durch die furchtbaren Nachwirkungen des 30jährigen Krieges übertroffen wird. Was die Temperaturkurve in dem physischen Leben des einzelnen Menschen bedeutet, das bedeutet im Wirtschaftsleben des Volkes die Kurve der Getreidepreise. Wie jede Zickzackbewegung der Temperaturkurve des einzelnen Menschen auf eine ernste Krisis deutet, der entweder bald die Wendung zur Wiedergenesung oder die Auflösung folgt, so deutet auch jede Zickzackbewegung der Getreidepreiskurve mit voller Sicherheit auf eine tief einschneidende wirtschaftliche Krisis, die bei häufiger Wiederkehr auch das Wirtschaftsleben des Volkes vor die Alternative stellt, entweder den Weg zur Besserung zu finden oder zu Grunde zu gehen. Es darf deshalb gesagt werden, dass das Getreide die wichtigste Güterkategorie der menschlichen Wirtschaft ist. (Vergleiche das ausführliche Referat unseres Mitarbeiters Dr. Armin Tille „Getreide und Geld“ in Conrad’s Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik Band 20, 1900. S. 721 bis 754.) Wie die Produktion früher ist als der Verkehr, so ist das Getreide früher als das Geld. Weil aber auch in der Epoche vor der Einführung des Geldes für mancherlei Zwecke ein Zahlungsbedürfnis besteht, so werden die vorhandenen und leichter entbehrlichen Güter in eine allgemein anerkannte Wertscala eingereiht, die uns für die früheste Zeit der germanischen Geschichte namentlich durch die Bussgeldbestimmungen der alten Volksrechte überliefert worden ist. So ist z. B. nach der lex Ripuaria aus dem 7. Jahrhundert Titel 36, 11 und 12 das Wehrgeld eines freien Ripuariers gleich 200 Schilling. Und diese 200 Schilling werden „gut gemacht“ mit 20 Kühen, 1 Stier, 10 Hengsten, 1 wilden Habicht, 1 Schwert ohne Scheide und 1 Brünne. Die keltisch-irische Wertscala setzt 1 Sclavin gleich 3 Unzen Silber, 1 volljährige Kuh gleich 1 Unze Silber, 1 junge Kuh mit 3 Jahren gleich 1⁄2 Unze Silber gleich 12 screapalls (scripulus) und 1 Jährling gleich 4 screapalls. In beiden Fällen ist Edelmetall und Geld in der Wertscala genannt. Aber es wäre irrig, anzunehmen, dass die Ripuarier und Kelten sich des Silbers und des Schillings als Zahlungsmittel bedient hätten. Nein, Ripuarier wie Kelten zahlten mit Sclaven, Kühen, Stieren, Hengsten u.s.w. Das Getreide fehlt noch, aber nicht deshalb, weil Ripuarier und Kelten es nicht gekannt hätten, sondern weil die Getreideproduktion kaum regelmässig über den eigenen unmittelbaren Bedarf hinausreichte. Das wird mit der Dauer der Besiedelung des Landes und mit der fortschreitenden Bebauung desselben anders. Das Capitulare Saxonicum vom 8. Jahrhundert und die lex Saxonum führen bereits Hafer und Roggen an. In einer St. Galler Urkunde vom Jahre 804 wird 1 Denar gleich 2 Hühnern gleich 2 Scheffel Korn gesetzt. In einer tiroler Urkunde von 1297 sind 5 Schafe mit Wolle gleich 8 Mut Roggen. Noch im Jahre 1483 wird für Hessen bestimmt, dass Gastwirte auch mühlfertiges Getreide als Zahlung annehmen müssen. Als im 13. Jahrhundert mit der stadtwirtschaftlichen Entwickelung die Geldwirtschaft sich auszubilden begann und zunächst der Rentenkauf zur Blüte kam, wurde in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine bestimmte Summe Geldes für bestimmte jährliche Gegenleistungen, Renten oder „Gülten“ genannt, hingegeben. Diese so gekauften Renten oder Gülten sind zumeist Kornrenten. Und wo neben der jährlichen Kornleistung auch eine jährliche Geldleistung bedungen wurde, unterscheiden dieselben die Quellen ausdrücklich als „Korngeld“ und „Pfenniggeld“. Bezahlt wurden ferner insbesondere mit Getreide die Steuern aller Art wie: Bede, Zoll, Zehent, Grundzins, die Löhne für Hirten, Fuhrleute, Schmiede, zum Teil die Gehälter der Amtsleute u. s. w. Beim Grundzins stand der „Getreidezins“ obenan, während der sogenannte „Pfennigzins“ seinem Werte nach an letzter Stelle steht. Und diese Getreidezahlungen als Steuern aller Art wurden für Mitteleuropa vielfach erst durch die Gesetzgebung der 48er Jahre des vorigen Jahrhunderts in Geldzahlungen verwandelt oder aufgehoben. Vom 8. Jahrhundert an bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war also das Getreide nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Geld, insofern es als Zahlungsmittel zur Lösung von Verbindlichkeiten verschiedenster Art kraft besonderer allgemein anerkannter Bestimmungen in ausgedehntem Masse in Verwendung kam. Aber auch dort, wo das Edelmetall beginnt, seine Funktion als Geld anzutreten, steht vielfach das Getreide als Vermittlerin dieser Funktion für Gold und Silber. Nach den Resultaten der neueren Geschichtsforschung sollen die Edelmetalle zuerst etwa vor 5000 Jahren in Babylon als Geld in den Verkehr gebracht worden sein und zwar zunächst das Gold und dann das Silber. Dieses Edelmetallgeld bestand anfangs nicht aus geprägten Münzen, sondern aus Körnern, Spiralen, Ringen und Stangen. Der Wert dieses Edelmetallgeldes aber wurde von Fall zu Fall durch das Gewicht bestimmt. Die Erfindung der Wage geht deshalb dieser Neuerung voraus. Die erste Wage war lange Zeit die Goldwage. Die Normalgewichte aber waren Körner, die die Natur geformt und zwar weit überwiegend Getreidekörner. Ein „Karat“ ist gleich 1 Johannisbrotkorn und gleich 3 Gerstenkörnern oder 4 Weizenkörnern. 1 „Grän“ ist gleich ein Gerstenkorn gleich 0,064 Gramm. Das althebräische Geld kannte den grossen und kleinen „Scheckel“, ersterer war gleich 360, letzterer gleich 180 Gerstenkörnern, die erst später durch Eisen- oder Erzkörner ersetzt wurden, zum Nachteil für die ehrlichen Leute. Die gleiche Rolle spielen die Getreidekörner aber auch in der germanischen Geschichte. Das Baseler Bischofsrecht vom 8. Jahrhundert bestimmt, dass das Gewicht eines Schillings um 2 Gerstenkörner von dem Normalgewicht abweichen dürfe, ohne als ungültig bezeichnet zu werden. Heinrich VII. von England (1485 bis 1509) hat angeordnet, dass der 20. Teil einer Unze Troygewicht gleich 32 Weizenkörnern aus der Mitte der Aehre sein soll. Man ersieht aus all dem, in welch gewaltigem Umfange die ganze formelle Ordnung unseres Metallgeldes auf dem Getreide ruht. (Vergleiche hierzu insbesondere das ausgezeichnete Referat von Prof. Dr. August Oncken „Was sagt die Nationalökonomie als Wissenschaft über die Bedeutung hoher und niedriger Getreidepreise?“ 1901.) Wenn das Getreide in der That eine so hervorragende Rolle in dem Leben der Völker spielt, dann kann seine Bedeutung hier unmöglich zum ersten Male ausgesprochen sein. Vielmehr müssen sich gerade in der besten nationalökonomischen Litteratur eine Reihe von Aeusserungen der gleichen Art finden, was die Spezialforschung vollkommen bestätigt hat. Aus der merkantilistischen Litteratur sind es insbesondere: W. Stafford (1581), A. Montchrétien de Vatteville (1615), Véron de Forbonnais (1754), welche auf die ausschlaggebende Bedeutung der Getreidepreisbewegung für die volkswirtschaftliche Entwickelung nachdrücklichst verweisen. Der Stifter des physiokratischen Systems François Quesnay hat seiner im Jahre 1766 veröffentlichten grundlegenden „Analyse du Tableau Economique“ einen durch Xenophon dem Socrates in den Mund gelegten Ausspruch als Motto vorangestellt, welcher lautet: „Wenn der Ackerbau gedeiht, so gedeihen mit ihm alle anderen Künste, geht er aber zurück, so verfallen mit ihm auch alle anderen Erwerbszweige, sei es zu Lande, sei es zu Wasser.“ Das Gedeihen des Ackerbaus ist nach Quesnay aber von guten Getreidepreisen, welche dem Landwirt einen reichlichen Gewinn lassen, unzertrennlich. Der berühmte Vorläufer von Adam Smith Josiah Tucker (1711 bis 1799) hat schon sein Gesetz normaler volkswirtschaftlicher Entwickelung dahin formuliert, dass mit dem Steigen der Kultur „die Bodenproduckte im engeren Sinne teurer, die Kapitals- und Arbeitsprodukte aber wohlfeiler werden“. Adam Smith hat sich, wie wir schon gesehen haben, dieser Tucker’schen Auffassung vollkommen angeschlossen, und sie durch eine Reihe weiterer Sätze noch bekräftigt, wie z. B. durch den folgenden: „Ist die vollendetste Kultur seines Landes die grösste aller Segnungen für dasselbe, so muss auch die natürliche Erhöhung der Getreidepreise bei fortschreitender Kultur nicht wie eine Kalamität, sondern wie der Vorbote des grössten Segens betrachtet werden.“ David Ricardo, der geschickte Vertreter kapitalistischer Interessen, war dennoch der Meinung, dass die Landwirte einen legitimen Anspruch auf einen lohnenden Preis ihrer Produkte haben und fügt erläuternd hinzu: „Der Ausdruck „„lohnende Preise““ bedeutet die Höhe, wonach alle Auslagen einschliesslich der Rente ersetzt werden und der Erzeuger noch einen anständigen Gewinn aus seinem Betriebskapital zieht“. Der einst sehr berühmte Vertreter des reinen Freihandels J. B. Say war der Meinung, dass durch Staatsintervention allerdings das Volk vor übertriebener Höhe der Getreidepreise geschützt werden müsste, dass andererseits aber auch Vorkehrungen gegen einen ausserordentlichen Tiefstand der Getreidepreise, wodurch der Ackerbau zurückgehen könnte, mindestens nicht ausgeschlossen seien. Für Robert Malthus steht es fest, dass der hohe Preis der landwirtschaftlichen Produkte das sicherste Zeichen und die notwendigste Wirkung überlegenen Reichtums ist. Namentlich aber habe nach seiner Auffassung auch die arbeitende Klasse eher Nachteile als Vorteile von zu niedrigen Getreidepreisen wegen des damit verbundenen noch stärkeren Sinkens der Löhne. James Anderson, welcher in der Geschichte der Nationalökonomie bekannt ist als der Begründer der Lehre von der Bodenrente, welche nachher den Namen Ricardo’s erhalten hat, äussert sich zu unserem Thema folgendermassen: „Ich glaube nicht, dass ich ein Menschenfeind bin, ich empfinde aber alle die Nachteile, die aus einem unvernünftigen niedrigen Getreidepreise entstehen würden, so tief, dass ich mir nichts Nachteiligeres für die Nation denken kann und nichts, wogegen man sich mit grösserer Vorsicht verwahren müsste, als gegen einen zu niedrigen Getreidepreis, es sei denn ein viel zu hoher Preis für Getreide . . . .“ H. von Thünen ist nicht minder wie die Vorgenannten der Ueberzeugung, dass gute Getreidepreise am besten den Interessen der Gesamtheit entsprechen. Friedrich List ist mit allem Nachdruck für hohe Getreidepreise eingetreten. Die volkswirtschaftliche Parole des Amerikaners Henry Carey lautet: „Hohe Getreidepreise und hohe Löhne“. Karl Marx führt aus, dass das System des Freihandels in Getreide zur Verbilligung der Geteidepreise führe und damit die soziale Revolution beschleunige. Diese lange Reihe der berühmtesten Nationalökonomen ist also darin einig, dass die Bewegung der Getreidepreise von durchaus entscheidender Bedeutung für Wohlergehen oder Verderben der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Volkes ist. Zu hohe wie zu niedrige Getreidepreise werden von all diesen Autoritäten in der bestimmtesten Weise verworfen. Für die damit verbleibenden mittleren Getreidepreise aber gilt der Grundsatz, dass sie bei fortschreitender Kultur verhältnismässig mit steigen. Langsam stetig steigende Getreidepreise und fortschreitend aufwärtsstrebende Kultur sind für sie Alle identische Begriffe. Die gleiche Anschauung hat bekanntlich auch Fürst Bismarck schon am 21. Mai 1879 im deutschen Reichstag mit folgenden Worten vertreten: „Wir alle erinnern uns, dass vor 12 und 20 Jahren die Kornpreise sehr viel höher waren als heute, und dass dennoch damals in allen Zweigen der gewerblichen Thätigkeit vielleicht gerade in Folge der hohen Kornpreise ein stärkeres Leben pulsierte als in den heutigen Tagen, wo bei niedrigen Kornpreisen alles darniederliegt. Wenn wir als richtig annehmen wollten, dass niedrige Kornpreise ein Glück seien, so müssten die Länder im Osten, welche die wohlfeilsten Getreidepreise haben, die Länder der unteren Donau, an der Theiss, Galizien und der südliche Teil des europäischen Russlands in wirtschaftlicher Beziehung die glücklichsten, wohlhabendsten, kräftig entwickeltsten Länder in Europa sein. So müsste auch innerhalb des deutschen Reiches die Wohlhabenheit und das wirtschaftliche Wohlbehagen nach Osten hin mit den billigeren Getreidepreisen allmählich steigen, und Ostpreussen würde nach meiner Rechnung etwa 25 bis 30% glücklicher sein müssen, als das Elsass und der Breisgau. Wenn aber diese Erwartung nicht zutrifft, so kann auch unmöglich die Annahme, von der wir ausgegangen sind, eine richtige sein.“ Die Wirklichkeit bestätigt diese Auffassung überall. Im Innern der Kornkammer von Indien z. B. kostet eine Tonne Weizen durchschnittlich 22 bis 26 Mark. Im Innern der Kornkammer von Russland erhöht sich dieser Preis etwa auf 30 Mark. Ein Durchschnittspreis für die Tonne Weizen im Innern von Argentinien darf auf 70 bis 80 Mark angegeben werden. Die Farmer des Westens in Nordamerika behaupten, erst bei einem Preise von 150 Mark per Tonne Weizen ökonomisch gesichert zu sein. Und als normale Weizenpreise für Berlin berechnen sich rund 200 Mark per Tonne. Spezial-statistische Untersuchungen der neueren und neuesten Zeit beschäftigen sich mit dem Einfluss der Getreidepreise auf die Arbeitslöhne, auf die Preise der wichtigsten Lebensmittel anderer Art, auf die Bevölkerungsbewegung hinsichtlich der Geburten, Todesfälle und Trauungen, auf die Moralität der Völker und auf die Armenlasten *). Hierbei kommt Prof. Dr. Weisz zu dem Resultat, dass der Arbeitslohn im Laufe der Zeit den Variationen der Getreidepreise folgt. Prof. Dr. Franz von Juratschek ermittelte, dass billige Getreidepreise hohen Geburtsziffern, hohe Getreidepreise niedrigen Geburtsziffern als Regel entsprechen. Die Höhe der Getreidepreise hat im allgemeinen einen Einfluss auf die grössere oder geringere Sterblichkeit der Bevölkerung. Namentlich wird die Sterblichkeit des Greisenalters von teureren Zeiten betroffen. Jahre mit mittleren Getreidepreisen zeigen die günstigsten Sterblichkeitsverhältnisse. Den Excessen in der Preisbildung für Getreide folgen stets auch solche in der Verehelichungsziffer. Prof. Dr. Georg von Mayr, Oettingen, W. Starke, Weisz, Meyer, Fuld, Heinrich Müller, Hermann Berg u. a. kommen zu dem Schlusse, dass bei steigenden Getreidepreisen die Diebstähle im ganzen zunehmen, während bei fallenden Getreidepreisen wiederholt eine Zunahme der Angriffe gegen die Person zu beobachten war. Oettingen und Buomberger ermittelten, dass Zeiten mit hohen Getreidepreisen auf die aussereheliche Fruchtbarkeit einen günstigen, d. h. hemmenden Einfluss ausüben. Mit Ausnahme der schweren Hungersnotjahre 1811, 1812, 1813 und 1817 sind in den Jahren 1821 bis 1851 in England bei billigen Getreidepreisen die Armenlasten immer höher, bei hohen Preisen diese Lasten niedriger. All diese Spezialuntersuchungen bestätigen also den unvergleichlich weit reichenden Einfluss der Bewegung der Getreidepreise auf die verschiedensten Gestaltungen und Vorgänge im Volksleben. Die täglichen Beobachtungen der Preisveränderungen auf den wichtigsten Getreide- und Fleischmärkten der Erde haben besonders im Winter und Frühjahr 1901/1902 die innige Wechselbeziehung der Preise für die verschiedenen Getreidearten unter einander wie Weizen, Mais, Hafer, Gerste und Roggen, wie auch die Wechselbeziehung zwischen den Preisen für diese Getreidearten einerseits und für Schweinefleisch und Schweinefleischprodukte andererseits besonders scharf hervortreten lassen. So wurde z. B. in den Börsentelegrammen aus Nordamerika im Monat März 1902 an 25 Markttagen 22 mal die Erklärung der Preisveränderungen für eine der Hauptgetreidearten oder für die Fleischwaren ausdrücklich auf analoge Preisveränderungen der anderen Getreidearten bez. der Fleischwaren zurückgeführt. Infolge der Missernte in Mais im Herbst 1901 und der deshalb hohen Maispreise wurden nach Auffassung der besten Sachverständigen Nordamerikas 50 bis 100 Millionen Bushels Weizen an Stelle des Mais in die Viehställe der nordamerikanischen Farmer zur Verfütterung an das Vieh gedrängt. Im Leitercorner-Jahr 1897/98 wurden bei hohen Weizenpreisen und billigen Maispreisen ganz ausserordentlich grosse Maismehlmengen zur Vermischung mit Weizenmehl verwendet. Sind die Roggenpreise unverhältnismässig billiger als die Weizenpreise, so versteht es die moderne Mühlentechnik, eine Spezialmarke von Roggenmehl herzustellen, welche zur Mischung mit Weizenmehl bei Herstellung von Weissbrot anstandslos verwendet werden kann. Sind umgekehrt die Roggenpreise unverhältnismässig höher als die Weizenpreise, so wird eine dementsprechend grössere Mischung des Roggenmehls mit dem Weizenmehl für Roggenbrot vorgenommen. Dass hohe Maispreise gleichzeitig hohe Hafer- und Futtergerstepreise bedeuten, ist selbstverständlich. Und da die beste Qualität von Mastfleisch nur umgewandeltes Getreide ist, sind die Fleischpreise gezwungen, sich der Bewegung der Getreidepreise anzuschliessen. Um auch dem Auge die Bestätigung dieser Ausführungen zu bieten, verweisen wir auf die Kurve auf Seite 184 und 185 welche von Januar 1900 bis Januar 1902 die Parallelbewegung zwischen den Maispreisen in New-York, den Schweineschmalzpreisen in New-York und den Preisen für lebende Schweine in Mannheim, Dresden und Berlin veranschaulicht, Die Klassiker der deutschen landwirtschaftlichen Litteratur: Albrecht Thaer, Alb. Block und Koppe haben alle landwirtschaftlichen Wertschätzungen und Berechnungen nicht nach Geldwerten, sondern nach Roggenwerten vorgenommen, weil Roggen in der Heimat dieser Schriftsteller die wichtigste Getreideart ist. Und heute noch setzt Prof. Dr. Theod. Frhr. von der Goltz in seiner landwirtschaftlichen Taxationslehre neben jede Geldwertziffer die entsprechende Roggenwertziffer ein, um damit seiner Ueberzeugung Ausdruck zu verleihen, dass das Getreide der eigentliche Normalmasstab für volkswirtschaftliche Vorgänge sei. Es ist eine bekannte Taktik der heutigen Freihändler, die organische und prinzipielle Bedeutung des Getreidebaus möglichst ausser Acht zu lassen und die Klagen über zu niedrige Getreidepreise als solche zu bezeichnen, welche durch Uebergang vom Getreidebau zur Viehzucht und zum Handelsgewächsebau von den Landwirten selbst am besten beseitigt werden könnten. Namentlich Lujo Brentano und seine Schule haben die Vertretung auch dieser Auffassung mit besonderem Eifer übernommen und verschiedentlich behauptet, dass Deutschland aus einer Reihe von Gründen seinen eigenen Brotgetreidebedarf gar nicht bauen sollte. Die Gefahr einer Hungersnot sei dabei um deswillen nicht in Rechnung zu ziehen, weil im Bedarfsfalle eine chemisch-technische Herstellung des Brotes mit Umgehung der landwirtschaftlichen Produktion kaum lange auf sich warten liesse. Es handelt sich anscheinend hier um ein sicheres Inaussichtstellen der rein technischen Lösung jenes alten, bis heute noch nicht vollbrachten Wunders, aus Stein Brot zu machen. Wir wollen auf nächster Seite diesen theoretischen Erwägungen gegenüber zunächst die Ziffern der Anbaustatistik für die grössten Kulturländer anführen, um die Flächen, welche heute mit Getreide, Hackfrüchten und Handelsgewächsen bestellt sind, kennen zu lernen. Mit der einzigen Ausnahme von England, das bekanntlich seinen Getreidebau dem Handel und der Industrie geopfert hat, nehmen also Getreide und Hülsenfrüchte zwischen 60 und 78% der gesamten Anbaufläche ein. Nach diesen Ziffern kann mithin kein Zweifel darüber bestehen, dass der Getreidebau der weitaus wichtigste Teil der landwirtschaftlichen Produktion ist. Dem gegenüber bewegt sich der Futterbau in den grösseren Ländern mit einer überraschenden Regelmässigkeit zwischen 11 und 14% der gesamten Anbaufläche. Schon daraus lässt sich vermuten, dass es sich hier um Grenzlinien handelt, welche nicht durch den Willen des Einzelnen, sondern durch die Natur der Verhältnisse gezogen sind. Eine ausdrückliche Bestätigung findet diese Auffassung für Deutschland z. B. durch die Erfahrungen des Jahres 1893. Die Dürre dieses Jahres hat vom 1. Dezember 1893 den Rindviehstand überhaupt um 6,7%, die Tiere bis zu zwei Jahre alt um 17,1%, jene mit zwei und mehr Jahren um 1,3% abnehmen lassen. Diese Jungviehabnahme erreichte im Schwarzwaldbezirk Württembergs die Höhe von 36%. Man wird angesichts solcher Ziffern kaum sagen können, dass die deutsche Rindviehhaltung jene Grenze noch nicht erreicht hätte, welche ihr durch die natürlichen Verhältnisse gezogen werde. Aehnliche Vorgänge konnten im Jahre 1889/90 in den Vereinigten Staaten von Nordamerika beobachtet werden. Im Verlaufe der 80er Jahre war man sehr energisch bemüht, die Viehbestände zu vermehren. Unter der damit stark wachsenden Nachfrage nach Zuchtvieh ist der Preis für einheimisches Vieh pro 100 Pfund englisch von 18,48 M. im Jahre 1878 auf 26,25 M. im Jahre 1882 gestiegen. Die nordamerikanische Viehzählungsstatistik, welche leider nur für die Jahre 1870, 1880, 1890 und 1900 vorliegt, zeigt für die sechs grossen getreidebauenden Staaten Indiana, Illinois, Jowa, Missouri, Kansas und Nebraska von 1870/90 immer noch eine Zunahme der Rindviehbestände von 3'252'000 auf 12'467'000 und für die Weidestaaten des Westens ein Anwachsen von drei auf acht Millionen. In diese damit bezeichnete Entwickelung kam durch harte Winter und trockene Sommer eine Krisis, deren Höhepunkt in das Jahr 1889 fiel, in welchem die Rinderheerden mit so grossem Verlust verkauft wurden, dass die Preise für heimisches Vieh pro 100 Pfund englisch in Chicago von 26,25 M. im Jahre 1882 auf 16,38 M. im Jahre 1889 zurückgingen. Die Verlegung des Schwerpunktes der landwirtschaftlichen Produktion auf die Viehzucht hat in der Regel ein Hindrängen zur Frühreife mit starkem Abmelken der Kühe zur Folge. Damit erhöht sich erfahrungsgemäss sehr wesentlich die Empfänglichkeit der Tiere gegen Seuchen und Krankheiten aller Art. Eben diese Seuchen haben dann eine plötzlich eintretende Grenzsperre zur Folge, durch welche die heimische Landwirtschaft um so schwerer geschädigt wird, je mehr sie sich auf den Export ihrer viehwirtschaftlichen Produkte eingerichtet hatte. Einen beachtenswerten Beleg hierzu bietet uns Dänemark. Die der Viehzucht günstigen Verhältnisse haben es mit sich gebracht, dass die dänische Landwirtschaft schon vor dem Jahre 1878 eine recht bedeutende Mehrausfuhr an lebenden Tieren hatte. Dieselbe ist in den Jahren 1882 und 1883 auf 564'589 Stück gestiegen, um dann plötzlich in den Jahren 1885 und 1888 auf 294'662 und 127'170 und bis 1896 sogar auf 81'505 Stück herabzusinken. Tierseuchen hatten Grenzsperren von Seiten des Auslandes veranlasst. Von Zeit zu Zeit kehrten diese Grenzsperren wieder. Die dänische Regierung selbst schloss ihre Grenzen für die Ausfuhr von lebendem Vieh, um dergleichen Massregeln von Seiten des Auslandes zuvorzukommen. Die Ausfuhr von lebendem Vieh kam durch diese Massregeln in eine Krisis, welche dahin drängte, an Stelle der lebenden Tiere tierische Produkte auf die fremden Märkte zu bringen. Damit ist die dänische Landwirtschaft in Abhängigkeit zu dem exportierenden Schlachtgewerbe getreten, das je nach der Gestaltung seiner Organisation — wie insbesondere auch wieder die neuesten Erfahrungen in Nordamerika zeigen — einen recht ungünstigen Einfluss auf die Rentabilität des landwirtschaftlichen Betriebes ausüben kann. Rechnen wir noch hinzu, dass nach dem oben geführten Nachweis die Fleischpreise in ihrer Bewegung sich nach den Getreidepreisen richten, so wird man es als einen wenig sachverständigen Rat bezeichnen müssen: die deutschen Landwirte möchten sich für ungünstige Getreidepreise durch Uebergang vom Getreidebau zu einer vermehrten viehwirtschaftlichen Produktion entschädigen. Im übrigen darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass eine Zunahme in der Zahl der Viehbestände und in der Intensität der tierischen Produktion keineswegs etwa eine entsprechende Einschränkung des Getreidebaues zu Gunsten einer Zunahme der Weideflächen und Futterflächen zur notwendigen Voraussetzung hat. So ist in den Vereinigten Staaten der Getreidebau nicht zurückgegangen, obwohl uns die Viehstatistik eine steigende Entwickelung zeigt. Und ebenso stieg in Deutschland die Zahl von 1873 bis 1900 bei Pferden von 3 352 231 auf 4 195 261 Stück " Rindvieh " 15 776 702 " 18 939 692 " " Schweinen " 7 124 088 " 16 807 014 " Zugleich betrugen die Nutzungsprozente der verschiedenen Kulturarten: 1883 1893 1900 Getreide und Hülsenfrüchte 60,1 60,9 61,0 % Hackfrüchte 15,1 16,2 17,5 % Futterkräuter 9,2 9,6 10,1 % Handelsgewächse 1,3 1,0 0,7 % Die Zunahme der Viehhaltung beruht also wesentlich auf intensiverer Kultur bei annähernd gleicher Nutzungsfläche. Es bliebe so von den freihändlerischen Argumenten nur noch die Möglichkeit, vom Getreidebau zum Handelsgewächsbau im weiteren Sinne überzugehen. Aber auch nach dieser Richtung deuten die Ziffern der obigen Zusammenstellung auf eine gewisse sachliche Ordnung der Dinge, an welcher der Mensch nicht nach Belieben wesentliche Aenderungen vornehmen kann. Preussen hat gegenwärtig 0,6%, Bayern 1,2%, Württemberg 1,5%, Baden 2,3%, Frankreich 2%, England 3%, die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit ihrem Tabak- und Baumwollenbau 10% ihrer Anbaufläche mit Handelsgewächsen bestellt. Das alles sind Ziffern, die ziemlich genau proportional sind der Ausdehnung milder oder auch tropischer klimatischer Verhältnisse. Man braucht ferner diese Ziffern nur zu vergleichen mit den Ziffern des Getreidebaues, um eine wesentliche Entlastung dieses letzteren durch Handelsgewächse als völlig ausgeschlossen zu erkennen. Es scheint indess doch wichtig, die einzelnen Handelsgewächse gerade in diesem Zusammenhange einmal besonders zu behandeln, um aus einer Art Geschichte des Handelsgewächsbaues die Aussichten für die Handelsgewächse und das Getreide in der nächsten Zukunft zu beleuchten. „Krapp“ heisst die in der Färberei früher in grossem Massstabe gebrauchte Wurzel der Färberröte (Rubia tinctorum), deren wichtigster Farbstoff das Alizarin ist. Schon Karl der Grosse soll den Krappbau in Frankreich eingeführt haben. Er kam insbesondere im 16. Jahrhundert in Deutschland und zwar im Elsass, in Baden und in der bayerischen Pfalz und dann auch in Holland zur Ausbreitung und taucht im 18. Jahrhundert wieder in Frankreich auf, wo er sich in dem lockeren sandigen Boden der Departements Vaucluse 1) und Rhone namentlich einbürgert. Nachdem unter der Republik und dem ersten Kaiserreich der Absatz für Krapp zurückgegangen war, hob Louis Philipp den Krappbau durch Einführung der roten Militärhosen. Napoleon III. veranlasste aus dem gleichen Grunde Kaiser Maximilian von Mexico, die Rothosen auch bei der mexikanischen Armee einzuführen. Als dann in Mexico diese Neuerung wieder abgeschafft und auch österreichische Industrielle dadurch in Mitleidenschaft gezogen wurden, führte die österreichische Armee die Rothosen ein. Die Jahresproduktion aller Krapp bauenden Länder wurde für das Jahr 1868 auf 70'000 Tonnen geschätzt. Da gelang es in diesem Jahre 1868 den Chemikern Karl Graebe und Karl Liebermann in Berlin, den wichtigsten Krappfarbstoff, das Alizarin, künstlich aus dem Steinkohlentheer herzustellen. Im Jahre 1869 wurde mit der fabrikmässigen Ausbeutung dieser Erfindung begonnen. Heute werden jährlich etwa 500'000 Meter-Centner 10%ige Alizarinpasta hergestellt. Der Preis für 1 Kilo 20%ige Alizarinpasta war 1870 . . . 13 bis 14 Mark 1882 . . . 5,55 " 1888 . . . 1,70 " 1902 . . . 1,30 " Der Preis für 50 Kilo getrocknete Krappwurzeln ist von 40 Mark auf 6 bis 8 Mark zurückgegangen. Der Krappbau ist deshalb heute fast vollständig verschwunden. Die früher mit Krapp bestellten Aecker aber tragen heute zumeist wieder Getreide. Waid (Isatis tinctoria) zum Blaufärben verwendet, wurde in Frankreich, Elsass, England und namentlich in Thüringen in ausgedehntem Masse angebaut. Die schon im 8. Jahrhundert berühmten fünf Waidstädte: Erfurt, Gotha, Langensalza, Tennstedt und Arnstadt hatten das Privileg, Waid zu bauen. Die Waidbauern wurden wegen ihrer grossen Wohlhabenheit „Waidjunker“ genannt. Da begann um die Mitte des 16. Jahrhunderts die holländisch-ostindische Compagnie ostindische Indigopflanzen nach Europa einzuführen, welche den Indigofarbstoff des Waid in grösseren Mengen enthalten. Den „Waidjunkern“ erwuchs daraus eine höchst gefährliche Konkurrenz. Ihre Interessen suchte man zu schützen durch eine Reihe von staatlichen Massnahmen, mit deren Anwendung die Königin Elisabeth von England begonnen hat. Hohe Schutzzölle und absolute Einfuhrverbote wurden erlassen. Mehrfach war das Färben mit ausländischem Indigo unter Androhung der Todesstrafe verboten. Trotzdem blieb der billige ostindische Farbstoff Sieger. Der heimische Waidbau ging mit den Waidbauern zu Grunde. Vom Jahre 1737 ab wurde die Einfuhr von ostindischen Indigopflanzen offiziell freigegeben. Noch einmal kam der Waidbau während der Kontinentalsperre in Aufschwung. Seitdem ist er nur deshalb nicht ganz verschwunden, weil Waid als Gährungserreger den Färberküpen zugesetzt wird, welche mit indischem oder amerikanischem Indigo angesetzt sind. Aber auch die Tage des amerikanischen und indischen Indigobaues sind gezählt. Im Jahre 1880 entdeckte der Münchener Professor A. Bayer die künstliche Darstellung des Indigoblau aus dem Steinkohlentheer. Seit Sommer 1897 kommt künstliches Indigo in den Handel. Die Preise für indisches Indigo fielen von 27 M. pro Kilo im September 1868 auf 12 M. pro Kilo im September 1900. Die weitere Entwickelung dieser Konkurrenz wird also kaum anders verlaufen, als die Konkurrenz zwischen Alizarin und Krappbau verlaufen ist. Der Flachs, auch Lein genannt (Linum usitatissimum) war als Kulturpflanze den Aegyptern in sehr früher Zeit bekannt. Es ist die älteste Handelspflanze Deutschlands. Schon zur Römerzeit wurde deutsche Leinewand nach Rom exportiert. Und vor dem 30jährigen Kriege war Deutschland das erste Land des Flachsbaues und der Leinenproduktion. Noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts waren verschiedene Marken deutscher Leinen beliebte Handelsartikel. Da kam die Erfindung der Baumwollspinnerei und Weberei. Billige Baumwollstoffe und billiges Garn, in grossen Fabriken erzeugt, überschwemmten den Markt. Im Jahre 1829 wurde die erste mechanische Flachsspinnerei durch Dampfkraft in Betrieb gesetzt. Das Riffeln, Rösten, Darren, Brechen, Schwingen und Hecheln, die sechs Hauptstadien der Flachsbereitung vor dem Spinnen und Weben, wurden von Maschinen mit immer neuen Verbesserungen übernommen und durch wichtige chemische Einwirkungen unterstützt. Auch die Flachsbereitung ist so aus einem Hausgewerbe eine moderne Grossindustrie geworden, mit der das Hausgewerbe um so weniger konkurrieren konnte, als die Verwendung der Jute, der Nessel, des chinesischen Grases und der verschiedenen Arten des ausländischen Hanfes als billige Surrogate naturgemäss ein Privileg der Grossindustrie bleiben musste. Die Bedeutung des Flachsbaues als landwirtschaftlichen Handelsgewächsbaues war damit für Deutschland vernichtet. Trotzdem waren die Regierungen seit 1820 bis in die letzten Jahre bemüht, rigaer und holländischen Leinsamen einzuführen, bessere Spinnräder zu verbreiten, Warmwasser - Röstanstalten und Flachsschulen auf Staatskosten zu errichten, u.s.w. Alles umsonst! Während die Produktionskosten gestiegen sind, ist der Flachspreis von 60 bis 75 Mark auf 30 bis 35 Mark per Centner gesunken. Der Flachsbau ist beinahe verschwunden. Nicht einmal in den armen und unwirtlichen Gegenden der Eifel, des schlesischen Riesengebirges, des Spessart, der Rhön u.s.w. wird er sich dauernd halten können. Die in Deutschland mit Flachs bestellte Fläche war 1878 1883 1893 1900 0,51 % 0,41 % 0,23 % 0,20 % des Acker- und Gartenlandes. In Nordamerika, wo sich natürlich die gleichen Verschiebungen geltend machen, giebt man den Flachsbau zur Fasergewinnung auf, um sich auf die Leinsamengewinnung zu beschränken. Das Leinöl ist ein wichtiges Material der Seifen-, Firniss-, Wachstuch- und Linoleum - Industrie, und der Leinsamenkuchen ist ein Nebenprodukt der Leinölgewinnung, das als besonders beliebtes Futtermittel immer noch günstige Preise erzielt. Es wurden nach den letzten amtlichen Veröffentlichungen in den Vereinigten Staaten geerntet: Leinsamen in Bushels Flachsfaser in Pfund englisch zu 36,35 Ltr. zu 0,45 kg 1845 562 312 7 709 676 1859 566 867 4 720 145 1879 7 170 951 1 565 546 1889 10 250 410 241 389 1901 26 170 000 50 000 Wie mit dem Flachsbau, so steht es auch mit dem Hanfbau. Nach der deutschen Anbaustatistik waren mit Hanf bestellt 1878 1883 1893 0,08 % 0,06 % 0,03 % der gesamten Ackerfläche. Die Hanfpreise sind in Hamburg von 92 M. auf 28 M. bezw. 36 M. im Jahre 1894 und 1897 pro Metercentner gesunken, dann unter dem Einfluss einer schlechten Ernte im Jahre 1900 auf 63 M. gestiegen, um seitdem von Neuem wieder abzuflauen. Der Hopfen (Humulus), allen Völkern nördlich des Himalaya bekannt, ist auch in Europa heimisch und zwar besonders in Deutschland, England und Schweden. Als Bierwürze soll er erst seit den Kreuzzügen verwendet und angebaut worden sein. Die Heimat der berühmtesten Hopfenqualität ist Böhmen und zwar das Gebiet der Stadt Saatz. Von hier aus wurde anfangs des 14. Jahrhunderts der Hopfen nach Bayern und zwar speziell nach Spalt eingeführt, wo er bald so viel Berühmtheit erlangte, dass bereits im Jahre 1538 dem Spalter Gewächse das Privileg des Siegels verliehen wurde. Auch die Bierbrauerei fand aus Böhmen und Oesterreich ihren Eingang in Bayern. Das bayerische Hofbräuhaus wurde 1589 gegründet. Und mit der Zunahme des Bierkonsums und dem Aufschwunge des Braugewerbes machte der Hopfenbau in Bayern solche Fortschritte, dass von Lengerke in seiner „Statistik der deutschen Bundesstaaten“ 1850 der Meinung war: ganz Bayern werde bald mit Hopfengärten bedeckt sein. Von diesem Ziele ist die Wirklichkeit weit entfernt geblieben. Die Anbaustatistik des Jahres 1885, das mit dem Jahre 1883 den Höhepunkt des bayerischen Hopfenbaues bezeichnet, giebt selbst für Mittelfranken — das wichtigste bayerische und deutsche Hopfengebiet — nur 2,8% der landwirtschaftlich benutzten Fläche als Hopfenbau-Areal an, welche Zahl für den bayerischen Kreis Schwaben auf 0,04% herabsinkt. Dennoch kommen nicht unbedeutende Flächen für den Hopfenbau in Verwendung. Es waren im Jahre 1895 mit Hopfen bestellt in Bayern . . . . . . 26 233 Hektar in Deutschland . . . . . 42 073 " in Oesterreich-Ungarn . . . 16 099 " in Frankreich . . . . . 4 081 " in Belgien und Holland . . . 4 380 " in Russland . . . . . . 3 800 " in England . . . . . . 33 290 " in Amerika . . . . . . 20 335 " in Australien . . . . . 800 " -------------- Zusammen auf der ganzen Erde 125 058 Hektar. Die ökonomische Lage der Hopfenbauern ist heute aber höchst bedauernswert. In Deutschland ist von 1895 zu 1900 bereits ein stetiger Rückgang des Hopfenanbaues eingetreten um jährlich ca. 1000 Hektar bis auf 37'191 Hektar in 1900. Die Ernteerträge schwanken ausserordentlich, und die ebenfalls intensiv schwankenden Preise zeigen in neuerer Zeit stark fallende Tendenz. Die Hopfenerträge waren z. B. in Bayern bei fast genau gleich grosser Anbaufläche im Jahre 1893 4850 Tonnen, im Jahre 1894 17 450 Tonnen. Und die Preise für Spalter Hopfen schwankten pro 100 kg wie folgt: 1828 niedrigster Preis 20 Mark 1829 höchster " 720 " 1850 niedrigster " 150 " 1851 höchster " 750 " 1859 niedrigster " 380 " 1869 höchster " 1070 " 1875/76 niedrigster " 270 " 1876/77 höchster " 1240 " 1893/94 höchster " 700 " 1894/95 niedrigster " 200 " Die Einfuhr - Handelspreise betrugen nach der amtlichen Reichshandelsstatistik im Jahre 1898 400 Mark per Dz. " 1901 170 " " Die Hopfenproduktion ist also einem Lotteriespiele vergleichbar, bei dem jetzt die gewohnten Treffer ausbleiben. Eigentlich ist der Hopfenbau nur in solchen Wirtschaften am Platze, die auch ohne diesen Handelsgewächsbau gesichert sind. Sehr zutreffend schildert diese Situation das bayerische Bauernsprichwort:
Die Gründe aber für diese veränderte Bewegung der Hopfenpreise sind leicht anzugeben. Der Rückgang der Getreidepreise hatte international auch zu einer Ausdehnung des Hopfenbaues und damit zur Ueberproduktion von Hopfen geführt. Die Fortschritte der Brautechnik mit Abkürzung der Lagerzeit, Anwendung der Eismaschine u.s.w. können haltbares Bier mit weniger Hopfen und auch mit weniger gutem Hopfen herstellen. Der Geschmack der Konsumenten hat sich rasch an dieses weniger stark gehopfte Bier gewöhnt. Die Konservierungsmethoden des Hopfens wie auch die Ausnützung seines Lupulingehaltes durch die amerikanischen Extractions-Apparate sind wesentlich vervollkommnet worden. Auf diese Weise wird jetzt ein Ausgleich der Ernten auf Jahre hinaus möglich, während früher immer nur die frische Ernte begehrt wurde. Auch die Kunst der Herstellung des Bieres aus anderen Stoffen als aus Malz und Hopfen ist fortgeschritten. Und endlich hat sich seit dem Jahre 1860 der Börsenterminhandel in Hopfen in Antwerpen, London und in den nordamerikanischen Börsenplätzen eingebürgert. Die berühmtesten Hopfengegenden von Bayern, die auch den Hopfenbau am stärksten ausgedehnt haben, sind heute die am meisten von Bankrott heimgesuchten landwirtschaftlichen Gegenden. Staat und Hopfenbauvereine bieten Alles auf, um durch Herabsetzung der Hopfenzölle bei den Importländern, durch Verkaufsvermittelung, Ordnung der Siegelverhältnisse, rationellere Gestaltung der Hopfenkultur u.s.w. die heutige missliche Lage der Hopfenbauern zu bessern. Ein Erfolg all dieser redlichen Bemühungen im Sinne früherer Rentabilitätsverhältnisse bleibt indes hier ebenso gewiss ausgeschlossen, wie er beim Flachsbaue und früher beim Waid- und Krappbaue ausgeschlossen blieb. Der Tabak (Nicotiana) wurde nach der Entdeckung Amerikas von Spanien und England nach Frankreich, Deutschland, Italien u.s.w. eingeführt. Die Tabakblätter wurden in Frankreich zunächst allgemeiner als Schnupftabak verwendet, nachdem König Franz II. dieses Mittel gegen seine Kopfschmerzen gebraucht hatte. Das Tabakrauchen verbreitete sich allgemeiner im 16. und 17. Jahrhundert, in Deutschland namentlich durch die Heere des 30jährigen Krieges; ebenso das Tabakkauen, damals „Tabaktrinken“ genannt. Die Politik der Regierungen wie auch der Kirche war zunächst mit aller Strenge gegen den Tabakgenuss gerichtet, bis man nach und nach begann, ihn als ergiebige Finanzquelle zu benutzen. Die merkantilistische Politik begünstigte deshalb den Tabakbau, der insbesondere während der Kontinentalsperre in Europa grossen Aufschwung nimmt. Heute ist die mit Tabak bestellte Fläche in Mitteleuropa wesentlich kleiner. Sie umfasste in Deutschland 1878 0,07, 1883 0,09, 1893 nur 0,06% der gesamten Ackerfläche. Der Höhepunkt des deutschen Tabakbaues in den letzten drei Jahrzehnten fällt in das Jahr 1873 mit 30'501 Hectar bebauter Fläche. Inzwischen ist ein anhaltender Rückgang eingetreten bis auf nur noch 14'751 Hectar in 1900. Geeignet ist der Tabakbau in Mitteleuropa heute fast nur für den Kleingrundbesitzer, der die Arbeitskräfte fast aller Familienglieder von den Kindern bis zum Grossvater dabei in passender Weise verwendet. Wo Lohnarbeiter in Betracht kommen, steigen die Produktionskosten so ausserordentlich, dass jede Rentabilität ausgeschlossen erscheint. Nach der deutschen Enquête von 1878 schwanken aus diesem Grunde die Produktionskosten pro Hectar von 384 bis 1768 Mark, während der Rohertrag pro Hectar nur 700 bis 800 Mark erreichte. Die Rentabilität des Tabakbaues war deshalb in der Hälfte aller untersuchten Betriebe schlecht. Je nach der Qualität schwanken die Tabakspreise ausserordentlich. Von der 1891er Ernte z. B. wurden in der Pfalz 6 bis 52 Mark, in Baden 9 bis 49 Mark, in Brandenburg 14 bis 66 Mark pro 100 kg ohne Steuern bezahlt. Die Preise an der Bremer Tabakbörse schwankten im gleichen Jahre vom billigsten nordamerikanischen Tabake bis zu den feinsten Havannadecken von 1 : 100 und in Nordamerika selbst von 1 : 200. Ebenso schwanken die Ernteerträge ausserordentlich. Im deutschen Zollgebiete wurden z. B. in den Jahren 1875 und 1880 bei annähernd gleicher Anbaufläche von 24'294 und 24'259 Hectar im ersten Jahre nur 37'960, im letzten 52'190 Tonnen Tabak geerntet. Die Anbaufläche ist im deutschen Zollgebiete von 30'501 Hectar im Jahre 1873 auf 14'751 Hectar im Jahre 1900 zurückgegangen. Die Einfuhr ausländischer Tabake nimmt fortwährend zu. Gleichzeitig wächst die Verwendung von Tabaksurrogaten, von denen die Reichssteuereinnahme von 20'000 Mk. in den Jahren 1881/86 auf 55'000 Mk. im Jahre 1900 gestiegen ist. Eine nennenswerte Wieder-Ausdehnung des Tabakbaues scheint deshalb für Deutschland ausgeschlossen. Raps (Brassica napus) und Rübsen (Brassica rapa) sind seit alter Zeit in Mitteleuropa die wichtigsten Oelfrüchte. Insbesondere der Raps wurde in den 50er Jahren unseres Jahrhunders in ausgedehntem Masse als „cash crop“ (Geldfrucht) zur Bezahlung grösserer Forderungen an bestimmten Terminen auf grösseren, mittleren und kleineren Gütern angebaut, trotzdem das Wetter wie auch Krankheiten und tierische Feinde den Ertrag leicht gefährdeten. Raps- und Rüböl wurde hauptsächlich als Brennöl, dann auch als Schmieröl und zur Seifensiederei und endlich von der ärmeren Bevölkerung öfter als Speiseöl verwendet. Durch die Einführung von Petroleum, Gas und elektrischem Lichte ist das Rüböl von der Verwendung zu Leuchtzwecken fast völlig verdrängt worden. Die Rapskuchen, die als Futtermittel ein wertvolles Nebenprodukt der Oelgewinnung waren, haben durch die Konkurrenz der Sesam-, Erdnuss- und Palmkernkuchen u.s.w. im Preise verloren. Dazu kommt die gesteigerte Einfuhr dieser Oelfrüchte aus Indien, Russland, Argentinien und Rumänien. So sind die Preise für Raps und Rübsen in Süddeutschland um etwa 60% gefallen. Der Preis für 100 kg Raps war in Hamburg 1861/70 15,80 M., 1894 10,40 M., ist für 1900 auf 21 M. gestiegen, unter dem Einfluss weniger günstiger Ernten in Leinsaaten und bedeutender Steigerung des Oelkonsums. Nord- und Südamerika rüsten sich indes für eine so bedeutende Ausdehnung der Produktion von Leinsaaten, dass diese Preisbesserung keine dauernde sein wird. Die Anbaufläche von Raps und Rübsen in Deutschland geht zurück; sie war 1878 0,69% 1883 0,51%, 1893 0,4%, 1900 0,3% der gesamten Ackerfläche. Der Branntwein wurde ursprünglich nur in kleinen Mengen als Heilmittel aus Wein hergestellt. In grösseren Mengen wurde er zuerst von den südspanischen Arabern erzeugt, welche darin die Lehrmeister der Italiener wurden, die den Branntwein im 14. Jahrhundert als Handelsartikel über die Alpen brachten. Wahrscheinlich ist im 15. Jahrhundert die Bereitung des Branntweins aus Getreide aufgekommen. Seine Herstellung aus der Kartoffel (Solanum tuberosum) wird zuerst 1682 erwähnt, nachdem diese Pflanze um die Mitte des 16. Jahrhunderts aus Peru nach Europa eingeführt worden war. Die erste Kartoffelbrennerei soll 1750 zu Monsheim in der Pfalz errichtet worden sein. Bis etwa zum Jahre 1840 war die Branntweinbrennerei vorzugsweise ein städtisches Gewerbe, das beinahe ausschliesslich Getreide verarbeitete. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Anbau der Kartoffel aber wurde ein landwirtschaftliches Gewerbe daraus. Als solches hat sich die Branntweinerzeugung in Deutschland, Russland, Belgien und Holland entwickelt, während in England, Frankreich, Oesterreich, Italien und Rumänien der industrielle Grossbetrieb überwiegt. Im Verlaufe des vorigen und bis in die Mitte unseres Jahrhunderts beherrschte die französische Produktion den internationalen Markt, die ihren Höhepunkt mit einer Ausfuhr von 590'000 hl im Jahre 1872 erreichte. Seitdem ist sie wesentlich zurückgegangen, und Deutschland wurde das bedeutendste Spiritusexportland mit einer Ausfuhr von 1'003'000 hl im Jahre 1881/2, von 897'280 hl im Jahre 1885. Von da an geht auch der deutsche Spiritusexport fortwährend zurück und erreichte im Jahre 1900 nur noch 254'000 hl, während Russland und Oesterreich-Ungarn die bedeutendsten Spiritusexportländer geworden sind. Aber auch deren Ausfuhr ist neuerdings kleiner geworden, weil jedes Land mehr und mehr darauf bedacht ist, sich durch seine Eigenproduktion mit Branntwein zu versorgen. Unter dem Einflusse dieser scharfen Konkurrenz ist der Spirituspreis in Hamburg von 51,37 M. im Jahre 1880 auf 19,10 M. im Jahre 1901 zurückgegangen ! Speziell in Deutschland waren 1887/88 6268 Kartoffelbrennereien, welche 2'009'416 Tonnen Kartoffeln verarbeiteten. Im Betriebsjahre 1896/97 wurden nur noch 5571 Kartoffelbrennereien betrieben, die zusammen 2'116'139 Tonnen Kartoffeln verbrauchten. Inzwischen ist bis 1900 die Zahl der Kartoffelbrennereien wieder auf 6334 mit 2'502'000 Tonnen Kartoffelverarbeitung gestiegen. Aber da der Spiritusverbrauch mit dieser Vermehrung nicht gleichen Schritt hielt, so steht das Gewerbe gegenwärtig vor einer Kalamität, die zu einer intensiven, auf Produktionsbeschränkung gerichteten Bewegung geführt hat. In einer weiteren Ausdehnung dieses gewerblichen Hackfruchtbaues kann man also das Heil der Landwirtschaft keineswegs suchen wollen. Die Zahl der Getreidebrennereien ist von 5677 in 1891 auf 8688 in 1900 gestiegen, dagegen der Getreideverbrauch von 491'000 auf 364'000 Tonnen gesunken. Hier hat also der Zuwachs in der Zahl der Betriebe den durchschnittlichen Umfang derselben verkleinert. In der Schweiz hat man durch das Gesetz vom 23. Dezember 1886 1443 kleine und 7 Grossbrennereien aufgehoben und nur Betriebe mit einer Jahresproduktion von 150 bis 1000 hl beibehalten oder neu zugelassen. In England, dem Lande der Grossbetriebe, erreicht die jährliche Durchschnittsproduktion der Brennereien nach Jul. Wolf 25'000 bis 30'000 hl und die grösste sogar über 80'000 hl. Trotz der ungünstigen Preislage des Branntweins bei fortwährendem Rückgange der Ausfuhrziffer hat sich die gesamte Jahresproduktion in Deutschland seit 1888 auf über 4 Millionen Hectoliter gesteigert. Man versuchte den Ausfuhrverlust durch die Steigerung des Verbrauchs für gewerbliche Zwecke auszugleichen, was aber bisher nicht in dem erforderlichen vollen Masse gelungen ist. Aber wenn auch nach dieser Richtung noch wesentliche Fortschritte zu erwarten sind, so könnte damit doch höchstens für den gegenwärtigen Produktionsumfang ein gesicherter Absatz geschaffen werden; für eine künftig etwa noch weitere Steigerung der Produktion könnte man dadurch in absehbarer Zeit jedenfalls keinen Absatzraum schaffen. Die Zuckerrübe ist eine Kulturvarietät der Runkelrübe (Beta vulgaris), die an den Küsten des mittelländischen Meeres heimisch ist. Im Jahre 1747 hat der Chemiker Marggraf in Berlin Rohzucker in der Runkelrübe nachgewiesen. Im Jahre 1803 begann Fr. Carl Achard in Niederschlesien die Einrichtung und den Betrieb der ersten Rohzuckerfabrik für Runkelrüben. Unter dem Einflusse der Kontinentalsperre wurden auch in Frankreich solche Rohzuckerfabriken gegründet. Nach Ueberwindung der ersten technischen Schwierigkeiten beginnt namentlich seit dem dritten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts die moderne Entwickelung der Rübenzucker-Industrie und damit des Zuckerrübenbaues in Mitteleuropa. Die Technik des Rübenbaues wie auch der Rübenzuckergewinnung hat seitdem solche Fortschritte gemacht, dass man im Jahre 1836/37 noch aus 17,29 Tonnen, im Jahre 1900/01 aus nur 6,70 Tonnen Rüben eine Tonne Rohzucker gewann. Die Zahl der Rübenzuckerfabriken im Betriebe erreichte in Deutschland 1884/85 die Ziffer von 408 und war im Jahre 1900/01 nach wiederholten kleinen Schwankungen nach abwärts 395. Diese Betriebe verarbeiteten im Ganzen 13'253'909 Tonnen Rüben zu 18'747'150 Doppelcentnern Rohzucker, wovon 10'884'460 Doppelcentner ausgeführt wurden. Dabei waren 1895/1900 in Deutschland ohne wesentliche Schwankung immer nur 1,5% der bebauten Fläche mit Zuckerrüben bestellt. Die analogen Ziffern lassen sich für das Betriebsjahr 1900/01 und für die anderen Rübenzucker-Produktionsländer Europas wie folgt zusammenstellen: Inzwischen ist eine weitere sehr starke Produktionszunahme erfolgt. So betrug die Rübenzuckerproduktion in der letzten Kampagne 1901/02: in Deutschland . . . . . . 23 000 000 Dz " Oesterreich-Ungarn . . . . 13 060 000 " " Frankreich . . . . . . 10 800 000 " " Russland . . . . . . . 11 040 000 " " Belgien . . . . . . . 3 250 000 " " Holland . . . . . . . 2 040 000 " " Schweden . . . . . . . 1 214 000 " " Dänemark . . . . . . . 575 000 " Andere europäische Länder . . . 2 000 000 " Die europäische Rübenzucker-Industrie hat also bereits solchen Umfang angenommen, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Produkte im Auslande absetzen muss. Hier begegnet ihr als Konkurrent die aussereuropäische Rohrzuckerproduktion, welche früher die grössere Hälfte Zucker für den internationalen Austausch lieferte, seit dem Jahre 1882/83 aber von der internationalen Rübenzuckerproduktion überflügelt worden ist. Es war nämlich die Rohrzuckerproduktion die Rübenzuckerproduktion: für den Weltmarkt: in 100 kg in 100 kg 1871/72 18 689 930 10 513 500 1882/83 22 462 940 22 550 080 1896/97 28 786 000 48 211 920 1900/01 35 024 650 58 485 156 Schon aus diesen Ziffern geht hervor, dass die Rübenzuckerproduktionsländer in den letzten Jahren sich offenbar die schärfste Konkurrenz selbst bereiten. Die Regierungen der einzelnen Länder begünstigten und förderten ihre Zuckerrüben-Industrie bisher auf verschiedene Weise, besonders aber durch Gewährung mehr oder minder verdeckter Ausfuhrprämien. Diese berechneten sich nach den sorgfältigen Untersuchungen von Dr. Carl Hager für das Betriebsjahr 1897/98 und per 100 Kilo in Deutschland auf 2 M. 21 Pf. " Oesterreich-Ungarn " 4 " 31 " " Frankreich " 11 " 78 " " Russland " 14 " 84 " " Belgien " 3 " 71 " " Schweden " 15 " 14 " Die Höhe dieser Prämien, welche zu verschiedenen Zeiten verschieden waren, veranlassten im Zusammenhange mit dem Darniederliegen der anderen landwirtschaftlichen Produktionszweige einen Andrang zum Rübenanbau und eine Vergrösserung der Leistung der einzelnen Fabriken. Die durchschnittliche Verarbeitung an Rüben pro Fabrik in Deutschland betrug: im Jahre 1836/37 . . . 2 077 Dz " " 1870/71 . . . 100 681 " " " 1897/98 . . . 341 004 " " " 1900/01 . . . 335 542 " Die Zahl der deutschen Zuckerfabriken ist im Jahre 1870/71 um 67, im Jahre 1884/85 um 32 gewachsen. Die anderen Länder Europas haben in dieser Entwickelung der Rübenzucker-Industrie kaum geringere Fortschritte gemacht. Das durchschnittlich verarbeitete Rübenquantum pro Fabrik war im Jahre 1897/98 im Jahre 1900/01 in Deutschland 341 004 Dz 335 542 Dz " Oesterreich-Ungarn 317 573 " 347 792 " " Frankreich 184 920 " 261 001 " " Russland 256 500 " 232 909 " " Belgien 144 950 " 232 359 " " Holland 295 424 " 382 812 " " Schweden 448 137 " 541 125 " Einzelne Zuckerfabriken mit einem Aktienkapitale von 4 bis 5 Millionen Mark verarbeiten 1 bis 1 1⁄2 Millionen Centner Rüben. Und noch grössere Kapitalmassen werden in den Zuckerraffinerien investiert. Da kann es denn nicht überraschen, dass Ueberproduktionserscheinungen sich allerwärts geltend machen und dass die Zuckerpreise empfindlich zurückgehen mussten. Die Hamburger Durchschnittspreise für Rohzucker und zwar für 88% Rendement Lieferware notierten pro 100 kg: 1886/87 . . . . . 22,70 M. 1890/91 . . . . . 26,40 " 1895/96 . . . . . 21,80 " 1900/01 . . . . . 19,50 " 1901/02 . . . . . 13,70 " Was aber diese Situation der europäischen Rübenzuckerindustrie für die Zukunft besonders bedenklich erscheinen lässt, das ist der Umstand, dass das gewaltige Exportbedürfnis für mehr als die Hälfte der Gesamtproduktion bisher in der Hauptsache auf den Absatz in den Vereinigten Staaten von Amerika und in England angewiesen war und dass eben diese beiden Länder auf dem besten Wege sind, ihren Zuckerbedarf selbst zu produzieren. Es ist bekannt, dass die Vereinigten Staaten früher eine jährliche Zuckereinfuhr von über 18 Millonen Centnern hatten, bevor sie unter dem Einflusse der nordamerikanischen Zucker-Interessenten Hawai, Portorico und die Philippinen sich einverleibten und ihren gebieterischen Einfluss auch auf Cuba ausdehnten. Alle diese Gebiete gehören gerade zu den bedeutendsten Rohrzucker-Produktionsländern der Erde, mit einer heute bereits auf über 25 Millionen Centner gesteigerten durchschnittlichen Gesamtproduktion an Rohrzucker. Die Rohrzuckergewinnung war früher in ihrer Technik weit hinter modernen Anforderungen zurückgeblieben. Die Energie und Erfindungsgabe der Nordamerikaner fand also hier ein reiches Feld der Bethätigung. Und das Resultat ist heute bereits, dass der nordamerikanische Zuckermarkt sich von der europäischen Rübenzucker-Einfuhr fast völlig emanzipiert hat. Darauf hin kam nun auch England rasch zu der Anschauung, dass seine Besitzungen in Westindien, Guyana und Ostindien nebst Australien wohl ausreichen könnten, den heimischen Zuckerbedarf zu decken. Aus diesem Grunde führte England nun den Abschluss der Brüsseler Konvention herbei, wodurch die europäischen Exportprämien abgeschafft werden und dadurch dem kolonialen Rohrzucker die Konkurrenz im englischen Markt erleichtert wird. Dazu treten die von der englischen Regierung neuerdings beschlossenen direkten Unterstützungen ihrer zuckerbauenden Kolonien. Was soll nun aus der europäischen Rübenzucker-Industrie werden, die sich so rasch aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe in eine exportierende Grossindustrieverwandelt hatte? Dieser Entwickelung zur Grossindustrie wird nunmehr bald gänzlich der Exportabsatz genommen sein, und es ist daher gänzlich ausgeschlossen, dass in einer etwa noch weiteren künftigen Steigerung des Rübenbaues ein Ersatz für den Getreidebau gefunden werden könne. Die Resultate dieser historischen Betrachtung des Handelsgewächsbaues lassen sich in folgende Sätze zusammenfassen: Der Krappbau wurde ruiniert durch die synthetische Herstellung des Alizarins. Der Waidbau wurde ruiniert durch die Einfuhr der Indigopflanze, und die Indigopflanzen werden wohl demnächst ruiniert durch die synthetische Herstellung des Indigo. Der Flachsbau wurde ruiniert durch Surrogate, durch die grossindustrielle Entwickelung der Flachsbereitung und der Textilindustrie überhaupt, da diese es bedingt hat, dass an Stelle des Verbrauches des heimischen Gewächses in immer steigendem Masse der Import grosser Flachsmengen aus Russland trat. Der Hopfenbau hat besonders durch stark steigende Einfuhr unter stets sinkender Ausfuhr und auch durch technische Fortschritte der verschiedendsten Art in der Bierbrauerei und Hopfenkonservierung seine frühere gute Rentabilität verloren. Der Tabakbau ist in Deutschland nur noch für jene Kleingrundbesitzer ratsam, bei denen alle Familienglieder zusammenarbeiten, denn auch hier erdrückt die Einfuhr die heimische Produktion. Der Rapsbau ist durch technische Erfindungen auf dem Gebiete des Beleuchtungswesens unrentabel geworden und wird, soweit Raps noch gebraucht wird, durch die Einfuhr ersetzt. Der Kartoffelbau zur Branntweinbereitung ist bereits bis zu einer Ausdehnung gelangt, die eine absolute Ueberproduktion darstellt, und es muss, wenn das Gewerbe halbwegs rentabel bleiben soll, nicht nur keine künftige Steigerung, sondern eine starke Beschränkung der Produktion herbeigeführt werden. Der Zuckerrübenbau geht insbesondere seit Abschluss der Brüsseler Konvention mit dem drohenden Ende der Zuckerausfuhr einer schweren Krisis entgegen. Hier ist also nirgends Raum für Einschränkung des Getreidebaues zu Gunsten des Handelsgewächsbaues. Gerade der Handelsgewächsbau erscheint vielmehr in allen seinen Teilen weit stärker bedroht, als der Getreidebau. All unsere nationalökonomischen Schulsysteme sind bekanntlich aus dem praktisch-politischen Bedürfnis ihrer Zeit hervorgegangen. Deshalb lässt sich das Merkantilsystem als ein Finanzsystem, das physiokratische als ein agrarpolitisches, das Adam Smith’sche System als ein handelspolitisches System, der Marxismus als ein System der Arbeiterpolitik bezeichnen. Wir haben den vorausgeschickten entwickelungsgeschichtlichen Betrachtungen entnommen, dass das uns heute fehlende neue System der Nationalökonomie voraussichtlich ebenfalls ein System der Arbeiterpolitik sein wird, das indes nicht von dem viel zu engen Begriffe der Lohnarbeit, sondern von dem Totalbegriff der Arbeit im volkswirtschaftlichen Sinne ausgehen wird. Der Schwerpunkt dieser Betrachtungen ruht also im selbständigen Arbeiter, in der locatio conductio operis, im selbständigen Mittelstande. Da Schmoller in seiner „Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert“ den wichtigen Nachweis erbrachte, dass der gewerbliche Mittelstand sich nur auf dem Rücken eines wohlgesicherten Bauernstandes zu erhalten vermag, rückt der Schwerpunkt dieser Art von Arbeiterpolitik in seiner weiteren Betrachtung in die bäuerlichen Verhältnisse ein. Diese Art von Arbeiterpolitik gewinnt somit einen agrarpolitischen Charakter. Damit ist unzweifelhaft eine gewisse Analogie zu dem physiokratischen System von Quesnay gegeben, dessen Ausgangspunkt bekanntlich der Grund und Boden war. Noch heute ist man ziemlich allgemein der Anschauung, dass die Verhältnisse des Grundbesitzes den eigentlichen Inhalt agrarpolitischer Erwägungen ausmachen. Uns scheinen hier jedoch folgende Bedenken beachtenswert. Nur die landwirtschaftlich benutzte Bodenparzelle hat Anspruch auf agrarpolitisches Interesse. Die Steinwüsten im Innern des australischen Kontinents oder die Wüste Sahara oder auch die Wildparks der irischen und schottischen Landlords kümmern als solche die Agrarpolitik wenig. Also liegt nicht in dem Boden und in dem Grundbesitz „an sich“, sondern in seinem landwirtschaftlichen Charakter jenes Etwas, das ihn in die Agrarpolitik einreiht. Und was ist dieses „Etwas“? Die Sprachen fast aller Völker geben auf diese Frage eine übereinstimmende Antwort. Die Worte agrarisch und Agrarpolitik stammen von dem lateinischen „ager“. Das gleiche Wort heisst im indogermanischen „agros“, Feld, Acker, im Sanskrit „ajras“, Feld, Acker, im griechischen „agros“, im gothischen „akrs“, althochdeutsch „ahhar“. Das Wort „agros“ aber stammt von der Wurzel „ag“, „treiben“ und bedeutet: „wo das Vieh getrieben wird“ — also die „Ackerfurche“, nicht aber die „Trift“, wie Fieck, Kluge u. a. angeben. Im hebräischen finden wir hierfür das Wort „ichchar“ oder „ikar“ von „achar“ „graben“, „Ackersmann“, „Landmann“. Im äthiopischen „agr“ als „ager cultus“, im syrischen „akra“ „Landmann“, im arabischen „achar“, graben, der „Graber“, der „Landmann“. Also die hebräische, äthiopische, syrische und arabische Sprache leiten ihr Wort für „Acker“ von „graben“ ab. Das ist die älteste Form des Ackerbaus vor der Erfindung des Pfluges und dem Anspannen des Rindes, der „Hackbau“, wie ihn Eduard Hahn genannt hat, während Sanskrit, lateinisch, griechisch und althochdeutsch das Wort „Acker“ von der Pflugfurche ableiten, in der das Vieh getrieben wird. Das Wort „ager“ bezieht sich also in der That nur auf den landwirtschaftlich bearbeiteten Boden. Der Boden hört auf mit dem Worte „ager“ in Beziehung zu stehen, sobald er der landwirtschaftlichen Kulturarbeit entrückt ist. Die Hacke und der Pflug ziehen scharf die Grenze für alles das, was zu dem Worte „ager“ gehört. Indes ist diese landwirtschaftliche auf den Boden aufgewendete Kulturarbeit nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zwecke des Ertrages, des „Tragen“. Hierzu gehört das indogermanische Wort „dhragh“ mit der Wurzel „drag“, weiter als „dragan“ gebildet, aus dem dann althochdeutsch „getragide“ und mittelhochdeutsch „daz getregede“ wird, dem unser heutiges Wort „Getreide“ entspricht. Die Sprachforschung lehrt uns also, dass sich das Wort „ager“, mit welchem unser wissenschaftliches Wort „Agrarpolitik“ gebildet wurde, auf den landwirtschaftlich bearbeiteten Grund und Boden, auf den durch Pflugfurchen gebildeten „Acker“ bezieht, welcher dann „Getreide“ trägt. Das Wort „Agrarpolitik“ lässt sich deshalb seinem eigentlichen Sinne nach am besten mit dem Worte „Getreidepolitik“ übersetzen. Und so kommt auch diese Betrachtung zu dem Schlusse: das Getreide als konstruktiven Ausgangspunkt für unser System der Nationalökonomie zu wählen. Es wird deshalb bei der nachfolgenden Darstellung der Entwickelungsgeschichte der Völker dem Getreide und der Getreidepolitik ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken sein. *) Vergl. „Monatliche Nachrichten zur Regulierung der Getreidepreise“ Mai 1901, Wochenschrift „Getreidemarkt“ 9. April und 23. Juli 1902. Hermann Berg, „Getreidepreise und Kriminalität in Deutschland“ 1902 und die hier angegebene Litteratur. 1) Auf Seite 184/185 der Originalausgabe ist diese „Uebersichtskurve zu Seite 177“ abgedruckt. |
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