Dem Andenken Gustav Ruhlands.

Zu seinem 70. Geburtstag – 11. Juni 1930.

 

Am 11. Juni 1860 wurde Gustav Ruhland zu Hessenthal im Bayr. Spessart als Sproß einer alten Bauernfamilie geboren. Bei seinen großen Verdiensten um Volk und Vaterland, insbesondere um die deutsche Landwirtschaft gedenken wir seiner in Verehrung und Dankbarkeit.

Ruhland widmete sich nach dem Besuch einer Realschule und des Technikums Langensalza der Landwirtschaft, in der er sich durch Tätigkeit auf verschiedenen Gütern gründliche praktische Kenntnisse erwarb. Nach dem frühen Tod seines Vaters übernahm er das elterliche Bauerngut. Die Notlage der Landwirtschaft veranlaßte den Hochbegabten, über die Ursachen der Notlage und die Mittel zu ihrer Beseitigung nachzuforschen. Die von ihm gelesenen volkswirtschaftlichen Schriften bereiteten ihm jedoch nur Enttäuschung, da die darin enthaltenen Theorien den wirklichen Zustand der Landwirtschaft nicht klärten, sondern nur verdunkelten und im schärfsten Gegensatz zu seinen praktischen Erfahrungen standen. Auf den Rat des damaligen Altmeisters der Nationalökonomie Albert Schäffle schrieb Ruhland nun drei Aufsätze, die Schäffle als „großgedacht und weitblickend“ beurteilte und 1883 in seiner wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichte. Sie sind dann unter dem Titel: „Agrarpolitische Versuche vom Standpunkt der Sozialpolitik“ als besondere Schrift erschienen. Buchenbergers Badische Agrarenquete brachte Ruhland reiche Anregungen und veranlaßte ihn, 1885 sein zweites Buch „Über das natürliche Wertverhältnis des landwirtschaftlichen Grundbesitzes“ zu veröffentlichen. In dieser Schrift hat Ruhland bereits seinen „Wertbegriff“ und die Grundlinien seines späteren „volksorganischen Systems“ gefunden. Auf Schäffles Rat vervollständigt Ruhland dann seine wissenschaftlichen Studien in München und Tübingen. Er wurde darauf von den landwirtschaftlichen Verbänden Bayerns häufig als Sachverständiger herangezogen, wobei er eine ganze Reihe von Abhandlungen in landwirtschaftlichen Zeitschriften veröffentlichte. 1887 wies er in einer preisgekrönten Abhandlung die Überwälzung der Zölle auf das Ausland nach, wodurch die damals herrschende Theorie widerlegt wurde. Ruhland plante dann Studienreisen durch die wichtigsten Getreidebauländer der Erde, um die Ursachen des Preissturzes zu erforschen. Auf Empfehlung der bayr. Regierung, und weil Schäffle ihn für diese Studienreise als den bestvorbereiteten deutschen Nationalökonomen bezeichnete, gewährte der Reichskanzler Fürst Bismarck die nötigen Reisegelder. Von 1887 – 90 unternahm Ruhland diese Reisen nach den Donauländern, Rußland, Ägypten, Australien, Amerika und schließlich nach England als dem Haupthandelsplatz für das ausländische Getreide. Bei seiner Rückkehr fand er den General v. Caprivi als Reichskanzler vor, der landwirtschaftlichen Fragen verständnislos gegenüberstand und auf Conrads Rat trotz Ruhlands Warnungen die Getreidezölle herabsetzte.

Ruhland hatte auf seinen Forschungsreisen ermittelt, daß die Notlage der Landwirte international war. Die allgemein behauptete Überproduktion war nicht vorhanden. Die Getreidepreise wurden nur deshalb so ruinös, weil ihre Bildung durch den internationalen spekulativen Kapitalismus erfolgte. Deshalb forderte Ruhland die Abschaffung des Börsenterminspiels in Getreide und verlangte, daß die Landwirte die Preisbildung ihrer Erzeugnisse selbst übernehmen sollten. Er empfahl hierzu internationale Verständigung der Landwirte, die später auf sein Betreiben auch erfolgte und schließlich nach Zwischenlösungen 1905 zur Gründung der Welt-Agrarkammer in Rom führte.

Von den zahlreichen Schriften und Abhandlungen, die Ruhland damals verfaßte, mögen hier nur erwähnt werden „Die Wirtschaftspolitik des Vaterunsers“ mit der Darlegung, daß sein Wertbegriff des landwirtschaftlichen Grundbesitzes mit der uralten Lehre von der Äquivalenztheorie identisch ist, ferner seine Denkschrift über mögliche Verbilligung des landwirtschaftlichen Personalkredits, die dank der energischen Unterstützung durch den Finanzminister Dr. v. Miquel schon am 1.10.[18]95 zur Begründung der Preußenkasse führte.

Ruhland hatte inzwischen drei Jahre einen österreichischen Großgrundbesitz geleitet und dabei u.a. ermittelt, daß die marxistische Theorie von der angeblich unvermeidlichen Verdrängung der Bauern durch den Großgrundbesitz völlig falsch ist.

Ruhland wurde dann Privatdozent in Zürich und später Professor der Nationalökonomie an der Schweizer Universität zu Freiburg, wo er u.a. eine „Getreidepreiswarte“ in drei Sprachen herausgab und das weitverbreitete Buch: „Die Lehre von der Preisbildung für Getreide“ verfaßte, das noch in vier andere Sprachen übersetzt worden ist. Auf Adolf Wagners Rat hatte der 1893 gegründete Bund der Landwirte Ruhland als wissenschaftlichen Berater nach Berlin berufen, wo er seit Oktober 1901 mit Unterstützung des Bundes die Wochenschrift „Getreidemarkt“ herausgab, die durch jahrelange, tägliche Beobachtungen der wichtigsten Getreidemärkte der Welt erst die Schaffung des Fundaments ermöglichte, auf das Ruhland sein System aufbauen konnte. Ruhland hatte wegen seiner neuen Ideen viele Kämpfe mit den auf den Universitäten herrschenden nationalökonomischen Richtungen zu bestehen. Schließlich wurde er durch schwere Beschimpfungen, die der verstorbene Gießener Professor Biermer ihm in einer Broschüre zugefügt hatte, zu einem über 6jährigen Beleidigungsprozeß gezwungen, der seine bereits angegriffenen Lebenskräfte mehr und mehr aufrieb. Er siegte, aber seine Kraft war gebrochen. Nach langem Leiden starb er am 4. Januar 1914 zu Bad Tölz, wo er – nicht eben fern vom Grabe Lists – auch seine letzte Ruhestätte gefunden hat.

Mit ihm ging ein genialer Mensch dahin, dessen Lebensarbeit unserem Deutschen Volke und der Grundlage seiner Kraft und Wohlfahrt, der deutschen Landwirtschaft, gewidmet war. Wir verehrten ihn als einen Mann von unbestechlicher Wahrheitsliebe und unerschütterlicher Überzeugungstreue, was im Biermer-Prozeß Frhr. von Wangenheim mit den humorvollen Worten kennzeichnete, daß er keinen dickeren Bauernschädel kenne als den Ruhlands. Schäffle und Buchenberger hatten Ruhland darauf hingewiesen, daß sein neues durchgreifendes Agrarprogramm für sich allein keinen Erfolg haben könne, ebenso wie es ausgeschlossen sei, die eine Hälfte des menschlichen Körpers einer gründlichen Kur zu unterziehen, ohne die andere Hälfte zu berücksichtigen. Ruhland stimmte dieser Ansicht bei, beschloß aber, sein Agrarprogramm als Reformprogramm für das ganze Volk zu Ende zu führen, und zwar in Verbindung mit der Entwicklungsgeschichte aller bedeutsamen Kulturvölker. Buchenberger hielt den Plan eines solchen Systems für viel zu groß, um durch die Arbeitsleistung eines Menschenlebens beendet zu werden. Ruhland schuf sich jedoch einen Stab von wissenschaftlichen Hilfsarbeitern, und trotz emsiger Tagesarbeit und schwerster Kämpfe vollendete er in den Jahren 1903 – 08 sein Meisterwerk, das 3bändige System der Politischen Ökonomie. Die beiden hervorragenden Männer Schäffle und Buchenberger, die den Werdegang dieses Systems wesentlich beeinflußt hatten, deckte leider schon die kühle Erde.

Eine führende Rolle spielte Ruhland auch in dem Internationalen Verbande zum Studium der Verhältnisse des Mittelstandes, dem er 1910 seine Schrift Volkswirtschaftliche Grundbegriffe vorlegte. Auch mit der Industriearbeiterfrage hat sich Ruhland noch eingehend beschäftigt. Er entwarf Leitsätze für Mittelstandspolitik, ferner Leitsätze für vaterländische Berufsvereine (der Arbeiter, Angestellten und Handwerker) sowie Leitsätze für wirtschaftliche und soziale Reformen in der deutschen Landwirtschaft, die erst jetzt veröffentlicht werden. Ruhlands große Bedeutung liegt in der – vom Reichslandbund übernommenen – volksorganischen Auffassung der Volkswirtschaftslehre. Noch überwiegen im Allgemeinen zwei Systeme, das von Adam Smith und seinen Nachfolgern bis Ricardo geschaffene Freihandelssystem und seine natürliche Nachfrucht, der Marxismus. Nach Adam Smith ist der größte Reichtum eines Volkes durch absolute Freiheit des Einzelnen nach Maßgabe seines Selbstinteresses zu erreichen. Ruhland weist nach, daß durch dieses völlig freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte der Kapitalismus erzeugt werde, d.h. der Mißbrauch des Geldes durch die Kapitalisten, indem sie sich im Geschäftsverkehr die Vermögenswerte Anderer ohne gleichwertige Gegenleistung aneignen. Hierdurch werden die Grundzellen jeder gesunden Volkswirtschaft, der Mittelstand in Stadt und Land, zerstört, was früher oder später den Untergang des ganzen Volkes herbeiführen muß. Unter dem echten Mittelstand, den fälschlich viele Gelehrte als einen bloßen Einkommensbegriff behandeln, versteht aber Ruhland die organische Verbindung von Arbeit und Produktionskapital in einer Person. Für diesen echten Mittelstand bildet auch das Arbeitsprodukt den natürlichen und gerechten Arbeitslohn. Eine falsche Volkswirtschaftspolitik ist es, dem Kapitalismus die so stürmisch verlangte Freiheit zu gewähren und damit durch den Geldkrebs die Grundzellen zerstören zu lassen. Dann teilt sich das Volk in große Proletariermassen, denen eine verhältnismäßig kleine Anzahl reicher Leute gegenübersteht. Diese verstehen es, den oben erwähnten unverdienten Mehrwert sich im Vertragswege als arbeitslose Gewinne anzueignen und damit die ehrliche Arbeit um ihren gerechten Lohn erheblich zu kürzen. Deshalb können nur möglichst zahlreiche, selbständige Einzelwirtschaften das notwendige wirtschaftliche und soziale Gleichgewicht eines Volkes erhalten; nur möglichste Ausbreitung eines gesunden Mittelstandes löst die soziale Frage. Ruhland bringt weiter den Nachweis, daß der Mittelstand in Handwerk, Industrie und Handel den sicheren Halt zu seinem Blühen und Gedeihen nur durch eine blühende Landwirtschaft, vor allem durch einen wohlhabenden und unabhängigen Bauernstand erhält. Somit baut sich die Lösung aller großen wirtschaftlichen Fragen der Gegenwart organisch auf der Lösung der Argrarfrage auf. Denn auch das Wohl des Arbeiterstandes ist mit dem Bestehen eines gesunden Mittelstandes aufs engste verknüpft. Wenn der Kapitalismus diesen zerstört, so werden die so vernichteten Existenzen auf den Arbeitsmarkt getrieben, wo sie einen verhängnisvollen Druck auf die Arbeitslöhne ausüben. Ruhlands volksorganische Weltanschauung auf germanisch-christlicher Grundlage beruhend, geht nicht wie der Freihändler vom Kapital und nicht wie der Marxismus vom Industriearbeiter, sondern vom vaterländischen Grund und Boden aus, dessen Bearbeitung als Lohnregulator für die gesamte Volkswirtschaft wirkt.

Wegen des verfügbaren Raums konnten wir nur eine kleine Skizze von Ruhlands Bedeutung geben. Seine Werke sind im wesentlichen vergriffen. Seine alten Gegner, die Zunftgelehrten, beweisen ihre Feindschaft über das Grab hinaus durch völliges Totschweigen seiner Werke, so daß seit Jahren der Name Ruhland weder in ihren Schriften, noch in ihren Vorlesungen vorkommt. Das gleiche Schicksal hatten bekanntlich auch schon andere hervorragende Nationalökonomen, vor allem der allererste: List, dann Gossen, Marlo, Dühring. Unzweifelhaft ist die volkswirtschaftliche Entwicklung unseres Volkes durch dieses unverantwortliche Verhalten der Professoren um Jahrzehnte zurückgeblieben.

Es ist daher als dankenswerte Aufgabe zu begrüßen, daß jetzt die Ruhland-Gesellschaft (Vorsitzender Landrat a.D. Graf zu Dohna, Geschäftsführer Syndikus Scheda, Berlin-Chbg. 4), im Herbst ds. Js. eine Neuauflage der wichtigsten Schriften Ruhlands, vor allem des 1. Bandes seines Systems, bewirken will. Den klaren Weitblick Ruhlands auch in anderen Fragen beweist die Tatsache, daß er bereits 1907 den unvermeidlichen Ausbruch des Weltkrieges mit eingehender Begründung vorausgesagt und die entsprechende Verstärkung der deutschen Rüstung gefordert hat, bei der Einstellung der Reichsregierung und des Reichstages ohne Erfolg.

Sch.

Quelle: Reichs-Landbund: Agrarpolitische Wochenschrift; Nachrichten der Bundeszentrale und des Reichs-Junglandbundes [Berlin]

Einige Abkürzungen wurden aufgelöst, mehrere Setzfehler korrigiert.

Internet: Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft,
Persistent Identifier: http://zbw.eu/beta/p20/person/15161/0001


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